Entscheidungsdatum
10.03.2022Norm
StVO 1960 §4 Abs1 litaText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Marzi als Einzelrichter über die Beschwerde des A, vertreten durch den Erwachsenenvertreter B, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 18. Februar 2021, Zl. ***, betreffend Bestrafungen nach der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis wie folgt abgeändert:
a. Die verletzte Verwaltungsvorschrift zu Spruchpunkt 1. lautet „§ 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 (Stammfassung)“.
b. Die verletzte Verwaltungsvorschrift zu Spruchpunkt 2. lautet „§ 4 Abs. 5 BGBl. Nr. 159/1960 in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012“.
c. Die von der belangten Behörde festgesetzten Geldstrafen werden zu Spruchpunkt 1. auf den Betrag von 85,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 40 Stunden) und zu Spruchpunkt 2. auf den Betrag von 40 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 20 Stunden) herabgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
2. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.
Zahlungshinweis:
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher 145,-- Euro und ist gemäß § 52 Abs. 6 VwGVG iVm § 54b Abs. 1 VStG binnen zwei Wochen einzuzahlen.
Entscheidungsgründe:
1. Feststellungen:
1.1. Der am *** geborene Beschwerdeführer lenkte am 13. November 2020, gegen 10:45 Uhr, den auf ihn zugelassenen Personenkraftwagen mit dem Kennzeichen ***, einen BMW X1, im Gemeindegebiet ***, *** beim ***.
Dabei fuhr er mit seinem Kfz an die linke Seite eines parkenden Kfz mit dem Kennzeichen ***. Dabei entstanden Beschädigungen dieses Kfz im Bereich des linken Vorderreifens bzw. der Fahrertür (siehe Aktenseite 12).
Obwohl ein Passant dem Beschwerdeführer nachrief, setze dieser seine Fahrt ohne nachzuhalten fort. Der Beschwerdeführer und der Geschädigte wiesen einander Namen und Anschrift nicht nach; der Beschwerdeführer verständigte auch nicht die nächste Polizeidienststelle.
1.2. Der Beschwerdeführer war im Tatzeitpunkt nicht unfähig, das Unerlaubte seiner Handlung zum Tatzeitpunkt am 13.11.2020 10:45 Uhr einzusehen oder sich entsprechend dieser Einsicht gemäß zu verhalten. Der Verkehrsunfall stellte bei ihm jedoch eine psychisch belastende Situation dar, die ihn überforderte und mit der er nicht zurechtkam. Seine Fähigkeit das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln war daher aufgrund seiner psychischen Erkrankung zum Tatzeitpunkt hochgradig vermindert.
1.3. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer Folgendes zur Last gelegt:
„Sie haben folgende Verwaltungsübertretungen begangen:
Zeit: 13.11.2020, 10:45 Uhr
Ort: Gemeindegebiet ***, ***, beim ***
Fahrzeug: ***, Personenkraftwagen
Tatbeschreibung:
1. Sie sind als Lenker/in mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten.
2. Nicht die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall mit Sachschaden ohne unnötigen Aufschub verständigt, obwohl das Verhalten am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand und ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift nicht erfolgte.
Sie sind mit ihrem PKW gegen ein abgestelltes KFZ – *** – gestoßen, wobei dieses beschädigt wurde.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
zu 1. § 4 Abs. 1 lit. a StVO
zu 2. § 4 Abs. 5, § 99 Abs.3 lit. b StVO 1960“
Die belangte Behörde verhängte zu beiden Spruchpunkten Geldstrafen in der Höhe von 100 Euro (Ersatzfreiheitsstrafen von 53 bzw. 46 Stunden) und schrieb überdies Kosten in der Höhe von insgesamt 20 Euro zur Bezahlung vor.
Bei der Strafbemessung ging die belangte Behörde von keinen Milderungs- oder Erschwerungsgründen, einem Einkommen von 2.000 Euro sowie keinem Vermögen und keinen Sorgepflichten aus.
1.4. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher zwar nicht die Tatbegehung, aber mit näherer Begründung die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers bestritten wird.
