TE Vfgh Beschluss 2022/3/17 A22/2021

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Veröffentlicht am 17.03.2022
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Index

72/01 Hochschulorganisation

Norm

B-VG Art137 / sonstige Klagen
UniversitätsG 2002 §98, §99
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung einer Staatshaftungsklage wegen legislativen Unrechts bzw unionsrechtswidriger Entscheidung des OGH im Zusammenhang mit einem universitären Berufungsverfahren; fehlende unmittelbare Zurechnung des Aktes – der die unionsrechtliche Staatshaftung auslösen soll – zum Gesetzgeber und Fehlen der erforderlichen Darlegung eines offenkundigen Verstoßes gegen Unionsrecht durch den OGH

Spruch

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Klage

1. Gestützt auf Art137 B-VG begehrt der Kläger, die beklagte Partei "Republik Österreich" (richtig: Bund) schuldig zu erkennen, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von € 20.787,68 samt 4% Zinsen ab dem Tag der Klagszustellung zu bezahlen, und der beklagten Partei den Ersatz der angefallenen Prozesskosten aufzuerlegen.

2. Zur Darlegung des Sachverhaltes schildert der Kläger zunächst behauptete Gesetzesverstöße in drei an der Universität Innsbruck gemäß §98 bzw unterschiedlicher Bestimmungen in §99 UG durchgeführter Berufungsverfahren, in denen der Kläger aus unterschiedlichen Gründen seiner Auffassung zufolge rechtswidriger Weise nicht zum Zug gekommen sei, und die daraufhin vom Kläger jeweils angestrengten verwaltungsbehördlichen bzw verwaltungs- oder zivilgerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung seiner von ihm als verletzt gesehenen rechtlichen Interessen.

Des Weiteren schildert der Kläger eine Reihe von Begebenheiten und Umständen an der Universität Innsbruck (teilweise im Zusammenhang mit den zuvor erwähnten Berufungsverfahren), die der Kläger als "Mobbing" qualifiziert, und von ihm in diesem Zusammenhang angestrengte zivilgerichtliche Rechtsschutzverfahren. Schließlich bezieht sich die Klage auf vom Kläger angestrengte Aufsichtsverfahren respektive diverse Anbringen bei Strafverfolgungsbehörden, die nicht zu den nach Auffassung des Klägers gebotenen Konsequenzen geführt bzw mit Einstellungsentscheidungen der Strafverfolgungsbehörden geendet hätten.

3. Ausgehend von diesen Sachverhalten macht der Kläger Staatshaftungsansprüche einerseits aus judikativem und andererseits aus legislativem Unrecht geltend:

3.1. Der Oberste Gerichtshof habe in seinen Entscheidungen vom 27. September 2018, 9 ObA 83/18y, vom 28. November 2019, 9 ObA 122/19k, und vom 28. Jänner 2021, 8 ObA 108/20w, den Kläger in subjektiven, durch das Primärrecht der Europäischen Union gewährleisteten Rechten, insbesondere nach Art45 AEUV sowie nach Art41 Abs1 und Art47 GRC, verletzt, indem er dem übergangenen Mitbewerber eines gesetzwidrig durchgeführten universitären Berufungsverfahrens nach §98 oder §99 UG kein rechtliches Interesse im Sinne des §228 ZPO zur Feststellung der Nichtigkeit des als Ergebnis dieses Verfahrens resultierenden Arbeitsvertrages zuerkannt habe (obwohl die aus der Sicht des Klägers begangenen Fehler im universitären Berufungsverfahren "den im Unionsrecht verankerten subjektiven Rechten [manifest]" widersprechen würden). Die unterlassene Anwendung unmittelbar geltenden EU-Primärrechts durch den Obersten Gerichtshof stelle einen "offenkundigen und somit hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht" dar. Weiters habe der Oberste Gerichtshof vom Kläger behauptete Verstöße gegen EU-Sekundärrecht nicht aufgegriffen respektive der Anregung auf Einleitung von Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art267 AEUV vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht Rechnung getragen.

Weiters verletze die Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden, Verfahren auf Grund von Anbringen des Klägers einzustellen bzw keine Ermittlungen einzuleiten, den Kläger in seinem "strafrechtlichen Rechtsverfolgungsanspruch" insbesondere im Sinne des Art19 Abs1 und Abs2 EUV sowie Art47 GRC.

