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E000 EU- Recht allgemeinNorm
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 §1Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2021/09/0101 E 3. Februar 2022 RS 5Stammrechtssatz
Eine Regelung, mit der das Betreten des Kundenbereiches von Betriebsstätten eines Gastgewerbebetriebes verboten wird, ist grundsätzlich geeignet, die Grundrechte der Art. 15, 16 und 17 GRC zu beschränken. Die gesetzlichen Ermächtigungen zu Betretungsverboten verfolgen den Zweck, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern und damit die Funktionalität der Gesundheitsinfrastruktur aufrechtzuerhalten, was jedenfalls ein gewichtiges öffentliches Interesse darstellt und Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann (vgl. VfGH 24.6.2021, V 592/2020; 24.6.2021, V 593/2020; VfGH 23.9.2021, V 572/2020 zum Verbot des Betretens von Betriebsstätten des Gastgewerbes). Das Verbot des Betretens des Kundenbereiches der Betriebsstätte greift in das Recht auf Eigentum iSd. Art. 17 GRC ein. Darin liegt allerdings weder eine formelle Eigentumsentziehung noch eine ihr gleichzuhaltende "materielle Enteignung", sondern lediglich eine Eigentumsbeschränkung (vgl. VfGH 14.7.2020, G 202/2020). Der VwGH sieht keinen Anlass, von dieser Einschätzung des VfGH (hinsichtlich Betretungsverbote nach § 3 COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020) abzugehen, blieb doch das zivilrechtliche Eigentum unangetastet und war auch durch das Verbot des Betretens der Betriebsstätten nicht jegliche sinnvolle Nutzung der Betriebseinrichtung ausgeschlossen (vgl. zum Vorliegen einer de facto-Enteignung [nur] bei Wegfall jeglicher Verfügungsmöglichkeit etwa EuGH 12.5.2005, Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und Agenzia regionale per lo sviluppo rurale, C-347/03; EGMR Papamichalopoulos, 24.6.1993, 14556/89; Henne, 8.12.2009, 28092/07), wie etwa das Anbieten von Speisen und Getränken im Wege eines Lieferservice oder durch die Ermöglichung einer Essensabholung. Angesichts dessen sowie der begrenzten Dauer dieses Betretungsverbotes kann somit nicht davon gesprochen werden, dass dieses in seinen Wirkungen einer formellen Enteignung gleichgekommen wäre. Das Betretungsverbot nach § 1 COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 erfolgt nicht isoliert, sondern im Rahmen eines umfangreichen Maßnahmen- und Rettungspaketes, das die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Betretungsverbotes auf die betroffenen Unternehmer abmildern soll und damit eine vergleichbare Zielsetzung wie die Einräumung von Ansprüchen auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 EpidemieG 1950 hat; nichts anderes gilt für das Betretungsverbot nach § 3 COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 (vgl. VfGH 14.7.2020, G 202/2020). Die Antragstellerin hat für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum einen maßgeblichen Betrag aus dem Maßnahmen- und Rettungspaket erhalten. Es handelt sich im Revisionsfall eben nicht um eine Enteignung (für welche in der Regel eine "angemessene" Entschädigung zu zahlen ist, vgl. EuGH 21.5.2019, Kommission/Ungarn, C-235/17), sondern (nur) um eine (vorübergehende) Beschränkung des Eigentums, für die nach Art. 17 Abs. 1 GRC nicht zwingend eine Entschädigung vorzusehen ist.
Gerichtsentscheidung
EuGH 62003CJ0347 Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und ERSA VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021090159.L04Im RIS seit
29.04.2022Zuletzt aktualisiert am
29.04.2022