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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §59 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Militärkommandos Wien gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 2019, Zl. W122 2222618-1/6E, betreffend § 26 Wehrgesetz 2001 (mitbeteiligte Partei: Dr. E T, vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neuer Markt 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Ein Kostenersatz findet nicht statt.
Begründung
1 Mit Einberufungsbefehl vom 14. Februar 2019 wurde der Mitbeteiligte zur Leistung des Grundwehrdienstes, beginnend mit 2. September 2019, verpflichtet.
2 Mit Schreiben vom 12. Juli 2019, dessen Deckblatt die Aufschrift „Antrag auf Aufschub gemäß § 26 Wehrgesetz“ trägt, stellte der Mitbeteiligte einen Antrag an die Revisionswerberin, welcher auszugsweise lautet:
„In umseits näher bezeichneter Angelegenheit erstatte ich nachstehenden
Antrag
auf befristete Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes und führe dazu aus wie folgt:
Mein Medizinstudium konnte ich im März 2014 erfolgreich abschließen. Die im Anschluss begonnene PhD-Ausbildung an der Universitätsklinik ... musste aufgrund fehlender Drittmittel bedauerlicherweise abgebrochen werden.
Eine Ausbildung zum Facharzt für HNO-Heilkunde war jedoch von Anfang mein Wunsch und Ziel und habe ich bereits sehr viel Herzblut investiert, um mir diesen Traum zu erfüllen.
... Ich befinde mich sohin seit 1.1.2019 in Ausbildung zum Facharzt für HNO am Universitätsklinikum ...
...
Eine ordnungsgemäße Absolvierung des Grundwehrdienstes und anschließendem Einsatz als GWD-Arzt ist für mich von großem Interesse. ...
Abschließend möchte ich ausführen, dass eine Einberufung zum Grundwehrdienst bereits im September 2019 im Hinblick auf meine ärztliche Laufbahn ein bedeutender Nachteil wäre, da ich ohne Abschluss einer Facharztausbildung keine Berufsberechtigung habe und eine neuerliche Zusage für eine Ausbildungsstelle für HNO-Heilkunde mehr als ungewiss ist.
Sofern militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, ersuche ich daher höflichst um Rücksichtnahme und Ermöglichen meiner Ausbildungsziele und meinem Antrag auf befristete Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes bis zur Beendigung der Ausbildung, sohin bis 31.12.2022, stattzugeben und mich hiervon zu verständigen.“
3 Mit Bescheid vom 18. Juli 2019, Zl. P852069/26-MilKdo W/Kdo/ErgAbt/2019 (1), wies die nunmehrige Revisionswerberin (belangte Behörde) den Antrag des Mitbeteiligten vom 12. Juli 2019 „auf Aufschub des Antrittes des Grundwehrdienstes zum Zwecke Ihrer Ausbildung zum Facharzt für HNO-Heilkunde“ gemäß § 26 Abs. 3 des Wehrgesetzes 2001 (WehrG 2001) mit der Begründung ab, der Mitbeteiligte sei bereits mehrmals wegen seines Studiums vom Grundwehrdienst befristet befreit worden und die Bewilligung eines Aufschubes über den 15. September 2016 hinaus sei kraft Gesetzes unzulässig, weil der Mitbeteiligte 2016 das 28. Lebensjahr vollendet habe.
4 Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2019 erhob der Mitbeteiligte gegen diesen Bescheid Beschwerde und führte darin im Wesentlichen aus, die Befreiung nach § 26 Abs. 1 Z 2 WehrG 2001 sei an keine Altersgrenze gebunden und sein Antrag keineswegs auf einen Aufschub gemäß § 26 Abs. 3 WehrG 2001 beschränkt gewesen. Bei sofortigem Antritt des Präsenzdienstes sei der Mitbeteiligte gefährdet, seine Ausbildung nicht abschließen zu können. Er beantragte, „den Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf Befreiung bescheidmäßig stattgegeben wird“.
5 Mit einem weiteren Bescheid, vom 14. August 2019, Zl. P852069/26-MilKdo W/Kdo/ErgAbt/2019 (2), wies die Revisionswerberin den (selben) Antrag des Mitbeteiligten vom 12. Juli 2019 „auf befristete Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes“ gemäß § 26 Abs. 1 Z 2 WehrG 2001 mit der Begründung ab, die Ausbildungsgründe allein stellten kein besonders rücksichtswürdiges wirtschaftliches Interesse im Sinn der zitierten Bestimmung dar.
