Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* L*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* ENC, *, Malta, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 45.971,24 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Jänner 2022, GZ 16 R 185/21z-33 (Spruchpunkt II.), mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. September 2021, GZ 17 Cg 102/20z-24, im Umfang des Zuspruchs von 16.498,66 EUR sA aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts, das in seinem der Klage stattgebenden Teil (Zuspruch von 29.472,58 EUR sA) als unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist, einschließlich seiner Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.789,84 EUR (darin enthalten 710,64 EUR USt und 1.526 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz in Malta, die – als Teil der b*-Gruppe – weltweit Online-Wett- und Glücksspieldienstleistungen anbietet; sie verfügt über eine maltesische Online-Glücksspiellizenz.
[2] Der Kläger hat als Verbraucher mit der Beklagten (bzw deren Rechtsvorgängerinnen) einen „Rahmenvertrag“ und diverse Glücksspielverträge abgeschlossen. Zwischen 25. 3. 2007 und 4. 1. 2020 erlitt er bei Glücksspielen einen Verlust von 45.971,24 EUR; davon entfielen 29.472,58 EUR auf den Zeitraum ab 27. 11. 2018.
[3] Der Kläger eröffnete im März 2007 bei der H* Ltd, die damals Betreiberin der Website b*.com war, ein Spielerkonto, über das seine Glücksspielteilnahmen abgewickelt wurden. Im Jahr 2014 erfolgte ein Betreiberwechsel hinsichtlich der erwähnten Website auf die H* LP (HSLP). Mit 27. 11. 2018 kam es zu einem neuerlichen Betreiberwechsel von der HSLP auf die Beklagte. Aus diesem Anlass wurde der Kläger beim Einloggen in sein Spielerkonto davon in Kenntnis gesetzt, dass seine „Beziehung“ zur HSLP auf die Beklagte transferiert werde, dies keine Auswirkungen auf die angebotenen Dienste habe und seine Kontodaten einschließlich Guthaben und laufenden Boni unverändert blieben. Der Kläger stimmte diesem Transfer zu.
[4] Der Kläger begehrte die Rückzahlung der erlittenen Spielverluste in Höhe von 45.971,24 EUR sA aus dem Titel der Bereicherung und des Schadenersatzes. Er habe die Einsätze auf der Grundlage eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksspielvertrags geleistet. Das in Österreich geltende Glücksspielmonopol sei weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig. Im Jahr 2018 seien sämtliche Rechte und Pflichten in Bezug auf sein Spielerkonto auf die Beklagte übertragen worden, weshalb deren Passivlegitimation gegeben sei.
[5] Die Beklagte entgegnete, dass sie für die Verluste des Klägers vor dem 27. 11. 2018 nicht passiv legitimiert sei. Die HSLP existiere nach wie vor; es sei zu keiner Gesamtrechtsnachfolge auf die Beklagte gekommen. Auch eine Vertragsübernahme sei nicht erfolgt. Eine allfällige Haftung aus einer Unternehmens- oder Vermögensübernahme richte sich nach maltesischem Recht. Davon abgesehen sei das österreichische Glücksspielmonopol (insbesondere §§ 14 und 21 GSpG aF) jedenfalls in der Fassung vor Dezember 2010 unionsrechtswidrig. Der Beklagten sei es damals nicht möglich gewesen, sich um eine entsprechende Konzession in Österreich zu bewerben, weil sie über keinen Sitz in Österreich verfügt habe.
