TE Vwgh Erkenntnis 1996/5/23 94/15/0047

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Veröffentlicht am 23.05.1996
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32 Steuerrecht;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
33 Bewertungsrecht;

Norm

BAO §189;
BewG 1955 §71;
BewG 1955 §75;
B-VG Art140 Abs7;
SteuerreformG 1993 Art11 Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Steiner, Dr. Mizner und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Traudtner, über die Beschwerde der S Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 10. Jänner 1994, Zl. B 36-5/93, betreffend Abweisung eines Antrages auf Feststellung des gemeinen Wertes von Gesellschaftsanteilen zum 1. Jänner 1987, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der gemeine Wert der Anteile an der beschwerdeführenden Gesellschaft m.b.H. wurde zum Stichtag 1. Jänner 1986 bescheidmäßig festgestellt.

Am 16. September 1991 beantragte die Beschwerdeführerin die Feststellung des gemeinen Wertes der Anteile zum 1. Jänner 1987. In der Folge vertrat die Beschwerdeführerin - auch nach Hinweis auf § 71 BewG - die Auffassung, aus § 189 BAO und § 75 BewG ergebe sich, daß auf Antrag eine Feststellung des gemeinen Wertes der Anteile zu einem vom jeweiligen Hauptfeststellungszeitpunkt abweichenden Stichtag zu erfolgen habe.

Mit dem im Instanzenzug erlassenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin ab. Begründend vertrat sie nach Wiedergabe von §§ 71, 72 BewG und § 189 Abs. 1 BAO die Auffassung, die Bewertung habe - den Fall von Kapitaländerungen ausgenommen - zum Hauptveranlagungszeitpunkt zu erfolgen. Demgemäß sei der gemeine Wert der Anteile zuletzt zum 1. Jänner 1986 festgestellt worden; eine Kapitaländerung habe die Beschwerdeführerin nicht behauptet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und hilfsweise die "Einleitung eines entsprechenden Normprüfungsverfahrens hinsichtlich des § 71 BewG" beantragt wird. Die Beschwerde weist zunächst darauf hin, daß bei der Beschwerdeführerin seit dem letzten Hauptveranlagungszeitpunkt keine Kapitalveränderungen stattgefunden hätten. Dennoch stehe § 71 Abs. 2 BewG einer Bewertung zu einem vom Hauptfeststellungszeitpunkt abweichenden Stichtag nicht entgegen. Der Vorschrift sei lediglich zu entnehmen, daß die Bewertung von Gesellschaftsanteilen zu jedem Hauptveranlagungszeitpunkt erfolgen müsse; sie enthalte aber kein "Verbot einer Wertfeststellung auf einen anderen Stichtag". Auf Antrag müsse daher im Sinne von §§ 189 BAO und 75 BewG der gemeine Wert der Anteile auf einen anderen Stichtag festgestellt werden; andernfalls wären die zuletzt zitierten Vorschriften inhaltsleer. Hätte § 71 Abs. 2 BewG den von der belangten Behörde unterstellten Inhalt, wäre "ein entsprechendes Prüfungsverfahren zur Prüfung des § 71 BewG auf seine Verfassungsgemäßheit zufolge der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durchzuführen".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 71 BewG 1955 idF BGBl. Nr. 172/1971 und BGBl. Nr. 325/1986 lautet:

"(1) Stichtag für die Bewertung von Wertpapieren, Anteilen und Genußscheinen an Kapitalgesellschaften und Kapitalanlagefonds sowie von Partizipationsscheinen im Sinne des Kreditwesengesetzes, BGBl. Nr. 63/1979, in der jeweils geltenden Fassung, oder des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BGBl. Nr. 569/1978, in der jeweils geltenden Fassung, ist der 31. Dezember des Jahres, das dem für die Hauptveranlagung zur Vermögensteuer maßgebenden Zeitpunkt vorangeht.

(2) Der sich aus Abs. 1 ergebende Stichtag gilt auch für Neuveranlagungen und Nachveranlagungen zur Vermögensteuer auf einen anderen Zeitpunkt. Werden nach dem in Abs. 1 bezeichneten Zeitpunkt Schuldverschreibungen und bei Neugründung von Kapitalgesellschaften und Kapitalanlagefonds Anteile ausgegeben, so ist für deren Bewertung bei Neuveranlagungen und Nachveranlagungen zur Vermögensteuer Stichtag der der Ausgabe folgende 31. Dezember. Findet nach dem gemäß Abs. 1 maßgebenden Stichtag bei einer Kapitalgesellschaft eine Kapitalerhöhung oder eine Kapitalherabsetzung statt oder werden neue Anteile an einem Kapitalanlagefonds ausgegeben, so ist bei Neuveranlagungen und Nachveranlagungen zur Vermögensteuer der der Ausgabe oder der Einziehung der Anteile folgende 31. Dezember Stichtag für die Bewertung aller Anteile und Genußscheine an dieser Kapitalgesellschaft oder an diesem Kapitalanlagefonds."

