Entscheidungsdatum
29.11.2021Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG 1991 §49 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Dr. Lehner über die Beschwerde des A. B. gegen den Zurückweisungsbescheid der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 8.10.2021, Zl. VStV/.../2021, mit welchem der Einspruch vom 19.8.2021 gegen die Strafverfügung vom 19.7.2021 gemäß § 49 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), als verspätet zurückgewiesen wurde,
zu Recht e r k a n n t:
I. Gemäß § 50 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass der Einspruch vom 18.8.2021 als verspätet zurückgewiesen wird.
II. Gegen diesen Beschluss ist die ordentliche Revision – soweit die Revision nicht bereits nach § 25a Abs. 4 VwGG ausgeschlossen ist – nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Gang des Verfahrens, angefochtener Bescheid und Beschwerde
Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Wien (im Folgenden: die belangte Behörde) vom 19.7.2021, GZ: VStV/.../2021, wurde der Beschwerdeführer wegen einer Übertretung des § 9 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) zur Leistung einer Geldstrafe in Höhe von EUR 100,— (Ersatzfreiheitsstrafe: ein Tag und 22 Stunden) verpflichtet.
Gegen diese Strafverfügung richtet sich der am 18.8.2021 per E-Mail bei der belangten Behörde eingebrachte Einspruch des Beschwerdeführers, in welchem dieser um eine Herabsetzung bzw. einen Erlass der Strafe ersucht.
Mit Schreiben vom 19.8.2021 erging ein Verspätungsvorhalt an den Beschwerdeführer. Dazu wurde keine Stellungnahme abgegeben.
Mit Bescheid vom 8.10.2021, Zl. VStV/.../2021, wies die belangte Behörde den Einspruch als verspätet zurück. Begründend wird ausgeführt, dass die Strafverfügung am 21.7.2021 an den Zustelldienst übergeben worden sei und die Strafverfügung gemäß § 26 Zustellgesetz (ZustG) am dritten Werktag nach der Übergabe, somit am 26.7.2021, als zugestellt gelte. Die Einspruchsfrist habe daher am 26.7.2021 begonnen und am 10.8.2021 geendet, weshalb der Einspruch vom „19.8.2021“ verspätet sei.
In der Folge brachte der Beschwerdeführer ein Schreiben bei der belangten Behörde ein, in welcher er zum Ausdruck bringt, dass er „Beschwerde gegen die Strafverfügung vom 19.7.2021“ erheben möchte. Er sei „offensichtlich wegen der ‘Corona-Impfung’ gesundheitlich ramponiert“ gewesen und habe daher den Abgabetermin übersehen. Er müsse im 72. Lebensjahr noch immer arbeiten, weil er nur eine Pension in der Höhe von EUR 700,— beziehe, und ersuche daher um Ermahnung bzw. Reduzierung der Strafhöhe.
Die belangte Behörde wertete dieses Schreiben als Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid, traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt dem bezughabenden Akt des Verwaltungsverfahrens vor.
II. Sachverhalt
Die Strafverfügung vom 19.7.2021 enthielt eine vollständige und richtige Rechtsmittelbelehrung.
Für diese Strafverfügung wurde eine Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet und diese am 21.7.2021 an den Zustelldienst übergeben.
Der Einspruch des Beschwerdeführers wurde am 18.8.2021 per E-Mail eingebracht.
III. Beweiswürdigung
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den verwaltungsbehördlichen Akt und Würdigung des Beschwerdevorbringens.
Der Inhalt der Strafverfügung ergibt sich aus einer im Akt befindlichen Kopie (AS 12ff). Die Veranlassung einer Zustellung ohne Zustellnachweis und das Datum der Übergabe an den Zustelldienst ergibt sich aus der im Akt befindlichen Zustellübersicht (AS 16).
Das Datum der Einbringung des Einspruchs ergibt sich aus einem Ausdruck des betreffenden E-Mails (AS 17).
