Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Thunhart als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M* GesmbH, *, vertreten durch die Sunder-Plaßmann Loibner & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 20.481,61 EUR brutto abzüglich 1.805,78 EUR netto sA, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits-
und Sozialrechtssachen vom 10. November 2021, GZ 8 Ra 5/21k-27, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Das Erstgericht wies den von der beklagten GmbH am 7. 5. 2021 erhobenen Einspruch aufgrund der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Aktenlage (Zustellnachweis über die am 7. 4. 2021 erfolgte Zustellung durch Ausfolgung des Zahlungsbefehls an eine Arbeitnehmerin der Beklagten) als verspätet zurück.
[2] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge, hob den erstinstanzlichen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens durch Einleitung der Streitverhandlung auf. Auf Grundlage von Erhebungen des Erstgerichts über die ordnungsgemäße Zustellung (§ 469 Abs 1 letzter Satz ZPO) ging das Rekursgericht davon aus, dass es der Beklagten gelungen sei, trotz Vorliegens eines (formal) unbedenklichen Zustellnachweises den von ihr behaupteten Zustellmangel glaubhaft zu machen. Da sich der Geschäftsführer der Beklagten nachgewiesenerweise im Zeitraum vom 8. 3. 2021 bis 18. 5. 2021 im Libanon aufgehalten habe, sei die Zustellung des Zahlungsbefehls nicht am 7. 4. 2021 mit der Ausfolgung an eine Arbeitnehmerin der Beklagten, sondern frühestens mit der Abholung des Zahlungsbefehls durch den Sohn des Geschäftsführers der Beklagten am 10. 4. 2021 und die anschließende Weiterleitung an den Anwalt der Beklagten wirksam geworden. Der am 7. 5. 2021 erhobene Einspruch sei daher rechtzeitig. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionrekurs nicht zulässig sei.
[3] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
[4] 1. Vorauszuschicken ist, dass die aufhebende Entscheidung des Rekursgerichts keinen „echten“ Aufhebungsbeschluss darstellt, weil das Rekursgericht abändernd über die Rechtzeitigkeit des Einspruchs entschieden hat. Es ist daher nicht § 527 Abs 2 ZPO, sondern § 528 ZPO anzuwenden (RS0044033; RS0044035; RS0007218; A. Kodek in Rechberger5 § 528 Rz 3).
[5] 2.1 Die vom Zusteller erstellten Zustellausweise sind öffentliche Urkunden, die – wenn sie die gehörige äußere Form aufweisen - den Beweis erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (RS0040473; RS0006957 [T5]). Der Zustellnachweis begründet daher auch den vollen Beweis des darin angeführten Tags der Zustellung.
[6] 2.2 Selbst bei unbedenklichem Zustellnachweis steht dem Empfänger aber der „Gegenbeweis“ nach § 292 ZPO offen (RS0006957 [T7]. Werden Zustellmängel behauptet, die – wie im vorliegenden Fall – nicht offenkundig sind, müssen sie glaubhaft gemacht werden (RS0040471 [T2]).
3. Der Revisionsrekurswerber zweifelt in seinem Rechtsmittel nicht mehr an, dass sich nach den Ergebnissen der erstgerichtlichen Erhebungen der Geschäftsführer der Beklagten N* im Zeitraum von 8. 3. 2021 bis 18. 5. 2021 im Ausland aufgehalten hat. Er macht aber als erhebliche Fehlbeurteilung geltend, die am 7. 4. 2021 erfolgte Ersatzzustellung an eine Arbeitnehmerin der Beklagten wäre ungeachtet des Auslandsaufenthalts des Geschäftsführers dennoch bereits an diesem Tag wirksam geworden, weil der Sohn des Geschäftsführers als empfangnahmebefugter Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG zu qualifizieren sei. Eventualiter sei der Sohn als ein zur Entgegennahme gerichtlicher Schriftstücke bevollmächtigter Vertreter der Beklagten iSd § 13 Abs 2 ZustG anzusehen, der sich regelmäßig an der Abgabestelle aufgehalten habe. Der am 7. 5. 2021 erhobene Einspruch sei somit jedenfalls nach Ablauf der vierwöchigen Einspruchsfrist (mit 5. 5. 2021) erfolgt und deshalb verspätet.
[7] 4.1 Mit diesem Vorbringen gelingt es dem Revisionsrekurswerber nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen:
[8] 4.2 § 16 Abs 2 ZustG eröffnet die Möglichkeit der Ersatzzustellung ua an einen Arbeitnehmer des Empfängers, sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder – im Fall einer juristischen Person – ein Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
[9] 4.3 Der Kreis der nach § 13 Abs 3 ZustG zur Empfangnahme befugten Vertreter richtet sich nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften (RS0083868). Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann jedem Geschäftsführer, der für die Gesellschaft zu zeichnen oder mitzuzeichnen befugt ist, rechtswirksam zugestellt werden (1 Ob 49/07y mwN). Dies lässt sich aus den Firmenbucheintragungen feststellen (3 Ob 149/08w). Aus dem nach Einsicht in den Firmenbuchauszug vom Rekursgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ergibt sich jedoch nicht, dass der Sohn des Geschäftsführers für die Zeit des Auslandsaufenthalts des Geschäftsführers zu diesem Personenkreis gehört hätte.
4.4 Nach dem vom Revisionsrekurswerber für seinen Standpunkt weiters ins Treffen geführten § 13 Abs 2 ZustG darf bei Zustellungen durch Organe eines Zustelldienstes oder der Gemeinde auch an eine zur Empfangnahme solcher Dokumente bevollmächtigte Person zugestellt werden, soweit dies nicht durch einen Vermerk auf dem Dokument ausgeschlossen ist. Ob der Sohn des Geschäftsführers als eine zur Empfangnahme von Zustellstücken bevollmächtigte Person iSd § 13 Abs 2 ZustG auch die Abwesenheit des Geschäftsführers der Beklagten von der Abgabestelle infolge länger andauernden Auslandsaufenthalts ausschließen hätte können, ist hier nicht zu beurteilen (vgl 3 Ob 45/08a = RS0123427 zu § 17 ZustG). Wie das Rekursgericht ausführte, lässt sich nämlich aus dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt rechtlich nicht ableiten, ob die von N* seinem Sohn bereits im Jahr 2011 (schriftlich) erteilte Bevollmächtigung im Namen der nunmehr beklagten GesmbH erfolgt ist oder im eigenen Namen des N* erteilt worden war.
5. Die Ansicht, im Hinblick auf diese Gegebenheiten des vorliegenden Einzelfalls sei nach den Ergebnissen der erstgerichtlichen Erhebungen der behauptete Zustellmangel (die Vorschriftswidrigkeit der am 7. 4. 2021 erfolgten Übergabe des Schriftstücks an die Arbeitnehmerin der Beklagten) glaubhaft gemacht bzw erwiesen, hält sich somit im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung.
[10] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.
Textnummer
E134669European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00144.21Y.0324.000Im RIS seit
09.05.2022Zuletzt aktualisiert am
09.05.2022