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StVONorm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kratzert, über die Beschwerde des HK in G, vertreten durch Dr. Willibald Rath, Rechtsanwalt in Graz, Hamerlinggasse 8, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. Oktober 1984, Zl. 11-75 Ka 63-84, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Graz sprach - nachdem ihre gegen den Beschwerdeführer erlassene Strafverfügung vom 23. Februar 1984 zufolge rechtzeitig erhobenen Einspruches außer Kraft getreten war - mit Straferkenntnis vom 18. Juli 1984 aus, der Beschwerdeführer habe am 3. Oktober 1983 von 11.30 Uhr bis 12.26 Uhr in Graz, Radetzkystraße Nr. 11, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws 1) außerhalb eines Parkplatzes das Fahrzeug nicht am Rande der Fahrbahn zum Halten aufgestellt, wodurch die GVB-Busse behindert worden seien, und 2) die Alarmblinkanlage eingeschaltet, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür nicht gegeben gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach zu 1) § 23 Abs. 2 StVO und zu 2) gemäß § 102 Abs. 2 KFG begangen. Gemäß zu 1) § 99 Abs. 3 lit. a StVO und zu 2) § 134 KFG wurden über den Beschwerdeführer Geldstrafen von zu 1) S 1.000,-- (Ersatzarreststrafe 36 Stunden) und zu 2) S 500,-- (Ersatzarreststrafe 1 Tag) verhängt. Zur Begründung führte die Behörde aus, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen seien durch die dienstliche Wahrnehmung der Meldungslegerin als erwiesen anzunehmen. Anläßlich der Lenkererhebung habe die Geschäftsführerin der Zulassungsbesitzerin (einer Gesellschaft m.b.H. & Co KG) den Beschwerdeführer als verantwortlichen Lenker angegeben. Der Beschwerdeführer habe im Wachzimmer Karlauerstraße einem Beamten gegenüber angegeben, daß er nicht wisse, wer mit diesem Fahrzeug gefahren sei. Dem Beschwerdeführer sei zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters unter Androhung der Kontumazfolgen Gelegenheit zu einer Äußerung gegeben worden, von der der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er das Verwaltungsstrafverfahren als „absolut mangelhaft geblieben“ bezeichnete, weil keinerlei Beweisaufnahmen erfolgt seien. Die Behörde habe weder die Meldungslegerin noch die Geschäftsführerin der Zulassungsbesitzerin als Zeugen vernommen. Es sei keinesfalls erwiesen, daß er den Pkw seinerzeit gelenkt habe. Er habe von Anfang an bestritten, den Pkw zu diesem Zeitpunkt gelenkt zu haben.
Mit dem Bescheid vom 4. Oktober 1984 wies die Steiermärkische Landesregierung die Berufung des Beschwerdeführers gegen Punkt 1) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (Übertretung des § 23 Abs. 2 StVO) gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 ab. Der Berufung des Beschwerdeführers gegen Punkt 2) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (Übertretung des § 102 Abs. 2 KFG) wurde vom Landeshauptmann Folge gegeben, insoweit der erstinstanzliche Bescheid behoben und das Verfahren gemäß § 45 VStG 1950 eingestellt. In der Begründung des Berufungsbescheides wurde zur Behauptung des Beschwerdeführers in der Berufung, er habe von Anfang an bestritten, der Lenker des angeblich falsch geparkten Kraftfahrzeuges gewesen zu sein, ausgeführt, daß der Beschwerdeführer entgegen dieser Behauptung im Wachzimmer Karlauerstraße angegeben habe, er wisse nicht, wer mit dem Fahrzeug gefahren sei. Der Beschwerdeführer habe somit seine Lenkereigenschaft nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Diese Behauptung sei von ihm im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht geändert worden, obwohl ihm nachweislich zur Kenntnis gebracht worden sei, daß er von der Zulassungsbesitzerin als schuldtragender Lenker namhaft gemacht worden sei. Somit habe der Beschwerdeführer entgegen seinen Berufungsausführungen dargetan, daß er - im Gegensatz zur Geschäftsführerin der Zulassungsbesitzerin - keine Angaben über den Lenker des Kraftfahrzeuges machen könne. Seine erst im Berufungsverfahren vorgebrachte Bestreitung der Lenkereigenschaft wäre demnach nur dann glaubwürdig und zielführend gewesen, wenn er Umstände und Beweggründe vorgebracht hätte, warum er nunmehr wisse, doch nicht der verantwortliche Lenker zu sein. Dies sei nicht geschehen. Somit finde die Behörde keine Veranlassung, an der Glaubwürdigkeit der Aussage der Geschäftsführerin der Zulassungsbesitzerin zu zweifeln und sie neuerlich einzuvernehmen. So sei anzunehmen, daß sie als Verantwortliche über ihren Zuständigkeitsbereich zutreffende Angaben machen könne und habe dies schließlich auch der Beschwerdeführer nicht einmal zuletzt mit konkreten Argumenten bestritten. Seine diesbezüglichen Ausführungen müßten daher als Schutzbehauptung gewertet werden und es erscheine seine Lenkereigenschaft als erwiesen. Sodann folgen Ausführungen zum Tatbestand des § 23 Abs. 2 StVO, zur Strafbemessung und Darlegungen des Landeshauptmannes zu der verfügten Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens hinsichtlich der Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG.
Gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bemängelt, daß die belangte Behörde trotz der von ihm in der Berufung gerügten Verfahrensmängel der ersten Instanz, ohne das Ermittlungsverfahren zu ergänzen, das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt habe. Ein wesentlicher Verfahrensmangel liege vor allem darin, daß weder die Meldungslegerin noch die Geschäftsführerin der Zulassungsbesitzerin des Kraftfahrzeuges als Zeugen vernommen worden seien. Nach der Aktenlage könnte daher allenfalls von der Behörde als bewiesen angesehen werden, daß der in Rede stehende Pkw zur Tatzeit am Tatort gestanden sei. Nach dem Akteninhalt existiere aber keinesfalls eine dienstliche Wahrnehmung eines Polizeibeamten, daß der Beschwerdeführer der Lenker dieses Fahrzeuges gewesen sei. Wenn die belangte Behörde aus dem Umstand, daß er im Wachzimmer angegeben habe, nicht zu wissen, wer mit dem Fahrzeug zur Tatzeit gefahren sei, den Schluß ziehe, daß er der Lenker des Fahrzeuges gewesen sein müsse, so widerspreche dies den Denkgesetzen.
Die Beschwerde ist berechtigt.
Der im § 45 Abs. 2 AVG 1950, der gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Der Verwaltungsgerichtshof ist an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt insofern nicht gebunden, als der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkte aktenwidrig angenommen wurde oder der Ergänzung bedarf oder Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. (Vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8619/A.) Gemäß § 25 Abs. 2 VStG 1950 sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden, wobei zufolge § 39 Abs. 2 AVG 1950 von Amts wegen vorzugehen ist. Nach § 46 AVG 1950 kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach der Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Die Aufnahme eines Beweises darf von vornherein nur dann abgelehnt werden, wenn er objektiv gesehen nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern; eine Würdigung des Beweises hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit ist nur nach der Aufnahme des Beweises möglich. (Vgl. dazu Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Oktober 1983, Zl. 83/03/0104, und die weitere darin angeführte Vorjudikatur; hinsichtlich der zitierten, nichtveröffentlichten hg. Entscheidungen wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.)
Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, daß der Beschwerdeführer der Lenker des in Rede stehenden Kraftfahrzeuges gewesen sei, einerseits auf die bei seiner „Vernehmung“ vor einem Polizeibeamten gemachte Äußerung des Beschwerdeführers selbst, daß er nicht wisse, wer mit dem Fahrzeug gefahren sei, woraus sie folgerte, daß er damit seine Lenkereigenschaft nicht ausdrücklich ausgeschlossen habe, und andererseits auf die „Aussage“ der Verantwortlichen jenes Unternehmens, auf welches das Kraftfahrzeug zugelassen ist, wobei von der vorgenannten Verantwortlichen der Beschwerdeführer als schuldtragender Lenker namhaft gemacht worden sei. Nun kann aber, wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet, aus der Erklärung des Beschwerdeführers, nicht zu wissen, wer mit dem Fahrzeug gefahren sei, keinesfalls zwingend geschlossen werden, daß er selbst der Täter war. Ein solcher Schluß entbehrt jeder Grundlage. Auch daß der Beschwerdeführer den ihn belastenden Angaben der für die Zulassungsbesitzerin Verantwortlichen zunächst nicht widersprach, berechtigte jedenfalls die belangte Behörde nicht zu der von ihr getroffenen Annahme, hat doch der Beschwerdeführer in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis ausdrücklich eingewendet, daß er von Anfang an bestritten habe, das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt gelenkt zu haben. Dazu kommt, daß es sich bei der „Aussage“ der Genannten nicht um eine Zeugenaussage im Sinne der §§ 48 ff AVG 1950, sondern bloß um Angaben handelte, die sie einem Polizeibeamten anläßlich einer Lenkererhebung gegenüber machte. Es ist daher die Feststellung in der Begründung des angefochtenen Bescheides, daß die belangte Behörde keine Veranlassung finde, die Genannte „neuerlich einzuvernehmen“ nicht verständlich, hat doch eine Einvernahme dieser Person vor der Behörde nach Lage der Akten (noch) nie stattgefunden, was vom Beschwerdeführer zu Recht bemängelt wird. Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift meint, ihre Abweisung der beantragten Zeugeneinvernahmen auf die im Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom 9. Dezember 1983, Zl. 82/02/0033, dargelegte Auffassung stützen zu können, daß die Behörde in Fällen, in denen der Beschuldigte trotz Kenntnisnahme vom gesamten Sachverhalt in keiner Weise an der Wahrheitsfindung beiträgt, keine ergänzenden Beweisaufnahme mehr durchführen müsse, so kann ihr nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, daß diesem Erkenntnis ein völlig anders gelagerter Sachverhalt zugrundelag, übersieht die belangte Behörde, daß vom Beschwerdeführer ja die unterlassene Einvernahme der Geschäftsführerin der Zulassungsbesitzerin als Zeugin gerügt wurde und daß sie auch ohne einen diesbezüglichen Antrag des Beschwerdeführers von sich aus in der Lage gewesen wäre, die Genannte als Zeugin zu vernehmen, wozu sie gemäß § 39 Abs. 2 AVG 1950 im Rahmen der amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes in Hinsicht auf das Verhalten des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren auch verpflichtet war.
Da dies von der belangten Behörde unterlassen wurde, blieb nicht nur der Sachverhalt schon in Ansehung der Lenkereigenschaft des Beschwerdeführers in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig, sondern wurden auch Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das über den Betrag von S 30,-- hinausgehende Begehren auf Ersatz der Stempelgebühr „für Beilagen“ war abzuweisen, weil der bloß in einfacher Ausfertigung vorgelegte und nur einen Bogen umfassende angefochtene Bescheid lediglich mit S 30,-- zu vergebühren war.
Wien, am 26. Februar 1986
Schlagworte
Beweiswürdigung antizipative vorweggenommeneEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1986:1984030388.X00Im RIS seit
02.05.2022Zuletzt aktualisiert am
04.05.2022