TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/11 Ra 2020/11/0222

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Veröffentlicht am 11.04.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E07204010
001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Führerscheingesetz

Norm

AVG §52
EURallg
FSG 1997 §24 Abs1 Z2
FSG 1997 §5 Abs5
FSG 1997 §8 Abs3
FSG 1997 §8 Abs3 Z2
FSG-GV 1997
FSG-GV 1997 §1 Z2
FSG-GV 1997 §1 Z4
FSG-GV 1997 §1 Z5
FSG-GV 1997 §12a
FSG-GV 1997 §12a Abs1
FSG-GV 1997 §2 Abs1
FSG-GV 1997 §2 Abs5
FSG-GV 1997 §5
FSG-GV 1997 §5 Abs1 Z3
VwRallg
32006L0126 Führerschein-RL Anh3 Z12

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätinnen Dr. Pollak, Mag. Hainz-Sator und MMag. Ginthör sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 20. Oktober 2020, Zl. LVwG-411-58/2020-R6, betreffend Erteilung einer befristeten Lenkberechtigung (mitbeteiligte Partei: B H in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        1.1. Dem Verfahrensakt ist zu entnehmen, dass dem Mitbeteiligten mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. Oktober 2015 - dessen Wortlaut zufolge - die Gültigkeit seiner Lenkberechtigung gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG durch (ua.) die Auflage, alle zwölf Monate einen fachärztlichen Kontrollbefund aus dem Sonderfach Neurologie vorzulegen, und die „Befristung“ in Form einer Nachuntersuchung durch die Amtsärztin bis zum 8. Oktober 2018 eingeschränkt wurde. Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 31. Oktober 2018 wurde - wiederum dessen Wortlaut zufolge - die Gültigkeit der Lenkberechtigung des Mitbeteiligten gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG (ua.) durch die Auflage einer ärztlichen Kontrolluntersuchung bei einem Facharzt für Neurologie und die „Befristung“ in Form einer Nachuntersuchung durch die Amtsärztin „in 2 Jahren (bis 27.08.2020)“ eingeschränkt.

2        1.2. Der Mitbeteiligte beantragte am 14. April 2020 die „Verlängerung bzw. eine uneingeschränkte Lenkberechtigung“.

3        1.3. Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 20. August 2020 schränkte die belangte Behörde (nunmehrige Revisionswerberin) gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG die Gültigkeit der Lenkberechtigung des Mitbeteiligten für die Klassen AM, A, B, BE und F durch einerseits Auflagen (Tragen eines Sehbehelfs; kein Alkohol; näher genannte Verhaltensanweisungen) und andererseits eine „Befristung“ in Form einer amtsärztlichen Nachuntersuchung in fünf Jahren, somit bis spätestens 20. August 2025, mit Vorlage einer aktuellen Stellungnahme aus dem Sonderfach der Neurologie ein.

4        1.4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg der Beschwerde des Mitbeteiligten, der in seinem Beschwerdeantrag die Abänderung des bekämpften Bescheids in Richtung einer uneingeschränkten Lenkberechtigung beantragte, insoweit Folge, als die Gültigkeit seiner Lenkberechtigung für die genannten Klassen „gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG ... durch folgende Auflagen eingeschränkt“ werde: 1) Tragen eines Sehbehelfs; 2) Vorlage eines fachärztlichen Kontrollbefundes aus dem Sonderfach Neurologie alle zwölf Monate; 3) Regelmäßige Einnahme von antiepileptischen Medikamenten; 4) Krankheitsspezifische Lebensstilführung (regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus, kein Alkoholkonsum, Vermeidung von Stresssituationen). Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Das Verwaltungsgericht stellte fest, beim Mitbeteiligten bestehe eine kryptogene Epilepsie. Das letzte Anfallsereignis sei am 22. Februar 2015 gewesen. Unter zwischenzeitlich geregelter Lebensführung und regelmäßiger Einnahme antiepileptischer Medikation sei der Mitbeteiligte seit mehr als fünf Jahren anfallsfrei.

6        Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht auf ein im Beschwerdeverfahren eingeholtes, im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenes amtsärztliches Gutachten, welches auf Grund eines vom Mitbeteiligten im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten (ergänzten) Gutachtens einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie eingeholt worden sei.

7        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, im amtsärztlichen Gutachten sei schlüssig und nachvollziehbar dargetan, dass bei Patienten mit Epilepsie die Lenkberechtigung nach den ersten fünf Jahren ohne Anfall unbefristet erteilt werden könne, auch bei weiterhin erforderlicher Einnahme von Medikamenten. Somit sei eine Befristung der Lenkberechtigung aus medizinischer Sicht nicht erforderlich und habe daher zu entfallen.

8        Aus dem amtsärztlichen Gutachten ergebe sich auch, dass die Auflage „kein Alkohol“ bei Epilepsie entsprechend den „Leitlinien für die gesundheitliche Eignung von Kraftfahrzeuglenkern“ nicht vorgegeben sei und auch von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie „nicht vorgeschrieben“ werde. Von dieser Auflage sei daher abzusehen.

9        Hingegen ergebe sich aus dem amtsärztlichen Gutachten, dass auf Grund der Erkrankung des Mitbeteiligten und auf Basis der vorliegenden fachärztlichen Stellungnahmen die Auflagen der regelmäßigen fachärztlichen Kontrollen, der regelmäßigen Medikamenteneinnahme und der krankheitsspezifischen Lebensstilführung unabdingbar seien und daher aufrecht blieben.

