TE Vwgh Beschluss 2022/3/18 Ra 2021/01/0396

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Veröffentlicht am 18.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
22/02 Zivilprozessordnung
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ABGB
AVG §13a
AVG §9
VwGVG 2014 §17
VwRallg
ZPO
ZPO §6

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des P H in Z, vertreten durch seine Mutter D H als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch die Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in 5700 Zell am See, Salzachtal Bundesstraße 13, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 14. Oktober 2021, Zl. 405-12/81/1/13-2021, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Zell am See), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) eine „im Namen“ des minderjährigen Revisionswerbers von dessen Mutter D. H., eingebrachte Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurück (I.) und sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (II.).

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, mit der gegenständlichen Beschwerde vom 30. August 2021 habe sich die Mutter des neunjährigen Revisionswerbers in dessen Namen gegen näher bezeichnete Maßnahmen von Exekutivorganen der Polizeiinspektion Zell am See am 24. August 2021 („Schnappen“ des Revisionswerbers, Entreißen seines Mobiltelefones) gewendet.

3        Die Mutter des Revisionswerbers sei aufgrund einer Vereinbarung gemäß § 55a Abs. 2 Ehegesetz gemeinsam mit dem Kindesvater, ihrem geschiedenen Ehegatten G. H., für den Revisionswerber obsorgeberechtigt. Sie sei mit Note des Verwaltungsgerichts bei sonstiger Zurückweisung der Beschwerde aufgefordert worden, einen Nachweis für die Vertretungsbefugnis hinsichtlich des Revisionswerbers vorzulegen, woraufhin sie zunächst die Geburtsurkunde des Revisionswerbers vorgelegt habe. Nach einem neuerlichen Verbesserungsauftrag des Inhalts, dass vorbehaltlich eines entgegenlautenden pflegschaftsgerichtlichen Beschlusses für die Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde die Zustimmung des ehelichen Vaters und eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich seien, widrigenfalls die Beschwerde zurückgewiesen werde, habe sie lediglich die erste Seite der Ausfertigung des erwähnten Vergleichs gemäß § 55a Abs. 2 Ehegesetz vorgelegt.

4        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 167 ABGB könne, wenn beide Eltern mit der Obsorge eines Kindes betraut seien, jeder Elternteil für sich allein das Kind vertreten. Eine Ausnahme davon bildeten nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehörende Vermögensangelegenheiten; dazu sei nicht nur die Zustimmung des anderen obsorgebetrauten Eheteils, sondern auch die Genehmigung des Pflegschaftsgerichts erforderlich. Ohne entgegenlautende Vereinbarung bleibe gemäß § 179 Abs. 1 ABGB die gemeinsame Obsorge auch nach Auflösung der Ehe der Eltern aufrecht; eine derartige Vereinbarung liege nicht vor.

5        Bei einer Maßnahmenbeschwerde handle es sich um eine Vermögensangelegenheit im Sinne der zitierten Bestimmung, da im Falle des Obsiegens der belangten Behörde zu Lasten des Beschwerdeführers Kosten für den Aufwandersatz von regelmäßig € 887,20 anfallen würden.

6        Da die Mutter des Revisionswerbers (als Einschreiterin) die Zustimmung des Kindesvaters und die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung gemäß § 167 Abs. 3 ABGB trotz Verbesserungsauftrags „weder innerhalb eingeräumter Frist noch überhaupt“ beigebracht habe, sei die Beschwerde zurückzuweisen.

7        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision die sich als nicht zulässig erweist.

8        § 167 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, JGS Nr. 946/1811 idF BGBl. I Nr. 15/2013 (ABGB), lautet:

Gesetzliche Vertretung des Kindes

§ 167.

(1) Sind beide Eltern mit der Obsorge betraut, so ist jeder Elternteil für sich allein berechtigt und verpflichtet, das Kind zu vertreten; seine Vertretungshandlung ist selbst dann rechtswirksam, wenn der andere Elternteil mit ihr nicht einverstanden ist.

