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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen Familie afghanischer Staatsangehöriger trotz dauerhafter Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidungen und Erteilung von Aufenthaltstiteln; mangelnde Auseinandersetzung mit den eigenen finanziellen Mitteln und der Unterstützung durch Angehörige am Herkunftsort; mangelhafte Auseinandersetzung mit den Länderberichte des UNHCR betreffend die interstaatliche FluchtalternativeRechtssatz
Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) geht davon aus, dass die beschwerdeführenden Parteien über ein umfangreiches familiäres Netzwerk in Kabul verfügen würden. Die Familie des Erstbeschwerdeführers verfüge außerdem über ein Stadthaus in Kabul. Die beschwerdeführenden Parteien könnten auch bei einem Onkel unterkommen. Der Erstbeschwerdeführer könne sich auf Grund seiner langjährigen Berufserfahrung und durch die Kontakte seiner Familienmitglieder wieder auf dem Arbeitsmarkt integrieren. Die Zweitbeschwerdeführerin könne nach der Geburt ihres dritten Kindes durch eigene Arbeitstätigkeit, allenfalls durch Heimarbeit, zum Einkommen der Familie beitragen.
Diese Feststellungen begründet das BVwG mit den "schlüssigen, stringenten und übereinstimmenden Angaben" des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Bruders des Erstbeschwerdeführers. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die durch die Vermietung des Hauses in Kabul erzielten Einnahmen der im Iran lebenden Mutter des Erstbeschwerdeführers zufließen würden. Die Schlussfolgerung des BVwG, das in seiner Entscheidung davon ausgeht, dass die beschwerdeführenden Parteien über dieses Haus frei verfügen, ja es sogar verkaufen könnten, ist daraus nicht ableitbar. Ähnliches trifft auch auf die Grundstücke der Familie des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in Kapisa zu.
Auch in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin ist nicht nachvollziehbar, wie das BVwG auf ein Unterstützungsnetzwerk schließen kann. Es hat zu all den Verwandten keine Erhebungen angestellt und sich etwa nicht damit auseinandergesetzt, ob der Onkel des Erstbeschwerdeführers in Kabul willig oder gar fähig wäre, eine Familie mit drei minderjährigen Kindern zu unterstützen. Ebenso wenig ist hinsichtlich der finanziellen Unterstützung der im Ausland lebenden Familienangehörigen nachvollziehbar, worauf das BVwG diese Feststellungen stützt.
Damit unterlässt es das BVwG nicht nur, sich ausreichend mit der Frage auseinanderzusetzen, welche besonderen, außergewöhnlichen Umstände in Anbetracht des in den Länderberichten dargelegten Befundes, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist, im konkreten Fall einen gegenteiligen Schluss zuließen - dies vor dem Hintergrund des Falles auch, obwohl es sich bei Kabul nicht um eine innerstaatliche Fluchtalternative, sondern um den ursprünglichen Herkunftsort der beschwerdeführenden Parteien handelt. Ferner verabsäumt es das BVwG, hinreichend zu ermitteln und zu begründen, ob die beschwerdeführenden Parteien tatsächlich über ausreichend finanzielle Mittel verfügen und somit nicht auf ein familiäres Netzwerk angewiesen sind, bzw ob ihre Angehörigen gegebenenfalls willens und in der Lage sind, sie tatsächlich zu unterstützen.
Ferner übersieht das BVwG auch in Bezug auf die Prüfung der innerstaatlichen Schutzalternative für die Städte Herat und Mazar-e Sharif, dass diese laut UNHCR-Richtlinien nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk hat, das willens und in der Lage ist, sie tatsächlich zu unterstützen. Einzige Ausnahme davon sind alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne besondere Gefährdungsfaktoren. Dies trifft jedoch auf die nunmehr fünfköpfige Familie mit minderjährigen Kindern jedenfalls nicht zu, zumal der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin den weit überwiegenden Teil ihres Lebens außerhalb Afghanistans verbracht haben und deren finanzielle und familiäre Situation, wie festgestellt, unzureichend ermittelt wurde.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, KinderEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E111.2021Zuletzt aktualisiert am
03.05.2022