Entscheidungsdatum
25.11.2021Index
62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
AlVG 1977 §50 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter MMag. Dr. Böhm-Gratzl über die Beschwerde des A. B., C.-weg, Wien, vom 15.11.2021 gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 15.10.2021, Zl. MBA/…/2020, betreffend eine Übertretung des § 71 Abs. 2 iVm § 50 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 – AlVG, BGBl. Nr. 609 (WV), idF BGBl. I Nr. 67/2013 bzw. Nr. 77/2004
zu Recht:
I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, wird das angefochtene Straferkenntnis behoben und wird das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Mit o.a. Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer wörtlich wie folgt zur Last gelegt:
„Sie haben im Zeitraum vom 16.03.2020 bis 19.06.2020 vorsätzlich Leistungen der Arbeitslosenversicherung, und zwar Arbeitslosengeld in Anspruch genommen, ohne dazu berechtigt zu sein.
Bei einer Kontrolle der Finanzpolizei … am 23.06.2020 wurde festgestellt, dass Sie im Zeitraum vom 16.03.2020 bis 19.06.2020 für die Firma D. E. (Einzelunternehmer) mit Sitz in F., G.-straße, als Sortierer tätig waren, ohne die Aufnahme dieser Tätigkeit unverzüglich dem zuständigen Arbeitsmarktservice gemeldet zu haben.
Sie haben damit die Bestimmung des § 71 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AIVG), wonach eine Verwaltungsübertretung begeht, wer vorsätzlich Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt oder genießt, ohne dazu berechtigt zu sein, oder zu solchen Missbräuchen anstiftet oder Hilfe leistet, sowohl im Zeitraum vom 16.03.2020 bis 16.04.2020 übertreten, da Sie, wie die Finanzpolizei anhand der im Rahmen der oben genannten Kontrolle sichergestellten Stundenlisten nachweisen konnte, Ihr Dienstverhältnis zur Firma D. E. trotz Bezugs von Arbeitslosengeld nicht unverzüglich dem zuständigen Arbeitsmarktservice gemeldet haben, als auch in der Zeit vom 17.04.2020 bis zum 19.06.2020 übertreten, da Sie, was aus den ebenfalls sichergestellten Auszahlungslisten hervorgeht, in der Zeit vom 01.01.2020 bis 19.06.2020 in Summe einen Lohn von € 11.045,00 bezogen und sowohl vom 16.03.2020 bis 16.04.2020 als auch vom 17.04.2020 bis zum 19.06.2020, obwohl Sie mit freiem Dienstvertrag geringfügig beschäftigt waren, über den gesetzlichen Rahmen der Geringfügigkeit hinaus gearbeitet und in diesem Zeitraum Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld) in Anspruch genommen haben.“
(Unkorrigiertes Originalzitat)
Hiedurch habe der Beschwerdeführer § 50 Abs. 1 iVm § 71 Abs. 2 AlVG verletzt und wurde über ihn eine Geldstrafe iHv EUR 350,-- bzw. für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von acht Stunden verhängt.
Hiegegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde, mit welcher die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu die Reduktion der Strafe, begehrt wird.
Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte den bezughabenden Verwaltungsakt vor.
Das Verwaltungsgericht Wien sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer in dem hier angefochtenen Straferkenntnis vor, dass er mangels unverzüglicher Anzeige einer Beschäftigung bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vorsätzlich Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Anspruch genommen habe, ohne dazu berechtigt zu sein, weshalb er § 50 Abs. 1 iVm § 71 Abs. 2 AlVG verletzt habe und hienach zu bestrafen sei.
Zur Beweiswürdigung:
Diese Feststellungen gründen sich auf dem – dem vorgelegten Verwaltungsakt einliegenden – Original des angefochtenen Straferkenntnisses (vgl. AS 81 ff.), an dessen Echtheit das erkennende Gericht keinen Grund zu zweifeln hat.
Das Verwaltungsgericht Wien hat hierzu erwogen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 – AlVG, BGBl. Nr. 609 (WV), lauten in der zum Tatzeitpunkt geltenden und hienach unveränderten Fassung BGBl. I Nr. 67/2013 bzw. Nr. 77/2004 – auszugsweise – wie folgt:
„Anzeigen
§ 50. (1) Wer Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, ist verpflichtet, die Aufnahme einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle anzuzeigen. Darüber hinaus ist jede andere für das Fortbestehen und das Ausmaß des Anspruches maßgebende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen sowie jede Wohnungsänderung der regionalen Geschäftsstelle ohne Verzug, spätestens jedoch binnen einer Woche seit dem Eintritt des Ereignisses anzuzeigen. Bei Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 18 Abs. 5 trifft die Anzeigepflicht auch den Träger der Einrichtung. Bei Bezug von Weiterbildungsgeld oder Bildungsteilzeitgeld trifft die Anzeigepflicht auch den Arbeitgeber.
(2) […]
Strafbestimmungen
§ 71. (1) […]
(2) Sofern die Tat weder den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, noch nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe von 200 Euro bis zu 2 000 Euro, im Wiederholungsfall von 400 Euro bis zu 4 000 Euro zu bestrafen, wer vorsätzlich Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt oder genießt, ohne dazu berechtigt zu sein, oder zu solchen Missbräuchen anstiftet oder Hilfe leistet.
