TE Vwgh Beschluss 2022/4/12 Ra 2021/19/0464

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.04.2022
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des A A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2021, I406 2187190-1/48E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 28. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe den Irak aufgrund seiner sunnitischen Konfession verlassen müssen und werde von schiitischen Milizen verfolgt, weil sein Vater und sein Onkel für das Regime Saddam Husseins gekämpft hätten.

2        Mit Bescheid vom 12. Jänner 2018 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst gegen die vom BVwG im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgenommene Beweiswürdigung und bringt vor, es sei unerklärlich, wie das BVwG angesichts der Traumatisierung des Revisionswerbers zum Schluss seiner Unglaubwürdigkeit habe kommen können. Überdies habe der als Zeuge einvernommene Onkel des Revisionswerbers die Verfolgung der Familie bzw. des Stammes „Al-Gburi“ bestätigt. Die Annahme des BVwG, dass selbst bei Wahrunterstellung der Bedrohung nach dem Sturz des Regimes Saddam Husseins eine solche heute nicht mehr vorliege, widerspreche außerdem den Länderinformationen.

8        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 8.11.2021, Ra 2021/19/0390, mwN).

9        Das BVwG setzte sich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinander und stellte fest, es hätten sich im Verfahren keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung der Familie des Revisionswerbers durch die schiitische Badr-Miliz aufgrund der Tätigkeit seines Vaters und seines Onkels als Militäroffiziere für die irakische Armee unter dem Regime Saddam Husseins oder aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Konfessionsgruppe ergeben. Dem Revisionswerber drohe im Irak keine asylrelevante Verfolgung. Dabei stützte sich das BVwG tragend auf Widersprüche und Steigerungen in den Angaben des Revisionswerbers - insbesondere im Zusammenhang mit der behaupteten Ermordung diverser Familienangehöriger und der behaupteten Entführungen des Revisionswerbers - sowie die vagen Aussagen des vom Revisionswerber beantragten Zeugen in der mündlichen Verhandlung. Das BVwG setzte sich auch mit den vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen, darunter der Kopie eines Polizeiaktes, auseinander und hielt fest, dass - selbst bei Unterstellung der Echtheit - keine Angehörigeneigenschaft der getöteten Person zum Revisionswerber erkennbar sei.

10       Das BVwG stellte auf Grund der Angaben des Revisionswerbers vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung fest, dass der Revisionswerber gesund sei. Der Revision gelingt es mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Verweis auf eine Traumatisierung des Revisionswerbers nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung des BVwG an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet.

11       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten des Weiteren vor, aus den Länderberichten ergebe sich, dass dem Revisionswerber als Sunnit bei einer Rückkehr in den Irak die Gefahr drohe, „ent-sunnifiziert“ und damit in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden. Das Gericht hätte die entsprechenden Länderberichte ignoriert. Dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht offen.

12       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 8.11.2021, Ra 2021/19/0226, mwN).

13       Das BVwG setzte sich mit den einschlägigen Länderinformationen auseinander und traf konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat und insbesondere eine innerstaatliche Fluchtalternative für arabische Sunniten im Irak betreffende Feststellungen. Das BVwG führte aus, das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für sunnitische Araber sei in den Länderberichten dokumentiert. Der Revisionswerber sei jung, gesund und erwerbsfähig, zudem ledig und kinderlos. Es stehe ihm offen, sich in einem mehrheitlich sunnitisch geprägten Stadtteil von Bagdad oder in der Autonomen Region Kurdistan, in welche eine Einreise über den Flughafen Erbil auch ohne Bürgschaft möglich sei niederzulassen.

14       Die Revision zeigt nicht auf, dass die Schlussfolgerung des BVwG, der Revisionswerber gehöre keiner Bevölkerungsgruppe an, die im Irak einer besonderen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt sei, fallbezogen unvertretbar wäre. Auf die Frage der innerstaatlichen Fluchtalternative kommt es daher nicht mehr an.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 12. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190464.L00

Im RIS seit

04.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten