TE Vwgh Erkenntnis 1996/5/30 95/19/0017

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Veröffentlicht am 30.05.1996
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
27/04 Sonstige Rechtspflege;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

SVDolmG 1975 §10 Abs1 Z3;
SVDolmG 1975 §4 Abs2 impl;
SVDolmG 1975 §6 Abs3;
VStG §5 Abs1;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §48 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des Dipl.Ing. G in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 20. Oktober 1994, Zl. Jv 17.010-5b/93, betreffend Entziehung der Eigenschaft als allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Aus Anlaß einer Mitteilung des Leiters der Abteilung nn Cg des Handelsgerichtes Wien vom 26. März 1993, wonach der Beschwerdeführer die Frist zur Gutachtenserstattung im Akt nn Cg nn2/91 überschritten und den Akt trotz Urgenzen nicht zurückgestellt habe, sowie der Übermittlung des Beschlusses des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27. April 1993, woraus sich ergebe, daß sich der dg. Akt nn Cg nn3/89 bereits seit dem 5. Oktober 1990 bei dem Beschwerdeführer zur Gutachtenserstattung befinde und trotz unzähliger Urgenzen weder das Gutachten erstattet noch der Akt rückgemittelt worden sei noch der Sachverständige auf Telefonate bzw. schriftliche Urgenzen reagiert habe, leitete der Präsident des Handelsgerichtes Wien ein Ermittlungsverfahren zwecks Entziehung der Eigenschaft als allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger ein. Dieses erstinstanzliche Verfahren endete mit dem Bescheid vom 23. August 1993, mit welchem dem Beschwerdeführer die Eigenschaft als allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger entzogen wurde.

Aufgrund der dagegen gerichteten Berufung führte der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch. Die belangte Behörde führte detailliert aufgelistet als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens an, daß der Beschwerdeführer (zusammengefaßt durch den Verwaltungsgerichtshof) in 47 Verfahren, in welchen er von verschiedenen Gerichten als Gutachter bestellt worden war, die jeweils gesetzten Fristen zur Beweissicherung bzw. Gutachtenserstattung bzw. Erstattung eines Ergänzungsgutachtens nicht eingehalten habe. In vielen dieser Verfahren seien seitens des jeweiligen Gerichtes Urgenzen, Aufforderungen zur Bekanntgabe der der Gutachtenserstattung entgegenstehenden Hindernisse, Aufforderungen zur Rückerstattung des Aktes und Setzungen von Nachfristen zur Gutachtenserstattung erfolgt, welche in zahlreichen Fällen unbeantwortet geblieben seien. Die Gutachten seien mit Verzögerungen von bis zu 25 Monaten über die vom Gericht aufgetragene Frist erstattet worden, in drei Fällen habe eine Enthebung des Sachverständigen mangels Gutachtenserstattung erfolgen müssen. Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden. Der Beschwerdeführer habe in seiner dagegen erstatteten Äußerung nicht die Richtigkeit der verspäteten Gutachtenserstellungen bekämpft. Er habe sich damit verantwortet, daß in nahezu allen Fällen verspäteter Gutachtenserstellung unbeeinflußbare Außenfaktoren (Witterung, Dauer der erforderlichen Meßperioden, Terminschwierigkeiten mit den Parteien, fehlende Unterlagen, Umfang der zu befundenden Mängel bzw. Kompliziertheit der Materie etc.) Grund für die Dauer der Gutachtenserstattung gewesen seien. Die Materie sei äußerst komplex und im Regelfall auch sehr kompliziert. Zudem sei er zeitweilig überlastet gewesen. Dies alles habe in lediglich 11,5 % der Prozesse (er habe vom 1. Jänner 1989 bis zum 31. August 1994 insgesamt 400 Gutachten erstellt) Überschreitungen der ihm gesetzten Fristen bewirkt. Es sei lediglich in drei Fällen die Ausfertigung des schriftlichen (Ergänzungs-)Gutachtens zufolge Enthebung wegen Fristverletzung unterblieben. In vier Fällen habe sich die Ausfertigung des Gutachtens wegen Arbeitsüberlastung verzögert, in einem Fall wegen Krankheit. In 11 Fällen sei die Verzögerung der Ausfertigung des Gutachtens wegen Terminschwierigkeiten mit den Parteien insbesonders bei der Festsetzung von Befundaufnahmeterminen zu erklären, in 21 Fällen habe sich die Ausfertigung des Gutachtens wegen der Schwierigkeit der Materie verzögert.

