TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/17 G231/92, G30/94, V105/92

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Veröffentlicht am 17.06.1994
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9200 Altenheime, Pflegeheime, Sozialhilfe

Norm

B-VG Art15a
B-VG Art49
B-VG Art50
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Gegenstandslosigkeit
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs7
Sbg SozialhilfeG §53
Sbg Sozialhilfe-Kundmachung (einer Vereinbarung gem Art15a B-VG)

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der im Sbg SozialhilfeG normierten Ermächtigung zur Kundmachung von Vereinbarungen der Länder untereinander nach Art15a B-VG in Angelegenheiten der Sozialhilfe im Landesgesetzblatt; Anordnung eines nicht in der Bundesverfassung vorgesehenen Rechtserzeugungsprozesses; Notwendigkeit der Transformation solcher Vereinbarungen ebenso wie bei Staatsverträgen; Wegfall des Normcharakters einer auf die als verfassungswidrig festgestellte Kundmachungsermächtigung gestützten Kundmachung einer Vereinbarung von Ländern untereinander in Angelegenheiten der Sozialhilfe; Einstellung des Verordnungsprüfungsverfahrens wegen Wegfalls des Substrates

Spruch

§53 des Gesetzes vom 13. Dezember 1974, LGBl. Nr. 19/1975, über die Sozialhilfe im Lande Salzburg (Salzburger Sozialhilfegesetz), in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 27/1994, war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Salzburg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. über den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes, a) die Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 12. September 1975, mit der der Beitritt des Landes Salzburg zur Vereinbarung zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe verlautbart wird, LGBl. Nr. 95/1975, in eventu b) Art7 ("Streitfälle, Verfahren") der Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe in der Anlage zu der in lita bezeichneten Kundmachung, Salzburger LGBl. Nr. 95/1975, als verfassungswidrig aufzuheben, in seiner heutigen nichtöffentlichen Sitzung beschlossen:

Das Verordnungsprüfungsverfahren wird eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Am 13./14./17. Dezember 1973 schlossen die Bundesländer Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg, jeweils vertreten durch ihren Landeshauptmann, gemäß Art107 B-VG idF vor der Nov. BGBl. Nr. 444/1974 eine Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe.

Nach Art1 dieser Vereinbarung sind die Träger der Sozialhilfe eines Vertragslandes (in der Vereinbarung als "Träger" bezeichnet) verpflichtet, den Sozialhilfeträgern eines anderen Vertragslandes die für Sozialhilfe aufgewendeten Kosten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu ersetzen.

Art2 der Vereinbarung bestimmt:

"Zu den Kosten der Sozialhilfe gehören die Kosten, die einem Träger für einen Hilfesuchenden

a) nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Sozialhilfe oder

b) nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Jugendwohlfahrtspflege und nach dem Geschlechtskrankheitengesetz, StGBl. Nr. 152/1945, in der Fassung BGBl. Nr. 54/1946, erwachsen."

Im Art3 Abs1 der Vereinbarung wird die Zuständigkeit wie folgt geregelt:

"Soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, ist jener Träger zum Kostenersatz verpflichtet, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe mindestens durch fünf Monate aufgehalten hat und der nach den für ihn geltenden landesrechtlichen Vorschriften die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zugrunde liegen, zu tragen hat."

Bei der Berechnung der Fristen nach Art3 Abs1 der Vereinbarung hat u.a. "der Aufenthalt in einer Anstalt oder in einem Heim, das nicht in erster Linie Wohnzwecken dient", außer Betracht zu bleiben (Art3 Abs2 litb der Vereinbarung).

Art7 der Vereinbarung lautet:

"Über die Verpflichtung zum Kostenersatz hat im Streitfalle die Landesregierung, in deren Bereich der zum Kostenersatz angesprochene Träger liegt, im Verwaltungsweg zu entscheiden."

Nach Art9 der Vereinbarung steht diese zum vorbehaltlosen Beitritt durch andere Länder offen. Der Beitritt ist den Vertragsländern gegenüber schriftlich zu erklären. Er wird drei Monate nach Ablauf des Tages wirksam, an dem gegenüber allen Vertragsländern die Erklärung abgegeben ist.

