Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ABGB §1332Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, I. über den Antrag des M B, vertreten durch Dax Wutzlhofer und Partner Rechtsanwälte GmbH, 7000 Eisenstadt, Rusterstraße 62/1/4. Stock, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision 1. gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2021, I422 2247070-1/9E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist in einer fremdenrechtlichen Angelegenheit, und 2. gegen den damit verbundenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2021, I422 2247070-2/2E, betreffend Zurückweisung der Beschwerde als verspätet, und II. über diese Revision (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Der Wiedereinsetzungsantrag wird gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abgewiesen.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 12. Jänner 2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber, einen italienischen Staatsangehörigen, gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub gewährt werde und erkannte einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab.
2 Mit Eingabe vom 2. August 2021 beantragte der Revisionswerber mit näherer Begründung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 21. September 2021 gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. Dezember 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Begründend ging es von einem durch ein Missverständnis veranlassten Irrtum des Revisionswerbers über das Bestehen eines anwaltlichen Vertretungsverhältnisses zu Mag. S zur Einbringung einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot aus, der ein unvorhergesehenes Ereignis darstelle. Allerdings habe der Revisionswerber nicht die erforderliche und ihm zumutbare Sorgfalt zur Wahrung der Beschwerdefrist eingehalten, indem er sich ohne weitere Erkundigungen bei Mag. S oder dem BFA auf die rechtzeitige Einbringung einer Beschwerde verließ. Dies begründe nicht bloß leichte Fahrlässigkeit, sodass die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags durch das BFA mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 VwGVG zu Recht erfolgt sei. Die vom Revisionswerber auch erhobene Beschwerde gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbots wies das BVwG daher unter einem mit Beschluss als verspätet zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG jeweils aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Gegen diese Entscheidung, die bei der Vertreterin des Revisionswerbers im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (der BBU GmbH) am 15. Dezember 2021 im elektronischen Rechtsverkehr hinterlegt worden war, brachte der nunmehr anwaltlich vertretene Revisionswerber am 31. Jänner 2022 beim BVwG im elektronischen Rechtsverkehr eine außerordentliche Revision ein.
5 Über Verspätungsvorhalt des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Februar 2022 wurde vom Revisionswerber am 17. Februar 2022 der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Revision eingebracht und damit die außerordentliche Revision verbunden.
6 Zum Wiedereinsetzungsantrag brachte der Revisionswerber begründend vor, er habe sich damals in Strafhaft befunden und die Leiterin des Psychologischen Dienstes in der Justizanstalt, Frau Mag. Z, habe am 10. Jänner 2022 nach einer Besprechung mit ihm seine nunmehrige Rechtsvertreterin, eine Rechtsanwalts GmbH, zwecks Erhebung einer Revision kontaktiert. Am 11. Jänner 2022 habe Mag. Z der Vertreterin des Revisionswerbers die anzufechtende Entscheidung des BVwG vom 15. Dezember 2021 sowie weitere Unterlagen übermittelt. Daraufhin sei von einer Kanzleimitarbeiterin der Vertreterin zunächst der 26. Jänner 2021 (gemeint: 2022) als letzter Tag für die Revisionseinbringung im Fristenbuch vermerkt und durch einen Rechtsanwalt geprüft worden. Mit Email vom 11. Jänner 2022 habe ein Rechtsanwalt der Vertreterin bei Mag. Z das Zustelldatum des Erkenntnisses erfragt. Mag. Z habe mit Email vom 13. Jänner 2022 geantwortet, dass das angefochtene Erkenntnis am 22. Dezember 2021 zugestellt worden sei. Aus ihrer Antwort seien „keine Anzeichen einer allfälligen Unsicherheit oder Unschlüssigkeit“ erkennbar gewesen, sodass die Frist zur Revisionserhebung ab 22. Dezember 2021 neu berechnet und als Fristende der 2. Februar 2022 im Fristenbuch vermerkt worden sei. Wie nun hervorgekommen sei, habe es sich beim 22. Dezember 2021 offenbar um das Datum der Zustellung der Entscheidung an den Revisionswerber in der Justizanstalt gehandelt. Offensichtlich habe Mag. Z die Frage missverstanden.