(3) […]“
Auch in – wie hier – Verwaltungsstrafverfahren richtet sich der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes grundsätzlich nach § 27 VwGVG. In diesem Rahmen ist das Verwaltungsgericht auch befugt, Rechtswidrigkeitsgründe aufzugreifen, die im Beschwerdeschriftsatz nicht vorgebracht wurden (vgl. etwa VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077).
Darüber hinaus ist jedoch das in § 42 leg. cit. normierte Verbot der „reformatio in peius“ zu berücksichtigen, welches nur dann nicht gilt, wenn – anders als im vorliegenden Fall – die Beschwerde nicht zu Gunsten des Bestraften erhoben wird. Eine Befugnis des Verwaltungsgerichtes zur Ausdehnung des Gegenstands des Beschwerdeverfahrens über die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens im Sinne des § 50 VwGVG hinaus wurde durch den Gesetzgeber nicht geschaffen und würde dies eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und damit der Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht darstellen (vgl. hiezu bspw. VwGH 5.11.2014, Ra 2014/09/0018).
Das erkennende Gericht ist demnach an jenen Tatvorwurf gebunden, der im o.a. Straferkenntnis enthalten und – zusammengefasst – als vorsätzlicher Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung ohne Berechtigung hiezu formuliert ist.
Die belangte Behörde erachtet damit den Tatbestand des § 71 Abs. 2 AlVG als erfüllt.
Voraussetzung für eine Ahndung der Tat nach dieser verwaltungsstrafrechtlichen Bestimmung ist allerdings, wie bereits aus dem klaren Gesetzeswortlaut zu ersehen ist, dass die vorgeworfene Handlung nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
Gemäß § 146 StGB („Betrug“) ist strafgerichtlich mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu belangen, wer mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder einer Unterlassung verleitet, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt.
§ 147 StGB ahndet den schweren Betrug mit Freiheitsstrafe bis zu drei bzw. von einem bis zu zehn Jahren. Für den gewerbsmäßigen Betrug wird gemäß § 148 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bzw. von sechs Monaten bis zu fünf Jahren angedroht.
Auch bloßes Unterlassen der gebotenen Aufklärung, das nicht in ein als aktives Tun fassbares Gesamtverhalten fällt, kann gemäß § 2 StGB den Tatbestand des Betruges begründen. Eine solche Aufklärungspflicht kann auf Rechtsvorschriften beruhen. In Betracht kommen hier v.a. Rechtsvorschriften, welche es Beziehern wiederkehrender Leistungen auferlegen, Änderungen anspruchsbestimmender Tatsachen mitzuteilen, wie bei Krankengeld, Notstandhilfe oder Arbeitslosengeld. Der in concreto herangezogene, eine Meldepflicht auferlegende § 50 Abs. 1 AlVG ist eine solche Rechtsnorm (vgl. zB Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 146 [Stand: 1.9.2011, rdb.at] Rz 23 ff. mwN; zur Notstandhilfe vgl. OGH 29.1.2003, 13 Os 105/02).
Auf Grund des im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses enthaltenen Tatvorwurfes, der – wie oben ausgeführt – die Sache des Beschwerdeverfahrens begrenzt, wird nun aber im vorliegenden Fall von der belangten Behörde ein Sachverhalt als erwiesen angenommen, der jedenfalls unter die Bestimmung des § 146 iVm § 2 StGB und damit unter einen Straftatbestand zu subsumieren ist, dessen Ahndung der ordentlichen Gerichtsbarkeit obliegt (vgl. § 30 Abs. 1 StPO).
Es ist daher im konkreten Fall kein Raum für die Anwendbarkeit des § 71 Abs. 2 AlVG gegeben und wurde der Beschwerdeführer demnach zu Unrecht nach dieser Norm bestraft.
Die Unterlassung der Anzeigepflicht gemäß § 50 Abs. 1 AlVG selbst wird von Gesetzes wegen nicht verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert (vgl. hiezu bereits VwG Wien 10.12.2014, VGW-001/059/30850/2014).
Es war – schon alleine deshalb – spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die zitierte Gesetzesstelle.
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien konnte im vorliegenden Fall gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG abgesehen werden, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass das mit der Beschwerde angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist. Auch ist die Durchführung einer Verhandlung von keiner Partei beantragt worden.
Zum Revisionsausspruch:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (obzitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche, über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung der hier zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal auch die Gesetzeslage eindeutig ist (vgl. etwa VwGH 28.5.2014, Ro 2014/07/0053; 3.7.2015, Ra 2015/03/0041). Zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist der Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht berufen (vgl. VwGH 24.3.2014, Ro 2014/01/0011; 28.4.2015, Ra 2014/19/0177).
Schlagworte
Anzeigen; Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte; Betrug; Meldepflicht; Änderungen anspruchsbestimmender Tatsachen; AnwendungsbereichEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.001.016.16370.2021Zuletzt aktualisiert am
29.04.2022