TE Vwgh Erkenntnis 1963/11/27 2086/62

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Veröffentlicht am 27.11.1963
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Index

StVO
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §5 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsidenten Dr. Donner, und die Hofräte Dr. Chamrath, Dr. Kaniak, Dr. Schmid und Dr. Rath als Richter, im Beisein des Schriftführers, Landesregierungskommissärs Dr. Roth, über die Beschwerde des RW in M gegen den Bescheid des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom 19. Oktober 1962, Zl. L. A. I/7-4691-1962, betreffend Verwaltungsstrafe wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem Straferkenntnis vom 14. September 1962 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in der Höhe von S 5.000,- und für den Fall der Uneinbringlichkeit dieser Geldstrafe eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von 7 Tagen. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurde ihm die Entrichtung eines Betrages von S 500,- auferlegt. Als erwiesen hatte die Behörde erster Rechtsstufe angenommen, der Beschwerdeführer habe am 26. Juli 1962 um 18,40 Uhr in alkoholisiertem Zustand das Motorfahrrad mit der Vormerknummer N nnn auf der Landeshauptstraße Nr. 2 vom Salmhof nach Marchegg Stadt gelenkt. Diesen Tatbestand hatte die Behörde als Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960, gewertet. Das Tatbestandselement der Alkoholisierung hatte die Behörde nach der Aktenlage auf Grund des Ergebnisses einer klinischen Untersuchung als erwiesen erachtet, die durch den praktischen Arzt Dr. FZ am Tage der Beanstandung vorgenommen worden war. In dem darüber durch den Arzt erstellten Befund ist festgehalten, daß der Beschwerdeführer die Abnahme von Blut ebenso wie die Alcotestprobe verweigert hatte. Aus dem Ergebnis der klinischen Untersuchung hatte der Arzt auf eine mittelstarke Alkoholisierung des Beschwerdeführers geschlossen. Anläßlich seiner Einvernahme als Beschuldigter am 27. August 1962 hatte der Beschwerdeführer den Konsum von 1/8 1 Wein sowie von 2/16 l Schnaps in der Zeit zwischen 15,30 Uhr und 17,30 Uhr zugegeben. Er hatte ferner ausgesagt, mit seinem Motorfahrrad nicht gefahren zu sein, sondern dieses Fahrzeug neben sich hergeschoben zu haben. Hinsichtlich des weiteren Tatbestandselementes des Lenkens seines Motorfahrrades hatte die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf, wie der Begründung ihres Straferkenntnisses zu entnehmen ist, der Verantwortung des Beschwerdeführers keinen Glauben geschenkt. Sie hatte vielmehr auf Grund der Zeugenaussage der RS als erwiesen angenommen, daß er kurz nach 18,00 Uhr vor der Kantine im Salmhof sein Moped gestartet habe und damit weggefahren sei.

Gegen das Straferkenntnis vom 14. September 1962 erhob der Beschwerdeführer Berufung. In Ausführung dieses Rechtsmittels brachte er in Wiederholung seiner Rechtfertigung vor der Behörde erster Instanz vor, er sei durch eine Verletzung seiner rechten Hand, die er sich bei einem Autounfall zugezogen habe, gar nicht in der Lage gewesen, ein Moped zu lenken. Er habe auch entgegen den Feststellungen der Vorinstanz niemals zugegeben, mit dem Moped gefahren zu sein. Die Zeugenaussage S sei in dem darüber aufgenommenen Protokoll unrichtig wiedergegeben. Das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung gab mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid, der namens der Landesregierung erlassen wurde, dieser Berufung keine Folge und bestätigte das Straferkenntnis der Erstinstanz. In den Entscheidungsgründen dieses Bescheides wurde in rechtlicher Beziehung ausgeführt, aus der Aussage des Beschwerdeführers vom 27. August 1962 sei eindeutig erkennbar, daß er sein Moped vom Salmhof nach Marchegg Stadt gelenkt habe. Denn der Begriff des „Lenkens“ eines Fahrzeuges umfasse nicht nur dessen Lenken während der Fahrt, sondern auch das Schieben eines Fahrrades, Motorfahrrades oder Motorrades. Eine Person, die ein Motorfahrrad schiebe sei als Motorfahrradfahrer und somit als Lenker dieses Fahrzeuges und nicht als Fußgänger oder eine diesem gleichgestellte Person anzusehen, Daß der Beschwerdeführer sein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand geschoben habe, werde von ihm nicht bestritten und sei durch den klinischen Befund und das Gutachten des Amtsarztes erwiesen. Die beantragte Einvernahme weiterer Zeugen habe bei dieser Sachlage unterbleiben können,

Über die gegen diesen Bescheid unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde hat der Gerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer erblickt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in einer unrichtigen Auslegung des § 5 Abs. 1 StVO 1960 durch die belangte Behörde. Er macht in diesem Zusammenhang insbesondere geltend, der in dieser Gesetzesstelle enthaltene Begriff des Lenkens könne nur „das Dirigieren eines sich in Betrieb befindlichen Fahrzeuges“ umfassen. Der Inhalt dieses Begriffes könne nämlich nur unter Zuhilfenahme des weiteren, in der gleichen Gesetzesstelle verwendeten Begriffes „in Betrieb nehmen“ richtig abgegrenzt werden. Die Gegenüberstellung dieser beiden Begriffe ergebe, daß der Gesetzgeber zwischen der Vorbereitungshandlung (Inbetriebnahme) und der Ausführungshandlung (dem Lenken) unterschieden habe. Wenn nutz schon, so muß das Beschwerdevorbringen verstanden werden, das in der zeitlichen Folge jedenfalls vor der Inbetriebnahme liegende Schieben, eines Motorfahrrades als „Lenken“ zu qualifizieren wäre so hätte es einer gesonderten Strafandrohung für die Tätigkeit des dem Lenken unmittelbar vorangehenden Inbetriebnehmens nicht bedurft, da bei einer solch weiten Fassung des Begriffes „Lenken“ auch alle Handlungen erfaßt sein müßten, die gemeinhin als „in Betrieb nehmen“ zu definieren wären.

