Entscheidungsdatum
14.03.2022Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
COVID-19-VwBG §3 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerden des A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen die Zurückweisungsbescheide des Magistrats der Stadt Wien jeweils vom 3. Dezember 2021, Zlen. MBA/...8/2021 und MBA/...2/2021, mit welchem Einsprüche des Beschwerdeführers vom 26. Mai 2021 gegen Strafverfügungen gemäß § 49 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetzes – VStG als verspätet zurückgewiesen wurden, nach mündlicher Verhandlung und Verkündung der Entscheidung am 9. März 2022
zu Recht e r k a n n t:
I. Gemäß § 49 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 werden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG ausgeschlossen.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden zwei Einsprüche des Beschwerdeführers vom 26. Mai 2021 gegen Strafverfügungen der belangten Behörde gemäß § 49 Abs. 1 VStG als verspätet zurückgewiesen.
2. Gegen diese Bescheide wurden vom Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig Beschwerden erhoben und darin jeweils die ordnungsgemäße Verständigung über die Hinterlegung bestritten.
3. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidungen und legte die Beschwerden samt den bezugnehmenden Verwaltungsakten dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor.
4. Das Verwaltungsgericht Wien führte am 9. März 2022 eine gemeinsame öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher zwei Personen als Zeugen einvernommen wurden. Im Anschluss an die Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
II. Sachverhalt
1. Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:
Die belangte Behörde versendete zwei Strafverfügungen vom 29. März 2021 zu den Zlen. MBA/...8/2021 und MBA/...2/2021 per RSb an den Beschwerdeführer an der Adresse Wien, C.-straße, wegen Übertretung des "§ 8 Abs. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG, BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 23/2021" bzw. "§ 40 Abs. 2 Epidemiegesetz 1950 – EpiG, BGBl. Nr. 186/1950, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 23/2021". Der Zusteller traf den Beschwerdeführer nicht persönlich an dieser Abgabestelle an, die Sendungen wurden deshalb hinterlegt, Hinterlegungsanzeigen wurden vom Zusteller in den Postkasten des Beschwerdeführers eingeworfen. Die Sendungen lagen ab 1. April 2021 bei der Post-Geschäftsstelle XY zur Abholung bereit und wurden in der Folge nicht behoben. Der Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt an der Abgabestelle regelmäßig anwesend. Mit E-Mails vom 26. Mai 2021 erhob der Beschwerdeführer die von der belangten Behörde mit den angefochtenen Bescheiden zurückgewiesenen Einsprüche.
Der rechtsanwaltlich vertretene Beschwerdeführer erschien zur mündlichen Verhandlung ohne FFP2-Maske und wollte eine solche auf Anweisung des Verhandlungsleiters hin auch nicht aufsetzen. Er berief sich auf ein ärztliches Attest, das er zwar dem Verhandlungsleiter zeigte, dessen Kopie er jedoch nicht zum Akt geben lassen wollte. Der Verhandlungsleiter drohte dem Beschwerdeführer mehrfach an, eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ohne das Tragen einer FFP2-Maske sei nur möglich, wenn ein allfälliges Attest über eine Maskenbefreiung in Kopie zum Akt genommen werde, um dem Verhandlungsleiter eine Überprüfung der Richtigkeit und Stichhaltigkeit dieses Attests zu ermöglichen und dass der Beschwerdeführer von der Teilnahme an der Verhandlung ausgeschlossen werde, wenn er keine FFP2-Maske trage und gleichzeitig nicht ermögliche, dass eine Kopie seines Attests zum Akt genommen werde. Der Beschwerdeführer kam nach mehrfacher Androhung seines Ausschlusses von der Verhandlung der Aufforderung, sein Attest für die Anfertigung einer Kopie zur Verfügung zu stellen, nicht nach; in der Folge wurde er von der weiteren Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen und – weil er sich weigerte, den Verhandlungssaal zu verlassen – letztlich unter Inanspruchnahme des Sicherheitsdienstes des Verwaltungsgerichts Wien des Saales verwiesen. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertreten, sein Vertreter war zur mündlichen Verhandlung geladen worden, erschien jedoch nicht.
2. Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens und Einvernahme der Zeugen D. E. und F. B. in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellungen zum Inhalt und zum Erlass der gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Strafverfügungen bzw. zu der Einspruchserhebung gegen diese Strafverfügungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt. In den Verwaltungsakten ist zudem in den Rückscheinbriefen dokumentiert, dass der Zusteller den Beschwerdeführer von der Hinterlegung der Sendungen verständigt hat, indem er die Verständigung zur Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt hat. In diesen Rückscheinbriefen ist als Beginn der Abholfrist jeweils der 1. April 2021 angegeben.
Der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Zeuge einvernommene Zusteller hatte zwar keine konkreten Erinnerungen an die Adresse des Beschwerdeführers, weil er dort nur aushilfsweise tätig ist, er hat aber seine eigene Schrift auf den Rückscheinen wiedererkannt und nachvollziehbar seine Vorgangsweise beim Einwurf von Hinterlegungsanzeigen beschrieben. Für das Verwaltungsgericht Wien sind keine Anhaltspunkte erkennbar, weshalb diese Schilderungen nicht den Tatsachen entsprechen sollen bzw. in den Beschwerdefällen eine andere Vorgangsweise gewählt worden sein soll. Der ebenfalls an der Adresse wohnende Zeuge F. B. hat von Zustellproblemen an der Adresse C.-straße seit einem Wechsel des Zustellers zu Beginn der Corona-Epidemie berichtet. Ihm waren jedoch keine Zustellprobleme im Zusammenhang mit RSb-Sendungen bekannt, zudem haben sich die meisten Fehleinwürfe in den Postkasten laut Angaben des Zeugen dadurch richtigstellen lassen, dass Nachbarn die Sendung entweder selbst in den richtigen Postkasten eingeworfen oder persönlich vorbeigebracht hätten. Die dabei genannte Zahl von insgesamt vier bis fünf Vorfällen seit Wechsel des Zustellers, bei denen jeweils ein Nachbar falsch eingeworfene Sendungen persönlich vorbeigebracht habe, zeigen dabei aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien keine systematischen Mängel bei den Zustellungen an der Adresse des Beschwerdeführers in der C.-straße auf. Zudem ist gerade bei einem Zusteller wie dem einvernommenen Zeugen E., der nur ausnahmsweise an der Adresse ausgeholfen hat, eine besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt anzunehmen, weil er mit der Örtlichkeit nicht vertraut war.
Aus all diesen Gründen geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass jeweils eine Hinterlegungsanzeige betreffend die beiden gegenständlichen Sendungen in den Postkasten des Beschwerdeführers in der C.-straße eingeworfen wurde und diese Sendungen – wie am Rückscheinbrief dokumentiert – ab 1. April 2021 am Postamt zur Abholung bereitstanden.
Dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zustellung an der Abgabestelle regelmäßig anwesend war, ergibt sich schon daraus, dass er zu diesem Zeitpunkt dort zum Hauptwohnsitz gemeldet war und weder im behördlichen Verfahren, noch in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht eine Ortsabwesenheit behauptet hat. Der vom Verwaltungsgericht Wien als Zeuge einvernommene Bruder des Beschwerdeführers, F. B., hat zunächst angegeben, mit dem Beschwerdeführer gemeinsam an der Adresse C.-straße zu wohnen; kurz darauf hat er korrigierend angegeben, dass der Beschwerdeführer "vor ungefähr einem Jahr" von der Adresse C.-straße ausgezogen sei. Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer keine Abwesenheit von der Abgabestelle behauptet und auch auf die im Mai 2021 an die Abgabestelle C.-straße adressierte Mahnung zeitnah reagiert hat, ist nicht davon auszugehen, dass er im April 2021 nicht regelmäßig an dieser Abgabestelle anwesend war.
Die Feststellungen zu den Vorkommnissen rund um den Ausschluss des Beschwerdeführers von der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ergeben sich aus der vom Verhandlungsleiter unterzeichneten Verhandlungsniederschrift.