(2) Vertretungshandlungen und Einwilligungen eines Elternteils, die die Änderung des Vornamens oder des Familiennamens, den Eintritt in eine Kirche oder Religionsgesellschaft und den Austritt aus einer solchen, die Übergabe in fremde Pflege, den Erwerb einer Staatsangehörigkeit oder den Verzicht auf eine solche, die vorzeitige Lösung eines Lehr-, Ausbildungs- oder Dienstvertrags und die Anerkennung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind betreffen, bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des anderen obsorgebetrauten Elternteils. Dies gilt nicht für die Entgegennahme von Willenserklärungen und Zustellstücken.

(3) Vertretungshandlungen und Einwilligungen eines Elternteils in Vermögensangelegenheiten bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des anderen obsorgebetrauten Elternteils und der Genehmigung des Gerichtes, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Unter dieser Voraussetzung gehören dazu besonders die Veräußerung oder Belastung von Liegenschaften, die Gründung, der, auch erbrechtliche, Erwerb, die Umwandlung, Veräußerung oder Auflösung sowie die Änderung des Gegenstandes eines Unternehmens, der, auch erbrechtliche, Eintritt in eine oder die Umwandlung einer Gesellschaft oder Genossenschaft, der Verzicht auf ein Erbrecht, die unbedingte Annahme oder die Ausschlagung einer Erbschaft, die Annahme einer mit Belastungen verbundenen Schenkung oder die Ablehnung eines Schenkungsanbots, die Anlegung von Geld mit Ausnahme der in den §§ 216 und 217 geregelten Arten sowie die Erhebung einer Klage und alle verfahrensrechtlichen Verfügungen, die den Verfahrensgegenstand an sich betreffen. Dies gilt nicht für die Entgegennahme von Willenserklärungen und Zustellstücken.“

9        a) Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde (gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) durch einen Minderjährigen einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung gemäß § 167 Abs. 3 ABGB bedürfe, ist darauf hinzuweisen, dass dem Verwaltungsgerichtshof bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der Verwaltung fallenden Rechtsmaterien keine Leitfunktion zukommt; er ist zur Fällung grundlegender Entscheidungen auf dem Gebiet des Zivilrechts nicht berufen, sodass die Auslegung zivilrechtlicher Normen auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründen kann, solange den Verwaltungsgerichten dabei keine krasse Fehlentscheidung unterlaufen ist. Eine derartige Unvertretbarkeit ist in der Regel dann auszuschließen, wenn die Verwaltungsgerichte eine zivilrechtliche Vorfrage im Einklang mit der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte, insbesondere des Obersten Gerichtshofes (OGH), gelöst haben (vgl. etwa VwGH 14.11.2017, Ro 2017/05/0002; 10.11.2021, Ra 2021/01/0211; vgl. zu der dem OGH nach der Bundesverfassung in Zivil- und Strafrechtssachen zukommenden Leitfunktion bereits VfGH 13.12.2012, G 137/11).

10       Nach der Rechtsprechung des OGH hängt die Frage, ob ein Geschäft zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb im Sinne des § 167 Abs. 3 ABGB gehört oder nicht (und damit einer gerichtlichen Genehmigung bedarf), stets von den Umständen des Einzelfalls ab; maßgeblich sind dabei (ua) Üblichkeit und wirtschaftliches Risiko (vgl. OGH 28.4.2015, 5 Ob 175/14t, mwN). Ein mit der Antragstellung zwingend verbundenes Kostenersatzrisiko und die konkrete Gefahr einer finanziellen Belastung des Betroffenen können ein Indiz dafür darstellen, dass die Einbringung eines Antrags nicht mehr zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört, der durch üblicherweise im Rahmen gewöhnlicher Vermögensverwaltung anfallende Angelegenheiten definiert wird (OGH 27.6.2017, 5 Ob 85/17m). Ob eine Prozessführung im Interesse des Pflegebefohlenen liegt, ist eine Ermessensentscheidung des Pflegschaftsgerichts, die sich am konkreten Einzelfall zu orientieren hat (vgl. abermals OGH 5 Ob 175/14t, mwN).

11       Ausgehend davon zeigt die Revision - unter Bedachtnahme auf die Verpflichtung zur Leistung des Aufwandersatzes der im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt unterlegenen Partei (§ 35 VwGVG) - nicht auf, dass das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung für die Einbringung einer Maßnahmenbeschwerde im vorliegenden Fall in unvertretbarer Weise angenommen hat.