10       1.5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision der belangten Behörde.

11       Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12       2. Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage in Zusammenhang mit der Erteilung einer Lenkberechtigung bei Epilepsie zulässig.

13       3.1. Die Richtlinie 2006/126/EG über den Führerschein, ABl. L 403/18, in der hier maßgeblichen Fassung der Richtlinie 2009/113/EG, ABl. L 223/31 (im Folgenden: Führerschein-RL), lautet (auszugsweise):

Artikel 7

Ausstellung, Gültigkeit und Erneuerung

1.   Ein Führerschein darf nur an Bewerber ausgestellt werden, die

a)   eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen;

...

ANHANG III

MINDESTANFORDERUNGEN AN DIE KÖRPERLICHE UND GEISTIGE TAUGLICHKEIT ZUM FÜHREN EINES KRAFTFAHRZEUGS

BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

1. Für die Zwecke dieses Anhangs werden die Fahrzeugführer in zwei Gruppen eingeteilt:

1.1. Gruppe 1:

Führer von Fahrzeugen der Klassen A, A1, A2, AM, B, B1 und BE,

1.2. Gruppe 2:

Führer von Fahrzeugen der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E.

...

ÄRZTLICHE UNTERSUCHUNGEN

3. Gruppe 1:

Bewerber müssen ärztlich untersucht werden, wenn es sich im Verlauf des vorgeschriebenen Verfahrens oder der Prüfungen zur Erteilung einer Fahrerlaubnis zeigt, dass bei ihnen ein oder mehrere der in diesem Anhang aufgeführten gesundheitlichen Mängel vorliegen.

...

5.   Bei der Erteilung oder bei jeder Erneuerung einer Fahrerlaubnis können die Mitgliedstaaten strengere als die in diesem Anhang genannten Auflagen vorschreiben.

...

EPILEPSIE

12.  Epileptische Anfälle oder andere anfallsartige Bewusstseinsstörungen stellen beim Führen eines Kraftfahrzeugs eine ernste Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr dar.

Epilepsie liegt bei zwei oder mehr epileptischen Anfällen innerhalb von weniger als fünf Jahren vor. Als provozierter epileptischer Anfall gilt ein Anfall mit erkennbarer und vermeidbarer Ursache.

Einer Person, die einen erstmaligen oder isolierten Anfall oder Bewusstseinsverlust erlitten hat, sollte vom Führen eines Fahrzeugs abgeraten werden. Es ist ein Sachverständigenbericht zu erstellen, in dem die Dauer des Fahrverbots und die notwendigen Folgemaßnahmen aufgeführt sind.

Es ist von größter Wichtigkeit, dass das spezifische Epilepsiesyndrom des Betreffenden und die Art des Anfalls ermittelt werden, so dass dessen Fahrsicherheit (und das Risiko künftiger Anfälle) richtig eingeschätzt und geeignete Therapiemaßnahmen getroffen werden können. Dies sollte durch einen Neurologen erfolgen.

Gruppe 1:

12.1 Die Fahrerlaubnis von Fahrzeugführern mit Epilepsie der Gruppe 1 sollte der Überprüfung unterliegen, bis diese mindestens fünf Jahre lang anfallsfrei waren.

Patienten mit Epilepsie erfüllen die Kriterien für die Erteilung einer bedingungslosen Fahrerlaubnis nicht. Die ausstellende Behörde sollte unterrichtet werden.

12.2 Provozierter epileptischer Anfall: Bewerber, die einen provozierten epileptischen Anfall aufgrund einer erkennbaren Ursache erlitten haben, deren Auftreten am Steuer unwahrscheinlich ist, können auf der Grundlage eines neurologischen Gutachtens (Beurteilung ggf. im Einklang mit anderen einschlägigen Abschnitten von Anhang III (z. B. bei Alkoholproblematik oder Komorbidität)) individuell als zum Führen eines Fahrzeugs geeignet erklärt werden.

12.3 Erster oder einmaliger nicht provozierter Anfall: Bewerber, die erstmals einen nicht provozierten epileptischen Anfall erlitten haben, können auf der Grundlage einer geeigneten ärztlichen Untersuchung nach sechs anfallsfreien Monaten als zum Führen eines Fahrzeugs geeignet erklärt werden. Die nationalen Behörden können Fahrzeugführern mit anerkannt guten Prognoseindikatoren bereits vorher das Führen von Fahrzeugen erlauben.

12.4 Sonstiger Bewusstseinsverlust: Bewusstseinsverlust sollte im Hinblick auf das Risiko eines erneuten Eintretens während des Führens eines Fahrzeugs bewertet werden.

12.5 Epilepsie: Fahrzeugführer oder Bewerber können nach einem anfallsfreien Jahr als zum Führen von Fahrzeugen geeignet erklärt werden.

12.6 Ausschließlich im Schlaf auftretende Anfälle: Bewerber oder Fahrzeugführer, die ausschließlich schlafgebundene Anfälle erlitten haben, können als zum Führen von Fahrzeugen geeignet erklärt werden, sofern dieses Krankheitsmuster während eines Zeitraums festgestellt wurde, der mindestens dem für Epilepsie geforderten Zeitraum der Anfallsfreiheit entspricht. Nach einem im Wachzustand erlittenen Anfall müssen die Betreffenden mindestens ein Jahr lang anfallsfrei sein, bevor eine Fahrerlaubnis erteilt werden kann (siehe ‚Epilepsie‘).