6 Am 21. August 2019 legte die Revisionswerberin die gegen den (ersten) Bescheid vom 18. Juli 2019 gerichtete Beschwerde dem Verwaltungsgericht vor und merkte an, der Mitbeteiligte sei bereits „aufgrund seiner Ausbildung zum Dr.med. zur speziellen Verwendung als GWD-Arzt geeignet“.
7 Mit Schriftsatz vom 22. August 2019 erhob der Mitbeteiligte gegen den (zweiten) Bescheid vom 14. August 2019 Beschwerde mit dem Antrag, „den Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf Befreiung bescheidmäßig stattgegeben wird“. Am 27. August 2019 ersuchte das Verwaltungsgericht sowohl die Revisionswerberin als auch den Mitbeteiligten um sofortige Übermittlung des zweiten Bescheides und einer allfällig dagegen erhobenen Beschwerde. Am 28. August 2019 übermittelte die Revisionswerberin den Bescheid vom 14. August 2019 und der Mitbeteiligte den Bescheid samt seiner dagegen gerichteten Beschwerde an das Verwaltungsgericht.
8 Mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis, ebenfalls vom 28. August 2019, erkannte das Verwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung
„über die Beschwerde [des Mitbeteiligten] gegen die Bescheide des Militärkommandos Wien vom 18.07.2019, Zl. P852069/26-MilKdo W/Kdo/ErgAbt/2019 (1) betreffend Aufschub und Zl. P852069/26-MilKdo W/Kdo/ErgAbt/2019 (2) betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der Beschwerdeführer wird bis zum Ablauf des 31.12.2022 von der Leistung des Grundwehrdienstes gemäß § 26 Abs. 1 Z. 2 befreit.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.“
9 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, die Abweisung des Antrags des Mitbeteiligten vom 12. Juli 2019 sei getrennt nach Aufschub und Befreiung in zwei Bescheiden erfolgt, welche der Mitbeteiligte mit ähnlich lautenden Beschwerden vom 30. Juli und 22. August 2019 bekämpft habe. Der durch den Antrag bestimmte Verfahrensgegenstand schließe eine Befreiung von der Leistung des Grundwehrdienstes ausdrücklich mit ein. Die verzögerte Absprache über eine Befreiung lasse diese dennoch aufgrund des Antrages bereits im ersten Bescheid „als gegenständlich erscheinen“. Die Bescheide seien als einheitliche Absprache über den Antrag vom 12. Juli 2019 zu werten. Da beim Mitbeteiligten besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Interessen vorlägen, weil nicht sichergestellt sei, dass er seine praktische Ausbildung zum Facharzt nach Ableisten des Grundwehrdienstes fortsetzen und abschließen könne, sei die Befreiung auszusprechen gewesen.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, unter Anschluss der Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision der belangten Behörde, zu der der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet hat, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 § 26 WehrG 2001, BGBl. I Nr. 146/2001, in der vorliegend maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 181/2013, lautet auszugsweise:
„Befreiung und Aufschub
§ 26. (1) Taugliche Wehrpflichtige sind, soweit zwingende militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, von der Verpflichtung zur Leistung eines Präsenzdienstes zu befreien
1. von Amts wegen, wenn und solange es militärische Rücksichten oder sonstige öffentliche Interessen erfordern, und
2. auf ihren Antrag, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.
...
(2) ...
(3) Tauglichen Wehrpflichtigen ist, sofern militärische Interessen nicht entgegenstehen, der Antritt des Grundwehrdienstes aufzuschieben, wenn
1. sie nicht zu einem innerhalb eines Jahres nach ihrer jeweiligen Heranziehbarkeit zum Grundwehrdienst gelegenen Termin zu diesem Präsenzdienst einberufen wurden und sie durch eine Unterbrechung einer bereits begonnen Schul- oder Hochschulausbildung oder sonstigen Berufsvorbereitung einen bedeutenden Nachteil erleiden würden oder
2. sie vor der rechtswirksam verfügten Einberufung zum Grundwehrdienst eine weiterführende Ausbildung begonnen haben und eine Unterbrechung dieser Ausbildung eine außerordentliche Härte bedeuten würde.