Diesem Vorbringen kommt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Ergebnis Berechtigung zu. Vorerst sei darauf hingewiesen, daß sich der Gerichtshof mit der Frage, wie die beiden Begriffe des Lenkens und Inbetriebnehmens eines Kraftfahrzeuges in strafrechtlicher Sicht gegeneinander abzugrenzen sind, in seinem Erkenntnis vom 7. November 1963, Zl. 981/62, ausführlich auseinandergesetzt und dort ausgesprochen hat, daß auch nach der seit dem Inkrafttreten der Straßenverkehrsordnung 1960 bestehenden Rechtslage unter dem „in Betrieb nehmen“ eines Kraftfahrzeuges jedenfalls eine Tätigkeit zu verstehen ist, die der Lenkung des Kraftfahrzeuges vorausgeht. Der Gerichtshof verweist in dieser Hinsicht unter Erinnerung an Art. 19 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 220/1952, auf dieses Erkenntnis. Nun ist es gewiß nicht so, daß das Schieben eines Motorfahrrades zu dessen Inbetriebnahme gleichfalls im Verhältnis der Vorbereitungshandlung zur Ausführungshandlung stehen müßte. Die Tätigkeit des Schiebens kann vielmehr jener des Inbetriebnehmens und Lenkens sowohl zeitlich vorangehen als auch nachfolgen; sie kann an sich auch ohne vorhergehendes oder nachfolgendes Inbetriebnehmen und Lenken stattfinden. Indessen besteht das gemeinsame Merkmal, das alle drei in Rede stehenden Tätigkeit miteinander verbindet, darin, daß sie in aller Regel im Rahmen der Benützung eines Kraftfahrzeuges zum Zwecke der Fortbewegung innerhalb des fließenden öffentlichen Verkehrs ausgeübt werden und daß ihre Ausübung in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustande daher grundsätzlich geeignet ist, nicht nur den solcherart Tätigen, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Gerade das Gefährdungsmoment war es auch, das den Gesetzgeber bewogen hat, ein unter Strafsanktion stehendes Verbot des Lenkens und des Inbetriebnehmens eines Fahrzeuges im alkoholisierten Zustand festzusetzen. Wie schon dargetan und auch in dem oben angeführten Erkenntnis vom 7. November 1963 des näheren erörtert worden ist, stehen „Lenken“ und „Inbetriebnehmen“ miteinander in einem engen Zusammenhang. Dieser Zusammenhang ist nach dem Gesagten auch weitaus enger als jener zwischen Lenken und Inbetriebnehmen auf der einen und Schieben auf der anderen Seite. Hat es daher der Gesetzgeber für nötig erachtet, die beiden erstgenannten Handlungen, falls sie im alkoholisierten Zustand gesetzt werden, einzeln unter Strafsanktion zu stellen, so kann ihm mit zureichendem Grunde nicht unterstellt werden, er habe die ausdrückliche Anführung der Tätigkeit des Schiebens eines Fahrzeuges nur deshalb unterlassen, weil er sie als durch den Begriff des Lenkens erfaßt ansah. Die Auffassung der belangten Behörde, das „Schieben“ eines Motorfahrrades sei dessen „Lenken“ gleichzuhalten, ist daher verfehlt.

Der Gerichtshof hat bei der Lösung der behandelten Rechtsfrage auch nicht übersehen, daß nach seiner eigenen, zur vormals geltenden Straßenpolizeiordnung aus 1947 ergangenen Rechtsprechung. (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Juni 1955, Slg. N. F. Nr. 3788/A, auf das sich die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zur Stützung ihrer Rechtsmeinung berufen hat) sowie auch nach der auf dem gleichen Gesetz fußenden Judikatur des Obersten Gerichtshofes eine Person, die ein Fahrrad schiebt, als Radfahrer und nicht etwa als Fußgänger zu werten ist. Er hält auch an dieser Auffassung fest; hingegen ist er der Auffassung, daß sich die Strafbarkeit des Beschwerdeführers aus dieser Erwägung heraus ebenfalls nicht begründen läßt. Wenn es auch zutrifft, daß derjenige, der ein Fahrrad bzw. Motorrad oder Motorfahrrad schiebt, (noch immer) Lenker dieses Fahrzeuges ist, so besagt dies doch nur, daß durch das Absteigen die während der Benützung des Fahrzeuges im öffentlichen Verkehr fortbestehende und dauernde Beziehung zwischen Fahrzeug und Lenker nicht aufgehoben wird. § 5 Abs. 1 StVO 1960 bedroht indessen nicht den alkoholisierten Lenker eines Fahrzeuges schlechthin und ohne Rücksicht darauf mit Strafe, ob er zur Tatzeit tatsächlich sein Fahrzeug lenkt oder nicht, sondern stellt die Tätigkeit des Lenkens im engeren Sinne dieses Wortes unter Strafsanktion. Daß und warum aber zu dieser Tätigkeit das Schieben des Fahrzeuges nicht gezählt werden kann, wurde schon dargelegt.

Da die belangte Behörde sohin ihre Entscheidung auf eine Rechtsmeinung gegründet hat, die einer Überprüfung nicht standhält, mußte ihr Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit der Aufhebung verfallen.

Wien, am 27. November 1963

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1963:1962002086.X00

Im RIS seit

10.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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