1.5. Der Beschwerdeführer wies im Tatzeitpunkt mehrere – nicht einschlägige und bis dato nicht getilgte – verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen auf. Er hat (laut der unwidersprochen gebliebenen Annahme der belangten Behörde) ein monatliches Einkommen von 2.000 Euro netto.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen gründen auf dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsstrafakt (insbesondere der Stellungnahme der Amtsärztin C vom 01. Februar 2021), der Beschwerde samt Beilagen sowie der weiteren Stellungnahme C vom 28. Oktober 2021 und dem Gutachten der D, Amtsärztin und Fachärztin für Psychiatrie vom 31. Jänner 2022.
2.2. Allen ärztlichen Stellungnahmen lag u.a. das seitens des Beschwerdeführers (mehrfach) vorgelegte Gutachten der E vom 30. September 2020 zugrunde, in welchem diese zur Einschätzung gelangte, dass der Beschwerdeführer an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet; dieses Gutachten führte zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters.
Alle ärztlichen Stellungnahmen kamen zum nachvollziehbaren Ergebnis, dass der Beschwerdeführer trotz der von E beschriebenen Persönlichkeitsstörung in der Lage war, im Tatzeitpunkt das Unerlaubte seiner Handlung einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln.
Im Gutachten der D vom 31. Jänner 2022 wurde jedoch ausgeführt, dass der Beschwerdeführer durch seine psychische Erkrankung beeinflusst war und der Verkehrsunfall eine psychisch belastende Situation darstellte, die ihn überforderte und mit der er nicht zurechtkam. Die Fähigkeit das Unerlaubte seiner Handlung einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln sei daher aufgrund seiner psychischen Erkrankung zum Tatzeitpunkt hochgradig vermindert gewesen.
Das Gutachten der D wurde sowohl der belangten Behörde als auch dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Vertreters, zur Kenntnisnahme mit der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung übermittelt (Zustellung am 02. bzw. 07. Februar 2022). Stellungnahmen dazu sind nicht eingelangt.
2.3. Das Landesverwaltungsgericht geht daher von der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt aus, wobei die Fähigkeit das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln aufgrund seiner psychischen Erkrankung hochgradig vermindert war.
3. Rechtliche Erwägungen:
3.1.1. Zur Schuldfähigkeit:
Gemäß Abs. 1 des mit „Zurechnungsfähigkeit“ überschriebenen § 3 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.
Nach Abs. 2 leg.cit. ist es als mildernder Umstand bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen, wenn die Fähigkeit zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe in hohem Grad vermindert war. Das gilt aber nicht für Bewußtseinsstörungen, die auf selbst verschuldeter Trunkenheit beruhen.
Die Zurechnungsfähigkeit iSd § 3 Abs. 1 VStG bildet eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Die Frage, ob der Täter zur Tatzeit zurechnungsunfähig iSd § 3 Abs. 1 VStG war, ist eine Rechtsfrage, die bei Vorliegen von Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten – in der Regel aus dem Fachgebiet der Psychiatrie – von Amts wegen zu klären ist (zB VwGH vom 13. April 2018, Ra 2017/02/0040).
Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer das Unerlaubte seiner Tat zwar einsehen bzw. dieser Einsicht gemäß handeln konnte, dass diese Fähigkeit jedoch hochgradig herabgesetzt war.
Zusammenfassend ist somit von der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen; seine Persönlichkeitsstörung ist jedoch als mildernder Umstand zu werten (dazu unten).
3.1.2. Zur Bestrafung dem Grunde nach:
Gemäß § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 haben alle Personen deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.
Gemäß § 4 Abs. 5 leg.cit. haben die im Abs. 1 genannten Personen, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle zu verständigen. Eine solche darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 und des § 4 Abs. 5 leg. cit. ist als objektives Tatbildmerkmal der Eintritt wenigstens eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermochte (VwGH vom 05. Mai 2017, Ra 2016/02/0036).
Der Beschwerdeführer hat zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass ihm der Unfall mit Sachschaden nicht zu Bewusstsein gekommen ist; angesichts dessen, dass er an ein parkendes Kfz angefahren ist, muss auch davon ausgegangen werden, dass ihm dies bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätte kommen müssen.