2. Die Vereinbarung wurde für Oberösterreich mit Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung vom 17. Dezember 1973, LGBl. Nr. 83, über den Kostenersatz in Angelegenheiten der Sozialhilfe zwischen den Sozialhilfeträgern Oberösterreichs und den Sozialhilfeträgern der Länder Tirol und Vorarlberg wirksam.

3.a) Das Land Salzburg ist der Vereinbarung nach Inkrafttreten des Art15a B-VG idF der Novelle BGBl. 444/1974 - entsprechend dem Art9 der Vereinbarung - beigetreten:

Im Landesgesetzblatt 1975 für das Land Salzburg befindet sich unter Nr. 95 die Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 12. September 1975, mit der der Beitritt des Landes Salzburg zur Vereinbarung verlautbart wird (im folgenden kurz: Sbg.SHKdm.).

Diese Kundmachung lautet:

"Auf Grund des gemäß §53 des Salzburger Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 19/1975, gefaßten Beschlusses der Salzburger Landesregierung vom 16. Mai 1975 hat das Land Salzburg, vertreten durch den Landeshauptmann DDr. Hans Lechner, gemäß Art15a Abs2 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 am 5. Juni 1975 seinen Beitritt zu der in der Anlage wiedergegebenen Vereinbarung, die am 13./14./17. Dezember 1973 zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg getroffen wurde und der die Länder Wien am 21. März 1974 und Kärnten am 10. Dezember 1974 beigetreten sind, erklärt.

Der Beitritt des Landes Salzburg wird gemäß Art9 Abs2 der Vereinbarung am 6. September 1975 wirksam.

Gegenüber der Urschrift der Vereinbarung enthält die in der Anlage wiedergegebene Fassung folgende der Verständlichkeit im Landesbereich dienende Änderungen:

a) Der Titel 'Vereinbarung zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe' ist durch den Titel 'Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe' ersetzt.

b) In der Überschrift zu Art8 ist die Wiedergabe des Wortes 'Inkrafttreten', im Art8 die der Absatzbezeichnung '(1)' und des Abs2, der die Vereinbarung der Länder Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg betreffend den Wirksamkeitsbeginn mit 1. Jänner 1974 festlegte, unterblieben."

Es folgt in der Anlage zur Kundmachung der Text der wiederholt erwähnten Vereinbarung.

b) Der (auf der Stufe eines einfachen Landesgesetzes stehende) §53 des (Salzburger) Landesgesetzes vom 13. Dezember 1974, LGBl. 19/1975, über die Sozialhilfe im Lande Salzburg (Salzburger Sozialhilfegesetz), (im folgenden: Sbg.SHG), idF vor der Novelle LGBl. 27/1994 (s. die folgende litc) lautete:

"§53

(1) Wenn dies in Vereinbarungen mit anderen Ländern gemäß Art15a B-VG vorgesehen ist, hat das Land Salzburg als Sozialhilfeträger den Sozialhilfeträgern (Fürsorgeträgern) anderer Länder Kostenersatz für Leistungen der Sozialhilfe (der öffentlichen Fürsorge) zu leisten, die Personen gewährt wurden, welche innerhalb einer gewissen Frist vor Erhalt der Leistung ihren ordentlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in das andere Land verlegt haben oder welche in einer Anstalt oder auf einem Pflegeplatz im Gebiet des anderen Landes aufgenommen bzw. untergebracht wurden.

(2) In Vereinbarungen nach Abs1 kann festgelegt werden, daß gegebenenfalls entweder Kostenersatz in der Höhe der tatsächlichen Kosten der Hilfeleistung im anderen Bundesland oder als Ersatz der Kosten zu leisten ist, die angefallen wären, wenn Sozialhilfe nach den Bestimmungen dieses Gesetzes geleistet worden wäre.

(3) Jede Vereinbarung gemäß Abs1 muß Gegenseitigkeit gewähren. Sie kann im Landesgesetzblatt kundgemacht werden."

c) Mit Gesetz vom 15. Dezember 1993, LGBl. 27/1994 (ausgegeben am 29. März 1994), mit dem das Salzburger Sozialhilfegesetz geändert wird, wurde der den "Kostenersatz an andere Länder" betreffende §53 Sbg.SHG neu gefaßt. Diese Novelle trat mit 30. März 1994 in Kraft.

