TE OGH 2022/3/18 6Ob191/21p

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Veröffentlicht am 18.03.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Dipl.-Ing. R* S*, vertreten durch List Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die Antragsgegnerin B*, FN *, vertreten durch Denkmayr Schnötzlinger Bernauer Rechtsanwaltspartnerschaft in Ried im Innkreis, wegen Bucheinsicht nach § 166 UGB, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 1. September 2021, GZ 6 R 70/21p-14, womit der Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 29. März 2021, GZ 16 Fr 3976/20x-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Außerstreitsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Seit 31. 7. 2004 ist im Firmenbuch des Erstgerichts zu FN * die Antragsgegnerin aufgrund des Gesellschaftsvertrags vom 13. 7. 2004 mit dem unbeschränkt haftenden Gesellschafter J* S* (im Folgenden „Komplementär“) sowie dessen Bruder, dem Antragsteller als Kommanditisten mit einer Haftungssumme von 10.000 EUR eingetragen.

[2]       Der Antragsteller begehrt gestützt auf § 166 Abs 1 UGB, ihm die Jahresabschlüsse der Antragsgegnerin für die Jahre 2017 bis 2019 in Abschrift herauszugeben und ihm Einsicht in die Bücher und Schriften der Jahre 2017 bis 2019 zu gewähren. Obwohl ihm als Kommanditisten die abschriftliche Mitteilung der Jahresabschlüsse und die Einsicht in die Bücher und Schriften zustehe, habe ihm die Antragsgegnerin beides verweigert.

[3]       Die Antragsgegnerin wendet ein, der Antragsteller sei zwar als ihr Kommanditist im Firmenbuch eingetragen, ihm komme jedoch materiell-rechtlich keine Gesellschafterstellung zu, sodass er auch nicht zur Bucheinsicht berechtigt sei. Unverzüglich nach Errichtung des ersten Gesellschaftsvertrags im Sommer 2004 habe der Antragsteller die von ihm zugesicherten Leistungen und Zahlungen nicht erbracht. Diese Situation habe dazu geführt, dass bereits wenige Monate später der Antragsteller aus der Gesellschaft ausgeschieden sei. Aufgrund des damals noch bestehenden Vertrauensverhältnisses sei auf eine formelle Auflösung und auf eine entsprechende Firmenbuchanmeldung zum Ausscheiden des Antragstellers verzichtet worden. Die im Firmenbuch eingetragene Antragsgegnerin sei somit eine bloße „Pro-forma-Gesellschaft”. Zudem habe der Antragsteller seinen Bruder insbesondere durch Vorschützen zukünftiger Arbeitsleistungen arglistig getäuscht; dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags hafte daher ein Wurzelmangel an, sodass die Gesellschaft nicht wirksam zustande gekommen sei.

[4]       Das Erstgericht gab dem Antragsbegehren statt. Der Oberste Gerichtshof sei in der zwischen denselben Parteien wie im vorliegenden Verfahren ergangenen Entscheidung 6 Ob 219/19b von einer aufrechten Gesellschaft mit einem einzigen Komplementär und einem einzigen Kommanditisten ausgegangen. Diese Entscheidung entfalte gemäß § 411 Abs 1 ZPO Bindungswirkung. Somit sei der nunmehr von der Antragsgegnerin angestrebte Beweis des Gegenteils ausgeschlossen, wonach die Gesellschaft entweder niemals wirksam zustande gekommen oder durch Ausscheiden des Kommanditisten aufgelöst worden sei. Die dazu angebotenen Beweise seien daher nicht aufzunehmen gewesen, dem Antragsteller kämen als Kommanditisten der Antragsgegnerin die Rechte nach § 166 Abs 1 UGB zu.

