TE Vwgh Beschluss 2022/3/24 Ra 2021/21/0073

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Veröffentlicht am 24.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §67
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1
FrPolG 2005 §80 Abs5
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des R K Y, im Zeitpunkt der Revisionserhebung vertreten durch MMag. Katrin Maringer, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Laudongasse 55/5, gegen das am 9. Dezember 2020 mündlich verkündete und mit 20. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W278 2237458-1/26E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, beantragte am 19. Mai 2015 die Gewährung von internationalem Schutz. Mit Bescheid vom 5. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag - verbunden mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan - vollinhaltlich ab. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine Beschwerde, die im Hinblick auf die (nachträgliche) Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist als rechtzeitig eingebracht gilt.

2        Mit Bescheid vom 28. Oktober 2020 ordnete das BFA gegen den Revisionswerber nach dessen niederschriftlicher Vernehmung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an. Die Rechtsfolgen dieses Bescheides sollten nach seiner Entlassung aus einer damals in Vollzug befindlichen gerichtlich angeordneten Strafhaft eintreten.

3        Der Vollzug dieser Schubhaft erfolgte dem entsprechend nach der Entlassung des Revisionswerbers aus der Strafhaft am 9. November 2020 bis zu seiner neuerlichen gerichtlichen Inhaftierung am 22. Februar 2021.

4        Mit dem angefochtenen, in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2020 verkündeten und mit 20. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das BVwG einer vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG statt und erklärte den Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft seit dem 9. November 2020 für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG stellte das BVwG fest, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Die Anträge des Revisionswerbers und des BFA auf Kostenersatz wies das BVwG jeweils gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG ab (Spruchpunkte A.III. und A.IV.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG noch aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

5        Die Beschwerdestattgebung begründete das BVwG damit, dass der im Schubhaftbescheid angenommene Zweck der Abschiebung mangels Vorliegens einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung nicht habe erreicht werden können.

6        Zu dem - den Hauptgegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens bildenden - Fortsetzungsausspruch (Spruchpunkt A.II.) führte das BVwG aus, der Revisionswerber sei wegen mehrerer näher dargestellter Gewalt- und Drogendelikte sowie einer Sachbeschädigung bereits fünfmal im Zeitraum zwischen 15. November 2017 und 30. Dezember 2019 rechtskräftig verurteilt worden. Seit April 2018 sei er deshalb durchgehend in Justizanstalten angehalten worden. Zuletzt sei über ihn mit rechtskräftigem Urteil vom 30. Dezember 2019 eine zehnmonatige Freiheitsstrafe verhängt worden, weil er in einer Justizanstalt am 4. November 2018 und am 16. Jänner 2019 insgesamt drei Mitinsassen geschlagen und diese dadurch verletzt habe. Darüber hinaus seien über ihn wegen während der Anhaltung in Strafhaft begangener Ordnungswidrigkeiten, unter anderem wegen Raufhandels, Arbeitsverweigerung, ungebührlichen Benehmens und Beschädigung von Anstaltsgut, Geldbußen verhängt worden. Daraus folgerte das BVwG unter Hinweis auf in der mündlichen Verhandlung gezeigte fehlende Schuldeinsicht, auf die wiederholten Rückfälle, zuerst während offener Probezeit und zuletzt sogar während der Anhaltung in Strafhaft, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 FPG gefährde; es liege somit eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

7        Der in Österreich sozial und beruflich überhaupt nicht integrierte sowie über keinen gesicherten Wohnsitz verfügende Revisionswerber habe im Verwaltungsverfahren wiederholt eine Mitwirkung, etwa Aussagen im Zuge von Befragungen, verweigert sowie die Organwalter und den Dolmetscher derb beschimpft. Insgesamt sei auf Basis seines Verhaltens der Schluss gerechtfertigt, dass er nicht vertrauenswürdig sei; im Fall seiner Entlassung aus der Schubhaft sei damit zu rechnen, dass er untertauche und am Verfahren nicht mitwirke. Fluchtgefahr sei somit zu bejahen.