§53 (neu) bestimmt (auf der Stufe eines einfachen Landesgesetzes) unmittelbar, unter welchen Voraussetzungen und auf welche Weise das Land Salzburg zum Kostenersatz an andere Länder verpflichtet ist.

II. 1.a) Der Verwaltungsgerichtshof hat aus Anlaß der bei ihm zu Zl. 92/08/0091 anhängigen Beschwerde (zum Sachverhalt und zur Begründung der Beschwerde s.u. II.3) mit Beschluß vom 17. November 1992, A45/92, gemäß Art140 Abs1 B-VG sowie Art139 Abs1 B-VG in Verbindung mit Art89 Abs2 und 3 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt:

"1. §53 Abs3 zweiter Satz des Gesetzes vom 13. Dezember 1974 über die Sozialhilfe im Lande Salzburg (Salzburger Sozialhilfegesetz), Salzburger LGBl. Nr. 19/1975, und

2.a) die Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 12. September 1975, mit der der Beitritt des Landes Salzburg zur Vereinbarung zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe verlautbart wird, LGBl. Nr. 95/1975, in eventu

b) Art7 ('Streitfälle, Verfahren') der Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe in der Anlage zu der in 2.a) bezeichneten Kundmachung, Salzburger LGBl. Nr. 95/1975,

als verfassungswidrig aufzuheben."

b) Mit Beschluß vom 8. Feber 1994 stellt der Verwaltungsgerichtshof in Ergänzung seines soeben erwähnten Beschlusses vom 17. November 1992 den Antrag,

(auch) "§53 Abs1 und 2 sowie Abs3 erster Satz des Gesetzes vom 13. Dezember 1974 über die Sozialhilfe im Lande Salzburg (Salzburger Sozialhilfegesetz), Salzburger LGBl. Nr. 19/1975, als verfassungswidrig aufzuheben."

Der Verwaltungsgerichtshof bekämpft also nun den ganzen §53 Sbg.SHG idF vor der Novelle LGBl. 27/1994.

Der Gesetzesprüfungsantrag des Verwaltungsgerichtshofes ist unter G231/92, der Verordungsprüfungantrag unter V105/92 protokolliert.

2. Der Verwaltungsgerichtshof war zur geschilderten, am 8. Feber 1994 erfolgten Ergänzung seines ursprünglichen Prüfungsantrages offenkundig durch den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1993 angeregt worden. Aus Anlaß des oben zu Pkt. 1 erwähnten Verordungsprüfungsverfahrens V105/92 hatte der Verfassungsgerichtshof nämlich beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des (ganzen) §53 Sbg.SHG idF vor der Novelle LGBl. 27/1994 von Amts wegen - aus den unten zu II.4. dargelegten Gründen - zu prüfen (G30/94).

In diesem Einleitungsbeschluß vertritt der Verfassungsgerichtshof die vorläufige Meinung, daß der ganze §53 (alt) Sbg. SHG (also nicht bloß dessen vom Verwaltungsgerichtshof zunächst angefochtener Abs3 zweiter Satz) im Verordnungsprüfungsverfahren präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1 B-VG sei.

3.a) Der oben (II.1.a) erwähnten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die Salzburger Landesregierung unter Bezugnahme auf Art7 der Vereinbarung über den Kostenersatz in Angelegenheiten der Sozialhilfe, LGBl. Nr. 95/1975 (in der Folge: Vereinbarung) festgestellt, daß das Land Salzburg als Sozialhilfeträger gemäß Art3 Abs2 litb dieser Vereinbarung nicht verpflichtet ist, die der beschwerdeführenden Stadt Linz als Sozialhilfeträger durch die Unterbringung einer näher bezeichneten Pflegebedürftigen im Pflegeheim Sonnenhof entstehenden Kosten zu ersetzen.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht im wesentlichen Streit über die Auslegung des Art3 Abs 1 iVm Art3 Abs2 litb der Vereinbarung, nämlich dahin, ob - fallbezogen - ein bloßer Aufenthalt einer bereits pflegebedürftigen Person bei Verwandten im Lande Salzburg zum Zwecke der Pflege in der Dauer von rund sechs Monaten (somit in einer für den Kostenersatzanspruch gegenüber dem Aufenthaltsland im Sinne des Art3 Abs1 der Vereinbarung ausreichenden Dauer) einem außer Betracht zu lassenden Aufenthalt im Sinne des Art3 Abs2 litb der Vereinbarung gleichzuhalten ist.

b) Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß er in dem bei ihm anhängigen Beschwerdefall Art7 der Vereinbarung anzuwenden hätte, der die Behördenzuständigkeit festlegt.