IV. Rechtliche Beurteilung
1. Zum Beschwerdegegenstand
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Zurückweisungsbescheid vom 8.10.2021.
Bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens kommt es nach der Rechtssprechung nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter bzw. auf „zufällige Verbalformen“ (VwGH 15.6.2004, 2003/18/0321), sondern auf den Inhalt der Eingabe an (VwGH 18.9.2002, 2000/07/0086; 6.11.2006, 2006/09/0094; 19.9.2013, 2011/01/0146; VfSlg 17.082/2003; vgl auch VwGH 11.11.2004, 2004/16/0043), also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters (VwGH 22.3.2000, 99/04/0203; 30.1.2003, 99/21/0263; 23.11.2011, 2011/12/0005; vgl auch § 57 Rz 30 ff; Aichlreiter, wbl 1997, 238). Nach stRsp des VwGH sind Parteienerklärungen im Verfahren ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen (vgl auch VwGH 6.11.2006, 2006/09/0094; 5.9.2008, 2005/12/0068; 3.10.2013, 2012/06/0185; ferner Rz 37). Entscheidend ist, wie die Erklärung (vgl VwGH 28.7.2000, 94/09/0308; 28.1.2003, 2001/14/0229; 30.6.2004, 2004/04/0014) unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss (VwGH 24.1.1994, 93/10/0192; 6.11.2001, 97/18/0160; 19.1.2011, 2009/08/0058; vgl auch VfSlg 17.082/2003) (siehe zu all dem Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 Rz 38 [Stand 1.1.2014, rdb.at]).
Es darf im Zweifel nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat (VwGH 2.5.2001, 96/12/0062; 4.7.2008, 2008/07/0060; 19.1.2011, 2009/08/0058) oder einen Antrag an eine unzuständige Behörde richtet (VwGH 29.3.2001, 2000/20/0214).
Der Wortlaut der Beschwerde scheint zwar prima facie darauf hinzudeuten, dass es sich um eine Beschwerde gegen die Strafverfügung vom 19.7.2021 handelt, die weiteren inhaltlichen Ausführungen der Beschwerde beziehen sich aber eindeutig auf die Begründung des Zurückweisungsbescheides und nicht auf die Strafverfügung. Zudem würde eine Interpretation als Beschwerde gegen die Strafverfügung dazu führen, dass die Beschwerde von vornherein unzulässig wäre, da gegen eine solche nur ein Einspruch gemäß § 49 VStG erhoben werden kann (vgl. dazu etwa Raschauer/Wessely (Hrsg), Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz2 (2016) zu § 49 VStG Rz 1). Auch eine Interpretation als Einspruch gegen die Strafverfügung würde zu deren Unzulässigkeit führen, da das Einspruchsrecht zum einen bereits durch das E-Mail vom 18.8.2021 konsumiert wurde und der weitere Einspruch zum anderen auch offensichtlich verspätet wäre.
2. Zur Zurückweisung des Einspruchs wegen Verspätung
Gemäß § 49 Abs. 1 VStG kann der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben. Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist gemäß § 49 Abs. 2 VStG das ordentliche Verfahren einzuleiten.
Wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument gemäß § 26 Abs. 1 ZustG zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2 ZustG) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird. Gemäß § 26 Abs. 2 ZustG gilt die Zustellung als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen.
Im vorliegenden Fall wurde die Strafverfügung am 21.7.2021 an den Zustelldienst übergeben. Sie gilt damit gemäß § 26 Abs. 2 ZustG am 26.7.2021 als zugestellt. Der Zeitpunkt der Zustellung wurde vom Beschwerdeführer nie bestritten. Es ergaben sich auch keine anderen Anhaltspunkte die Zweifel an der Tatsache oder dem Zeitpunkt der Zustellung ergeben hätten.
Die zweiwöchige Einspruchsfrist endete daher am 9.8.2021. Der Einspruch vom 18.8.2021 war somit verspätet und die Zurückweisung des Einspruchs durch die belangte Behörde erfolgte zu Recht. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.
