TE Vwgh Erkenntnis 1996/5/30 95/19/0067

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Veröffentlicht am 30.05.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §58 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Februar 1995, Zl. 4.344.983/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Februar 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, der am 29. Juni 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 4. Juli 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. September 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 20. Juli 1994 angegeben: Er sei seit dem Jahre 1992 Mitglied in der Organisation "Constitutional Right Project" (CRP) und als Offizier für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig gewesen. In dieser Funktion habe er tausende Flugbblätter mit anderen Personen der Organisation in Lagos verteilt. Diese Organisation habe auch Kontakte zu ausländischen Organisationen gehabt. Der Beschwerdeführer sei jedoch nur in der Zentrale in Lagos tätig und im Ausland nicht bekannt gewesen. DIE ORGANISATION HABE 1993 GEHOLFEN, DEN PRÄSIDENTEN ZU STÜRZEN, UND ES SEI DER

VIZEPRÄSIDENT EINGESETZT WORDEN, WELCHER BIS HEUTE REGIERE. MIT

DEM NEUEN PRÄSIDENTEN SEI DIE ORGANISATION UND VIELE PERSONEN

IM HEIMATLAND DES BESCHWERDEFÜHRERS NICHT EINVERSTANDEN. DIE

CRP WOLLE FREIE DEMOKRATISCHE WAHLEN ERREICHEN. Auf den vom Beschwerdeführer verteilten Flugblättern sei zum Beispiel "down with abacha, abacha must go, nigerians rise up and fight for your rights" gestanden. Mit den Flugblättern sei die Bevölkerung auch zu Demonstrationen gegen die Regierung und zum Streik aufgerufen worden. Im März 1994 habe er das letzte Mal Flugblätter verteilt, und es sei nichts geschehen. Anläßlich einer friedlichen Demonstration am 21. März 1994, an der der Beschwerdeführer teilgenommen habe, seien unkontrollierte Personen hinzugekommen und hätten Autos umgeworfen. Es seien sehr viele Demonstranten gewesen, die Anzahl könne er nicht nennen. Die Demonstration sei von der Polizei in Verbindung mit dem Militär gewaltsam aufgelöst worden. Einige Demonstranten hätten Steine auf die staatlichen Organe geworfen und diese hätten auf die Demonstranten geschossen. Dadurch seien einige Demonstranten getötet worden. Die staatlichen Organe hätten die Demonstration nicht genehmigt gehabt. Eine Woche nach diesem Ereignis hätten staatliche Organe das Büro der CRP gestürmt und Dokumente mitgenommen. Der Beschwerdeführer sei nicht anwesend gewesen, sondern habe am nächsten Tag in der Zeitung darüber gelesen. Es sei auch eine Liste der Mitglieder der CRP mitgenommen worden. Am 21. April 1994 sei die Rechtsanwaltskanzlei des Beschwerdeführers durchsucht worden und der Partner des Beschwerdeführers sei verhaftet worden. Er selbst sei zu diesem Zeitpunkt beruflich auf Reisen gewesen. Da sich bei einem Anruf in seinem Büro niemand gemeldet habe, habe er ein benachbartes Büro angerufen und erfahren, daß sein Büro durchsucht und sein Partner verhaftet worden sei. Der Beschwerdeführer sei am 22. April 1994 nach Lagos zurückgekehrt, habe aber sein Büro nicht aufgesucht, weil er der Annahme gewesen sei, daß er von den staatlichen Organen gesucht werde. Er sei am Freitag in Lagos angekommen und habe versucht, seinen Bruder zu Hause anzurufen. Weil sich dieser nicht gemeldet habe, sei er zu einem Freund gefahren und habe bei diesem bis zum Sonntag gewohnt. Am Samstag hätten sie den Bruder telefonisch erreicht und von diesem erfahren, daß der Beschwerdeführer von der Staatspolizei zu Hause gesucht worden sei. Aus diesem Grund habe er nicht zu Hause, sondern in Lagos bei verschiedenen Freunden bis zu seiner Flucht nach Österreich gewohnt. Von den Mitgliedern der CRP sei er informiert worden, daß die staatlichen Organe einige Mitglieder verhaftet hätten. Aus Angst vor eigener Verhaftung sei er geflüchtet. Am 14. Mai 1994 habe die Polizei seinen Bruder wegen des Verwandtschaftsverhältnisses verhaftet, was der Beschwerdeführer von einem befreundeten Polizisten erfahren habe. DER BESCHWERDEFÜHRER WERDE WEGEN HOCHVERRAT UND ALS FEIND

SEINES LANDES VON DEN STAATLICHEN ORGANEN GESUCHT. ER WÜRDE BEI

EINER RÜCKKEHR VERHAFTET UND LEBENSLÄNGLICH VERURTEILT WERDEN,

SOLANGE DIESE REGIERUNG AN DER MACHT SEI.

Das Bundesasylamt gab in seinem Bescheid vom 2. September 1994 diese Angaben verkürzt um die durch

Unterstreichung hervorgehobenen Passagen wieder.

Das Bundesasylamt bewertete die Angaben des Beschwerdeführers nicht als unglaubwürdig. Es führte die befürchtete Verhaftung ausschließlich auf die Ereignisse anläßlich der Demonstration vom 21. März 1994 zurück und bewertete die Handlungen der staatlichen Behörden als legitime Maßnahmen zur Auflösung einer illegalen Demonstration und Ausforschung der Täter hinsichtlich der unterlaufenen Gewaltakte. Die Verhaftung des Bruders des Beschwerdeführers sei nicht gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtet gewesen. Zudem hätte sich der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung mit anderen, im Ausland tätigen Menschenrechtsorganisationen in Verbindung setzen und Unterstützung erhalten können.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:

Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid einleitend aus:

"Die von Ihnen bei der niederschriftlichen Vernehmung getätigten Aussagen wurden im Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Graz, vom 02.09.1994, Zahl 94 02.321-BAG, richtig und vollständig wiedergegeben, sodaß der diesbezügliche Teil des nunmehr von Ihnen bekämpften erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides des Bundesministers für Inneres erhoben wird."

Nach Wiedergabe der Berufungsausführungen und allgemeinen rechtlichen Ausführungen riß die belangte Behörde einzelne Vorkommnisse, die vom Asylwerber illustrativ für die Gesamtsituation, in der er sich im Heimatland befunden hat, aus dem Zusammenhang. Sie unterzog diese Vorkommnisse einer Einzelbeurteilung, deren Unrichtigkeit sich bereits aus der Zitierung der hiefür herangezogenen Verwaltungsgerichtshofjudikatur ergibt ("die Mitgliedschaft bei einer bestimmten Gruppierung ALLEIN"; die Verteilung von Flugblättern für eine Organisation ALLEIN ...;

"Hausdurchsuchungen bzw. Verhöre oder Befragungen

ALLEIN ...";). Dem Beschwerdeakt ist demgegenüber zu entnehmen, daß nicht jeweils für sich ALLEIN diese Umstände als Fluchtgründe geltend gemacht wurden, sondern nur im Rahmen der Gesamtsituation des Beschwerdeführers. Es ist daher die Gesamtsituation dahingehend zu überprüfen, ob wohlbegründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen ist oder nicht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0801, und vom 9. Mai 1996, Zl. 95/20/0380). Des weiteren führte die belangte Behörde aus, die Verhaftung des Kanzleipartners und des Bruders des Beschwerdeführers seien keine konkret gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen. Die von der Polizei gesetzten Maßnahmen aus Anlaß und im Gefolge der Demonstration vom 21. März 1994 seien nicht gegen die politische Überzeugung "dieser demonstrierenden und randalierenden Bürger Nigerias gerichtet" gewesen, sondern legale Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung. Auf das Berufungsvorbringen ging die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nicht näher ein.