§53 (Abs3) (alt) Sbg.SHG sei - so meint der Verwaltungsgerichtshof - für die von ihm zu treffende Entscheidung insoweit präjudiziell, als diese Bestimmung die einzige (ausreichende) Rechtsgrundlage für Art7 der Vereinbarung wäre.

c) aa) Der Verwaltungsgerichtshof begründet seinen auf Aufhebung des §53 (Abs3 letzter Satz) (alt) Sbg.SHG gerichteten Antrag - unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 9886/1983 - damit, daß aufgrund dieser Vorschrift ein Inkraftsetzen der Vereinbarung zur Herbeiführung normativer Wirkung nach außen durch Kundmachung im Landesgesetzblatt bewirkt werden könne, mit anderen Worten, daß §53 Abs3 (alt) Sbg.SHG die normative Wirksamkeit einer solcherart kundgemachten Vereinbarung entweder (gleich einem Landesgesetz) auch ohne das Erfordernis eines Gesetzesbeschlusses des Landtages oder (gleich einer Verordnung) ohne eine ausreichende gesetzliche Vorherbestimmung des Inhaltes einer solchen Vereinbarung anordne.

§53 Abs3 (alt) Sbg.SHG sei daher verfassungswidrig.

bb) Art7 der Vereinbarung sei - sofern man die Kundmachung der Vereinbarung LGBl. 95/1975 in Entsprechung des Erkenntnisses VfSlg. 9886/1983 als Verordnung ansehe - verfassungswidrig: Eine Zuständigkeit der Landesregierung zur Entscheidung von Rückersatzansprüchen der in Rede stehenden Art sei im Salzburger Sozialhilfegesetz nicht vorgesehen. Weiters sei die Anordnung des Verwaltungsweges für aufgrund der Vereinbarung bestehende Ersatzansprüche im Salzburger Sozialhilfegesetz nicht vorherbestimmt.

Soweit die auf §53 (alt) Sbg.SHG beruhende Kundmachung LGBl. 95/1975 intendiere, der Vereinbarung als Normerzeugungsquelle eigener Art normative Wirkung beizulegen, beruhe sie auf einer verfassungswidrigen landesgesetzlichen Rechtsvorschrift. Nach Aufhebung des §53 (alt) Sbg.SHG durch den Verfassungsgerichtshof finde sie weder in der zuletzt zitierten Norm noch in Art18 Abs2 B-VG eine verfassungsmäßige Deckung; dies gelte (zumindest) für Art7 der Vereinbarung.

4. Der Verfassungsgerichtshof äußert im oben (II.2) zitierten Gesetzesprüfungsbeschluß ob der Verfassungsmäßigkeit des §53 Sbg.SHG ähnliche Bedenken wie der Verwaltungsgerichtshof:

Mit dieser Gesetzesbestimmung werde - so nahm der Gerichtshof vorläufig an - angeordnet, daß eine Vereinbarung durch (bloße) Kundmachung im Landesgesetzblatt unmittelbare normative Wirkung für die Bevölkerung erlange; der Landes(verfassungs)gesetzgeber sei aber von der Bundesverfassung nicht dazu berufen, einen solchen eigenen Rechtsquellentyp vorzusehen.

5.a) aa) Die Salzburger Landesregierung vertritt in ihrer Äußerung vom 17. Mai 1993 die Auffassung, daß §53 (alt) Sbg.SHG nur deklarative Bedeutung habe; seine Aufhebung würde an der Rechtslage nichts ändern. Aus der Formulierung, daß eine Vereinbarung im Landesgesetzblatt kundgemacht werden kann, folge, daß der Gesetzgeber keine neue, Dritte verpflichtende Rechtssatzform kreieren wollte; dadurch unterscheide sich die zur Aufhebung beantragte Bestimmung des Sbg.SHG wesentlich vom seinerzeitigen §44 des Wiener Sozialhilfegesetzes (wonach eine Vereinbarung verpflichtend im Landesgesetzblatt kundzumachen war), der mit Erkenntnis VfSlg. 9886/1983 aufgehoben wurde.