[6] Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit 45.971,24 EUR als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung, die die Beklagte aus dem Unterhaltungswert des Klägers ableitete, hingegen als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte daher zur Zahlung von 45.971,24 EUR sA. Die gesamte Vertragsbeziehung des Klägers sei mit Wirkung vom 27. 11. 2018 auf die Beklagte übergegangen, weshalb deren Passivlegitimation gegeben sei. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung verstoße das österreichische Glücksspielmonopol nicht gegen das Unionsrecht. Da die von der Beklagten veranstalteten Glücksspiele verboten und die mit dem Kläger abgeschlossenen Glücksspielverträge daher nichtig seien, sei dieser berechtigt, die von ihm erlittenen Verluste gemäß § 877 ABGB zurückzufordern.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge; es bestätigte den Zuspruch von 29.472,58 EUR sA (Verluste ab 27. 11. 2018) und hob das Ersturteil im Übrigen (Zuspruch von 16.498,66 EUR sA) auf. Der Oberste Gerichtshof sei zwischenzeitlich in zahlreichen Entscheidungen zum Ergebnis gelangt, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nicht gegen das Unionsrecht verstoße. Die von der Beklagten behauptete Unionsrechtswidrigkeit sei auch für die Rechtslage vor Dezember 2010 zu verneinen. Der Standpunkt der Beklagten, die Unionsrechtswidrigkeit des Sitzerfordernisses gemäß §§ 14 und 21 GSpG aF habe dazu geführt, dass jedermann Glücksspiele nach dem GSpG anbieten dürfe, auch wenn er über keine Konzession verfüge, sei nicht zu teilen. Nach der Rechtsprechung könnten die Spieleinsätze aus verbotenen Glücksspielen zurückgefordert werden. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Rückforderungsanspruch daher grundsätzlich zu. Bereicherungsschuldner sei derjenige, dem der Spieler die Einsätze geleistet habe, also der Leistungsempfänger. Daraus folge, dass die Beklagte für die bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche des Klägers nur insoweit passiv legitimiert sei, als die Spielverluste aus dem Zeitraum stammten, zu dem sie die Website b*.com betrieben habe. Eine Haftung der Beklagten für die Verluste vor dem 27. 11. 2018 könne sich demgegenüber nur aus § 38 UGB bzw § 1409 ABGB oder einer entsprechenden ausländischen Norm der anwendbaren Rechtsordnung ergeben. Für solche Haftungsansprüche sei das Recht jenes Staates maßgebend, in dem sich der Sitz des übertragenden Unternehmens bzw das übernommene Vermögen befinde. Dazu fehle es an den nötigen Feststellungen, weshalb das angefochtene Ersturteil in diesem Umfang aufzuheben sei. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil das Höchstgericht zur Frage der Haftung der Beklagten für Spielverluste, die auf ihre Rechtsvorgänger als Betreiber der Glücksspiel-Website zurückgehen, bisher nicht Stellung genommen habe.
[8] Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs des Klägers, der auf die Wiederherstellung des stattgebenden Urteils des Erstgerichts abzielt.
[9] Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs des Klägers ist zulässig und auch berechtigt.
[11] 1.1 Das Erstgericht beurteilte den Wechsel der Betreiberin der Glücksspiel-Website und damit der Anbieterin der Online-Glücksspiele im Jahr 2018 als Vertragsübernahme und ging davon aus, dass die gesamte Vertragsbeziehung zum Kläger mit Wirkung vom 27. 11. 2018 auf die Beklagte übergegangen sei.
[12] 1.2 Demgegenüber gelangte das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass die Beklagte bereicherungsrechtlich nur für die Rückforderungsansprüche des Klägers ab dem Betreiberwechsel am 27. 11. 2018 passiv legitimiert sei. Sowohl der Glücksspielvertrag mit der Beklagten als auch jener mit deren Vorgängerinnen seien von Anfang an nichtig. Der Kläger mache deshalb auch keinen vertraglichen Anspruch gegen die Beklagte geltend, sondern stütze seinen Rückzahlungsanspruch auf Bereicherung bzw (deliktischen) Schadenersatz. Der geltend gemachte Haftungsgrund beruhe somit auf dem Gesetz und nicht auf einer Verletzung vertraglicher Pflichten. Eine Haftung der Beklagten für die Verluste des Klägers vor dem 27. 11. 2018 könne sich daher nur aus § 38 UGB bzw § 1409 ABGB oder einer entsprechenden ausländischen Norm der anwendbaren Rechtsordnung ergeben. Im derzeitigen Verfahrensstadium fehlten die Grundlagen für die Beurteilung, welche Rechtsordnungen für die Haftung aus allfälligen Unternehmensübergängen von den Rechtsvorgängerinnen auf letztlich die Beklagte anwendbar seien sowie der Inhalt der einschlägigen Normen dieser ausländischen Rechtsordnung(en). Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht mit dem Kläger zu erörtern und zu klären haben, woraus sich eine Haftung der Beklagten aus den allfälligen Unternehmensübergängen für Bereicherungsansprüche gegen die Vorgängergesellschaft(en) konkret ergeben könnte.
