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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A O, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Jänner 2022, I419 2171328-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 22. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag - im zweiten Rechtsgang - mit Bescheid vom 23. August 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab und sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die dagegen erhobene Beschwerde mit einer hier nicht relevanten Maßgabe als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Vorauszuschicken ist, dass die Revision keine Ausführungen zum Ausspruch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten enthält.
8 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dadurch abgewichen, weil es keine konkreten Feststellungen zur Behandlungsmöglichkeit und den entsprechenden Kosten der Erkrankung des Revisionswerbers getroffen habe. Im Erkenntnis werde nicht auf die konkrete Situation des Revisionswerbers eingegangen, was auch in der Beschwerde bemängelt worden sei. Hätte das Verwaltungsgericht entsprechende Feststellungen getroffen, wäre es zum Ergebnis gelangt, dass der Revisionswerber in Nigeria keine entsprechende Behandlung erhalten und aufgrund seiner Erkrankung keine Arbeit finden werde.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. zum Ganzen VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).
10 Im vorliegenden Fall befasste sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers und gelangte auf der Grundlage entsprechender Feststellungen zu dem Ergebnis, dass es dem Revisionswerber möglich sei, zu arbeiten und für sich zu sorgen. Er habe sich seit der Ankunft im Bundesgebiet keiner Operation seines Beines unterzogen, gehe dem Zeitungsverkauf nach und arbeite beim Reinigen von Böden sowie beim Befüllen von Regalen mit. Trotz der kürzeren Beinlänge links sei es ihm möglich, diese Tätigkeiten auszuführen. Er habe in Österreich von Anfang an seine Pflichten in der Unterkunft und andere Arbeiten erfüllt, ohne dafür auch nur einen orthopädischen Schuhausgleich zu benötigen. Die Revision, die diesen Erwägungen nichts Stichhaltiges entgegensetzt, vermag nicht aufzuzeigen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht von den dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte. Abgesehen davon wird nicht dargelegt, dass die vorgebrachte Krankheit jene vom EGMR in der Rechtssache Paposhvili gegen Belgien beschriebene Schwere und Intensität aufweist, welche dazu führen könnte, dass bei einer Abschiebung die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten würde (vgl. VwGH 19.7.2021, Ra 2021/14/0230, mwN).
11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht missachtet. Zur Erkrankung des Revisionswerbers sei in der Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht Neues vorgebracht worden, indem auf weitere Therapiemaßnahmen im Jänner 2022 und eine noch nicht abgeschlossene Behandlung im Inland hingewiesen worden sei.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 30.9.2021, Ra 2021/14/0187, mwN).
13 Das Bundesverwaltungsgericht hat ausreichend begründet, warum es von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgegangen ist. Die Revision legt mit dem lediglich allgemein gehaltenen Vorbringen, in der Beschwerde sei ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender relevanter Sachverhalt behauptet worden und seit der Bescheiderlassung seien über vier Jahre vergangen, nicht dar, dass das Verwaltungsgericht im konkreten Fall von den aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht abgewichen wäre.
14 Gleiches gilt auch für den pauschalen Hinweis auf die in der Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht erwähnten „weiteren Therapiemaßnahmen im Jänner 2022 und die im Inland noch nicht abgeschlossene Behandlung“.
15 Wenn die Revision eine Verletzung der Verhandlungspflicht auch in Bezug auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK geltend macht und insoweit die Rückkehrentscheidung im Blick hat, ist ihr zuzugestehen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 18.11.2021, Ra 2021/14/0301, mwN).
16 Die Revision vermag mit ihrem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung, das sich auf Aspekte bezieht (Sprachkenntnisse, Freunde, Betätigung in der Kirchengemeinde), die das Verwaltungsgericht ohnehin berücksichtigt hat, nicht darzulegen, dass kein eindeutiger Fall in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) vorgelegen sei und damit das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, warum gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer Verhandlung Abstand genommen werden darf.
17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 7. April 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140074.L00Im RIS seit
06.05.2022Zuletzt aktualisiert am
24.05.2022