3.2. Legislatives staatshaftungsbegründendes Unrecht liege vor, weil es die beklagte Partei unterlassen habe, "im universitären Berufungsverfahren einen gesetzlichen status quo zu schaffen, welcher mit dem Primärrecht der Europäischen Union" respektive näher bezeichnetem Sekundärrecht vereinbar sei, wobei wesentlich die vom Kläger zur Geltendmachung judikativen Unrechts herangezogenen Argumente bezüglich behaupteter Rechtsverletzungen auch hier ins Treffen geführt werden.

4. Der Kläger bringt außerdem vor, dass zwei ausdrücklich genannte Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes auf Grund eines Naheverhältnisses zu Personen, die in die in der Klage geschilderten Geschehnisse involviert seien, befangen seien; dies könne einer unabhängigen Auseinandersetzung entgegenstehen.

5. In der Klage wird schließlich angeregt, der Verfassungsgerichtshof möge bei Zweifeln über die Auslegung der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen gemäß Art267 AEUV ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union stellen.

II. Zulässigkeit

1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Voraussetzung einer Staatshaftung ist es, dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaates zur Verletzung einer unionsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist (vgl EuGH 5.3.1996, Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg 1996, I-1029, Rz 51; 23.5.1996, Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg 1996, I-2553, Rz 32; 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler, Rz 51). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union besteht dabei aber keine reine Unrechtshaftung; vielmehr ist ein Verstoß gegen Unionsrecht nur dann haftungsbegründend, wenn er "hinreichend qualifiziert" ist (EuGH, Brasserie du Pêcheur, Rz 55; 8.10.1996, Rs. C-178/94 ua, Dillenkofer, Slg 1996, I-4845, Rz 21 ff.; 17.10.1996, Rs. C-283/94 ua, Denkavit, Slg 1996, I-5063, Rz 48, 50 ff.; uva.).

2. Der Kläger stützt seine Staatshaftungsklage zum einen darauf, dass es der (Bundes-)Gesetzgeber seiner Ansicht nach unterlassen habe, die Gesetzeslage bezüglich universitärer Berufungsverfahren primärrechtskonform auszugestalten bzw Sekundärrecht der Europäischen Union hinreichend umzusetzen. Zum anderen stützt der Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf die seiner Auffassung nach unionsrechtswidrige und dem Kläger Schäden verursachende Rechtsanwendung durch den Obersten Gerichtshof respektive die Strafverfolgungsbehörden.

2.1. Im Hinblick auf das behauptete legislative Unrecht bringt der Kläger im Wesentlichen vor, dass der Gesetzgeber – jedenfalls seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 27. September 2018, 9 ObA 83/18y – das universitäre Berufungsverfahren nicht derart ausgestaltet habe, dass es mit dem Primärrecht der Europäischen Union vereinbar sei. Ein (auch klarer) Verstoß gegen Regelungen im universitären Berufungsverfahren nach §98 bzw §99 UG eröffne einem übergangenen Bewerber keine effektive Rechtsschutzmöglichkeit.

2.1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche nicht bereits dann zuständig, wenn der Gesetzgeber gegen Unionsrecht verstoßen hat. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes kommt vielmehr nur in Betracht, wenn der Akt, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslöst, unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (VfSlg 16.107/2001, 17.002/2003).

Knüpft der behauptete Schaden an ein – wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes – verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung (vgl VfSlg 17.611/2005, 18.020/2006). Eine auf Unionsrecht gestützte Staatshaftungsklage fällt somit auch dann in die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte, wenn die für den Eintritt des behaupteten Schadens kausale Handlung der Vollziehung durch ein unionsrechtswidriges Gesetz zwingend "vorherbestimmt" sein sollte (vgl VfGH 23.11.2012, A15/11).

2.1.2. Ein unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnendes Fehlverhalten liegt im konkreten Fall nicht vor: In Verfahren zur Entscheidung darüber, ob in oder im Zusammenhang mit Berufungsverfahren an einer öffentlichen Universität rechtserhebliche Mängel aufgetreten sind, werden Vollzugsorgane, nämlich insbesondere Gerichte tätig, die eine allfällige Nichtbeachtung des Unionsrechts durch den Gesetzgeber aufgreifen können (vgl insbesondere VfSlg 20.164/2017 bzw VfGH 28.2.2019, KI3/2018).