§ 71 Abs. 2 erster Satz BewG in der zitierten Fassung wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994, G 127-129/93, als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Beschwerdeführerin hat den Verfassungsgerichtshof nicht angerufen; eine Antragstellung durch den Verwaltungsgerichtshof im Sinne des Art. 140 Abs. 1 B-VG konnte aus Gründen des zeitlichen Ablaufes (Einlangen der Beschwerde beim Berichter am 10. März 1994) nicht mehr vor der nichtöffentlichen Sitzung des Verfassungsgerichtshofes am 11. März 1994 erfolgen. Der Beschwerdefall ist somit kein Anlaßfall im Sinne des Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG; daraus folgt im Sinne der soeben zitierten Vorschrift, daß § 71 Abs. 2 erster Satz BewG im Beschwerdefall (weiterhin) anzuwenden ist. Anderes ergibt sich auch nicht auf Grund der in Art. XI Z. 5 des Steuerreformgesetzes 1993, BGBl. Nr. 818, enthaltenen Anordnung, wonach die §§ 71 bis 75 BewG entfallen; denn diese ist nach Z. 11 leg. cit. erstmalig auf Feststellungen und Sachverhalte anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1993 liegen.

Im Hinblick auf diese Sach- und Rechtslage erübrigt es sich auch, auf die von der Beschwerde angedeuteten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 71 BewG einzugehen.

Auch die geltend gemachte Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf einfach-gesetzlicher Ebene liegt nicht vor. Die Regelung des Stichtages für die Bewertung von Wertpapieren und Anteilen findet sich in § 71 BewG. Die §§ 189 BAO, 75 BewG bilden die verfahrensrechtliche Grundlage für die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Wertes von Wertpapieren und Anteilen; sie enthalten keine Regelung, die den Stichtag für die Bewertung beträfe. Es besteht keine anerkannte Auslegungsmethode, auf deren Grundlage aus dem Fehlen einer solchen Anordnung in den §§ 189 BAO und 75 BewG gefolgert werden könnte, daß ungeachtet der zwingenden Stichtagsregelung des § 71 BewG Wertfeststellungen zu jedem beliebigen anderen Stichtag stattfinden könnten.

Vielmehr ergibt sich aus § 71 Abs. 2 erster Satz BewG nach einhelliger Auffassung von Lehre (vgl. z.B. die umfassende Darstellung bei Tanzer, Die Wertfestschreibung von Gesellschaftsanteilen und Wertpapieren gemäß § 71 Abs. 2 Bewertungsgesetz - eine Untersuchung aus verfassungsrechtlicher Sicht, GesRZ 1992, 239; weiters Stoll, Bewertung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften nach dem Bewertungsgesetz, GesRZ 1989, 61, 63; Doralt-Ruppe, Steuerrecht II2, 11) und Rechtsprechung (vgl. das bereits erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994) das sogenannte "Erstarrungsprinzip". Der Verfassungsgerichtshof hat dazu im Erkenntnis vom 11. März 1994 u. a. folgendes dargelegt:

"71 Abs. 2 erster Satz Bewertungsgesetz 1955 bewirkt eine "Erstarrung" der Wertansätze für Wertpapiere und Anteile an Kapitalgesellschaften für den Hauptveranlagungszeitraum zur Vermögensteuer, der (vorbehaltlich einer abweichenden Verordnung des Bundesministers für Finanzen oder einer besonderen Anordnung des Gesetzgebers) gemäß § 12 Vermögensteuergesetz 1954 drei Kalenderjahre beträgt. Wiewohl die Vermögensteuer für jedes Kalenderjahr erhoben wird, erfolgt die Ermittlung der Vermögensteuerbemessungsgrundlage nur für die jeweiligen Hauptveranlagungszeiträume. Eine Neuveranlagung der Vermögensteuer (gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 Vermögensteuergesetz 1954 etwa dann, wenn sich der Wert des Gesamtvermögens um mehr als 20 % oder um mehr als S 1 Mio gegenüber dem letzten Veranlagungszeitpunkt verändert hat), ebenso wie eine Nachveranlagung (gemäß § 14 Vermögensteuergesetz 1954, wenn sich die persönliche Steuerpflicht nach dem Hauptveranlagungszeitpunkt ändert) scheidet kraft § 71 Abs. 2 erster Satz Bewertungsgesetz 1955 bei Wertpapieren und Kapitalgesellschaftsanteilen aus, wie immer sich der Wert der Wertpapiere und Kapitalgesellschaftsanteile innerhalb eines Hauptveranlagungszeitraumes auch verändert haben mag."

Aus dem Gesagten folgt, daß nach der im Beschwerdefall maßgebenden Rechtslage und dem gegebenen, einen Bezug zum zweiten und dritten Satz des § 71 Abs. 2 BewG nicht aufweisenden Sachverhalt eine Wertfeststellung zu einem vom Hauptveranlagungszeitpunkt abweichenden Stichtag nicht in Betracht kam. Der angefochtene Bescheid entspricht daher dem Gesetz. Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994150047.X00

Im RIS seit

14.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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