Die unrichtige Mitteilung des Zustelldatums durch Mag. Z sei dem Revisionswerber nicht zuzurechnen. Ein allfälliges Verschulden der Rechtsvertreterin sei dem Revisionswerber zwar zuzurechnen, es handle sich dabei aber nur um einen minderen Grad des Versehens. Die anwaltliche Vertreterin habe nämlich die Richtigkeit des mitgeteilten Zustellzeitpunktes aufgrund der langjährigen Tätigkeit von Mag. Z in der Justizanstalt und ihrer in diesem Rahmen geleisteten Unterstützung von Häftlingen bei Behördenwegen nicht bezweifeln müssen.
7 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist der Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. etwa VwGH 24.6.2010, 2010/21/0197, und zu § 33 VwGVG aus der jüngeren Zeit VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0310, Rn. 10). Die Partei muss das Verhalten ihres Rechtsvertreters gegen sich gelten lassen (VwGH 30.8.2007, 2007/21/0242, 0243, mwN).
8 Die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei und ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt (VwGH 22.03.2002, 2002/21/0016, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits ausgesprochen, dass es für die von einem Klienten gewünschte Einbringung eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt zu dessen Pflichten gehört, die maßgeblichen Daten für die Einhaltung der Rechtsmittelfrist, somit grundsätzlich den exakten und richtigen Zeitpunkt der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung, durch Befragung der Partei oder durch Ermittlungen bei der Post und/oder bei der Behörde festzustellen. Es stelle eine auffallende Sorglosigkeit dar, sich mit den mehrdeutigen Angaben einer nicht rechtskundigen Partei, diese habe die Sendung an einem bestimmten Tag „bekommen“, zufrieden zu geben (vgl. etwa VwGH 26.6.2002, 2000/21/0086).
9 Die Rechtsvertreterin des Revisionswerbers verließ sich nach dem maßgeblichen Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag auf die Richtigkeit der Mitteilung des Zustellzeitpunkts durch Mag. Z, ohne bei ihr weiter nachzufragen, woher sie oder der Revisionswerber Kenntnis von der maßgeblichen Zustellung der angefochtenen Entscheidung an die - in deren Kopf auch jeweils angeführte - Vertreterin des Revisionswerbers im Verfahren vor dem BVwG (die BBU GmbH) habe. Vor diesem Hintergrund war die Auskunft der Mag. Z - entgegen dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag - nicht klar und eindeutig, was nicht zuletzt auf die unpräzise Formulierung der Fragestellung der Rechtsvertreterin gegenüber Mag. Z, die lautete „das Zustelldatum des Erkenntnisses des BVwG wäre noch von Interesse“, zurückzuführen ist. Dabei wurde nämlich gar nicht näher konkretisiert, dass es für das Eintreten der gesetzlichen Zustellwirkungen auf die Zustellung der anzufechtenden Entscheidung des BVwG an die BBU GmbH ankommt. Im Übrigen wäre es angesichts der mehrdeutigen Auskunft über den Zustellzeitpunkt naheliegend gewesen, diesen durch Nachfrage bei der BBU GmbH oder dem BVwG zu verifizieren. Indem die Vertreterin des Revisionswerbers diese fallbezogen unbedingt gebotene Klärung unterließ, hat sie die im Verkehr mit Behörden für die Einhaltung von Fristen erforderliche und nach ihren persönlichen Fähigkeiten auch zumutbare Sorgfalt grob schuldhaft außer Acht gelassen, was der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegensteht.
10 Mangels Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war die unbestritten nach Ablauf der Revisionsfrist eingebrachte Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als verspätet zurückzuweisen.
Wien, am 22. März 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210030.L01Im RIS seit
29.04.2022Zuletzt aktualisiert am
05.05.2022