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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §1332Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Berger, Mag. Stickler und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, in der Revisionssache des A E, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2018, W255 2187940-1/4E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Schönbrunner Straße), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 18. Juli 2017 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) gegenüber dem Revisionswerber aus, dass der Bezug der Notstandshilfe für bestimmte Zeiträume zwischen Juni 2016 und April 2017 gemäß §§ 24 Abs. 2 iVm 38 AlVG widerrufen und die unberechtigt empfangene Notstandshilfe von € 5.210,43 gemäß §§ 25 Abs. 1 iVm 38 AlVG zurückzuzahlen sei. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag sprach das AMS aus, dass der Bezug der Notstandshilfe ab dem 2. Juni 2017 gemäß §§ 33, 24 Abs. 1 iVm 38 AlVG eingestellt werde.
1.2. Der Revisionswerber erhob gegen beide Bescheide Beschwerde.
1.3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 21. September 2017 (zugestellt am 27. September 2017) änderte das AMS den Bescheid betreffend den Widerruf und die Rückforderung der Notstandshilfe dahingehend ab, dass es den Widerruf für dieselben Zeiträume, jedoch eine Rückforderung von € 5.448,63 aussprach, wovon ein Betrag von € 5.210,43 noch offen sei. Mit weiterer Beschwerdevorentscheidung vom selben Tag wies es die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend die Einstellung der Notstandshilfe als unbegründet ab.
1.4. Am 6. Oktober 2017 brachte der Revisionswerber einen Vorlageantrag hinsichtlich der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend die Einstellung der Notstandshilfe ein.
2.1. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2017 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Vorlageantrags (auch) hinsichtlich der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend den Widerruf und die Rückforderung der Notstandshilfe, wobei er unter einem den versäumten Antrag nachholte.
2.2. Der Revisionswerber brachte dazu - soweit hier von Bedeutung - vor, bei seiner Vorsprache bei der (ihn im Verfahren unterstützenden) Arbeiterkammer Wien (im Folgenden nur: Kammer) am 4. Oktober 2017 sei besprochen worden, dass gegen beide Beschwerdevorentscheidungen „jeweils ein Vorlageantrag“ verfasst werde. Bei der Abholung der Unterlagen am 6. Oktober 2017 sei ihm lediglich „ein Schriftsatz (in doppelter Ausfertigung)“ samt Begleitbrief übergeben worden. Er habe diesen Schriftsatz noch am selben Tag beim AMS eingebracht, wobei ihm nicht aufgefallen sei, „dass nicht etwa beide notwendigen Vorlageanträge in einem Schriftsatz zusammengefasst waren“, sondern sich der Vorlageantrag nur auf die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend die Einstellung der Notstandshilfe bezogen habe. Er habe „darauf vertraut“, dass er die notwendigen Schriftsätze von der Kammer „wie besprochen auch erhalten würde“. Er habe daher den ihm ausgehändigten Schriftsatz, von dem er angenommen habe, dass er „alle wesentlichen Schritte zu[r] Rechtsverfolgung der beiden Verfahren enthielt“, beim AMS eingebracht. Es treffe ihn folglich an der Fristversäumung kein Verschulden.
3.1. Mit Bescheid vom 22. November 2017 wies das AMS den Wiedereinsetzungsantrag ab und den unter einem nachgeholten Vorlageantrag als verspätet zurück.
3.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, wobei er im Wesentlichen sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag wiederholte.
4.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab.
Der Revisionswerber habe - so die wesentliche Begründung - nicht schlüssig dargelegt, inwiefern er die Frist für die Einbringung des Vorlageantrags durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis versäumt habe. Er sei damals unvertreten gewesen (die Kammer sei von ihm nicht bevollmächtigt worden), die inhaltliche Kontrolle eingebrachter Schriftsätze sei daher in seiner eigenen Sphäre gelegen, er habe sich diesbezügliche Versäumnisse selbst zuzuschreiben und sei dafür allein verantwortlich. Dabei treffe ihn auch kein bloß minderer Grad des Versehens, sondern stelle das Einbringen eines Vorlageantrags ohne jegliche Durchsicht bzw. inhaltliche Kenntnis eine offenkundige grobe Sorgfaltswidrigkeit dar. Es sei ihm bewusst gewesen, dass zwei Vorlageanträge einzubringen seien, deren Verfassung durch die Kammer zugesagt worden sei. Er habe jedoch nur einen (einzigen) Antrag von der Kammer ausgefolgt erhalten und diesen offenbar nicht einmal rudimentär gelesen, sondern schlichtweg angenommen, dass darin beide Vorlageanträge zusammengefasst seien. Der diesbezügliche Fehler wäre für den Revisionswerber bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt leicht erkennbar und vermeidbar gewesen.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen worden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine, keine besonders komplexe Rechtsfrage vorliege und dem Entfall der Verhandlung auch Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC nicht entgegenstünden.