[5]       Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. In der Entscheidung 6 Ob 219/19b habe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Bestand der Gesellschaft und der Stellung des Antragstellers nicht stattgefunden, sodass dies im dortigen Verfahren eine bloße Vorfrage gewesen sei; eine Bindungswirkung bestehe insoweit nicht. Nach jüngerer Rechtsprechung setze jedoch die Vollbeendigung einer (eingetragenen) Personengesellschaft nicht nur deren Vermögenslosigkeit, sondern auch deren Löschung im Firmenbuch als konstitutives Element voraus. Da die Gesellschaft und ihre Gesellschafter aufrecht im Firmenbuch eingetragen seien, sei die Antragsgegnerin nicht vollbeendet, sondern bestehe nach wie vor aufrecht. Damit sei der Anspruch des Antragstellers als Kommanditist der Gesellschaft nach § 166 UGB berechtigt. Aufgrund dieser Rechtsansicht und der konstitutiven Eintragung der Antragsgegnerin im Firmenbuch komme es auf die in der Verfahrensrüge gerügten unterlassenen Beweisaufnahmen zu den Behauptungen der Antragsgegnerin nicht an.

[6]            Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil bei Beurteilung der Frage, ob die Vollbeendigung einer Personengesellschaft neben deren Vermögenslosigkeit auch die Löschung als konstitutives Element erfordere, die Judikatur schwankend sei.

Rechtliche Beurteilung

[7]            Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig; er ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags in die erste Instanz auch berechtigt.

[8]             1. Zutreffend hat das Rekursgericht eine Bindung an die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Vorverfahren 6 Ob 219/19b verneint.

[9]       Die Rechtsprechung nimmt eine Bindung nur an die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage an (RS0127052 [T1]; RS0042554 [T6]). Worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde, ist jeweils im Einzelfall konkret zu prüfen; dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an. Lediglich zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen (RS0127052 [T5]; RS0043259; RS0041357 [T3]).

[10]            1.2. Dass das Bestehen des Gesellschaftsverhältnisses im hier relevierten Vorprozess lediglich Vorfrage für den vom dortigen Kläger geltend gemachten Anspruch auf Auszahlung seines Gewinnanteils war, liegt auf der Hand. Schon aus diesem Grund kommt der dort erfolgten Beurteilung dieser Frage keine Bindungswirkung zu.

[11]           2. Ebenso zutreffend ist die Beurteilung des Rekursgerichts, dass nach jüngerer – mittlerweile gefestigter – höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Vollbeendigung einer abzuwickelnden Personengesellschaft im Allgemeinen (neben deren Vermögenslosigkeit) auch deren Löschung voraussetzt (8 ObA 72/07g; 5 Ob 168/08d; 8 Ob 61/12x; 8 Ob 72/12i; 6 Ob 136/15s; gegenteilig die ältere Rsp [s RS0021156]; zur bloß deklarativen Bedeutung der Eintragung im Verhältnis zwischen den Gesellschaftern einer Personengesellschaft vgl RS0061697).

[12]           3. Nicht gefolgt werden kann jedoch dem Rekursgericht bei der weiteren Beurteilung, wegen dieser Rechtslage folge aus der aufrechten Firmenbucheintragung zwingend das aufrechte Bestehen der Antragsgegnerin und die Stellung des Antragstellers als deren Kommanditist.

[13]           3.1. Die Firmenbucheintragung einer eingetragenen Personengesellschaft ist zwar gemäß § 123 Abs 1 (iVm § 161 Abs 2) UGB notwendige Bedingung für das Entstehen und somit für die (volle) Existenz der Gesellschaft als Rechtsträger (§ 105 UGB). Dies gilt hier auch für die Antragsgegnerin, die schon vor Inkrafttreten des HaRÄG (BGBl I 2005/120 mit 1. 1. 2007; vgl § 907 Abs 9 UGB) als KEG angemeldet und eingetragen wurde (§ 3 Abs 1 Satz 2 EGG iVm § 124 Abs 1 HGB). Die Firmenbucheintragung ist jedoch nicht hinreichende Bedingung für das Bestehen einer eingetragenen Personengesellschaft. So wurde vom erkennenden Fachsenat auch schon ausgesprochen, dass etwa die nach § 33 Abs 3 PSG erforderliche Firmenbucheintragung der Änderung einer Stiftungsurkunde dann keine konstitutive Wirkung entfaltet, wenn der Stifter beim Änderungsakt geschäftsunfähig war (6 Ob 157/12z; RS0123556 [T6, T7]).