12       b) Das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe seine Manuduktionspflicht verletzt, indem es die Mutter des Revisionswerbers nicht auf das Erfordernis eines Antrags beim zuständigen Bezirksgericht zum Zweck der (aufgetragenen) Beibringung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung hingewiesen habe, geht schon deshalb ins Leere, weil die - nach § 17 VwGVG auch für Verwaltungsgerichte geltende - Manuduktionspflichtvon vornherein keine Rechtshandlungen außerhalb des betreffenden Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht umfasst (vgl. VwGH 8.2.2021, Ra 2020/22/0251). Soweit die Revision darüber hinaus weitere Verletzungen der Manuduktionspflicht behauptet, zeigt sie schon deren Relevanz nicht auf.

13       c) Mit der gegenständlichen, am 2. Dezember 2021 eingebrachten Revision wurde der Beschluss des Bezirksgerichts Z vom selben Tag vorgelegt, mit dem sowohl die Erhebung der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde (nachträglich) als auch die Erhebung der vorliegenden außerordentlichen Revision durch den minderjährigen Revisionswerber pflegschaftsgerichtlich genehmigt wurden.

14       Die Revision bringt in diesem Zusammenhang schließlich zu ihrer Zulässigkeit vor, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob [nachträglich] eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung [zur Einbringung der Maßnahmenbeschwerde] auch während des Revisionsverfahrens vorgelegt werde könne; dies sei nach dem in § 9 AVG enthaltenen Verweis auf die „Vorschriften des bürgerlichen Rechts“ und sohin nach „§ 4“ [offenbar gemeint: § 6] ZPO zulässig.

15       Diesem Vorbringen ist Folgendes zu entgegnen: Nach § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 25.2.2019, Ra 2017/19/0361, mwN).

16       Zu den nach § 9 AVG subsidiär anwendbaren „Vorschriften des bürgerlichen Rechts“ zählen - neben dem ABGB - etwa auch das Unternehmensrecht (vgl. zum „Handelsrecht“ VwGH 25.6.1992, 91/09/0221, mwN) und das Gesellschaftsrecht (vgl. VwGH 25.2.2002, 2002/17/0021), nicht aber die - dem öffentlichen Recht zuzurechnenden - Bestimmungen der ZPO (vgl. Zierl, Die Auswirkungen einer Entmündigung auf das Verwaltungsrecht, ÖJZ 1982, S. 540; Hengstschläger/Leeb, AVG [2014] § 9 Rz 4).

17       Aus § 9 AVG kann sohin für den Rechtsstandpunkt des Revisionswerbers nichts gewonnen werden; die nachträglich erwirkte pflegschaftsgerichtliche Genehmigung vermag seine (rückwirkende) Legitimation zur Erhebung der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde nicht zu begründen.

18       Soweit der Revisionswerber erstmals in der Zulässigkeitsbegründung auf - der Revision beigelegte - Dokumente (konkret: den Beschluss über die rückwirkende pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde; die Zustimmung des Kindesvaters, G. H., zur Erhebung der Maßnahmenbeschwerde) verweist, steht dem im Übrigen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen (vgl. VwGH 15.9.2021, Ra 2021/01/0271, mwN).

Ergebnis:

19       Die Mutter des Revisionswerbers, D. H., war nach dem Obgesagten mangels bestehender Vertretungsbefugnis nicht befugt, die Maßnahmenbeschwerde für den Revisionswerber einzubringen. Die Maßnahmenbeschwerde ist daher der ohne Berechtigung einschreitenden D.H. zuzurechnen (vgl. zur Zurechnung an einen ohne Berechtigung einschreitenden Vertreter etwa VwGH 13.1.2022, Ro 2021/01/0018). Aus diesem Grund richtet sich der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts zutreffend an die Mutter des Revisionswerbers.

20       Der Revisionswerber selbst konnte durch den angefochtenen Beschluss daher in keinen Rechten verletzt sein, weshalb die Revision schon deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.

Wien, am 18. März 2022

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1 Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010396.L00

Im RIS seit

05.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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