Die Kundmachung einer Vereinbarung im Landesgesetzblatt ändere unter diesen Voraussetzungen an deren Normqualität nichts; die angefochtene Gesetzesbestimmung sei somit nicht verfassungswidrig.

Auch der gegen die Sbg.SHKdm. bzw. §7 der Vereinbarung gerichtete Verordnungsprüfungsantrag sei damit unzulässig.

bb) In der auf dem Beschluß der Landesregierung beruhenden Stellungnahme vom 20. April 1994 wird auf die soeben wiedergegebene Äußerung verwiesen, jedoch im Hinblick auf die Novelle zum Sbg.SHG, LGBl. 27/1994 (s.o. I.3.c) auf weitere eingehende inhaltliche Ausführungen verzichtet.

b) Der Verfassungsgerichtshof beteiligte auch die Landesregierungen jener Länder, die 1973 die Vereinbarung abgeschlossen hatten, am Verfahren.

Eine Äußerung erstattete nur die Tiroler Landesregierung. Sie erachtet den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes aus ähnlichen Gründen wie die Salzburger Landesregierung als unzulässig.

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat erwogen:

A. Zu den Gesetzesprüfungsverfahren

1. Der Verwaltungsgerichtshof hätte bei Entscheidung über die bei ihm anhängige Beschwerde (s.o. II.1.a und II.3.a) Art7 der Vereinbarung anzuwenden.

Voraussetzung für die Zulässigkeit des vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Verordnungsprüfungsantrages ist nun aber, daß es sich bei der Sbg.SHKdm. oder bei Art7 der Vereinbarung um eine Verordnung iS des Art139 B-VG handelt.

Diese Frage läßt sich nur anhand des §53 Abs3 zweiter Satz (alte Fassung) Sbg.SHG klären, auf den sich die Sbg.SHKdm. ausdrücklich beruft. Der Einwand der Salzburger Landesregierung, das Gesetzesprüfungsverfahren sei deshalb unzulässig, weil §53 Sbg.SHG bloß deklarativen Inhalt habe, geht ins Leere.

Die soeben zitierte Bestimmung ist gegenüber dem Salzburger "Gesetz über das Landesgesetzblatt 1946", LGBl. 12, idF LGBl. 72/1975 und 36/1988, (nunmehr: Gesetz vom 17. Feber 1993, LGBl. 75, über das Landesgesetzblatt) die lex specialis. Der Verfassungsgerichtshof hätte sohin §53 Sbg.SHG im Verordnungsprüfungsverfahren schon bei Lösung der Frage der Zulässigkeit des Antrags anzuwenden. Diese landesgesetzliche Bestimmung bildet eine untrennbare Einheit und ist mithin zur Gänze präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1 B-VG, sodaß der ganze §53 (alt) Sbg.SHG in Prüfung zu ziehen ist (vgl. VfSlg. 9886/1983, S 490 f.). Die Salzburger Landesregierung pflichtet in ihrer zweiten Äußerung (s.o. II.5.a.bb) dieser Meinung bei.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind sowohl das von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren (G30/94) als auch das Verfahren über den vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Antrag, §53 Sbg.SHG aufzuheben (G231/92), zulässig.

2. Die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken sind berechtigt:

a) Ländervereinbarungen nach Art15a B-VG berechtigen und verpflichten als solche nur die Vertragsparteien, also ausschließlich die Bundesländer (vgl. VfSlg. 9581/1982, S 427; 9886/1983, S 491). Ohne entsprechenden Transformationsakt, der ausschließlich zwischen den Ländern geltendes Vertragsrecht in Recht umwandelt, das den Normunterworfenen (hier: Sozialhilfeträger) berechtigt und verpflichtet, entfaltet eine Ländervereinbarung für den Normunterworfenen keine Rechtswirkungen (s. VfSlg. 9581/1982, S 428).