Die belangte Behörde begründete ihre den erstinstanzlichen Bescheid bestätigende Entscheidung sowohl damit, daß der Entziehungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 1 iVm § 2 Abs. 2 Z. 1 lit. e des BG vom 19. Februar 1975 über den allgemein beeideten gerichtlichen Sachverständigen und Dolmetscher (SDG) als auch der Entziehungstatbestand der wiederholten ungebührlichen Verzögerung bei der Gutachtenserstattung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 SDG erfüllt sei. Zu letzterem Entziehungstatbestand begründete die belangte Behörde, daß in den Sachverständigenlisten nur geeignete Sachverständige eingetragen sein sollen. Geeignet seien nur jene Sachverständige, die durch rasche und fristgerechte Erstellung der Gutachten einen verzögerungsfreien Gang der Rechtspflege gewährleisteten. Es sei gleichgültig, aus welchem Grund der Sachverständige die Gutachtenserstattung wiederholt hinausgezögert habe; dieser Tatbestand setze kein persönliches Verschulden des Sachverständigen voraus. Allein die objektive Tatsache der wiederholten ungebührlichen Gutachtensverzögerung mache die Entziehung notwendig, weil die Weiterbelassung in der Liste geeignet sei, einen verzögerungsfreien Gang der Rechtspflege in anderen Fällen in Frage zu stellen. Der Entziehungstatbestand setze wiederholtes Verhalten voraus. Eine einmalige, wenn auch sehr schwere Pflichtverletzung, sei nicht ausreichend. Die Ungebührlichkeit des Verhaltens sei an der Dauer der Verzögerung bei der Gutachtenserstattung zu beurteilen. Es brauche nicht erörtert zu werden, welche persönlichen Umstände zu diesen Unzukömmlichkeiten geführt hätten. In diesem Zusammenhang gehöre es zu den Pflichten eines Sachverständigen, nach Ablauf der Frist für die Gutachtenserstattung jede schriftliche oder mündliche Urgenz eines Gerichtes zumindest zu beantworten; bei Fristüberschreitung habe der Sachverständige bei Gericht um Fristerstreckung zu ersuchen. Der Verantwortung, im Hinblick auf die Vielzahl der erstatteten Gutachten sei der (geringe) Prozentsatz der Verzögerungen tolerierbar, komme keine Relevanz zu, weil es Sache des Sachverständigen gewesen wäre, keine weiteren Gutachtensaufträge anzunehmen, wenn sie nicht zeitgerecht erfüllt werden können.

Der Beschwerdeführer erhob zunächst eine an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde. Dieser lehnte mit Beschluß vom 11. Jänner 1995, Zl. B 2625/94-5, deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Der Beschwerdeführer erstattete eine Beschwerdeergänzung, in welcher er im wesentlichen die Ausführungen in der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde wiederholte.

Die belangte Behörde legte die Akten vor und erstattete Gegenausführungen zum Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer tritt in der Beschwerde der Richtigkeit des festgestellten Sachverhaltes hinsichtlich der festgestellten Verzögerungen und der Nichtbeantwortung von Urgenzen und gerichtlichen Aufforderungen nicht entgegen.

Der Beschwerdeführer ist nicht im Recht, wenn er vermeint, daß die belangte Behörde die von ihm geäußerten subjektiven Gründe für die Verzögerungen zu berücksichtigen gehabt hätte. Denn beim Entziehungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 3 SDG ist es gleichgültig, aus welchem Grund der Sachverständige wiederholt die ihm aufgetragene Arbeit hinausgezögert hat. Subjektive Momente, wie etwa Entschuldigungsgründe, haben außer Betracht zu bleiben, weil der Entzug der Sachverständigen-Eigenschaft eine Maßnahme ist, die das klaglose Funktionieren der Rechtspflege sichern soll und nicht etwa eine Bestrafung des Sachverständigen darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. April 1981, Zl. 01/0669/80). Der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 3 SDG setzt kein persönliches Verschulden des Sachverständigen voraus. Allein die objektive Tatsache der wiederholten ungebührlichen Gutachtensverzögerung macht die Entziehung notwendig, weil die Weiterbelassung in der Liste geeignet ist, einen verzögerungsfreien Gang der Rechtspflege in anderen Fällen in Frage zu stellen.