8        Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates sei, so das BVwG weiter, bereits einmal am 25. April 2020 erfolgt. Mit der Abschiebung des Revisionswerbers in den Herkunftsstaat sei - unter der Voraussetzung einer abweisenden Entscheidung im Asylverfahren - im Frühjahr 2021 zu rechnen. Das begründete das BVwG weiter damit, dass nach der pandemiebedingten Pause bereits im Dezember 2020 eine erfolgreiche Charterabschiebung nach Afghanistan durchgeführt worden und für Ende Februar 2021 der nächste Charterflug geplant sei. Dabei ging das BVwG im Rahmen seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung davon aus, dass mit der Erledigung des Asylverfahrens im Jänner 2021 zu rechnen sei. Das BVwG verwies dazu auf die aus § 22 Abs. 6 AsylG 2005 folgende Verpflichtung, über den Asylantrag des in Haft angehaltenen Revisionswerbers binnen drei Monaten zu entscheiden. Die Ladung zur schon anberaumten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG für den 19. Jänner 2021 sei dem Revisionswerber auch schon zugestellt worden. Der Abschluss dieses Verfahrens im Jänner 2021 und die Abschiebung des Revisionswerbers innerhalb der höchst zulässigen Anhaltedauer von zehn Monaten seien daher realistisch möglich.

9        Ein gelinderes Mittel iSd § 77 FPG könne die Zwecke der Schubhaft nach dem bisher gezeigten Verhalten des Revisionswerbers nicht erfüllen. Es wäre nämlich damit zu rechnen, dass er entsprechenden Anordnungen nicht nachkommen würde.

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

11       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13       Vorauszuschicken ist dazu, dass nach dem die Grundlage des Fortsetzungsausspruches bildenden § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft nur angeordnet werden darf, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 FPG gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.

14       Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber, der die Annahme des BVwG zum Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 FPG und der Fluchtgefahr unbeanstandet lässt, nur geltend, es fehle eine „gesetzeskonforme“ Verhältnismäßigkeitsprüfung betreffend die voraussichtliche Dauer des anhängigen Asylverfahrens. Das BVwG habe sich nämlich mit der Frage, in welchem Zeitraum dieses Verfahren abgeschlossen sein werde, nicht ausreichend auseinandergesetzt.

15       Dieser Vorwurf trifft allerdings nicht zu. Das BVwG hat vielmehr antragsgemäß eine mündliche Verhandlung durchgeführt und sich in deren Rahmen sowie in der wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Erkenntnisses (siehe Rn. 8) auch mit der gebotenen Prüfung der voraussichtlichen Dauer des im Beschwerdestadium anhängigen Asylverfahrens des Revisionswerbers - bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung - genügend befasst (vgl. zu diesem Erfordernis etwa VwGH 17.4.2020, Ro 2020/21/0004, Rn. 12 bis 15; VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0424, Rn. 14, und VwGH 27.4.2020, Ra 2019/21/0367, Rn. 12). Fallbezogen war es - entgegen der Meinung in der Revision - nämlich durchaus vertretbar, von der Anberaumung der mündlichen Beschwerdeverhandlung für den 19. Jänner 2021 auf die Erledigung dieses Verfahrens zu diesem Termin bzw. zeitnah danach zu schließen, ohne diesbezüglich - wie nunmehr in der Revision gefordert wird - zusätzlich beim zuständigen Richter des BVwG noch nachzufragen. Dazu haben weder der Inhalt der Beschwerdeschrift des Revisionswerbers noch sein in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG erstattetes Vorbringen zu seinem Gesundheitszustand vor dem Hintergrund der gemäß § 80 Abs. 5 FPG in diesem Fall möglichen Schubhafthöchstdauer von zehn Monaten ausreichenden Anlass geboten, hatte doch die Schubhaft im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (9. Dezember 2020) erst einen Monat gedauert. Im Übrigen hat der rechtsfreundlich vertretene Revisionswerber auch keine darauf abzielenden Beweisanträge gestellt.

16       Insgesamt werden im Zulässigkeitsvorbringen der Revision somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 24. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210073.L00

Im RIS seit

02.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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