TE Vwgh Beschluss 2022/3/30 Ra 2020/13/0096

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Veröffentlicht am 30.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §116 Abs1
BAO §167 Abs2
BAO §207 Abs2
FinStrG §33
FinStrG §98 Abs3
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/13/0097

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revisionen des J H in T, vertreten durch die Writzmann & Partner Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 2500 Baden bei Wien, Wassergasse 22-26/1 Top 4, gegen die Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts 1. vom 2. September 2020, Zl. RV/7104791/2019, betreffend Einkommensteuer 2009, und 2. vom 23. September 2020, Zl. RV/7104853/2019, betreffend Einkommensteuer 2010 und 2011, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein deutscher Staatsbürger, bezog in den Streitjahren jeweils eine Pension der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt und eine Rente der deutschen Rentenversicherung Bund sowie Einkünfte ohne inländischen Steuerabzug (deutsche Firmenpension). Die deutschen Pensionen waren dem Finanzamt ursprünglich nicht gemeldet worden. Erst aufgrund eines Informationsaustausches und Bekanntgabe von Daten durch die deutsche Steuerverwaltung wurden dem Finanzamt die ausländischen Pensionsbezüge bekannt.

2        Mit Bescheiden vom 7. Juni 2019 wurde der Revisionswerber erstmals zur Einkommensteuer für die Jahre 2009, 2010 und 2011 veranlagt. In diesen wurde die deutsche Firmenpension in Österreich versteuert und die Rente der Rentenversicherung Bund zur Ermittlung des Gesamtsteuersatzes herangezogen.

3        In der dagegen erhobenen Beschwerde wendete der Revisionswerber Verjährung ein. Es lägen keine hinterzogenen Abgaben vor, weshalb die Verjährungsfrist fünf Jahre betrage. Er sei deutscher Staatsbürger, der seit 2006 eine deutsche Berufsunfähigkeitspension und eine Firmenpension erhalte. Er habe seit 2006 seine deutschen Pensionseinkünfte in Deutschland versteuert. Trotz Kenntnis des deutschen Finanzamtes von der Firmenpension sei er nicht aufgefordert worden, diese zusätzlich zu versteuern, sodass er davon ausgegangen sei, diese würde nicht der Steuerpflicht unterliegen. Er habe 2006 das damals zuständige österreichische Finanzamt über seine Einnahmen informiert. Er sei aber nie zu einer Arbeitnehmerveranlagung aufgefordert worden. Er habe auch keine Steuererklärungen beim Finanzamt eingebracht. Er sei davon ausgegangen, dass den Behörden seine Einkünfte aus Deutschland bekannt seien. Der Revisionswerber sei als Pensionist damals noch nicht steuerlich vertreten gewesen. Er sei immer davon ausgegangen, dass Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit automatisch bei der Finanzverwaltung gemeldet werden. Mit Schreiben vom 8. September 2017 habe er seine Situation zur Gänze dem Finanzamt offengelegt und keine Einkünfte verschwiegen.

4        Nach abweisender Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte es aus, unbestritten sei, dass die deutsche Firmenpension in Deutschland nicht versteuert worden sei und dass der Revisionswerber für die Jahre 2009 bis 2011 keine Steuererklärungen bei der österreichischen Abgabenbehörde eingereicht habe. Im Jahr 2017 sei das Finanzamt durch Informationen der deutschen Finanzverwaltung über die Einkünfte aus Deutschland in Kenntnis gesetzt worden. Die österreichische Abgabenbehörde sei zuvor seitens des Revisionswerbers über die deutschen Pensionen nicht informiert worden.

5        In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, gemäß § 8 Abs. 1 FinStrG handle vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen wolle, der einem gesetzlichen Tatbild entspreche; dazu genüge es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich halte und sich mit ihr abfinde. Liege - wie im Revisionsfall - eine finanzstrafrechtliche Verurteilung nicht vor, habe die Abgabenbehörde über die Hinterziehung als Vorfrage zu entscheiden.

6        In Hinblick auf § 42 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 stehe fest, dass der Revisionswerber verpflichtet gewesen wäre, nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres Steuererklärungen für die Jahre 2009 bis 2011 abzugeben. Dies habe er unterlassen. Nach dem Wortlaut dieser gesetzlichen Regelung gelte die Steuererklärungspflicht unabhängig von einer Aufforderung durch die Abgabenbehörde. Unbestritten sei, dass durch die Verletzung der abgabenrechtlichen Offenlegungspflicht eine (objektive) Abgabenverkürzung eingetreten sei.