Übertretungen des § 4 Abs. 1 sowie Abs. 5 StVO 1960 stellen „Ungehorsamsdelikte“ dar (vgl. VwGH vom 26. November 1997, 95/03/0075, bzw. vom 25. April 1990, 89/03/0306). Im Zusammenhang mit Ungehorsamsdelikten besteht gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG von vornherein die Vermutung des Verschuldens (in Form fahrlässigen Verhaltens); es ist Sache des Beschuldigten, glaubhaft zu machen, dass ihn an der Begehung der Verwaltungsübertretung kein Verschulden traf und initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht (vgl. VwGH vom 11. Jänner 2018, Ra 2017/11/0152). Wie sich aus den ärztlichen Gutachten ergibt war der Beschwerdeführer grds schuldfähig, weshalb auch von einer fahrlässigen Tatbegehung auszugehen ist.
Die Beschwerde ist daher dem Grunde nach abzuweisen, wobei die verletzte Verwaltungsvorschrift jeweils spruchgemäß zu korrigieren war (vgl. zB VwGH vom 18. September 2019, Ra 2019/04/0086, sowie vom 13. Dezember 2019, Ra 2019/02/0184, bzw. vom 06. August 2020, Ra 2020/09/0013).
3.1.3. Zur Strafhöhe:
3.1.3.1. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Strafbemessung, die vom Gedanken getragen ist, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften durch Verhängung einschneidender Strafen zu erzwingen, nicht als rechtswidrig zu erkennen (VwGH vom 25. Februar 2002, 2001/04/0203). Die Verhängung einer Geldstrafe ist selbst dann gerechtfertigt, wenn der Bestrafte kein Einkommen bezieht (VwGH vom 1. Oktober 2014, Ra 2014/09/0022).
Vor dem Hintergrund der Strafrahmen (zu Spruchpunkt 1.: 36 bis 2.180 Euro gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO 1960; zu Spruchpunkt 2.: bis zu 726 Euro gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960), sowie der als Milderungsgrund heranzuziehenden Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers (vgl. § 3 Abs. 2 VStG; wurde von der belangten Behörde nicht berücksichtigt), keinen Erschwerungsgründen, seinem monatlichen Nettoeinkommen von 2.000 Euro, sind die von der belangten Behörde verhängten Geldstrafen (und die Ersatzfreiheitsstrafen) spruchgemäß auf ein äußerst geringes Ausmaß von jeweils etwa 5% der jeweiligen Höchststrafe zu verringern.
3.1.3.2. Die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG setzt voraus, dass die dort genannten Umstände kumulativ vorliegen. Um daher eine Einstellung des Verfahrens nach dieser Vorschrift oder – wie vom Beschwerdeführer beantragt – eine Ermahnung im Sinne des § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG vornehmen zu können, müssen erstens die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, zweitens die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und drittens das Verschulden des Beschuldigten gering sein (zB VwGH vom 25. April 2019, Ra 2018/09/0209).
Es kann nicht davon gesprochen werden, dass die Bedeutung der geschützten Rechtsgüter gering sind, was auch in der Höhe der Strafrahmen (immerhin bis 726 bzw. sogar bis 2.180 Euro) zum Ausdruck kommt (vgl. zB VwGH vom 19. Juni 2018, Ra 2017/02/0102); die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG kommt daher nicht in Betracht.
3.1.3.3. Da der Beschwerde teilweise Folge gegeben wurde, waren gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keine Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
Von einer Verhandlung wurde gemäß § 44 Abs. 3 Z 3 VwGVG abgesehen, da im angefochtenen Bescheid eine 500 Euro nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat.
3.2. Die Revision ist nicht zulässig, da sich die Entscheidung auf die zitierte und einheitliche Rechtsprechung bzw. die klare und eindeutige Rechtslage stützt (zur Unzulässigkeit der Revision bei klarer Rechtslage zB VwGH vom 15. Mai 2019, Ro 2019/01/0006). Nicht revisibel sind im Regelfall auch die hier sonst vorliegenden Fragen der Beweiswürdigung (zB VwGH vom 14. März 2019, Ra 2019/18/0068, sowie vom 26. April 2021, Ra 2018/05/0285).
Schlagworte
Verkehrsrecht; Straßenverkehr; Verwaltungsstrafe; Zurechnungsfähigkeit; Persönlichkeitsstörung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.S.390.001.2021Zuletzt aktualisiert am
04.05.2022