12.7 Anfälle ohne Beeinträchtigung des Bewusstseins oder der Handlungsfähigkeit: Bewerber oder Fahrzeugführer, die stets nur Anfälle erlitten haben, die nachweislich weder das Bewusstsein beeinträchtigen noch funktionelle Störungen verursachen, können als zum Führen eines Fahrzeugs geeignet erklärt werden, sofern dieses Krankheitsmuster während eines Zeitraums festgestellt wurde, der mindestens dem für Epilepsie geforderten Zeitraum der Anfallsfreiheit entspricht. Nach einem Anfall anderer Art müssen die Betreffenden mindestens ein Jahr lang anfallsfrei sein, bevor eine Fahrerlaubnis erteilt werden kann (siehe ‚Epilepsie‘).

12.8 Anfälle infolge einer ärztlich verordneten Änderung oder Reduzierung der Epilepsietherapie: Dem Patienten kann empfohlen werden, ab dem Zeitpunkt des Absetzens der Behandlung während eines Zeitraums von sechs Monaten kein Fahrzeug zu führen. Wird nach einem Anfall, der infolge einer ärztlich verordneten Änderung oder Absetzung der Medikation eingetreten ist, die zuvor wirksame Behandlung wieder aufgenommen, so darf drei Monate lang kein Fahrzeug geführt werden.

12.9 Nach chirurgischer Epilepsietherapie: siehe ‚Epilepsie‘.

Gruppe 2:

12.10 Der Bewerber sollte während des vorgeschriebenen Zeitraums der Anfallsfreiheit keine Antiepileptika einnehmen. Eine geeignete medizinische Nachbehandlung muss erfolgt sein. Eine umfassende neurologische Untersuchung ergab keinen pathologischen zerebralen Befund und das Elektroenzephalogramm (EEG) zeigt keine epileptiforme Aktivität. Nach der akuten Episode sollte ein EEG erstellt und eine neurologische Bewertung vorgenommen werden.

12.11 Provozierter epileptischer Anfall: Bewerber, die einen provozierten epileptischen Anfall aufgrund einer erkennbaren Ursache erlitten haben, deren Auftreten am Steuer unwahrscheinlich ist, können auf der Grundlage eines neurologischen Gutachtens individuell als zum Führen von Fahrzeugen geeignet erklärt werden. Nach der akuten Episode sollte ein EEG erstellt und eine neurologische Bewertung vorgenommen werden. Personen mit struktureller intrazerebraler Läsion und erhöhtem Anfallsrisiko sollten so lange keine Fahrzeuge der Gruppe 2 führen können, bis das Epilepsierisiko mindestens auf 2 % pro Jahr gefallen ist. Die Beurteilung sollte ggf. (z. B. bei Alkoholproblematik) im Einklang mit anderen einschlägigen Abschnitten von Anhang III erfolgen.

12.12 Erster oder einmaliger nicht provozierter Anfall: Bewerber, die erstmals einen nicht provozierten epileptischen Anfall erlitten haben, können auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen neurologischen Bewertung nach fünf anfallsfreien Jahren ohne Einnahme von Antiepileptika als zum Führen eines Fahrzeugs geeignet erklärt werden. Die nationalen Behörden können Fahrzeugführern mit anerkannt guten Prognoseindikatoren bereits vorher das Führen von Fahrzeugen erlauben.

12.13 Sonstiger Bewusstseinsverlust: Bewusstseinsverlust sollte im Hinblick auf das Risiko eines erneuten Eintretens während des Führens eines Fahrzeugs bewertet werden. Das Risiko des erneuten Eintretens sollte höchstens 2 % pro Jahr betragen.

12.14 Epilepsie: Ohne die Einnahme von Antiepileptika muss Anfallsfreiheit während eines Zeitraums von 10 Jahren erreicht worden sein. Die nationalen Behörden können Fahrzeugführern mit anerkannt guten Prognoseindikatoren bereits vorher das Führen von Fahrzeugen erlauben. Dies gilt auch im Falle von ‚juveniler Epilepsie‘.

Bestimmte Gesundheitsstörungen (z. B. arteriovenöse Fehlbildungen oder intrazerebrale Blutungen) gehen mit erhöhtem Anfallsrisiko einher, selbst wenn bislang noch keine Anfälle aufgetreten sind. In solchen Fällen sollte von einer zuständigen ärztlichen Stelle eine Bewertung vorgenommen werden. Das Anfallsrisiko sollte höchstens 2 % pro Jahr betragen, damit eine Fahrerlaubnis erteilt werden kann.

...“

14       3.2. Das Führerscheingesetz - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 76/2019, lautet (auszugsweise):

Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

3.   gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

...

Verfahren bei der Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 5. ...