Da die belangte Behörde das Gesamtvorbringen des Beschwerdeführers in einzelne Details aufgegliedert und gesondert für sich bewertet hat, belastet sie den angefochtenen Bescheid bereits dadurch mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Denn das Vorbringen eines Asylwerbers ist in seinem Gesamtzusammenhang zu sehen und auf seine asylrechtliche Relevanz zu bewerten. Hiebei ist es keinesfalls erforderlich, daß gegen den Asylwerber bereits tatsächlich Verfolgungshandlungen gesetzt wurden; umso weniger, daß der Asylwerber Verfolgung bereits erdulden mußte. Die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung genügt. In diesem Zusammenhang hat sich die Behörde - offensichtlich aufgrund der vom Bundesasylamt bereits verkürzt wiedergegebenen und von der belangten Behörde als "richtig und vollständig" übernommenen Angaben des Beschwerdeführers, welchen die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen wurde - auch mit wesentlichen Aussagen über die Ziele des CRP und der unter anderem daraus abgeleiteten Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung nicht auseinandergesetzt. Die weiteren Geschehnisse hat der Beschwerdeführer in seinem Gesamtvorbringen im wesentlichen als AUSLÖSER, nicht aber als MOTIV der nunmehr gegen ihn einsetzenden Verfolgung behauptet.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher hinsichtlich der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Des weiteren hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer unter anderem deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihm der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 20. Juli 1994 aus, daß er sich vor seiner Einreise nach Österreich in Niger - anders als das Bundesasylamt, welches Sicherheit vor Verfolgung in Bulgarien annahm - aufgehalten habe, und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle.

Der Beschwerdeführer bringt unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften dagegen vor:

"Die belangte Behörde stützt sich weiters in ihrer Bescheidbegründung auf die Drittlandsklausel, somit daß der BF in einem Drittland bereits Schutz vor Verfolgung gehabt hat.

Dabei wurde ausgeführt, daß der BF sich in Niger - einem Mitgliedsstaaat der Genfer Flüchtlingskonvention - aufgehalten hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis (94/19/0413-8) zum Ausdruck gebracht, daß dem BF, welcher sich gegen die Annahme der belangten Behörde wendet, daß er bereits in einem Drittland vor Verfolgung sicher gewesen wäre, diesem Einwand nachzugehen sei. Diesbezüglich bestehe eine Ermittlungspflicht der belangten Behörde, welcher diese nicht nachkäme, wenn die Behörde keine entsprechenden Ermittlungen über das Drittland vorgenommen hat.

Der Mitwirkungspflicht ist der BF jedoch in jeder Beziehung nachgekommen. Der Mitwirkungspflicht kommt auch nur dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden. Dies trifft bei Feststellungen über ein sicheres Drittland nicht zu. Lediglich der Hinweis, daß ein Land Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention ist, ist nicht geeignet, eine Drittlandsklausel zu tragen.

Die belangte Behörde ist ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen und hat die vom BF im Berufungsverfahren gestellten Beweisanträge hinsichtlich Erstellung eines Gutachtens von Seiten des UNHCR zur Verfolgungssicherheit sowie Einholung eines AI Berichtes und eines Berichtes des Ludwig-Bolzmann-Institutes nicht Folge geleistet. Diese Beweisanträge waren irrelevant, vor allem im Bezug auf die Drittlandsklausel, aber auch in Anbetracht der völlig fehlenden Feststellungen der politischen Umstände in Nigeria"

Mit diesem Vorbringen bestreitet der Beschwerdeführer konkludent, daß er in Niger Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe.

Die belangte Behörde hat grundsätzlich die Rechtslage zum Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) - richtig erkannt.

Doch macht der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen zutreffend geltend, daß keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen wurden, die die Annahme der belangten Behörde rechtfertigen könnten, Niger habe von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz geboten. Der Beschwerdeführer hat auf diese Weise nach Maßgabe der ihn im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es demnach noch einer weiteren Konkretisierung seines Vorbringens bedurft hätte, auch die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmängel aufgezeigt (vgl. dazu des näheren das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413). Der Beschwerdeführer ist aber darauf hinzuweisen, daß sich seine Beweisanträge auf die von der ersten Instanz angenommene Sicherheit vor Verfolgung in Bulgarien beziehen, sodaß sie auf die diesbezügliche Situation in Niger keine Bedeutung haben. Im Hinblick darauf, daß dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren kein Parteiengehör gewährt wurde, obwohl die belangte Behörde, anders als die Erstbehörde, vom Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 Gebrauch gemacht hat, verstößt sein (erstmals in der Beschwerde erstattetes) Vorbringen diesbezüglich auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.

Es wurden sohin auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einen anderen Bescheid hätte kommen können. Da eine Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit einer Aufhebung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995190067.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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