III. Rechtliche Beurteilung
1. Zum Ausschluss des Beschwerdeführers von der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung:
Der Verhandlungsleiter der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2022 hat gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 6 Abs. 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz – COVID-19-VwBG zur Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 das Tragen einer FFP2-Maske durch alle bei der Verhandlung anwesenden Personen verfügt. Der Beschwerdeführer wollte auf Aufforderung des Verhandlungsleiters hin keine FFP2-Maske tragen. Er hat sich dabei auf ein ärztliches Attest gestützt, welches er dem Verhandlungsleiter zeigte; er weigerte sich jedoch, eine Kopie dieses Attests zum Akt nehmen zu lassen. Dem Verhandlungsleiter war es deshalb nicht möglich, dieses Attest – gegebenenfalls nach Unterbrechung oder Vertagung der mündlichen Verhandlung – auf seine Richtigkeit und Stichhaltigkeit zu überprüfen. Dem Verhandlungsleiter war somit eine abschließende Beurteilung, ob der Beschwerdeführer von der Pflicht des Tragens einer FFP2-Maske während der mündlichen Verhandlung auszunehmen ist, verunmöglicht. Dieser Umstand wurde dem Beschwerdeführer mehrfach vorgehalten und sein Ausschluss von der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung angedroht. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 AVG der Ermahnung und vorausgehenden Androhung waren im Beschwerdefall somit erfüllt, dennoch ermöglichte der Beschwerdeführer nicht, eine Kopie seines Attests zum Akt zu nehmen. Folglich wurde er vom Verhandlungsleiter zu Recht von der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen. Seine weitere Teilnahme ohne das Tragen einer FFP2-Maske und ohne einer möglichen Überprüfung durch den Verhandlungsleiter, ob das Nichttragen der FFP2-Maske tatsächlich gerechtfertigt ist, wäre dem Zweck der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 iSd § 3 Abs. 1 iVm § 6 Abs. 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-VwBG zuwidergelaufen. Dem Beschwerdeführer war keine weitere Bestellung eines Bevollmächtigten aufzutragen, weil er zum Zeitpunkt seines Ausschlusses von der mündlichen Verhandlung ohnehin durch einen – trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienenen – Rechtsanwalt vertreten war (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 34 Rz. 6, mwN). Die mündliche Verhandlung konnte somit in Abwesenheit des Beschwerdeführers durchgeführt werden.
2. Gemäß § 49 Abs. 1 VStG kann der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.
Im Beschwerdefall wurden die Strafverfügungen dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung mit Beginn der Abholfrist am 1. April 2021 zugestellt. Die zweiwöchige Einspruchsfrist begann daher an diesem Tag zu laufen und endete somit am 15. April 2021. Die mit 26. Mai 2021 erhobenen Einsprüche waren verspätet.
Bei der Einspruchsfrist handelt es sich um eine gesetzliche Frist, die nicht erstreckbar ist (vgl. VwGH 11.07.1988, 88/10/0113). Für die Zurückweisung des Einspruchs als verspätet ist allein die Versäumung der Einspruchsfrist maßgeblich. Ob ein Verschulden der Partei an der Verspätung vorliegt, wäre erst bei der Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag von Belang (vgl. zB VwGH 28.04.1993, 93/02/0051). Dem Verwaltungsgericht Wien ist es daher nicht möglich, die Rechtzeitigkeit des Einspruchs anhand von Billigkeitserwägungen abseits des gesetzlichen Fristenlaufs zu beurteilen.
Die Zurückweisung der Einsprüche als verspätet erfolgte somit zu Recht und die dagegen gerichteten Beschwerden sind als unbegründet abzuweisen.
3. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zur Frage der Rechtzeitigkeit des Einspruchs ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen stellen sich im Beschwerdefall vorrangig Beweiswürdigungsfragen, die vom Verwaltungsgericht Wien nach den in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien gelöst wurden (vgl. aus der ständigen Judikatur zB VwGH 15.9.2016, Ra 2016/15/0049).
Schlagworte
Ärztliches Attest; Maskenbefreiung; Tragen einer Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2; Ermahnung; EntfernungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.031.032.150.2022Zuletzt aktualisiert am
05.05.2022