(5) Die Lenkberechtigung ist, soweit dies auf Grund des ärztlichen Gutachtens oder wegen der Art der Lenkberechtigung nach den Erfordernissen der Verkehrssicherheit nötig ist, unter den entsprechenden Befristungen, Auflagen oder zeitlichen, örtlichen oder sachlichen Beschränkungen der Gültigkeit zu erteilen (§ 8 Abs. 3 Z 2). Personen, die nach dem ärztlichen Gutachten ‚beschränkt geeignet‘ sind, darf nur eine eingeschränkte Lenkberechtigung erteilt werden, die ausschließlich zum Lenken eines oder mehrerer, auf Grund der Beobachtungsfahrt bestimmter Ausgleichkraftfahrzeuge berechtigt (§ 9 Abs. 5). Die aufgrund des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befristungen, Beschränkungen oder Auflagen sind dem Antragsteller von der Behörde zur Kenntnis zu bringen.

...

Gesundheitliche Eignung

§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, daß er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Gruppe(n) von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als 18 Monate sein und ist von einem in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen. Die militärärztliche Feststellung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einer oder mehrerer Gruppe(n) gilt für die Dauer von 18 Monaten ab ihrer Ausstellung auch als solches ärztliches Gutachten.

(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

(3) Das ärztliche Gutachten hat abschließend auszusprechen: ‚geeignet‘, ‚bedingt geeignet‘, ‚beschränkt geeignet‘ oder ‚nicht geeignet‘. Ist der Begutachtete nach dem ärztlichen Befund

...

2.   zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen nur unter der Voraussetzung geeignet, dass er Körperersatzstücke oder Behelfe oder dass er nur Fahrzeuge mit bestimmten Merkmalen verwendet oder dass er sich ärztlichen Kontrolluntersuchungen unterzieht, so hat das Gutachten ‚bedingt geeignet‘ für die entsprechenden Klassen zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann; dies gilt auch für Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen amtsärztliche Nachuntersuchungen erforderlich sind;

...

(4) Wenn das ärztliche Gutachten die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen von der Erfüllung bestimmter Auflagen, wie insbesondere die Verwendung von bestimmten Behelfen oder die regelmäßige Beibringung einer fachärztlichen Stellungnahme abhängig macht, so sind diese Auflagen beim Lenken von Kraftfahrzeugen zu befolgen.

...

(6) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der medizinischen und psychologischen Wissenschaft und der Technik entsprechend, durch Verordnung die näheren Bestimmungen festzusetzen über:

1.   die ärztliche Untersuchung und die Erstellung des ärztlichen Gutachtens (Abs. 1 und 2); hiebei ist auch festzusetzen, unter welchen Auflagen oder Beschränkungen Personen, bei denen bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen, als zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet zu gelten haben (Abs. 3 Z 2 und 3);

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

...

2.   die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. ...

...“

15       3.3.1. Die auf der Grundlage des § 8 Abs. 6 FSG erlassene Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung - FSG-GV, BGBl. II Nr. 322/1997, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 228/2019, lautet (auszugsweise):

Begriffsbestimmungen

§ 1. Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:

1.   ärztliches Gutachten: ein von einem Amtsarzt oder von einem gemäß § 34 FSG bestellten sachverständigen Arzt für Allgemeinmedizin gemäß der Anlage erstelltes Gutachten, das in begründeten Fällen auch fachärztliche Stellungnahmen, gegebenenfalls eine Beobachtungsfahrt gemäß § 9 FSG oder erforderlichenfalls auch eine verkehrspsychologische Stellungnahme zu umfassen hat.

2.   fachärztliche Stellungnahme: diese hat ein Krankheitsbild zu beschreiben und dessen Auswirkungen auf das Lenken von Kraftfahrzeugen zu beurteilen und ist von einem Facharzt des entsprechenden Sonderfaches abzugeben. In dieser ist gegebenenfalls auch die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitzubeurteilen.

...

4.   amtsärztliche Nachuntersuchung: Grundlage für ein von einem Amtsarzt erstelltes ärztliches Gutachten über die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen eines Besitzers einer Lenkberechtigung; sie umfaßt sowohl das Aktenstudium als auch die Beurteilung allfälliger fachärztlicher oder verkehrspsychologischer Stellungnahmen sowie gegebenenfalls eine Beobachtungsfahrt und hat sich auf die gesundheitlichen Mängel zu beschränken, auf Grund derer die Nachuntersuchung vorgeschrieben wurde, es sei denn, anläßlich der Nachuntersuchung treten andere Auffälligkeiten auf.

5.   ärztliche Kontrolluntersuchung: Grundlage für eine fachärztliche Stellungnahme, auf Grund bestimmter Leiden, die im Hinblick auf eine Befristung der Lenkberechtigung regelmäßig durchzuführen ist und für die amtsärztliche Nachuntersuchung erforderlich ist.

...

8.   Gruppe 1: Kraftfahrzeuge der Klassen AM, A(A1, A2), B, BE und F,

9.   Gruppe 2: Kraftfahrzeuge der Klassen C(C1), CE(C1E), D(D1) und DE(D1E).

Allgemeines

§ 2. (1) Das ärztliche Gutachten hat gegebenenfalls auszusprechen:

1.   ob und nach welchem Zeitraum eine amtsärztliche Nachuntersuchung erforderlich ist,

2.   ob und in welchen Zeitabständen ärztliche Kontrolluntersuchungen erforderlich sind,

...

Werden in den Fällen der §§ 5 bis 16 ärztliche Kontrolluntersuchungen als Auflage vorgeschrieben, so dürfen diese niemals alleine, sondern immer nur in Verbindung mit einer Befristung der Lenkberechtigung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung bei Ablauf dieser Befristung verfügt werden.