[14]           3.2. Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin ist es bereits wenige Monate nach der Gesellschaftsgründung im Sommer 2004 zu einem Ausscheiden des Antragstellers aus der Antragsgegnerin gekommen, wobei sich die beiden (bisherigen) Gesellschafter darauf verständigt hätten, auf eine „formelle Auflösung“ der Gesellschaft und eine Eintragung des Ausscheidens des Antragstellers in das Firmenbuch zu verzichten.

[15]           Damit beruft sich die Antragsgegnerin erkennbar auf eine einseitige Übernahme des Gesellschaftsvermögens durch den Komplementär als verbleibenden Gesellschafter im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, die auch bereits nach der vor Inkrafttreten des HaRÄG (BGBl I 2005/120) geltenden Regelung bei entsprechendem Einvernehmen der Gesellschafter möglich war (vgl dazu 6 Ob 152/08h [Pkt 3.1.–3.4.]). Eine solche nachträgliche Übernahmevereinbarung im Sinn des § 142 Abs 1 HGB hätte unmittelbar mit ihrem Wirksamwerden zu einer Gesamtrechtsnachfolge des Übernehmers kraft Anwachsung und zur Auflösung der Antragsgegnerin ohne Liquidation geführt (vgl 4 Ob 78/01a; 2 Ob 54/00f; vgl auch Warto in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 145 Rz 60 mwN), und zwar unabhängig von der Eintragung des einvernehmlichen Ausscheidens des Kommanditisten sowie der Vollbeendigung der Gesellschaft in das Firmenbuch.

[16]           Auf die behauptete arglistige Täuschung des Komplementärs durch den Antragsteller bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags kommt der Revisionsrekurs nicht mehr zurück.

[17]           4. Das Erstgericht hat zwar Feststellungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Firmenbucheintragung der Antragsgegnerin getroffen. Das von der Antragsgegnerin behauptete seinerzeitige Ausscheiden des Antragstellers aus der Antragsgegnerin hätte nach den vorstehenden Rechtsausführungen zur Folge, dass die Gesellschaft nicht mehr bestünde, der Antragsteller nicht mehr Kommanditist wäre und daher auch nicht die Rechte nach § 166 UGB hätte. Zu diesen Behauptungen hat aber das Erstgericht keine (weder positive noch negative) Feststellungen getroffen und die von der Antragsgegnerin beantragten Beweise nicht durchgeführt. Nach der dargestellten Rechtslage sind diese Feststellungen aber zur Beurteilung der Berechtigung des Antragsbegehrens erforderlich. Somit erweist sich nicht nur die rekursgerichtliche, sondern auch die erstgerichtliche Entscheidung als mangelhaft, weshalb sich die Aufhebung der Entscheidungen beider Vorinstanzen und die Zurückverweisung an das Erstgericht als notwendig erweist. Das Erstgericht wird alle zur Beurteilung, ob der Antragsteller aus der Gesellschaft ausgeschieden ist, notwendigen Beweise durchführen, ausreichende Feststellungen treffen und sodann neuerlich entscheiden müssen. Dabei ist der Antragsgegnerin als „Gebilde“, dessen Parteifähigkeit strittig ist, die Möglichkeit zuzubilligen, im Verfahren bis zur rechtskräftigen Klärung dieser Frage aufzutreten (1 Ob 40/09b).