Wenngleich die Behörde im angefochtenen Zurückweisungsbescheid (wie auch im davor ergangenen Verspätungsvorhalt) fälschlich den 10.8.2021 als Ende der Einspruchsfrist und den 19.8.2021 als Datum der Einbringung des Einspruchs angeführt hat, ändert dies nichts daran, dass dem Beschwerdeführer der 26.7.2021 als angenommenes Zustelldatum und eine Verspätung vorgehalten wurden und er sich dazu nicht geäußert hat. Der Beschwerdeführer erstattet in seiner Beschwerde vielmehr gar kein Vorbringen, das auf eine Rechtswidrigkeit des Bescheides hindeuten würde.
Bei der Einspruchsfrist handelt es sich um eine gesetzliche Frist, die nicht erstreckbar ist. Für die Zurückweisung des Einspruchs als verspätet ist allein die Versäumung der Einspruchsfrist maßgeblich und nicht, ob auch ein Verschulden der Partei an der Verspätung vorliegt (vgl. VwGH 11.07.1988, 88/10/0113). Dem Verwaltungsgericht Wien ist es daher nicht möglich, die Rechtzeitigkeit des Einspruchs anhand von Billigkeitserwägungen abseits des gesetzlichen Fristenlaufs zu beurteilen.
Angemerkt wird, dass als Rechtsbehelf gegen die Versäumung der Einspruchsfrist allenfalls ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht käme. Über einen solchen Antrag hätte allenfalls die für einen Einspruch gegen die Strafverfügung zuständige belangte Behörde abzusprechen, wobei zu beachten wäre, dass ein solcher Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 24 VStG iVm § 71 Abs. 2 AVG nur dann zulässig wäre, wenn dieser binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird. Im vorliegenden Fall wäre ein (krankheitsbedingtes) Hindernis jedenfalls mit der tatsächlichen Einbringung des Einspruchs am 19.8.2021 weggefallen, sodass die Frist zur Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrages spätestens zu diesem Zeitpunkt begonnen hätte.
3. Zur Spruchkorrektur:
Da sich aus dem vorliegenden Akt unzweifelhaft ergibt, dass der Einspruch des Beschwerdeführers am 18.8.2021 eingebracht wurde und es sich bei der Anführung des „19.8.2021“ im Bescheid um eine offenbar auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit handelte, war der Spruch dahingehend zu korrigieren.
V. Gemäß § 44 Abs. 3 Z 4 VwGVG konnte von der mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da sich die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der – unvertretene – Beschwerdeführer wurde in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheids über das Erfordernis der Beantragung einer mündlichen Verhandlung im Beschwerdeschriftsatz belehrt.
VI. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 B-VG) gemäß § 25a Abs. 4 VwGG nicht zulässig, da wegen Übertretung des § 9 Abs. 1 StVO bloß eine Geldstrafe von bis zu EUR 726,— und keine primäre Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und in der zugrunde liegenden Strafverfügung eine Geldstrafe von EUR 100,— verhängt wurde. Die Revision ist auch dann nach § 25a Abs. 4 VwGG absolut unzulässig, wenn es sich bei der bekämpften Entscheidung des Verwaltungsgerichtes um eine rein verfahrensrechtliche Entscheidungen in einer Verwaltungsstrafsache, in der eine Geldstrafe von bis zu € 750,— verhängt werden durfte und eine Geldstrafe bis zu € 400,— verhängt wurde, handelt. Die verfahrensgegenständliche Zurückweisung des Einspruchs wegen Verspätung stellt eine solche rein verfahrensrechtliche Entscheidung in einer Verwaltungsstrafsache dar (vgl. VwGH 1.12.2015, Ra 2015/02/0223 mwN).
Schlagworte
Beschwerdegegenstand; Inhalt der Eingabe; objektiver Erklärungswert; Zustellung ohne Zustellnachweis; EinspruchsfirstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.031.022.16158.2021Zuletzt aktualisiert am
04.05.2022