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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan wegen mangelhafter Auseinandersetzung mit dem vorgebrachten Fluchtvorbringen zur Tätigkeit für die amerikanischen StreitkräfteSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist in Kabul geboren und aufgewachsen.
2. Am 16. Juli 2015 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und setzte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2020 mit Erkenntnis vom 4. Jänner 2021 als unbegründet ab.
3. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz damit, auf Grund seiner Tätigkeiten als Dolmetscher und als Projektmanager für die amerikanischen Streitkräfte von den Taliban bedroht worden zu sein. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, von Ende 2010 bis Juli 2012 als Dolmetscher in Uruzgan und Kandarhar für die internationalen Streitkräfte und von Juli 2012 bis März 2015 als Projektmanager beim Projekt "Reparatur von Toiletten im Gefängnis in Air Base/Bagram" gearbeitet zu haben und auf Grund dieser Tätigkeiten von den Taliban bedroht worden zu sein. Das erste Mal habe das Camp, in dem er als Dolmetscher gearbeitet habe, einen Anruf und einen Drohbrief erhalten. Dieser Drohbrief sei an alle Dolmetscher im Camp gerichtet gewesen. Der zweite Drohbrief – in dem er und sein Bruder namentlich genannt worden seien – sei in der Nacht in den Hof des Hauses seiner Eltern in Kabul geworfen worden. Er sei zu dieser Zeit in Bagram gewesen. Seine Mutter habe ihn telefonisch von dem Brief informiert. Die Taliban hätten ihn und seinen Bruder als Feinde angesehen, weil sie mit den Amerikanern zusammengearbeitet hätten.
4. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Dolmetscher hinsichtlich des Zeitraumes von Dezember 2011 bis Juni 2012 und die Tätigkeit als Projektmanager auf der Air Base in Bagram hinsichtlich des Zeitraumes von Juni 2012 bis März 2015 als glaubwürdig, hält aber die vorgebrachte Bedrohungssituation für unglaubwürdig und verneint daher eine asylrelevante Verfolgung. In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum fluchtauslösenden Ereignis, er werde durch einen Drohbrief von den Taliban verfolgt, an jedweder Stringenz und Plausibilität fehle. Es sei davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer einer konstruierten Geschichte bediene, die in keiner Weise die Mindestanforderungen eines glaubhaften Fluchtvorbringens erfülle. So sei es etwa nicht nachvollziehbar, weswegen der Beschwerdeführer auf Grund eines Briefes, den er nie gesehen habe, sein Leben in Afghanistan aufgebe, wenn er einfach auch die Arbeit niederlegen hätte können. Somit hätte er dem Druck der Taliban nachgegeben und wäre nicht mehr mit dem Tod bedroht worden. Auch sei der Beschwerdeführer nur ein halbes Jahr lang Dolmetscher gewesen. Zu dem Zeitpunkt, als die Taliban einen Brief an seine Wohnadresse gerichtet hätten, habe er zwar auch als Projektmanager für die US-Streitkräfte gearbeitet, aber jedenfalls nicht mehr als Dolmetscher. Nachdem er nur ein halbes Jahr lang als Dolmetscher gearbeitet habe, habe er nicht so eine besondere Stellung einnehmen können, dass die Taliban ihm noch nach drei Jahren einen Drohbrief zukommen lassen.
5. Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen und auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses verwiesen. Mit Schreiben vom 16. Februar 2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Verfassungsgerichtshof die Verständigung der Behörde vom 4. Jänner 2022 zur Kenntnis, aus der sich ergibt, dass gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen vorsätzlich begangener Straftaten (§206 Abs1 StGB, §207 StGB, §83 Abs1 StGB) erhoben worden ist.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer von Dezember 2011 bis Juni 2012 als Dolmetscher für die US-Streitkräfte und von Juni 2012 bis März 2015 als Projektmanager auf der Air Base in Bagram tätig gewesen sei. Eine Bedrohung auf Grund dieser Tätigkeiten durch die Taliban hält es für unglaubwürdig. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht dazu insbesondere aus, dass der Beschwerdeführer der Bedrohung entgehen hätte können, indem er einfach die Arbeit niedergelegt hätte. Zudem habe er nur ein halbes Jahr lang als Dolmetscher, zum Zeitpunkt der Übersendung des Drohbriefes aber als Projektmanager für die US-Streitkräfte gearbeitet.
2.2. Zur Beurteilung, ob dem Beschwerdeführer angesichts der Sicherheitslage vor Ort und seiner persönlichen Situation eine Rückkehr nach Kabul möglich und zumutbar ist, zieht das Bundesverwaltungsgericht zwar die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 und die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO vom Juni 2019 heran. Es übersieht jedoch, dass beide herangezogenen Entscheidungshilfen für Personen, die mit internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen, insbesondere Dolmetscher, von einem erhöhten Risikoprofil ausgehen und zudem festhalten, dass auch ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen würden.
So führen die UNHCR-Richtlinien zur Situation von "Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen" Folgendes aus (Seite 49, s. auch Seite 55):
"Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiteten, bedroht und angegriffen.[…] Aus Berichten geht auch hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gegen ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung vorgehen.[…]"
Auch aus der EASO Country Guidance vom Juni 2019 geht hervor, dass das Personal ausländischer Truppen, insbesondere Dolmetscher und Sicherheitskräfte, von den Taliban als vorrangiges Ziel betrachtet werde. Bei Dolmetschern und Sicherheitskräften sei von einer begründeten Furcht vor Verfolgung auszugehen, bei anderen Personen, die unter dieses Profil fallen, sei dies im Einzelfall unter Berücksichtigung bestimmter risikorelevanter Umstände zu beurteilen (Seite 51). Entsprechende Passagen finden sich auch in der – im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes bereits vorliegenden – aktuelleren Fassung der EASO Country Guidance vom Dezember 2020 (Seite 60 f.).
2.3. Die Annahmen des Bundesverwaltungsgerichtes, der Beschwerdeführer könne angesichts dessen, dass er im März 2015 nicht mehr als Dolmetscher, sondern als Projektmanager auf der Air Base Bagram gearbeitet habe, keinen Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt gewesen sein, und er hätte einer allfälligen Bedrohung durch die Einstellung seiner Tätigkeiten entgehen können, finden in diesen Länderberichten keine Deckung. Indem das Bundesverwaltungsgericht somit die als glaubhaft festgestellten Tätigkeiten des Beschwerdeführers als Dolmetscher und als Projektmanager für die US-Streitkräfte nicht mit den von ihm herangezogenen Länderberichten in Beziehung gesetzt hat, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl VfGH 25.2.2020, E315/2019 mwN; 22.9.2021, E1357/2021; 15.12.2021, E3796/2020).
2.4. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht gegebenenfalls auch §6 bzw §8 Abs3a iVm §9 Abs2 AsylG 2005 zu beachten haben.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E232.2021Zuletzt aktualisiert am
05.05.2022