...

(3) Im Falle, daß das ärztliche Gutachten eine amtsärztliche Nachuntersuchung oder ärztliche Kontrolluntersuchungen oder die Verwendung von bestimmten Körperersatzstücken oder Behelfen vorschreibt, ist die Lenkberechtigung nur bis zu dem Zeitpunkt der nächsten amtsärztlichen Nachuntersuchung befristet, erforderlichenfalls unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen, oder unter der Auflage der Verwendung dieser Körperersatzstücke oder Behelfe zu erteilen. Die Befristung oder Auflage ist gemäß § 13 Abs. 2 FSG in den Führerschein einzutragen. Werden ärztliche Kontrolluntersuchungen als Auflage vorgeschrieben, so ist der Befund oder das Gutachten in den vorgeschriebenen Zeitabständen gemeinsam mit dem Führerschein der Behörde vorzulegen.

...

(5) Soweit in dieser Verordnung bestimmte Beschränkungen der Lenkberechtigung wie beispielsweise Auflagen vorgesehen sind, wird dadurch das Recht der Behörde, erforderlichenfalls zusätzliche Einschränkungen, wie beispielsweise Befristungen zu verfügen, nicht berührt.

Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen

§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1.   die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,

...

Kraftfahrzeuglenker müssen die für ihre Gruppe erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen gemäß den nachfolgenden Bestimmungen erfüllen. Um die gesundheitliche Eignung nachzuweisen, ist der Behörde ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 Abs. 1 oder 2 FSG vorzulegen.

...

Gesundheit

§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:

...

3.   Erkrankungen, bei denen es zu unvorhersehbaren Bewußtseinsstörungen oder -trübungen kommt,

...

Krankheiten des Nervensystems

§ 12. (1) Personen, die an einer schweren Erkrankung des Nervensystems leiden, darf eine Lenkberechtigung nur erteilt oder belassen werden, wenn die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen auch durch eine fachärztliche Stellungnahme bestätigt wird.

(2) Störungen des Nervensystems, die auf Erkrankungen, Verletzungen oder Operationen des zentralen oder peripheren Nervensystems zurückzuführen sind, sich in motorischen, sensiblen, sensorischen, trophischen und/oder neuropsychiatrischen oder neuropsychologischen Symptomen äußern und das Gleichgewicht und die Koordinierung stören, sind im Hinblick auf ihre kraftfahrspezifische Funktionsbeeinträchtigung und Prognose zu beurteilen. Bei Gefahr einer Verschlechterung kann die Lenkberechtigung nur unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen erteilt oder belassen werden.

Anfallsleiden/Epilepsie

§ 12a. (1) Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder -trübungen leiden, kann eine Lenkberechtigung nur unter Einbeziehung einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und während der ersten fünf Jahre nach einem Anfall nur unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und nur für höchstens fünf Jahre erteilt oder belassen werden. Der Facharzt hat die Epilepsie oder andere Bewusstseinsstörungen, deren klinische Form und Entwicklung, die bisherige Behandlung und die Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko zu beurteilen. Bei Lenkern der Gruppe 2 muss jedenfalls eine geeignete medizinische Nachbehandlung erfolgt sein, die Untersuchung darf keinen pathologischen zerebralen Befund ergeben haben und das Elektroenzephalogramm (EEG) darf keine epileptiforme Aktivität zeigen. Während der in Abs. 2 und 3 vorgeschriebenen anfallsfreien Zeiträume darf bei Lenkern der Gruppe 2 keine medikamentöse Behandlung der Epilepsie erfolgt sein.

(2) Personen, die einen erstmaligen Anfall erlitten haben, kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nach einer anfallsfreien Zeit von sechs Monaten, eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 nach einer anfallsfreien Zeit von fünf Jahren erteilt oder belassen werden. Dieser Zeitraum kann entfallen, wenn der Anfall auf eine erkennbare und vermeidbare Ursache zurückzuführen ist, deren Auftreten am Steuer unwahrscheinlich ist (provozierter Anfall). Bei nicht provozierten Anfällen kann der Zeitraum in Einzelfällen aufgrund einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme verkürzt werden.

(3) Personen, die an einer Epilepsie leiden (mehr als ein nicht provozierter Anfall oder ein nicht provozierter Anfall und im EEG epilepsietypische Veränderungen und/oder im MRT nachweisbare ursächliche strukturelle Läsion) oder mehr als einen Anfall (provozierte oder gemischt provozierte und nicht provozierte) erlitten haben, kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nach einer anfallsfreien Zeit von einem Jahr, eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 nach einer anfallsfreien Zeit von zehn Jahren erteilt oder belassen werden. Bei Lenkern der Gruppe 2 kann der Zeitraum in Einzelfällen aufgrund einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme verkürzt werden.

(4) Personen, die ausschließlich Anfälle ohne Beeinträchtigung des Bewusstseins oder der Handlungsfähigkeit oder schlafgebundene Anfälle erlitten haben, kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 erteilt oder belassen werden, wenn dieses Krankheitsmuster über einen Zeitraum von einem Jahr ab dem ersten Anfall beobachtet wurde, es sei denn, dass die Erteilung oder Belassung einer Lenkberechtigung für die Gruppe 1 gemäß Abs. 2 zu einem früheren Zeitpunkt möglich ist. Für Lenker der Gruppe 2 gelten bei Anfällen ohne Beeinträchtigung des Bewusstseins oder der Handlungsfähigkeit oder bei schlafgebundenen Anfällen die in den Abs. 2 und 3 genannten Bestimmungen für Gruppe 2.

