Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen * M* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * M* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 27. Oktober 2021, GZ 24 Hv 77/21m-110, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten M* fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – * M* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 18. Mai 2020 in Graz * A* dadurch, dass er mit einem Stanleymesser mit kurz gehaltener Klinge von hinten mehrmals auf ihn einstach, wodurch dieser eine 6,5 cm lange oberflächliche Stich-Schnitt-Verletzung am Unterrand des linken Schulterblattes sowie eine 5 cm lange oberflächliche Schnittwunde und einen 6 cm langen Kratzer an der rechten unteren Bauchflanke erlitt, eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versucht.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * M*.
[4] Das von der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) relevierte gerichtsmedizinische Gutachten, demzufolge auf den Abrieben der Klinge und des Griffs eines in der Nähe des Tatorts aufgefundenen Messers (ON 23) kein (irgendeiner Person) zuordenbares DNA-Material nachgewiesen worden sei (ON 42), steht den Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer dem Opfer mit einem Stanleymesser mehrmals in den Rücken stach (US 9), nicht erörterungsbedürftig entgegen (RIS-Justiz RS0098495 [insb T6], RS0098646 [insb T8]; vgl auch 11 Os 85/15g, 15 Os 17/19t; RIS-Justiz RS0118444 [T16]). Im Übrigen hat das Schöffengericht ohnehin berücksichtigt, dass außer den von einem Sachverständigen begutachteten Verletzungen und Lichtbildern von bestimmten Verletzungen keine objektiven Beweisergebnisse vorlagen (US 11).
[5] Die Aussage des Zeugen * S* in der Hauptverhandlung (ON 109 S 21 f; siehe allerdings ON 9 S 90 und ON 44 S 127) wurde entgegen der weiteren Rüge von den Tatrichtern nicht übergangen (US 11 ff; zu Identifizierungsproblemen insbesondere US 13).
[6] Soweit die Beschwerde die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer wahrnahm, dass * R* mit seinem Mobiltelefon die Polizei verständigte und dieses für das weitere Gespräch an * A* übergab (US 9), als unbegründet kritisiert (Z 5 vierter Fall), nimmt sie nicht auf eine entscheidende Tatsache Bezug (RIS-Justiz RS0106268, RS0117499).
[7] Unter Hinweis auf die von den Tatrichtern zugestandene (US 12) Benommenheit des * R* von einem durch den Mitangeklagten * Al* verursachten Nasenbeinbruch (II./A./) kritisiert die Beschwerde die (ua) aus den für glaubwürdig befundenen Angaben des R* gezogene Schlussfolgerung auf die Täterschaft des Beschwerdeführers zu I./ (US 11 f) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (vgl auch US 11 zur Übereinstimmung der Aussagen des * A* in wesentlichen Punkten mit jenen von * Az*, * S* und des Mitangeklagten * R* sowie zur von der Gruppe des Beschwerdeführers gebotenen – vom Schöffengericht nach dem medizinischen Sachverständigengutachten und der Lebenserfahrung als nicht nachvollziehbar eingestuften – Erklärung für die Stichverletzung).
[8] Entgegen der Behauptung, es lägen Beweisergebnisse dafür vor, dass die Messerattacke etwa 15 bis 30 Meter von * R* und * Az* entfernt stattgefunden hätte, lässt sich den im Rechtsmittel zitierten Passagen der Aussagen der Zeugen * A* und * Az* in der Hauptverhandlung (ON 109 S 17, 19) ein solcher Inhalt nicht entnehmen. Aus welchen Gründen ein solcher Umstand gesondert erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall) wäre, macht die Beschwerde im Übrigen nicht klar.
[9] Die Behauptung offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite übergeht, dass die Tatrichter die auf die Zufügung einer schweren Verletzung gerichtete Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Beschwerdeführers – logisch nachvollziehbar und empirisch einwandfrei – aus dem mehrfachen Einstechen mit einem Messer auf das Opfer erschlossen (US 13), und orientiert sich damit prozessordnungswidrig nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370).