[13] 1.3 Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Beklagte kondiktionsrechtlich für die Rückforderungsansprüche vor 27. 11. 2018 nicht passiv legitimiert sein könne, weil sie damals nicht (direkte) Leistungsempfängerin der Spieleinsätze des Klägers gewesen sei, ist in der vorliegenden Konstellation nicht zu folgen. Dabei bleiben nämlich die Wirkungen der erfolgten Vertragsübernahme unberücksichtigt:
[14] 2.1 Das konzessionslose Veranstalten, Organisieren, Anbieten oder Zugänglichmachen von Glücksspielen in Österreich, wozu auch Online-Lotterien gehören (§ 12a GSpG), ist nach dem GSpG verboten (§ 2 Abs 1 iVm § 2 Abs 4 GSpG; vgl 3 Ob 197/21y). Verträge, die zur Durchführung eines verbotenen Glücksspiels abgeschlossen werden, sind nach der Rechtsprechung absolut nichtig (vgl 6 Ob 229/21a; 3 Ob 197/21y). Bei verbotenen und sittenwidrigen Verträgen im Sinn des § 879 ABGB erfolgt die Kondiktion nach § 877 ABGB, was grundsätzlich zur Rückabwicklung des nichtigen Rechtsgeschäfts führt. Die Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel (abzüglich der Auszahlungen) können daher zurückgefordert werden (3 Ob 106/21s mwN; 3 Ob 197/21y).
[15] 2.2 Die Rechtsfolgen eines nichtigen Vertrags richten sich im Anlassfall nach österreichischem Recht. Auf einen – hier unstrittig vorliegenden – Verbrauchervertrag ist im Anwendungsbereich von Art 6 Rom I-VO grundsätzlich das Recht des Verbraucherstaats anzuwenden. Eine Rechtswahl kann nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz der zwingenden Bestimmungen dieses Rechts entzogen wird. Das Verbraucherstatut gelangt unter anderem dann zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auf den Verbraucherstaat ausrichtet, was insbesondere bei Online-Aktivitäten der Fall ist. Nach Art 12 Abs 1 Rom I-VO sind grundsätzlich alle vertragsrechtlichen Fragen nach dem einheitlichen Vertragsstatut (hier Verbraucherstatut) zu beurteilen. Dies gilt nach Abs 1 lit e leg cit auch für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags. Für die Rückabwicklung nichtiger Verträge gilt somit das Recht des Vertragsstatuts (Spellenberg in MüKo BGB8 Art 12 Rom I-VO Rz 175).
[16] 2.3 Das Vertragsstatut (Verbraucherstatut) verweist im Anlassfall auf österreichisches Recht. Das Herkunftslandprinzip nach § 20 ECG steht diesem Ergebnis nicht entgegen, weil § 21 Z 6 ECG für Verbraucherverträge sowie § 21 Z 11 ECG überhaupt für Glücksspiele eine Ausnahme von diesem Prinzip statuieren (vgl Brenn ECG 326 und 330).
[17] 3.1 Der Rückforderungsanspruch nach § 877 ABGB ist auf die Herausgabe des erlangten Vorteils (hier der Spieleinsätze abzüglich der Auszahlungen) gerichtet (vgl 6 Ob 229/21a mwN).