(5) Personen, die einen Anfall bei Änderung oder Beendigung einer antiepileptischen Therapie erlitten haben, kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 bei Wiederaufnahme der zuvor wirksamen Behandlung nach einer erneuten anfallsfreien Zeit von drei Monaten erteilt oder belassen werden. Eine Lenkberechtigung für die Gruppe 2 darf in solchen Fällen nicht erteilt oder belassen werden (Abs. 1 letzter Satz).

(6) Personen, bei denen zwar noch keine Anfälle aufgetreten sind, die aber unter Gesundheitsstörungen (etwa arteriovenöse Fehlbildungen oder intrazerebrale Blutungen) leiden, die mit einem erhöhten Anfallsrisiko einhergehen, kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 nur aufgrund einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden.“

16       3.3.2. § 12a FSG-GV wurde durch die 5. Novelle zur FSG-GV, BGBl. II Nr. 280/2011, erlassen; zugleich wurde § 12 Abs. 3 FSG-GV aufgehoben. § 12 Abs. 3 FSG-GV lautete in der Fassung vor dieser Novelle:

§ 12. ...

(3) Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewußtseinsstörungen oder -trübungen leiden, kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nur unter Einbeziehung einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden. Der Facharzt hat die Epilepsie oder andere Bewußtseinsstörungen, deren klinische Form und Entwicklung, die bisherige Behandlung und die Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko zu beurteilen. Hingegen darf solchen Personen keine Lenkberechtigung der Gruppe 2 erteilt oder belassen werden.“

17       4. Die Revision bringt zu ihrer Begründung vor, die Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen hätte nur in Verbindung mit einer Befristung und der Auflage einer amtsärztlichen Nachuntersuchung bei Ablauf der Befristung verfügt werden dürfen. Dieses Vorbringen ist zielführend:

18       4.1. Vorauszuschicken ist, dass, unabhängig davon, ob der Mitbeteilige eine unbefristete Lenkberechtigung besessen hatte, deren Gültigkeit gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG durch Auflagen und eine Befristung hätte eingeschränkt werden können, es sich im Hinblick auf den Bescheid der belangten Behörde vom 14. Oktober 2015 jedenfalls bei den folgenden Bescheiden vom 31. August 2018 und vom 20. August 2020 (und auch beim angefochtenen Erkenntnis) ungeachtet der missverständlichen Formulierung des Spruches bei verständiger Würdigung desselben nicht mehr um die auf § 24 Abs. 1 Z 2 FSG zu stützende - nachträgliche - Befristung einer (bisher unbefristeten) Lenkberechtigung, sondern nur um die befristete Erteilung („Verlängerung“) einer Lenkberechtigung handeln kann (vgl. zu einem ähnlichen Fall VwGH 22.3.2002, 2001/11/0137). Insbesondere beim Bescheid vom 20. August 2020 gibt es auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass ihn der Mitbeteiligte anders verstanden hätte als eine Erledigung seines Verlängerungsantrags. Allerdings gelten sowohl für die Befristung einer bestehenden Lenkberechtigung (§ 24 Abs. 1 Z 2 FSG) als auch für die Erteilung einer befristeten Lenkberechtigung die Vorschriften betreffend das ärztliche Gutachten gemäß § 8 Abs. 3 FSG in Verbindung mit den Bestimmungen der FSG-GV (vgl. nochmals VwGH 22.3.2002, 2001/11/0137, sowie VwGH 23.5.2003, 2002/11/0066).

19       4.2.1. Nach der Rechtslage vor der 5. Novelle zur FSG-GV konnte Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder -trübungen leiden, unabhängig von der Ausprägung dieses Krankheitsbildes eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 bei einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt bzw. belassen, eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 hingegen gar nicht erteilt bzw. belassen werden. Durch die 5. Novelle zur FSG-GV erfolgte - zwecks Umsetzung der Richtlinie 2009/113/EG, mit welcher die Führerschein-RL geändert wurde - in § 12a FSG-GV eine umfangreiche Regelung des Krankheitsbildes „Anfallsleiden/Epilepsie“, welche nach Ausprägung dieses Krankheitsbildes differenzierend unterschiedliche Voraussetzungen für die Erteilung bzw. Belassung der Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen 1 und 2 vorsieht. Dabei enthält Abs. 1 leg. cit. allgemeine, für alle Ausprägungen dieses Krankheitsbildes geltende Voraussetzungen, welche durch die besonderen Voraussetzungen der Abs. 2 bis 6 leg. cit. ergänzt werden.

20       Allen Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder -trübungen leiden, kann gemäß Abs. 1 erster Satz leg. cit. - unabhängig von der Ausprägung des Krankheitsbildes und unabhängig davon, ob es um eine Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 oder 2 geht - eine Lenkberechtigung nur bei einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt bzw. belassen werden. Zusätzlich sehen die Abs. 2 bis 5 - jeweils nach Ausprägung des Krankheitsbildes und zwischen Gruppe 1 und 2 differenzierend - sog. Beobachtungszeiträume vor, innerhalb welcher die betroffene Person anfallsfrei sein muss, bevor die Lenkberechtigung erteilt bzw. belassen werden darf. Für Lenkberechtigungen für Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 enthält § 12a Abs. 1 dritter und vierter Satz FSG weitere (hier nicht relevante) Voraussetzungen.