7        Zur subjektiven Tatseite führte das Bundesfinanzgericht aus, dass nach Lehre und Rechtsprechung bei intellektuell durchschnittlich begabten Personen die Kenntnis über das prinzipielle Bestehen einer Einkommensteuerpflicht grundsätzlich vorausgesetzt werden könne. Es sei zumindest davon auszugehen, dass der Revisionswerber - nach eigenen Angaben zuvor in leitender Funktion berufstätig - eine aufgrund der Nichterklärung der deutschen Einkünfte eintretende Abgabenverkürzung jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen habe. Darüber hinaus habe der Revisionswerber auch ohne steuerliche Beratung nicht ernstlich davon ausgehen können, dass eine jährliche Firmenpension von über 40.000 € samt der Pension der Pensionsversicherungsanstalt von über 6.000 € gänzlich unversteuert bleiben könnten. Auch das Argument des steuerlichen Vertreters, der Revisionswerber sei der Meinung gewesen, dass die Firmenpension „wie eine privat einbezahlte Rente (im Rahmen einer Lebensversicherung)“ nicht der Steuerpflicht unterliege, sei nicht geeignet die Rechtfertigung zu untermauern, sei doch eine Firmenpension nicht mit den Rentenzahlungen aus einer Lebensversicherung zu vergleichen. Die Einkommensteuerpflicht einer im Inland wohnhaften Person auch hinsichtlich von ausländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit könne dem Revisionswerber nicht mehr als zehn Jahre lang verborgen geblieben sein. Zumindest müsse er die grundsätzliche Steuerpflicht samt entsprechender Steuererklärungspflicht ernstlich für möglich gehalten haben. Seitens des Revisionswerbers sei nicht erklärt worden, auf welcher Grundlage er angenommen haben wolle, dass dem österreichischen Finanzamt die deutschen Einkünfte wohl bekannt gewesen sein müssten.

8        Das Verhalten des Revisionswerbers gehe daher über Fahrlässigkeit, wie im Vorlageantrag vorgebracht worden sei, hinaus. Für die Annahme der Fahrlässigkeit sei die Behauptung, das eigene Handeln für legal gehalten zu haben, nicht ausreichend, da der Wille des Revisionswerbers zur korrekten steuerlichen Vorgangsweise durch keinerlei weitere Indizien zum Ausdruck gekommen sei. Der Revisionswerber habe die Abgabenverkürzung wenn auch nicht absichtlich und wissentlich, so doch zumindest billigend in Kauf genommen, womit der Tatbestand der hinterzogenen Abgaben iSd § 207 Abs. 2 BAO erfüllt sei.

9        Gegen die Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts richten sich die beiden außerordentlichen Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof auf Grund ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden hat.

10       Zu ihrer Zulässigkeit wird jeweils vorgebracht, das Finanzamt habe am 28. August 2019 bei völlig gleichen Sachverhalten für die Kalenderjahre 2014 bis 2016 ein Finanzstrafverfahren wegen grober Fahrlässigkeit eingeleitet, das am 2. Oktober 2019 wegen der strafbefreienden Wirkung einer Selbstanzeige eingestellt worden sei. Selbst die zuständige Finanzstrafbehörde sei daher nicht von bedingtem Vorsatz, sondern von grober Fahrlässigkeit ausgegangen. Im Abgabenverfahren gelte für die Beurteilung der hinterzogenen Abgaben die Unschuldsvermutung und der Zweifelsgrundsatz; der Nachweis der Schuld und die Unterstellung von dolus eventualis seien somit aktenwidrig. Ob die Tatbestandsmerkmale der Hinterziehung vorlägen, sei im Verfahren zur Abgabenfestsetzung nach materiellem Finanzstrafrecht zu beurteilen. Unstrittig sei, dass der Revisionswerber über keine Kenntnisse auf dem Gebiet der Besteuerung ausländischer Einkünfte verfügt habe und über die steuerliche Erfassung seiner Einkünfte geirrt habe. Ein Irrtum des Steuerpflichtigen über die Abgabepflicht schließe den Vorsatz aus.