2.2. Soweit sich der Kläger auf eine behauptete Verletzung des Unionsrechts durch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes stützt, bringt er im Wesentlichen vor, der Oberste Gerichtshof verneine in offenkundiger Außerachtlassung von Art45 AEUV sowie Art41 Abs1 und Art47 GRC ein rechtliches Interesse des Klägers zur Feststellung der Nichtigkeit eines als Ergebnis universitärer Berufungsverfahren abgeschlossenen Arbeitsvertrages. Die unterlassene Anwendung unmittelbar geltenden Primärrechts durch den Obersten Gerichtshof stelle einen offenkundigen und somit hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht dar. Außerdem habe der Oberste Gerichtshof unbegründet und in unionsrechtswidriger Weise vom Kläger angeregte Anträge auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht aufgegriffen.

2.2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof zu seiner Zuständigkeit für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches ausgesprochen hat, ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl ua EuGH, Köbler) vorliegt (vgl VfSlg 17.095/2003, 17.214/2004, 19.361/2011; VfGH 5.12.2016, A8/2016).

Eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage nach Art137 B-VG ist unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig ist (VfSlg 19.361/2011, 19.428/2011; VfGH 23.11.2017, A8/2017). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird (EuGH, Köbler, Rz 51 ff.; VfSlg 18.448/2008).

Ein Kläger im Staatshaftungsverfahren hat daher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen, wie etwa auf Grund einer Literaturmeinung und einer deswegen angenommenen Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichtes, aufgeworfen, wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig (vgl VfGH 27.6.2017, A17/2016; 23.11.2017, A8/2017; 26.6.2020, A38/2020).

2.2.2. Die vorliegenden Klagebehauptungen vermögen eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches, abgeleitet aus einem behaupteten rechtswidrigen Verhalten des Obersten Gerichtshofes, nicht zu begründen:

Unabhängig davon, dass sich der Oberste Gerichtshof insbesondere in seiner Entscheidung vom 28. Jänner 2021, 8 ObA 108/20w, mit den unionsrechtlichen Erwägungen zu einer "Konkurrentenklage" bzw zu einem Feststellungsinteresse im Zusammenhang mit Art47 GRC auseinandersetzt, behauptet der Kläger zwar einen die Staatshaftung auslösenden Verstoß des Obersten Gerichtshofes gegen das Unionsrecht, er vermag jedoch mit seinem Vorbringen nicht nachvollziehbar darzulegen, worin die Offenkundigkeit des behaupteten Verstoßes gelegen sein soll. Es ist dem Verfassungsgerichtshof anhand des Klagevorbringens nicht erkennbar, in welcher Hinsicht die relevierte Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes betreffend die Rechtsschutzmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Beurteilung von Berufungsverfahren an einer Universität unter Nichtbeachtung von oder im Widerspruch zu Unionsrecht erfolgt sein soll, zumal der Kläger nicht darlegt, worin der qualifizierte Verstoß gegen Unionsrecht besteht, der so offenkundig wäre, dass er im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union eine Staatshaftung und im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Zulässigkeit eines Verfahrens nach Art137 B-VG begründet (vgl etwa VfGH 11.6.2015, A3/2015).

Gleiches gilt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes für die vom Kläger behauptete Verletzung der Vorlagepflicht durch den Obersten Gerichtshof (vgl ua VfGH 12.6.2019, A1/2019).

3. Die vorliegende Klage ist daher wegen der fehlenden unmittelbaren Zurechnung des Aktes, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslösen soll, zum Gesetzgeber und des Fehlens der erforderlichen Darlegung eines offenkundigen Verstoßes gegen Unionsrecht unzulässig. Damit verbietet sich eine Beurteilung des Klagebegehrens in der Sache.

4. In der Klage wird im Übrigen nichts vorgebracht, was Anlass zu Zweifeln an der Auslegung der maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen gibt. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art267 AEUV konnte daher unterbleiben.

III. Ergebnis

1. Die Klage ist daher zurückzuweisen.

2. Über den Einwand der Befangenheit einzelner Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes ist nicht abzusprechen (vgl zur Unzulässigkeit eines Antrages auf Ablehnung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes etwa VfSlg 20.242/2018 mwN). Im Übrigen sind die von Amts wegen wahrzunehmenden Voraussetzungen einer Ausschließung im Sinne des §12 VfGG nicht gegeben (vgl VfSlg 19.893/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Klagen, Staatshaftung, Hochschulen, Hochschullehrer, Besetzungsvorschlag, EU-Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:A22.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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