[18] 3.2 Bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung im Vertragsverhältnis nach § 877 ABGB bezieht sich die Passivlegitimation auf den (vermeintlichen) Vertragspartner, weil auch eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Vertragsverhältnisses grundsätzlich zwischen den Vertragsparteien zu erfolgen hat (3 Ob 2/11g mwN). Maßgeblich ist also, wer nach der Zweckvereinbarung Leistender und wer Leistungsempfänger sein sollte (RS0016361; vgl RS0020192 [T8]).
[19] 3.3 Der Kläger eröffnete im Jahr 2007 ein Spielerkonto, über das seine Einzahlungen, Gewinne und Verluste sowie Boni aus der fortlaufenden Teilnahme an Glücksspielen abgewickelt wurden. Dieses Rechtsverhältnis erschöpfte sich nicht in einzelnen, isoliert voneinander zu betrachtenden Glücksspielverträgen. Vielmehr hatte der Glücksspielanbieter auch das Spielerkonto zu führen und über dieses die Glücksspiele des Klägers abzuwickeln. Er hatte somit auch Dienstleistungen zur Abrechnung und Verwaltung des Spielerkontos des Klägers zu erbringen. In diesem Zusammenhang spricht die Beklagte selbst von einem „Rahmenvertrag“. Da sich dieses Rechtsverhältnis nicht nur auf die wiederholte Inanspruchnahme von Glücksspieldienstleistungen durch den wiederkehrenden Abschluss von Glücksspielverträgen beschränkte, sondern auch weitere, dauerhaft zu erbringende Dienstleistungen beinhaltete, handelte es sich um ein Dauerschuldverhältnis.
[20] 3.4 Vertragspartnerin des Klägers war zunächst die H* Ltd als ursprüngliche Anbieterin der Glücksspiele, von der das Spielerkonto des Klägers eingerichtet und geführt wurde. Im Jahr 2014 ist dieses Rechtsverhältnis unstrittig auf die HSLP übergegangen. Im Jahr 2018 wurde der Kläger beim Einloggen in sein Spielerkonto sinngemäß davon in Kenntnis gesetzt, dass seine „Beziehung“ zur HSLP auf die Beklagte transferiert und sämtliche Glücksspielteilnahmen nunmehr über diese abgewickelt werden.
[21] 4. Aufgrund der grenzüberschreitenden Rechtsbeziehung stellt sich auch im Zusammenhang mit der Vertragsübernahme die Frage nach dem anzuwendenden Recht. Dazu entspricht es einhelliger Ansicht, dass eine Vertragsübernahme grundsätzlich dem Statut des übernommenen Vertrags, hier also dem Verbraucherstatut unterliegt (Martiny in MüKo BGB8 Art 15 Rom I-VO Rz 28; Musger in KBB6 Art 14 Rom I-VO Rz 5). Das Vorliegen einer Vertragsübernahme ist daher hier nach österreichischem Recht zu beurteilen.
[22] 5.1 Die Vertragsübernahme erfordert nach österreichischem Recht grundsätzlich eine Übereinkunft aller Beteiligten, nämlich der verbleibenden, der ausscheidenden und der an ihre Stelle tretenden Partei (RS0032607). Auch ein Dauerschuldverhältnis kann Gegenstand einer Vertragsübernahme sein (vgl 9 Ob 93/99p; 8 Ob 34/08w).
[23] 5.2 Im Anlassfall wurde der Kläger beim Einloggen in sein Spielerkonto davon in Kenntnis gesetzt, dass seine „Beziehung“ zur früheren Betreiberin auf die nunmehrige Beklagte transferiert werde, dies keine Auswirkungen auf die angebotenen Dienste habe und die Kontodaten einschließlich Guthaben sowie die laufenden Boni unverändert bleiben. Nach dem objektiven Verständnis redlicher Vertragsparteien war unter der transferierten „Beziehung“ nicht ein einzelner Glücksspielvertrag, sondern die gesamte Rechtsbeziehung zum Kläger zu verstehen. Der Kläger stimmte diesem Transfer zu. Damit sind die Voraussetzungen für eine umfassende Vertragsübernahme erfüllt.