11       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach § 207 Abs. 1 BAO nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 207 Abs. 2 BAO im Allgemeinen fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO zehn Jahre.

15       Nach § 33 Abs. 1 FinStrG macht sich der Abgabenhinterziehung schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.

16       Gemäß § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

17       Ob Abgaben hinterzogen sind, bildet eine Vorfrage nach § 116 Abs. 1 BAO für die Frage, ob die längere Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO anzuwenden ist. Der Tatbestand der hinterzogenen Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO ist nach § 33 FinStrG zu beurteilen. Wenn eine Verurteilung wegen Hinterziehung einer bestimmten Abgabe vorliegt, dann ist die Abgabe im Abgabenverfahren als hinterzogen zu behandeln. Im Falle eines Freispruches besteht aber keine solche Bindung, und zwar schon wegen der anders gearteten Beweisregeln (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/15/0044, mwN).

18       Im Falle eines Freispruches im Strafverfahren sowie in jenen Fällen in denen das Strafverfahren eingestellt wurde, ist es damit Sache des Finanzamtes, die maßgebenden Hinterziehungskriterien nachzuweisen.

19       Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt konkrete und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Vorsätzlich handelt, wer ein Tatbild mit Wissen und Wollen verwirklicht, wobei ein Eventualvorsatz genügt. Vorsätzliches Handeln beruht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (vgl. VwGH 31.1.2018, Ro 2017/15/0015, mwN).

20       Wenn die Revision vorbringt, dass bei der Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, im Abgabenverfahren die Unschuldsvermutung und der Zweifelsgrundsatz gelten und damit die Annahme des Eventualvorsatzes „aktenwidrig“ sei, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 207 Abs. 2 BAO zu verweisen, wonach für die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen wurden, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung und damit ein anderes Beweismaß als im Finanzstrafverfahren gilt (vgl. VwGH 17.12.2021, Ra 2019/13/0038). Ungeachtet dessen ist auch unklar, worin die Revision eine Aktenwidrigkeit erblickt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Aktenwidrigkeit nur dann vor, wenn sich die Behörde oder das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch setzt, wenn also der Akteninhalt in der Entscheidung unrichtig wiedergegeben wurde, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen wurden, die - als Ergebnis der Beweiswürdigung - mit Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 27.9.2021, Ra 2020/15/0066, mwN). Dass die Finanzstrafbehörde für die Jahre 2014 bis 2016 ein Finanzstrafverfahren wegen grober Fahrlässigkeit eingeleitet hat und das Bundesfinanzgericht demgegenüber im Revisionsfall von einem Eventualvorsatz ausgegangen ist, begründet keine Aktenwidrigkeit.

21       Soweit die Revision vorbringt, es sei „unstrittig“, dass der Revisionswerber über die steuerliche Erfassung seiner Einkünfte irrte, übersieht sie, dass das Bundesfinanzgericht vom Gegenteil ausgegangen ist und das Vorliegen eines Rechtsirrtums als unglaubwürdig beurteilt hat.

22       Das Vorbringen des Revisionswerbers, er sei davon ausgegangen, dass die Pension weder in Deutschland noch in Österreich steuerpflichtig sei, und er habe gedacht, sowohl dem deutschen als auch dem österreichischen Finanzamt seien seine Pension bekannt gewesen, weshalb er sie nicht angegeben habe, wurde als unglaubwürdig angesehen.

23       Eine in einem Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung wirft im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. VwGH 19.3.2021, Ra 2021/13/0034, mwN).

24       Dem - in dem Zusammenhang weitgehend unsubstantiierten -Zulässigkeitsvorbringen gelingt es nicht, die vom Bundesfinanzgericht vorgenommene Beweiswürdigung als unschlüssig erscheinen zu lassen, weil es weder einen Verstoß gegen die Denkgesetze noch einen Widerspruch zur Lebenserfahrung aufzuzeigen vermag. Der Verwaltungsgerichtshof vermag der im Einzelfall getroffenen Beurteilung des Bundesfinanzgerichts, der Revisionswerber habe mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt, im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht entgegenzutreten.

25       In den Revisionen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. März 2022

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130096.L00

Im RIS seit

02.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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