4.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung - unter dem Gesichtspunkt eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. des Fehlens einer solchen Rechtsprechung - ausgeführt wird, es würde eine erhebliche Überspannung der Sorgfaltspflicht bedeuten, wenn dem Revisionswerber als einem „einfachen, nicht muttersprachlich Deutsch sprechenden Menschen mit geringem Bildungsniveau“ nicht zugebilligt würde, darauf zu vertrauen, dass ein von einer anerkannten Interessenvertretung (wie der Kammer) zur Einbringung in einem komplexen Verfahren übergebener Schriftsatz richtig und vollständig sei. Das Verwaltungsgericht habe auch - trotz widerstreitendem Tatsachenvorbringen - keine mündliche Verhandlung durchgeführt; es habe unterstellt, dass der Revisionswerber „intellektuell und sprachlich in der Lage gewesen wäre“, den Inhalt des ihm durch die Kammer ausgefolgten Vorlageantrags „erfassen zu können“, wobei jedoch eine derartige Annahme einer mündlichen Verhandlung mit Vernehmung des Revisionswerbers bedurft hätte.
5.2. Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.
6. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7.1. Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
7.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt ein die Wiedereinsetzung nicht hindernder bloß minderer Grad des Versehens vor, wenn es sich um eine leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB handelt, also ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, mithin die im Verkehr mit Gerichten und Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 9.8.2021, Ra 2021/03/0113).
Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ein grobes Verschulden der Partei zur Säumnis geführt hat, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts (vgl. VwGH 25.7.2019, Ra 2017/22/0161). Die Beurteilung bezieht sich auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, die bereits im Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der Antragsfrist vorzubringen sind. Diese Antragsbehauptungen stecken den Rahmen für die Untersuchung der Frage ab, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist (vgl. VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0310).
7.3. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die im Sinn des Vorgesagten vorzunehmende Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. VwGH 8.6.2015, Ra 2015/08/0005).
Eine derartige Fehlbeurteilung ist fallbezogen freilich nicht zu sehen.
8.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Revisionswerber von der Kammer unstrittig nicht vertreten, sondern lediglich intern bei der Abfassung von Schriftsätzen unterstützt wurde, sodass ihm ein allfälliges Verschulden der Mitarbeiter der Kammer nicht zuzurechnen ist (vgl. VwGH 17.12.2009, 2008/22/0414).
Folglich kommt es darauf an, ob dem Revisionswerber ein - einen minderen Grad des Versehens übersteigendes - eigenes Verschulden an der Versäumung der rechtzeitigen Erhebung des Vorlageantrags trifft.
8.2. Angesichts des oben wiedergegebenen, für die Beurteilung des Vorliegens eines Wiedereinsetzungsgrundes maßgeblichen Antragsvorbringens durfte das Verwaltungsgericht vertretbar annehmen, dass den Revisionswerber an der Versäumung der rechtzeitigen Erhebung des Vorlageantrags ein grobes Verschulden traf. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtsprechung hinzuweisen, wonach auch eine unvertretene Partei - wie hier den Revisionswerber - bei der Wahrnehmung von Fristen eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2016/05/0018; mwN). Ausgehend davon bedurfte es aber auch nicht der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur weiteren Klärung des Sachverhalts, zumal - wie erwähnt - die Antragsbehauptungen den Rahmen für die Untersuchung der Frage, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist, abstecken (vgl. VwGH 2.4.2008, 2008/08/0023).
8.3. Soweit erstmals in der Revision geltend gemacht wird, beim Revisionswerber handle es sich um einen „einfachen, nicht muttersprachlich Deutsch sprechenden Menschen mit geringem Bildungsniveau“, dem schon deshalb ein Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des ihm ausgehändigten Schriftsatzes zuzubilligen sei, liegt ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) vor.
9. Insgesamt vermochte der Revisionswerber daher keine Rechtsfrage aufzuzeigen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb - in seinem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.
Wien, am 30. März 2022
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2018080202.L00Im RIS seit
02.05.2022Zuletzt aktualisiert am
17.05.2022