Der Verfassungsgerichtshof hat sich im Zusammenhang mit §44 (alte Fassung) des Wiener Sozialhilfegesetzes (Wr.SHG) im Erkenntnis VfSlg. 9886/1983, S 491 ff., ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, auf welche Weise bewirkt werden kann, daß die von einer Ländervereinbarung intendierten Rechtswirkungen über die Bindung der Vertragspartner hinaus verfassungskonform eintreten, wie sohin die sich aus der Ländervereinbarung für die Länder als Vertragspartner ergebenden Verpflichtungen erforderlichenfalls so umgewandelt (transformiert) werden, daß damit Dritte (hier: Sozialhilfeträger) angesprochen werden, daß also damit andere Rechtsträger (Normunterworfene) in gleicher Weise gebunden werden wie durch sonstige, von Landesorganen zu setzende, an den einzelnen gerichtete Normen.

Der Gerichtshof kam zum Ergebnis, daß der Landes(verfassungs)gesetzgeber nicht berufen ist, eine Ländervereinbarung als eigenen, der Erzeugung von generellen - Normunterworfene bindenden - landesrechtlichen Normen dienenden Rechtsquellentypus vorzusehen. Folglich stehen - so führte der Verfassungsgerichtshof damals aus - von Verfassungs wegen zur Herstellung des von der Ländervereinbarung angestrebten Zustandes nur jene Rechtsquellentypen zur Verfügung, die unabhängig vom Vertragsabschluß zur Herstellung dieses Zustandes eingesetzt werden dürfen. Bestimmungen einer Vereinbarung über Gegenstände der Gesetzgebung müssen sohin durch einfaches Landesgesetz oder Landesverfassungsgesetz transformiert werden, soweit die Vertragsbestimmungen einen Zustand herbeiführen sollen, zu dessen Herstellung unabhängig vom Vertragsabschluß die Erlassung eines einfachen Landesgesetzes oder eines Landesverfassungsgesetzes erforderlich ist. Nur dann, wenn auch sonst die Erlassung einer Verordnung zulässig wäre, darf diese Rechtssatztype eingesetzt werden (vgl. hiezu VfSlg. 9581/1982). Das Verhältnis zwischen Gesetz und Verordnung bestimmt sich dann nach den hiefür allgemein geltenden verfassungsgesetzlichen Regeln.

Geltungsgrund der den Normunterworfenen bindenden Vorschrift ist in der Folge nicht die Ländervereinbarung nach Art15a B-VG, sondern das Gesetz oder die Verordnung, selbst wenn diese nur den Text der Vereinbarung wörtlich übernehmen (s. VfSlg. 9581/1982, S 428).

b) Der Verfassungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Sie führt zum selben Ergebnis wie seinerzeit im Verfahren betreffend §44 Wr.SHG.

Zwar sah §44 Abs2 Wr.SHG zwingend vor, daß Sozialhilfevereinbarungen mit anderen Ländern vom Landeshauptmann im Landesgesetzblatt kundzumachen sind, während die in Prüfung gezogene Fassung des §53 Sbg.SHG bestimmt, daß solche Vereinbarungen im Landesgesetzblatt kundgemacht werden können.

Dieser Unterschied ist aber im gegebenen Zusammenhang ohne Belang. Der Sinn der von §53 (alt) Sbg.SHG erteilten Ermächtigung liegt - ebenso wie jener des seinerzeitigen §44 Wr.SHG - darin, die Vereinbarung durch Kundmachung im Landesgesetzblatt mit Wirkung für die einzelnen Normunterworfenen (insbesondere für die Sozialhilfeträger) auszustatten. Ein anderer Sinn des Gesetzes, nämlich derart, daß die Kundmachung der Vereinbarung bloß der Information der Betroffenen dienen solle, kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden. Dieser nahm nämlich offenkundig einerseits nicht in Aussicht, den Inhalt der zunächst zwischen den Ländern abzuschließenden Sozialhilfevereinbarung in der Folge als Landesgesetz zu beschließen (um der Vereinbarung solcherart allgemeinverbindliche Wirkung zu verschaffen); hat es doch der Salzburger Landesgesetzgeber nahezu 20 Jahre hindurch unterlassen, einen solchen Akt zu setzen. Erst im Jahre 1993 erließ er - offenbar veranlaßt durch dieses Gesetzesprüfungsverfahren - mit LG LGBl. 27/1994 den Inhalt der Vereinbarung als Gesetz (s.o. I.3.c). Andererseits kann nicht angenommen werden, der Landesgesetzgeber des Jahres 1974 habe es dabei bewenden lassen wollen, daß eine Vereinbarung zwar mit Wirkung gegenüber den anderen vertragschließenden Ländern bestehe, aber ohne Rechtswirkungen für Dritte, so für die Sozialhilfeträger, bleibe; hätte dies doch zur Folge, daß sich das Land Salzburg vereinbarungswidrig verhalten hätte.

