TE Vwgh Beschluss 2022/4/14 Ra 2022/14/0082

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Veröffentlicht am 14.04.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §62 Abs4
VwGVG 2014 §17
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2022/14/0083
Ra 2022/14/0084
Ra 2022/14/0085
Ra 2022/14/0086

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. des A K, 2. der N K, 3. des E K, 4. des A K und 5. der E K, alle vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 2021, 1. W226 2212849-1/17E, 2. W226 2212858-1/12E, 3. W226 2212855-1/9E, 4. W226 2212853-1/11E und 5. W226 2239320-1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Fünftrevisionswerber. Sämtliche Revisionswerber sind Staatsangehörige Kirgisistans.

2        Die Erst- bis Viertrevisionswerber stellten am 14. Juni 2018 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und brachten zusammengefasst vor, dass die Erst- und Zweitrevisionswerber infolge ihrer heimlichen Heirat und Konvertierung zum protestantischen Glauben verfolgt und geschlagen worden seien. Außerdem sei der Drittrevisionswerber gegen den Willen seiner Eltern beschnitten worden.

3        Mit Bescheiden jeweils vom 12. Dezember 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge ab, erteilte den Erst- bis Viertrevisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.

4        Am 24. November 2020 wurde die Fünftrevisionswerberin in Österreich geboren und es wurde am 14. Dezember 2020 für diese ein Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 gestellt. Mit Bescheid vom 20. Jänner 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ebenfalls ab, erteilte der Fünftrevisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Kirgisistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass im Verfahren keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür hervorgekommen seien, dass die Revisionswerber tatsächlich einer nachhaltigen Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt gewesen wären oder dass ihnen im Fall ihrer Rückkehr eine solche mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen könnte. Es lägen auch vor dem Hintergrund der Länderberichte zu Kirgisistan und den Feststellungen zur persönlichen Situation der Revisionswerber keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses bei der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat vor, so dass die Abschiebung nach Kirgisistan zulässig sei.

7        Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit den Beschlüssen vom 15. Dezember 2021, E 3900-3904/2021-7, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung abtrat.

8        In der Folge wurden die vorliegenden Revisionen eingebracht.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die Revisionen bringen in ihrer Zulassungsbegründung zunächst zusammengefasst vor, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe im Spruch der vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Bescheide im Rahmen der Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach § 52 Abs. 9 FPG trotz der festgestellten kirgisischen Staatsangehörigkeit der Revisionswerber über die „Russische Föderation“ als Herkunftsstaat abgesprochen. Die eindeutige Form und der unzweifelhafte Inhalt des Spruches in den angefochtenen Bescheiden ließen keinen Raum für eine etwaige Umdeutung oder auch Ausweitung des klar gefassten Spruches zu. Es fehle damit ein normativer Abspruch über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kirgisistan. Die angefochtenen Entscheidungen stellten daher auch keinen Titel für die Durchführung einer Abschiebung dar.

13       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revisionen nicht dargetan.

14       Gemäß § 62 Abs. 4 AVG kann die Behörde Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen berichtigen. Dies gilt auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, weil gemäß § 17 VwGVG die Bestimmung des § 62 Abs. 4 AVG auch von diesen anzuwenden ist (vgl. VwGH 2.8.2019, Ra 2019/09/0056). Die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG setzt einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, dass eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben ist. Die Berichtigung ist auf jene Fälle der Fehlerhaftigkeit eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, wobei es allerdings ausreicht, wenn die Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit des Bescheides hätten erkennen können und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Bei der Beurteilung einer Unrichtigkeit als offenkundig im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG kommt es letztlich auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile (zB die Begründung) bzw. auf den Akteninhalt an (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0157, mwN). Handelt es sich um offenbar auf Versehen beruhende Unrichtigkeiten, die nach § 62 Abs. 4 AVG jederzeit hätten berichtigt werden können, ist die Entscheidung auch vor einer Berichtigung bereits in der entsprechenden richtigen Fassung zu lesen (vgl. zu § 62 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG etwa VwGH 3.12.2020, Ra 2020/19/0275, mwN).

15       Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Erst- bis Viertrevisionswerber konnten angesichts der Begründung der Bescheide, insbesondere ihrer dort festgestellten kirgisischen Staatsangehörigkeit, den ausschließlich zu Kirgisistan getroffenen Länderfeststellungen und der beweiswürdigenden Erwägungen zur Rückkehr der Revisionswerber nach Kirgisistan die Unrichtigkeit bei der Bezeichnung „Russische Föderation“ im Spruch des Bescheides erkennen. Bei der Bezeichnung „Russische Föderation“ im Spruch handelt es sich somit um eine offenkundig auf Versehen beruhende Unrichtigkeit, welche von den Revisionswerbern hätte erkannt werden und von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Es liegt somit kein wesentlicher Mangel vor, weil der Spruch bereits vor einer entsprechenden Berichtigung in der richtigen Fassung zu lesen ist (vgl. VwGH 29.4.2019, Ro 2018/20/0013; im Fall der unterbliebenen Nennung des Zielstaates der Abschiebung VwGH 12.7.2021, Ra 2021/21/0057; jeweils mwN).

16       Damit geht die auch die weitere Argumentation der Revisionen, es seien aufgrund des unrichtigen Herkunftsstaates keine Entscheidungen über die Zuerkennung von subsidiären Schutz und der Zulässigkeit der Abschiebung getroffen worden, ins Leere. Die auf Grundlage dieser Spruchpunkte gestützte Abweisung der Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht ist daher nicht zu beanstanden.

17       Wenn die Revisionen zur weiteren Begründung ihrer Zulässigkeit mit näher dargestellten Argumenten vor dem Hintergrund der erfolgten Beschneidung des Drittrevisionswerbers versuchen, die Schutzfähigkeit des Heimatlandes im Hinblick auf den minderjährigen Viertrevisionswerber infrage zu stellen, ist darauf hinzuweisen, dass von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates nicht bereits dann gesprochen werden kann, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 20.1.2020, Ra 2020/14/0009, mwN). Unter Zugrundelegung der unangefochtenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, dass die staatliche Schutzfähigkeit und -willigkeit Kirgisistans gegeben sei, die Erst- und Zweitrevisionswerber im Hinblick auf die Konflikte mit der Familie der Zweitrevisionswerberin gar keinen staatlichen Schutz in Anspruch genommen haben und darüber hinaus auch in andere Regionen in Kirgisistan umziehen könnten, um sich weiteren Übergriffen der Familie zu entziehen, wird von den Revisionen nicht aufgezeigt, dass die vom Bundesverwaltungsgericht fallbezogen anhand der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien vorgenommene Beurteilung unvertretbar wäre.

18       Soweit die Revisionen erkennbar auch die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts ansprechen, ist auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung nur dann vorliegt, wenn das Bundesverwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 1.7.2020, Ra 2020/20/0196 bis 0198, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem Vorbringen der Revisionswerber ausführlich auseinandergesetzt und im Rahmen seiner beweiswürdigenden Überlegungen zahlreiche Argumente angeführt, warum dem Vorbringen nicht zu folgen sei. Dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts in ihrer Gesamtheit an einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel litte, ist weder zu sehen noch wurde dies in den Revisionen vorgebracht.

19       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 14. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140082.L00

Im RIS seit

09.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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