Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Nigeria durch eine im zweiten Rechtsgang ergangene Entscheidung; mangelhafte Beweiswürdigung betreffend Zeugenaussagen und die Aussagekraft vermeintlicher Widersprüche bei Durchführung mehrerer - teils mehrstündiger - mündlicher Verhandlungen zur Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der HomosexualitätSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias, gehört der Volksgruppe der Ijaw an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Am 10. September 2014 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte im Wesentlichen vor, er sei homosexuell und deshalb von der Polizei in Nigeria verfolgt worden. Er habe in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung gelebt. Sein Lebenspartner sei von der nigerianischen Polizei wegen seiner homosexuellen Orientierung ermordet worden. Ihm drohe bei einer Rückkehr nach Nigeria deshalb zumindest eine Freiheitsstrafe. In Österreich führe er nunmehr auch eine gleichgeschlechtliche Beziehung.
2. Mit Bescheid vom 7. April 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und gewährte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 14. Juli 2016 als unbegründet ab. Mit Erkenntnis vom 22. Februar 2017, Ra 2016/19/0229, gab der Verwaltungsgerichtshof der gegen die Abweisung des Bundesverwaltungsgerichtes erhobenen Revision statt und hob die Entscheidung im Wesentlichen mit der Begründung auf, dass die Einvernahme der Vertrauensperson des Beschwerdeführers zu Unrecht unterlassen wurde.
4. Mit Erkenntnis vom 27. Oktober 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung mehrerer mündlicher Verhandlungen die Beschwerde gegen den Bescheid vom 7. April 2016 neuerlich als unbegründet ab. Im Wesentlichen führt es aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können:
4.1. Die angebliche Verfolgung in Nigeria weise wenig Tatsachensubstrat auf, es entstehe der Eindruck, der Beschwerdeführer nenne bewusst keine näheren Details, um sich nicht in Widersprüche zu verstricken. Widersprüchlich seien allerdings seine Angaben zum Zeitpunkt, wann ihm seine sexuelle Orientierung bewusst geworden sei und in welchen Zeiträumen er seine Beziehung geheim habe halten müssen sowie dazu, wann und wie er davon erfahren habe, dass sein Partner in Nigeria auf Grund seiner Homosexualität von der Polizei getötet worden sei. Der Einwand, der Beschwerdeführer könne auf Grund bloß rudimentärer Schulbildung nicht rechnen und tue sich deshalb schwer, konkrete zeitliche Angaben zu machen, sei angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit 2015 eine Straßenzeitung verkaufe, offensichtlich eine Schutzbehauptung. Zudem habe der Beschwerdeführer nicht stringent angeben können, wie sein Ziehvater mit vollem Namen geheißen habe. Außerdem sei zu betonen, dass dem Beschwerdeführer angeblich seit seinem 11. oder 12. Lebensjahr seine Homosexualität bewusst gewesen sei, er Nigeria jedoch erst im 28. Lebensjahr verlassen habe. Der ehemalige Unterkunftgeber des Beschwerdeführers habe in der mündlichen Verhandlung keine sachdienlichen Hinweise bezüglich der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers liefern können, da er lediglich eine "persönliche Nähe" zwischen dem Beschwerdeführer und seinem angeblichen Ex-Partner festgestellt habe. Dass er die genaue Fluchtgeschichte seines angeblichen Ex-Partners nicht kenne, deute – wie auch die wenig aufschlussreiche Einvernahme eines vorgeblich kurzzeitigen Liebespartners des Beschwerdeführers – ebenfalls darauf hin, dass der Beschwerdeführer unwahre Angaben mache. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer zu seinem angeblich aktuellen Liebespartner, einem pensionierten Priester, keine detaillierten Angaben machen können: So habe der Beschwerdeführer etwa nicht gewusst, in welcher Pfarrgemeinde sein angeblicher Partner vor dessen Pensionierung tätig gewesen sei und habe auch dessen genaue Wohnadresse nicht nennen können. Überdies habe er sich in Bezug auf die Anzahl der Treffen zwischen den beiden in Widersprüche verstrickt und hätten der Beschwerdeführer sowie sein angeblicher Partner unterschiedliche Angaben dazu gemacht, wie sie herausgefunden hätten, dass der jeweils andere homosexuell sei. Selbst bei Wahrunterstellung der Behauptung, dass der Beschwerdeführer tatsächlich sexuelle Kontakte mit den unterschiedlichen Männern gehabt hätte, könne daraus nicht zwingend gefolgert werden, dass er homosexuell sei. Das Gleiche gelte auch für die befragten Zeugen, zumal deren Aussagen keine überzeugenden Anhaltspunkte hinsichtlich der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers enthalten hätten. Bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung sei schließlich auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer sowohl zur Befundaufnahme als auch bei der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2021 unentschuldigt ferngeblieben sei. Entscheidend sei allerdings insbesondere der Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet habe, in Nigeria jemals Zeuge oder Opfer von Schikanen oder homophoben Übergriffen geworden zu sein.