§53 (alt) Sbg.SHG ordnet einen besonderen Rechtserzeugungsprozeß an: (Auch) Normunterworfene unmittelbar bindendes Landesrecht soll dadurch geschaffen werden, daß das Land zunächst eine Vereinbarung nach Art15a B-VG abschließt und daß diese Vereinbarung sodann im Landesgesetzblatt kundgemacht wird; dabei soll die Publikation die Bedeutung eines unselbständigen Teilaktes des Rechtssetzungsverfahrens (gleich der Publikation eines Gesetzes) haben (vgl. die oben zu III.2.a wiedergegebene Vorjudikatur).

Abgesehen davon, daß §53 (alt) Sbg.SHG die Kundmachung ins Belieben der Landesregierung stellt, gleicht diese landesgesetzliche Bestimmung in der hier maßgebenden Hinsicht der für die Transformation von Staatsverträgen geltenden besonderen Normerzeugungsregel der Art49 und 50 B-VG.

Eine solche Sonderregel sieht die Bundesverfassung für Vereinbarungen iS des Art15a B-VG nicht vor. §53 (alt) Sbg.SHG enthält also eine von der Bundesverfassung nicht vorgesehene Methode der Rechtserzeugung.

Wortlaut und Sinn des Gesetzes - wie sie oben dargestellt wurden - schließen eine andere Auslegung, die dieses Ergebnis vermeidet, aus.

§53 (alt) Sbg.SHG erweist sich aus diesem Grund als verfassungswidrig.

Im Hinblick darauf, daß diese landesgesetzliche Bestimmung mit 30. März 1994 außer Kraft getreten ist (vgl. oben Pkt. I.3.c), war sie nicht aufzuheben, sondern gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß sie verfassungswidrig war.

c) Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur Kundmachung dieses Ausspruches ergibt sich aus Art140 Abs5 B-VG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

B. Zum Verordungsprüfungsverfahren

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren (s.o. III.A) hat ergeben, daß die Sbg.SHKdm. eine Norm ist, die in der Bundesverfassung keine Rechtsgrundlage hat und die nur durch §53 (alt) Sbg.SHG Eingang in die Rechtsordnung gefunden hat.

Die Feststellung, daß §53 (alt) Sbg.SHG verfassungswidrig war, bewirkt für den Anlaßfall (für das zu V105/92 eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren) den Wegfall der Eigenschaft der Sbg. SHKdm. als Rechtsnorm (vgl. VfSlg. 9992/1984). Auch die in der Kundmachung zitierte und eine Anlage hiezu bildende Vereinbarung verlor damit ihre rechtliche Wirkung gegenüber Dritten (etwa den Sozialhilfeträgern).

2. Hieraus folgt, daß der Gegenstand des Verordnungsprüfungsantrages des Verwaltungsgerichtshofes weggefallen ist.

Das Verordnungsprüfungsverfahren war daher wegen Wegfalls des ihm zugrundeliegenden Substrates einzustellen.

3. Dies konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z3 VerfGG ohne vorangegangener Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Sozialhilfe, VfGH / Verfahren, VfGH / Prüfungsumfang, Anwendbarkeit Vereinbarung nach Art 15a B-VG, Vereinbarungen nach Art 15a B-VG, Rechtsquellensystem, Kundmachung, VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Sachentscheidung Wirkung, Verordnungsbegriff, VfGH / Anlaßverfahren, lex specialis, Transformation (von Vereinbarungen nach Art 15a B-VG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G231.1992

Dokumentnummer

JFT_10059383_92G00231_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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