Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wagner in der Strafsache gegen * T* wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 U 28/20k des Bezirksgerichts Floridsdorf, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 13. November 2020 (ON 12 S 2) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 13. November 2020, GZ 4 U 28/20k-12, verletzt § 494a Abs 3 erster und zweiter Satz StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Landesgericht Wiener Neustadt aufgetragen, im Verfahren AZ 50 Hv 26/19d über den Widerruf der dort gewährten bedingten Strafnachsicht zu entscheiden.
Text
Gründe:
[1] Mit (rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 8. Juli 2019, AZ 50 Hv 26/19d, wurde * T* zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.
[2] Das Bezirksgericht Floridsdorf verurteilte T* am 13. November 2020 zu AZ 4 U 28/20k in Abwesenheit wegen am 5. Februar 2020 begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Zugleich widerrief es die vom Landesgericht Wiener Neustadt gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO (ON 12). Der Strafantrag (ON 3) enthielt keinen Widerrufsantrag. Ebenso wenig ist den Akten zu entnehmen (vgl ON 1 S 2; US 5 f), dass der Angeklagten – etwa durch Hinweis anlässlich ihrer Ladung zur Hauptverhandlung oder sonst früher – Gelegenheit gegeben worden wäre, zur Frage des Widerrufs Stellung zu nehmen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der Widerrufsbeschluss verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – das Gesetz:
[4] Gemäß § 494a Abs 3 StPO hat das Gericht vor der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht Ankläger, Angeklagten und Bewährungshelfer zu hören und Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung zu nehmen. Von der Anhörung des Angeklagten kann abgesehen werden, wenn ein Ausspruch nach § 494a Abs 1 Z 1 oder 2 StPO erfolgt.
[5] Fällt das Gericht – wie hier – ein Abwesenheitsurteil, ohne den Angeklagten zur Widerrufsfrage gehört (ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben) zu haben, kommt eine Entscheidung nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO dem sonst (nach § 495 Abs 1 StPO) zuständigen Gericht zu (RIS-Justiz RS0101961; Jerabek/Ropper, WK-StPO § 494a Rz 8 und 10).
[6] Der angefochtene Beschluss verletzt daher § 494a Abs 3 erster und zweiter Satz StPO, weil das Bezirksgericht Floridsdorf der Angeklagten zuvor keine Möglichkeit eingeräumt hatte, zur Widerrufsfrage Stellung zu nehmen.
[7] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die Feststellung dieser Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen, weil eine nachteilige Wirkung für die Verurteilte nicht auszuschließen ist.
Textnummer
E134668European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00030.22A.0329.000Im RIS seit
09.05.2022Zuletzt aktualisiert am
09.05.2022