Ein Aufschub ist auf Antrag der Wehrpflichtigen zu verfügen. Der Aufschub darf bis zum Abschluss der jeweiligen Berufsvorbereitung gewährt werden, längstens jedoch bis zum Ablauf des 15. September jenes Kalenderjahres, in dem diese Wehrpflichtigen das 28. Lebensjahr vollenden.
...“
13 In der Revision wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe eine Befreiung von der Leistung des Grundwehrdienstes ausgesprochen, obwohl im Zeitpunkt der Beschwerdevorlage zum ersten Bescheid noch keine Beschwerde gegen den (zweiten) Bescheid vom 14. August 2019 anhängig gewesen sei, weshalb das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet sei. Über die verfahrensgegenständliche Beschwerde vom 30. Juli 2019 habe das Verwaltungsgericht hingegen nicht abgesprochen.
14 Die Revision ist aus dem in ihr ausgeführten Grund zulässig und im Ergebnis begründet.
15 Entspricht eine Entscheidung wie die vorliegende nicht dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit des § 59 Abs 1 AVG, so ist sie - ungeachtet der Frage, wie sie sonst auszulegen wäre - wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben (vgl. VwGH 26.2.2016, Ro 2014/03/0079, mwN).
16 Der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses ist nicht in einer § 59 Abs. 1 AVG iVm. § 17 VwGVG entsprechenden Weise deutlich abgefasst. Das Verwaltungsgericht erwähnt im Kopf zwar die beiden Bescheide der Revisionswerberin, spricht hingegen nur von einer Beschwerde, über die es abspricht. Da im Spruch des „der Beschwerde“ stattgebenden angefochtenen Erkenntnisses nur von einer Befreiung die Rede ist, der Bescheid vom 18. Juli 2019 aber unmissverständlich einen als Antrag auf Aufschub des Grundwehrdienstes gewerteten Antrag abweist, kann dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob es überhaupt die Beschwerde gegen den Bescheid vom 18. Juli 2019 erledigt hat. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher schon aus diesem Grund als mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts behaftet (vgl. VwGH 26.2.2016, Ro 2014/03/0079, mwN).
17 Darüber hinaus ergibt sich eine weitere Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aus Folgendem:
18 Soweit das Verwaltungsgericht am 28. August 2019 über die ihm samt dem Bescheid vom 14. August 2019 vom Mitbeteiligten direkt übermittelte Beschwerde vom 22. August 2019 entschieden hat, ohne dass ihm die Revisionswerberin diese Beschwerde vorgelegt hatte (vgl. etwa VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0015, Rn. 20), nahm es der belangten Behörde die Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung (§ 14 VwGVG). Das Verwaltungsgericht nahm damit eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihm nicht zukam (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0421; 25.11.2019, Fr 2018/11/0009; 29.6.2021, Fr 2021/22/0005).
19 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
20 Für das fortzusetzende Verfahren sei darauf hingewiesen, dass der eingangs zitierte Antrag des Mitbeteiligten vom 12. Juli 2019 bei verständiger Lesart nur als Befreiungsantrag verstanden werden konnte. Abgesehen vom Deckblatt des Schriftsatzes war in dem Antrag mit keinem Wort von einem Aufschub die Rede, sondern ausschließlich von befristeter Befreiung (zur mangelnden Relevanz der Bezeichnung eines Antrags durch den Einschreiter vgl. etwa die bei Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 13 Rz 38, zitierte hg. Judikatur). Dass es sich bei der Aufschrift auf dem Deckblatt lediglich um ein Vergreifen im Ausdruck handelte, wird auch durch den bereits in der ersten Beschwerde vom 30. Juli 2019 gestellten Antrag, „den Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf Befreiung bescheidmäßig stattgegeben wird“, bestätigt. Da die Revisionswerberin mit ihrem Bescheid vom 18. Juli 2019 somit über einen nicht gestellten Antrag (auf Aufschub) entschieden hat, wird dieser Bescheid ersatzlos zu beheben und über die (zweite) Beschwerde gegen den Bescheid vom 14. August 2019 zu entscheiden sein.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG.
Wien, am 11. April 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019110165.L00Im RIS seit
09.05.2022Zuletzt aktualisiert am
24.05.2022