[24] 6.1 Nach österreichischem Recht ist eine Vertragsübernahme ein einheitliches Rechtsgeschäft, mit dem die Gesamtheit aller wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wird und der Vertragsübernehmer (Neupartei) an die Stelle der aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Partei (Altpartei) tritt. Die Neupartei übernimmt die gesamte vertragliche Rechtsstellung der Altpartei, ohne dass dadurch der Inhalt oder die rechtliche Identität des bisherigen Schuldverhältnisses verändert werden (vgl RS0032623). Die Neupartei muss das Vertragsverhältnis in jener Lage übernehmen, in der es sich gerade befindet, wobei es auf den Kenntnisstand der Neupartei nicht ankommt (2 Ob 164/12z; 5 Ob 190/19f).
[25] 6.2 Der Umfang der Vertragsübernahme richtet sich nach der Parteienvereinbarung (Thöni in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1406 ABGB Rz 71). Dieser ist im vorliegenden Fall bei verständiger Bewertung nach dem Empfängerhorizont als gänzliche Enthaftung, also als ein endgültiges Ausscheiden der Altpartei aus dem Vertragsverhältnis mit Wirkung ex tunc anzunehmen. Diese haftet dann weder für bisherige noch für später begründete Ansprüche oder Anwartschaften der Restpartei. Die Neupartei übernimmt die gesamte vertragliche Rechtsstellung der Altpartei (vgl Lukas in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 1406 Rz 17).
[26] 6.3 Die Vertragsübernahme führt im Sinn der Einheitstheorie auch zum Übergang der gesamten rechtlichen Rahmenbeziehung, also auch der vertragsbezogenen Gestaltungsrechte (vgl 4 Ob 355/97b [Rücktritt vom Vertrag]; Ertl in Rummel, ABGB3 § 1406 ABGB Rz 2). Wird die gesamte vertragliche Rechtsstellung übertragen, dann umfasst der Übergang auch Sekundäransprüche der Restpartei gegen die Altpartei. Das entspricht einerseits dem erkennbaren Interesse der Altpartei nach der Befreiung vom Leistungsaustausch nach Vertragsübernahme sowie dem der Restpartei, die es in der Regel nur noch mit dem neuen Vertragspartner zu tun haben und sich nicht teils mit der Alt-, teils mit der Neupartei auseinandersetzen möchte (vgl Thöni in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1406 ABGB Rz 74). Dies muss dann bei einem Gesamtübergang des Rechtsverhältnisses auch für auf § 877 ABGB gestützten Kondiktionsansprüche der Restpartei gelten, die auf Leistungen an die ausgeschiedene Altpartei beruhen und deren Rückabwicklung aufgrund Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu erfolgen hat.
[27] 6.4 Der Beklagten ist zuzugestehen, dass nach vorliegender Rechtsprechung „bereits abgewickelte, also beiderseitig bereits erfüllte Verträge“ nicht mehr Gegenstand einer Vertragsübernahme sein können (vgl etwa 8 Ob 34/08w; krit dazu Lukas in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 1406 Rz 15). Die Beklagte kann sich auf diese Rechtsprechung aber schon deshalb nicht erfolgreich berufen, weil zum Zeitpunkt der Vertragsübernahme keine endgültig abgewickelte Vertragsbeziehung vorlag, sondern die bis dahin bestandene Rahmenvereinbarung weiter aufrecht bleiben sollte.
[28] 6.5 Als Zwischenergebnis folgt daraus, dass die Beklagte auch für jene Rückforderungsansprüche des Klägers passiv legitimiert ist, die sich auf die Spielverluste vor 27. 11. 2018 beziehen.