21       Gemäß § 12a Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV hat der Facharzt die Epilepsie oder andere Bewusstseinsstörung, deren klinische Form und Entwicklung, die bisherige Behandlung und die Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko zu beurteilen. Eine solche fachärztliche Stellungnahme hat in jedem einzelnen Fall der Erteilung bzw. Belassung einer Lenkberechtigung bei Vorliegen eines in § 12a FSG-GV geregelten Krankheitsbildes zu ergehen. Die fachärztliche Stellungnahme hat iSd. § 1 Z 2 FSG-GV eine solche Beschreibung des Krankheitsbildes zu enthalten, die - entsprechende Feststellungen der Führerscheinbehörden vorausgesetzt - eine Einordnung in die Kategorien der Abs. 2 bis 6 des § 12a FSG-GV ermöglichen, weil diese unterschiedliche Voraussetzungen für die Erteilung bzw. Belassung der Lenkberechtigung vorsehen (vgl. auch Z 12 letzter Satz Anhang III Führerschein-RL, wonach es von größter Wichtigkeit ist, dass das spezifische Epilepsiesyndrom des Betreffenden und die Art des Anfalls ermittelt werden, sodass dessen Fahrsicherheit und das Risiko künftiger Anfälle richtig eingeschätzt und geeignete Therapiemaßnahmen getroffen werden können). Dabei sind die Begrifflichkeiten des in § 12a FSG-GV geregelten Krankheitsbildes in Einklang mit den Begrifflichkeiten der Z 12 Anhang III Führerschein-RL auszulegen.

22       Zusätzlich zu den genannten Voraussetzungen (befürwortende fachärztliche Stellungnahme; anfallsfreier Beobachtungszeitraum; besondere Voraussetzungen für Gruppe 2) darf gemäß § 12a Abs. 1 erster Satz FSG - wiederum unabhängig von der Ausprägung des Krankheitsbildes und unabhängig davon, ob es um eine Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 oder 2 geht - eine Lenkberechtigung während der ersten fünf Jahre nach einem Anfall nur unter den (kumulativen) Voraussetzungen der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen iSd. § 1 Z 5 FSG-GV und einer Befristung von höchstens fünf Jahren erteilt bzw. belassen werden (vgl. Nedbal-Bures/Pürstl, FSG7, 2019, § 12a FSG-GV, Anm. 2: „5-jährige Befristung innerhalb von 5 Jahren“). Infolge der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen ist gemäß § 2 Abs. 1 letzter Satz FSG-GV, welcher durch die 5. Novelle zur FSG-GV neu gefasst wurde und daher neben § 12a FSG-GV zu beachten ist, auch eine amtsärztliche Nachuntersuchung iSd. § 1 Z 4 FSG-GV bei Ablauf der Befristung als Auflage zu verfügen (vgl. dazu allgemein VwGH 30.6.2016, Ra 2016/11/0088, Rn. 35).

23       Liegt ein Anfall bereits mehr als fünf Jahre zurück, bedarf es für die Erteilung bzw. Belassung einer Lenkberechtigung zwar weiterhin einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme. § 12a FSG-GV verlangt in diesem Fall aber keine Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und keine Befristung mehr (vgl. auch Z 12.1 Anhang III Führerschein-RL, wonach die Fahrerlaubnis von Fahrzeugführern mit Epilepsie der Gruppe 1 der Überprüfung unterliegen sollte, bis diese mindestens fünf Jahre lang anfallsfrei waren).

24       4.2.2. Im Revisionsfall war der Mitbeteiligte nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts seit über fünf Jahren anfallsfrei. Dennoch wurden ihm im angefochtenen Erkenntnis ärztliche Kontrolluntersuchungen als Auflage vorgeschrieben. Diese Auflage konnte sich nach dem Gesagten allerdings nicht auf § 12a FSG-GV stützen.

25       Allerdings regelt § 12a FSG-GV die Vorschreibung ärztlicher Kontrolluntersuchungen als Auflage nicht abschließend in dem Sinn, dass eine solche Auflage in Zusammenhang mit dem Krankheitsbild „Anfallsleiden/Epilepsie“ in anderen als jenen Fällen, in denen § 12a FSG-GV eine solche Auflage als zwingende Voraussetzung der Erteilung bzw. Belassung einer Lenkberechtigung vorsieht, ausgeschlossen wäre. Eine solche Auslegung würde § 2 Abs. 5 FSG-GV, welcher die Möglichkeit zusätzlicher Einschränkungen der Lenkberechtigung als der in der FSG-GV ausdrücklich vorgesehenen offenlässt, außer Acht lassen. Sie wäre auch nicht von der Führerschein-RL, welche in Z 3 Anhang III den Mitgliedstaaten bei der Erteilung oder Erneuerung einer Fahrerlaubnis die Vorschreibung strengerer als die in diesem Anhang genannten Auflagen erlaubt, geboten. Insbesondere würde eine solche Auslegung aber in Widerspruch zu der Zielsetzung des FSG und der FSG-GV geraten, nur Personen, die zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund sind (§ 5 FSG-GV), eine Lenkberechtigung zu erteilen und zu belassen (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/11/0232).