Im konkreten Fall liegen - basierend auf der Berechnung des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren - in 11,5 % der Gutachtensaufträge Verzögerungen vor. Davon wurde ein Gutachten über zwei Jahre, zumindest elf Gutachten über ein Jahr, weitere acht Gutachten nahezu ein Jahr über die vom Gericht festgesetzte Frist hinausgezögert. Zumindest diese langen Verzögerungen sind im Hinblick auf die dadurch bedingte Verlängerung des Gerichtsverfahrens als ungebührliche Verzögerungen zu bezeichnen, welche den rechtsuchenden Parteien nicht zugemutet werden darf. Daß die Summe dieser besonders eklatanten ungebührlichen Verzögerungen (20) das Tatbestandselement der wiederholten Verzögerung erfüllt, braucht nicht näher dargelegt zu werden.

Alleine diese genannten ungebührlichen wiederholten Verzögerungen rechtfertigten bereits die Entscheidung der belangten Behörde, weshalb nicht mehr darauf eingegangen zu werden braucht, ob die Nichtbeantwortung von schriftlichen und mündlichen Urgenzen nach eingetretener Fristversäumnis auch den Entziehungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 1 SDG erfüllt.

Insoweit der Beschwerdeführer rügt, es seien die Bestimmungen über die Vorgangsweise bei der Eintragung eines Bewerbers in die Sachverständigen- und Dolmetscherliste sinngemäß auch auf das Ermittlungsverfahren anzuwenden, das die Entziehung der Eigenschaft wegen des Wegfalls einer Eintragungsvoraussetzung zur Folge habe, ist ihm zu entgegnen, daß der Zweck der unter anderem für die Eintragung vorgesehenen Anhörung der Sachverständigenvereinigung, der gesetzlichen Interessenvertretung und der Kammer nur darin liegt, daß Standesvertretungen, welchen die berufliche und fachliche Qualifikation des Bewerbers bekannt ist, Stellung nehmen und dadurch dem die Liste führenden Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz ermöglichen, FÜR DIE ZUKUNFT davon ausgehen zu können, daß der Bewerber, den der entscheidende Präsident - in der Regel - noch nicht aufgrund vorhergehender Sachverständigentätigkeit kennt, nach der Eintragung für die Verfahren, in denen er als Gutachter bestellt wird, die Eignung aufweisen wird.

Dies ist insbesondere aus § 6 Abs. 3 zweiter Satz SDG zu ersehen, welcher lautet:

"Sofern der Sachverständige dem entscheidenden Präsidenten hinsichtlich seiner Eignung nicht ohnehin - besonders wegen seiner häufigen Heranziehung als Sachverständiger - bekannt ist, ist der Antrag in Abschrift den Leitern der Gerichtsabteilungen, denen die vom Sachverständigen angeführten Verfahren zur Erledigung zugewiesen sind oder waren, zur schriftlichen Stellungnahme über die Eignung des Sachverständigen, besonders zur Äußerung über die NACHVOLLZIEHBARKEIT UND DEN RICHTIGEN AUFBAU SEINER GUTACHTEN zu übermitteln."

Das Gesetz legt ganz besonderes Gewicht auf die Nachvollziehbarkeit der Gutachten des Sachverständigen, das ist im wesentlichen die Möglichkeit den vom Sachverständigen gezogenen Schlüssen zu folgen. Daher ist ein Einwand, daß die Überprüfung des Sachverständigen vor der Aufhebung der Befristung durch Richter vorgenommen wird, die in aller Regel nicht die nötigen Kenntnisse auf dem Fachgebiet des Sachverständigen haben, um dessen fachliche Eignung bejahen oder verneinen zu können, nicht stichhältig. Da im Verfahren zur Aufhebung der Befristung der erstmaligen Eintragung die Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretung somit nicht erforderlich ist, gilt dies umso mehr für die Entziehung der Sachverständigeneigenschaft aus Gründen, die sich im Zuge seiner Sachverständigentätigkeit herausgestellt haben.

Ein weiteres Argument gegen die Ansicht des Beschwerdeführers ist aus § 4 Abs. 2 SDG in der Ausnahme von der Anhörungspflicht betreffend Bewerber, welche eine Lehrbefugnis für das betreffende wissenschaftliche Fach einer inländischen Hochschule aufweisen, zu ersehen. Auch daraus ergibt sich, daß die Anhörungspflicht nur im Eintragungsverfahren zur VORAUSSCHAUENDEN PROGNOSE der fachlichen Eignung des Sachverständigen als Entscheidungsgrundlage für den entscheidenden Präsidenten dient.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Das Mehrbegehren war abzuweisen, da ein Ausspruch auf Aufwandersatz für die Äußerung zum Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht besteht. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde hingegen ausdrücklich verzichtet (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1978, Zlen. 2277, 2278/77).

Damit erübrigt sich eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Verfahrensrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995190017.X00

Im RIS seit

19.09.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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