[29] 7.1 Die Beklagte hält ihren Einwand der Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspiel-monopols, die sie nunmehr vor allem auf den Zeitraum März 2007 (Eröffnung des Spielerkontos des Klägers) bis Dezember 2010 bezieht, weiterhin aufrecht. Nach den damaligen Bestimmungen der §§ 14 und 21 GSpG alt sei für Konzessionswerber ein Sitz in Österreich erforderlich gewesen. Dies und der Umstand, dass Konzessionen ohne transparente Ausschreibung vergeben worden seien, habe nach der Entscheidung des EuGH zu C-64/08, Engelmann, gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit verstoßen.
[30] 7.2 Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entspricht das österreichische System der Glücksspielkonzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben und verstößt damit nicht gegen das Unionsrecht (3 Ob 200/21i mwN).
[31] 7.3 Darüber hinaus ist aus den Entscheidungen des EuGH zum Glücksspielmonopol bzw Konzessionssystem in Österreich auch zur Rechtslage vor dem Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111, in Kraft getreten am 31. 12. 2010; vgl § 60 Abs 28 GSpG) nicht abzuleiten, dass das im Glücksspielgesetz vorgesehene Konzessionssystem als solches zur Gänze gegen die Grundfreiheiten verstößt. Vielmehr ist auch im Bereich der Glücksspiele gesondert für jede mit einer nationalen Rechtsvorschrift auferlegte Beschränkung zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Verwirklichung der legitimen Ziele zu gewährleisten, die vom jeweiligen Mitgliedstaat geltend gemacht werden, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist (EuGH C-3/17, Sporting Odds, Rn 22; C-920/19, Fluctus & Fluentum, Rn 29). Dementsprechend kann grundsätzlich nicht die pauschale Unanwendbarkeit des österreichischen Konzessionssystems geltend gemacht werden (vgl 6 Ob 229/21a; vgl auch 3 Ob 72/21s Pkt 3.5 und 3 Ob 106/21s Pkt 3.).
[32] 7.4 Ausgehend von der Entscheidung des EuGH zu C-64/08, Engelmann, ist daher davon auszugehen, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts in Bezug auf die Rechtslage bis 31. 12. 2010 zu einem Wegfall des in § 14 Abs 2 Z 1 und § 21 Abs 2 Z 1 GSpG aF normierten Sitzerfordernisses (im Inland) geführt hat. Die übrigen Voraussetzungen für die Erlangung einer Konzession sowie das Monopol- bzw Konzessionssystem an sich blieben aber unberührt. Dies gilt insbesondere für § 3 GSpG, wonach das Recht zur Durchführung von Glücksspielen, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten ist (6 Ob 229/21a mwN).
[33] 7.5 Im Anlassfall wurden in den Jahren 2007 bis 2010 die in Rede stehenden Glücksspieldienstleistungen von der H* Ltd erbracht. Dass diese Gesellschaft – abgesehen vom Sitzerfordernis im Inland – über alle sonstigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Bewerbung um eine Glücksspielkonzession verfügt hätte, behauptet die Beklagte nicht. Damit zeigt sie nicht auf, inwiefern sich das damals unionsrechtswidrige Sitzerfordernis tatsächlich nachteilig (beschränkend) auswirken konnte (vgl dazu auch schon 3 Ob 200/21i).
[34] 7.6 Die Anregung der Beklagten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH war nicht aufzugreifen, weil zur Auslegung des Unionsrechts keine stichhaltigen Zweifel bestehen.
[35] 8.1 Zusammengefasst ergibt sich: Da die Beklagte auch für die Rückforderungsansprüche des Klägers aus den verbotenen Glücksspielen vor dem „Betreiberwechsel“ (Wechsel der Betreiberin der Glücksspiel-Website) am 27. 11. 2018 passiv legitimiert ist, ist sie auch zur Rückzahlung der sich darauf beziehenden Verluste verpflichtet. Demnach steht dem Kläger der gesamte von ihm geltend gemachte Rückzahlungsbetrag zu. Damit erübrigt sich die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung, weshalb in Stattgebung des Rekurses in der Sache selbst zu erkennen und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war.
[36] 8.2 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E134656European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00044.22Z.0324.000Im RIS seit
09.05.2022Zuletzt aktualisiert am
09.05.2022