[10] Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) im Sinn eines Fehlzitats in den Entscheidungsgründen wird nicht aufgezeigt (vgl RIS-Justiz RS0099431, RS0099524), indem die ua aus Angaben des Zeugen * S* gewonnene Überzeugung der Tatrichter kritisiert wird, es sei auszuschließen, dass jemand anderer als der Beschwerdeführer auf * A* eingestochen habe (US 11). Dass S* in der Hauptverhandlung (siehe aber erneut auch ON 9 S 90 und ON 44 S 127) ausgesagt hatte, der Mitangeklagte * Al* habe auf das Opfer eingestochen (ON 109 S 21 f), blieb jedenfalls nicht unberücksichtigt (US 13).
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[12] Bleibt – gleichfalls im Einklang mit der Generalprokuratur – darauf hinzuweisen, dass der Strafausspruch betreffend den Angeklagten * M* mit – von der Staatsanwaltschaft unbekämpfter – Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO behaftet ist, weil das Erstgericht bei der Sanktionsfindung ausdrücklich von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ausging (US 14), somit die die Strafuntergrenze zwingend erhöhende (vgl 12 Os 7/21b) Bestimmung des § 39a Abs 1 Z 4 StGB unbeachtet ließ (vgl 13 Os 39/21s [Rz 12 und 14]). Danach kommt es zu einer Änderung des Strafrahmens, wenn der Täter die Tat unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe begeht, wobei an die Stelle der Androhung einer Freiheitsstrafe, deren Mindestmaß ein Jahr beträgt, gemäß § 39a Abs 2 Z 4 StGB die Androhung eines Mindestmaßes von zwei Jahren Freiheitsstrafe tritt.
[13] Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Anwendung von Gewalt oder (gefährlicher) Drohung unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe strenger sanktioniert werden (§ 33 Abs 2 Z 6, § 39a Abs 1 Z 4 StGB). Als „Waffe“ ist im Kontext der Bestimmungen zur Strafbemessung – wie in § 143 StGB – eine solche im funktionalen Sinn (RIS-Justiz RS0093928) zu verstehen (vgl Fabrizy, StGB13 § 33 Rz 11; Schroll/Kert WK-StPO § 198 Rz 31/3; EBRV 689 BlgNR 25. GP 10). Denn beim Einsatz eines Gegenstands oder der Drohung mit einem solchen, der nach seiner Anwendbarkeit und Wirkung einer Waffe im technischen Sinn gleichkommt, werden das Risiko für das Leben eines Opfers von Gewalt oder gefährlicher Drohung gleichermaßen erhöht und dessen Angriffsfähigkeit oder Abwehrfähigkeit in ähnlicher Weise beeinträchtigt wie bei einer solchen im Sinn des WaffG. Es würde dem Gesetzeszweck nicht voll entsprechen, in diesem Zusammenhang den Begriff „Waffe“ auf jenen des WaffG (vgl RIS-Justiz RS0122916 zu § 129 Abs 2 Z 2 StGB) und damit auf die objektive Zweckwidmung des verwendeten Gegenstands zu beschränken (aM Flora in WK² StGB § 39a Rz 11; Ebner in WK² StGB § 39 f; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 33 Rz 19 sowie StGB Update 2020 § 33 Rz 20 und § 39a Rz 5c).
[14] Da der Angeklagte * M* das ihm zur Last gelegte Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB am 18. Mai 2020 unter Einsatz eines Stanleymessers (vgl dazu RIS-Justiz RS0094147; Eder-Rieder in WK2 StGB § 143 Rz 18) beging, liegen somit die Voraussetzungen des § 39a Abs 1 Z 4 StGB vor. Die bloße Berücksichtigung dieses Umstands als erschwerend (US 14) erweist sich damit als rechtsirrig, bietet jedoch – weil dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichend – keinen Anlass zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; erneut 12 Os 7/21b).
[15] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E134573European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00016.22W.0413.000Im RIS seit
03.05.2022Zuletzt aktualisiert am
03.05.2022