26       Wie sich aus § 8 Abs. 3 Z 2 FSG ergibt, kann bzw. hat ein ärztliches Gutachten auch in jenen Fällen, in denen dies gemäß § 12a FSG-GV nicht zwingend vorgesehen ist, ärztliche Kontrolluntersuchungen vorzusehen, wenn der Begutachtete nur unter dieser Voraussetzung zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Ein solches Gutachten müsste aber jene besonderen Gründe darlegen, aus denen über die Regelung des § 12a Abs. 1 FSG-GV hinaus nach einem fünfjährigen anfallsfreien Zeitraum eine solche Auflage wiederum notwendig ist, um eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit zu erteilen.

27       Ergibt sich auf Grund eines mängelfreien Gutachtens in so einem Fall die Notwendigkeit ärztlicher Kontrolluntersuchungen, so ist die Lenkberechtigung gemäß § 5 Abs. 5 FSG unter einer entsprechenden Auflage zu erteilen.

28       4.2.3. Eine solche, auf § 5 Abs. 5 FSG gestützte Auflage ist darüber hinaus mit einer Befristung und der Auflage einer amtsärztlichen Nachuntersuchung bei Ablauf der Befristung zu verbinden. Die in § 2 Abs. 1 letzter Satz FSG-GV vorgesehene zwingende Verbindung der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen mit einer Befristung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung bei Ablauf der Befristung (vgl. nochmals VwGH 30.6.2016, Ra 2016/11/0088, Rn. 35) bezieht sich nämlich nicht nur auf die Vorschreibung ärztlicher Kontrolluntersuchungen als Auflage auf der besonderen Grundlage des § 12a Abs. 1 FSG-GV, sondern auch auf die Vorschreibung einer solchen Auflage, welche in Folge der Feststellung einer Krankheit iSd. § 5 Abs. 1 Z 3 FSG-GV auf der Grundlage des § 8 Abs. 3 Z 2 FSG allein erfolgt.

29       Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 letzter Satz FSG-GV, welcher die Vorschreibung von ärztlichen Kontrolluntersuchungen auch im Fall des - eine allgemeine Umschreibung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen enthaltenden - § 5 leg. cit. erfasst. Nach der Systematik der FSG-GV ist die - im Hinblick auf eine Befristung der Lenkberechtigung durchzuführende - ärztliche Kontrolluntersuchung (§ 1 Z 5 FSG-GV) Basis für eine amtsärztliche Nachuntersuchung (§ 1 Z 4 FSG-GV), die wiederum dem amtsärztlichen Gutachten (§ 8 Abs. 3 FSG) vorauszugehen hat (vgl. VwGH 20.5.2008, 2005/11/0091). Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, ist die Vorschreibung von ärztlichen Kontrolluntersuchungen somit (insbesondere) im Zusammenhang mit der Befristung einer Lenkberechtigung erforderlich, um dem Amtsarzt die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen im Rahmen der amtsärztlichen Nachuntersuchung zu ermöglichen und damit auch eine gutachterliche Beurteilung treffen zu können, ob nach Ablauf der Befristung der Lenkberechtigung eine weitere Lenkberechtigung (gegebenenfalls mit welchen Einschränkungen) aus medizinischer Sicht erteilt werden kann (vgl. VwGH 11.11.2015, Ra 2015/11/0072; vgl. auch Nedbal-Bures/Pürstl, FSG7, 2019, § 2 FSG-GV, Anm. 1a). Die Vorschreibung der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen ohne Verbindung mit einer Befristung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung bei Ablauf der Befristung würde daher den Sinn und Zweck dieser Einschränkung der Lenkberechtigung ins Leere laufen lassen.

30       4.3. Für den Revisionsfall bedeutet dies Folgendes: Das Verwaltungsgericht hat die Auflage jährlicher fachärztlicher Kontrolluntersuchungen aus dem Sonderfach Neurologie lediglich mit dem amtsärztlichen Gutachten begründet, aber nicht offengelegt, auf welche rechtliche Grundlage es diese Auflage stützt. § 12a Abs. 1 FSG-GV scheidet nach den Sachverhaltsfeststellungen (mehr als fünfjährige Anfallsfreiheit) als Grundlage aus. Selbst wenn aber § 8 Abs. 3 Z 2 FSG als gesetzliche Grundlage heranzuziehen wäre, wofür es wie oben ausgeführt einer (im angefochtenen Erkenntnis allerdings fehlenden) besonderen Begründung bedürfte, hätte eine solche Auflage nur in Verbindung mit einer Befristung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung verfügt werden dürfen. Das Verwaltungsgericht hat, indem es dies verkannte, das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

31       Im fortzusetzenden Verfahren wird das Verwaltungsgericht zu beachten haben, dass die Zeitabstände zwischen allfälligen ärztlichen Kontrolluntersuchungen nachvollziehbar zu begründen sind (vgl. VwGH 11.11.2015, Ra 2015/11/0072; 28.2.2017, Ra 2014/11/0099).

32       4.4. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 11. April 2022

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4 Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020110222.L00

Im RIS seit

11.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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