Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sabrina Langer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Betriebsrat B* AG, *, vertreten durch Dr. Roland Gerlach ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zustimmung zu Versetzungen, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 2021, GZ 8 Ra 12/21z-22, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Gemäß § 101 ArbVG ist die dauernde Einreihung eines Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz dem Betriebsrat unverzüglich mitzuteilen; auf Verlangen ist darüber zu beraten. Eine dauernde Einreihung liegt nicht vor, wenn sie für einen Zeitraum von voraussichtlich weniger als 13 Wochen erfolgt. Ist mit der Einreihung auf einen anderen Arbeitsplatz eine Verschlechterung der Entgelt- oder sonstigen Arbeitsbedingungen verbunden, so bedarf sie zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrats. Erteilt der Betriebsrat die Zustimmung nicht, so kann sie durch Urteil des Gerichts ersetzt werden. Das Gericht hat die Zustimmung zu erteilen, wenn die Versetzung sachlich gerechtfertigt ist.
[2] 2. Nach der Rechtsprechung übt der Betriebsrat bei Versetzungen, wie auch bei anderen Mitwirkungsrechten, ein Recht der (gesamten) Belegschaft aus. Der Normzweck des § 101 ArbVG besteht darin, den einzelnen Arbeitnehmer wegen seiner Abhängigkeit vom Betriebsinhaber (Arbeitgeber) unter den Schutz der Betriebsvertretung zu stellen. Bei Ausübung seines Mitbestimmungsrechts hat der Betriebsrat das Interesse der Belegschaft und nicht (nur) das Interesse des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers zu wahren (9 ObA 214/94; 9 ObA 88/04p; 9 ObA 35/05w). Auch nach der Entscheidung 8 ObA 49/09b hat der Betriebsrat bei Ausübung seines Mitbestimmungsrechts im Zusammenhang mit Versetzungen zwar primär das Interesse der Belegschaft wahrzunehmen, aber bei dieser Beurteilung auch (subsidiär) auf die Interessen des betroffenen Arbeitnehmers abzustellen (vgl Goricnik in Gahleitner/Mosler Arbeitsverfassungsrecht 36 § 101 ArbVG Rz 2). Die betriebsratsersetzende Zustimmung des Gerichts hat sich am Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkung zu orientieren (Goricnik in Gahleitner/Mosler Arbeitsverfassungsrecht 36 § 101 ArbVG Rz 115, 119).
[3] 3. Die Versetzung ist dann sachlich gerechtfertigt, wenn die Versetzung betriebsorganisatorisch notwendig ist und die Personenauswahl unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der in Frage kommenden Arbeitnehmer richtig sowie im Hinblick auf das Verschlechterungsausmaß auch möglichst schonend getroffen wurde. Es ist somit eine Interessenabwägung unter entsprechender Würdigung insbesonders auch der Belegschaftsinteressen durchzuführen (Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 101 ArbVG Rz 41; Schrank in Tomandl, § 101 ArbVG Rz 53; vgl Födermayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 101 Rz 5).
[4] 4. Die Beurteilung, ob eine Versetzung sachlich gerechtfertigt ist und das Gericht daher die Zustimmung zur Versetzung zu erteilen hat, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Dass das Gericht zweiter Instanz seinen insofern bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte, zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten nicht auf.
[5] 5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin, ein österreichisches Flugunternehmen, aufgrund betriebswirtschaftlich notwendiger Umstrukturierungsmaßnahmen keinen Bedarf mehr an Bordpersonal mit Dienstantrittsorten außerhalb des Flughafens Wien hat und daher ein Einsatz der von der Versetzung betroffenen Mitarbeiter an den Bundesländer-Basen nicht nur die wirtschaftlichen Restrukturierungsmaßnahmen konterkarieren, sondern auch die Organisation des Bereitschaftsdienstes erheblich erschweren würde, wird in der außerordentlichen Revision der Beklagten nicht bestritten. Ebenso wird die Rechtsauffassung nicht in Frage gestellt, dass diese von der Klägerin eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen auch der Belegschaft als Ganzes im Sinn der Sicherung der Arbeitsplätze der Mitarbeiter zugutekommen.
[6] 6. Soweit das Berufungsgericht jedoch festhält, dass im Vergleich mit dem Belegschaftsinteresse die individuellen Interessen der 185 (weniger als 5 % aller Mitarbeiter der Beklagten) von der beabsichtigten Versetzung betroffenen Dienstnehmer der Klägerin zurückzustehen haben, vermisst die Revision eine konkrete Abwägung mit den persönlichen Interessen jedes einzelnen von der Versetzung betroffenen Mitarbeiters. Diese gewünschte Einzelabwägung ist jedoch im konkreten Einzelfall ausgehend von den gewichtigen und dringlichen Interessen der Klägerin an der betrieblichen Umstrukturierung und dem daraus resultierenden Gesamtinteresse der Belegschaft nicht vorzunehmen, zumal sämtliche Mitarbeiter an den Bundesländer-Basen außerhalb Wiens aufgrund deren gänzlicher Schließung von der Umstrukturierung betroffen sind.
[7] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Textnummer
E134640European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00010.22V.0324.000Im RIS seit
06.05.2022Zuletzt aktualisiert am
06.05.2022