[18]           5.1. Zur Frage der Verfahrensart ist festzuhalten, dass nach älterer Rechtsprechung dann, wenn nicht nur die Kontroll- und Überwachungsrechte eines Gesellschafters (Einsicht in die Geschäftspapiere, Geschäftsbücher und Bilanzen) streitig waren, sondern auch ihre tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen (zB Gesellschafterqualität, Beteiligung und Identität der Gesellschaft), eine Ausnahme vom anerkannten Grundsatz, dass Auskunfts- und Kontrollrechte eines Kommanditisten nach § 166 UGB im Verfahren außer Streitsachen zu behandeln sind (RS0059108 [T1]), zu machen war; diesfalls war der Anspruch im Klageweg geltend zu machen (RS0046144). In der Leitentscheidung dieser Rechtssatzkette wurde dies mit § 2 Abs 2 Z 7 AußStrG 1854 begründet, wonach der Außerstreitrichter bei Notwendigkeit der Erörterung streitiger Rechtsfragen oder von Tatumständen, die sich nur durch ein förmliches Beweisverfahren ins Klare setzen lassen, die Beteiligten auf den Rechtsweg verweisen konnte (5 Ob 122/58 SZ 31/76; so auch noch 6 Ob 4/84; krit Rassi, Verfahrensrechtliche Fragen der Bucheinsicht, ÖJZ 1997, 891 [Pkt III.A.2.]).

[19]           Auf diese Rechtsprechung wurde auch nach Inkrafttreten des AußStrG BGBl I 2003/111, ohne Auseinandersetzung mit deren Begründung, hingewiesen (6 Ob 203/19z [ErwGr 4.2]; 6 Ob 229/19y [ErwGr 4.2]; S.-F. Kraus in U. Torggler, UGB3 § 166 Rz 8; Kammel in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 166 Rz 19; Jabornegg/Artmann, UGB3 § 166 Rz 14; Baumüller/Grbenic in Zib/Dellinger, UGB, § 166 Rz 27).

[20]           5.2. Im AußStrG BGBl I 2003/111 wurde jedoch die Verweisung auf den Rechtsweg ersatzlos abgeschafft, weil nach Aussage der Materialien das neue AußStrG das Außerstreitverfahren mit der Zivilprozessordnung gleichwertigen Verfahrensgarantien und -regeln ausstatte, sodass für die Verweisung auf den Zivilrechtsweg zur Klärung strittiger Tatumstände kein Raum mehr bleibe (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 13). Es unterliegt keinem Zweifel, dass das AußStrG BGBl I 2003/111 ein vollwertiges, eigenständiges zivilgerichtliches Erkenntnisverfahren normiert (6 Ob 72/18h [ErwGr 3.3]). Spätestens seit seiner Einführung stellt die Behandlung eines Begehrens im Außerstreitverfahren auch kein „Rechtsschutzdefizit“ im Vergleich zum streitigen Rechtsweg dar (6 Ob 229/19y [ErwGr 3.3]). Im Hinblick auf diesen Wegfall der gesetzlichen Grundlage wird die erörterte Rechtsprechung (RS0046144) nicht aufrechterhalten.

[21]           5.3. Vielmehr gilt auch hier der allgemeine Grundsatz: Für die Frage, ob eine Rechtssache im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist, kommt es auf den Wortlaut des Entscheidungsbegehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Sachverhaltsbehauptungen der das Verfahren einleitenden Partei an (6 Ob 162/19w [ErwGr 2.1]; 6 Ob 203/19z [ErwGr 3.1]; RS0013639 [T1, T11 ua]). Welche Einwendungen der Beklagte (Antragsgegner) erhebt, ist nicht bedeutsam (RS0013639 [T5]).

[22]           5.4. Nach den allein maßgeblichen Behauptungen des Antragstellers liegt die Zuständigkeit des Außerstreitgerichts vor (RS0059108 [T1]). Ob der Antragsteller aus der Gesellschaft ausgeschieden ist, ist im außerstreitigen Verfahren als Vorfrage zu prüfen (idS schon Rassi, Verfahrensrechtliche Fragen der Bucheinsicht, ÖJZ 1997, 891 [Pkt III.A.2.]; vgl RS0005972). Für die von der Antragsgegnerin ins Treffen geführte Umdeutung des gestellten Antrags in eine Klage gemäß § 40a JN besteht daher kein Raum.

[23]            6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 AußStrG.

Textnummer

E134592

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00191.21P.0318.000

Im RIS seit

04.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.05.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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