4.2. Ebenfalls nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer aus Kano State stamme. Er könne diesbezüglich keinerlei geographische Angaben machen, vielmehr deuteten seine Aussagen darauf hin, dass er aus dem überwiegend christlichen Kogi State stamme und nur vorbringe, der muslimische Bundesstaat Kano State sei seine Herkunftsprovinz, um seinen "Fluchtgrund zu dramatisieren".
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:
2.1. In seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 2021, E3001/2021, hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass bei Vorliegen diverser gleichgeschlechtlicher Kontakte ein qualifizierter Begründungsaufwand erforderlich ist, weshalb das Vorbringen, homosexuell zu sein, für nicht glaubhaft erachtet wird. In Anbetracht dieser Entscheidung fehlt im vorliegenden Fall zunächst eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass drei einvernommene Zeugen zu Protokoll gaben, mit dem Beschwerdeführer eine sexuelle Beziehung geführt zu haben bzw aktuell zu führen. In der Beweiswürdigung wird in diesem Zusammenhang lediglich ausgeführt: "Selbst wenn der Beschwerdeführer – bei einer Wahrunterstellung seiner Behauptungen – homosexuelle Kontakte mit den Zeugen P.O., V.O. und H.T. gehabt hätte, ist […] es daher auch nicht zwingend geboten, aus homosexuellen Kontakten oder allfälliger Videoaufnahmen intimer Handlungen allein Rückschlüsse auf die sexuelle Orientierung einer Person zu ziehen […], vor allem, wenn es wie im vorliegenden Beschwerdefall belastbare, gegenläufige Beweisergebnisse gibt". Das Gericht bezieht sich dabei ausschließlich auf die "Behauptungen" des Beschwerdeführers und bleibt eine Begründung schuldig, weshalb die Aussagen der Zeugen, dass sexueller Kontakt stattgefunden habe bzw stattfinde, nicht glaubhaft sein sollen. Zu den Zeugenaussagen führt es einzig an, dass diese "keine überzeugenden Anhaltspunkte für die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers enthielten" und es daher dahingestellt bleiben könne, ob die einvernommenen Zeugen selbst homosexuell seien.
2.2. Es ist überdies nicht ersichtlich, welche "belastbare[n], gegenläufige[n] Beweisergebnisse" das Bundesverwaltungsgericht konkret vor Augen hat. In der Folge wird nämlich lediglich ausgeführt, dass der Besuch von "Schwulen-Clubs" und die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen von LGBTQI+-Vereinen Indizien, aber keine zwingenden Beweise für die sexuelle Orientierung eines Menschen seien. Zwar qualifiziert das Bundesverwaltungsgericht eingangs im Rahmen der Beweiswürdigung etwa die Schilderung der Fluchtgründe als widersprüchlich. So vermeint es, der Beschwerdeführer verwickle sich hinsichtlich der Frage in Widersprüche, wann seine Homosexualität bekannt wurde und in welchen Zeiträumen er seine "sexuellen Neigungen bzw seine homosexuelle Beziehung" geheim halten habe müssen, was einen zentralen Aspekt seiner Fluchtgeschichte betreffe. Allerdings ist dem Bundesverwaltungsgericht diesbezüglich entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer wiederholt vorbringt, es falle ihm schwer, Geschehnisse exakten Zeiträumen bzw Jahreszahlen zuzuordnen, da Zeitangaben in Nigeria keine Rolle spielten und er nur eine sehr rudimentäre Schulbildung erhalten habe sowie eine Rechenschwäche aufweise. So gab auch der Unterkunftgeber des Beschwerdeführers, der wöchentlich Allgemeinunterricht abgehalten habe, in seiner Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2017 an, der Beschwerdeführer könne zwar relativ gut lesen und schreiben, jedoch "überhaupt nicht" rechnen. Vor diesem Hintergrund mangelt es an Aussagekraft und wirkt es geradezu zynisch, wenn das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer in einer bereits über vier Stunden andauernden Einvernahme Rechnungen vornehmen lässt und angesichts der Schwierigkeiten des Beschwerdeführers befindet, dieser scheine "bewusst strategisches Nichtwissen zu demonstrieren, um die Widersprüche in der Chronologie seiner Schilderungen rechtfertigen zu können".
2.3. Schließlich vermögen auch vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigte – vermeintliche – Ungereimtheiten im Vorbringen des Beschwerdeführers keine solchen "belastbare[n], gegenläufige[n] Beweisergebnisse" darzustellen, wenn sie etwa erst nach wiederholten – stundenlangen – Befragungen zum gleichen Beweisgegenstand aufkommen, wie beispielsweise die Verwechslung des Nachnamens des Ziehvaters des Beschwerdeführers in der vierten vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung.
2.4. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung daher mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Verhandlung mündlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E4400.2021Zuletzt aktualisiert am
03.05.2022