TE Vwgh Beschluss 2022/3/24 Ra 2020/21/0527

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Veröffentlicht am 24.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z4
FrPolG 2005 §52 Abs6
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H A (auch A), vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 6/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 2020, W279 2236385-1/6E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, wurde am 27. Oktober 2020 nach seiner noch am Vortag erfolgten Einreise aus Frankreich am Flughafen Wien-Schwechat gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG festgenommen.

2        Nach seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), bei der er u.a. angab, über einen französischen Aufenthaltstitel zu verfügen und seine in Österreich aufhältige Ehefrau ungarischer Staatsangehörigkeit besuchen zu wollen, ordnete das BFA mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die - in der Folge sogleich in Vollzug gesetzte - Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an. Zur Begründung der Fluchtgefahr stützte sich das BFA auf § 76 Abs. 3 Z 1, 2 und 9 FPG und stellte in diesem Zusammenhang auch in der Vergangenheit mehrfach erfolgte Versuche des Revisionswerbers fest, sich etwa durch Untertauchen, Verwenden gefälschter Dokumente, Nichterscheinen zu Ladungsterminen und Hungerstreik der Ausreiseverpflichtung nach Abweisung seiner in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz zu entziehen.

3        Der Revisionswerber erhob gegen die „Festnahme und Schubhaft“ eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der er vorbrachte, dass er in seiner Einvernahme den Wunsch geäußert habe, nach Frankreich zurückzukehren. Dies hätte ihm „gemäß Art. 23 Abs. 1 SDÜ“ gewährt werden müssen.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. November 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab und stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Weiters verpflichtete es den Revisionswerber gemäß § 35 VwGVG zum Aufwandersatz an den Bund.

5        Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, dass der Revisionswerber am 21. Jänner 2007 in Österreich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, der mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 3. Februar 2011 vollumfänglich - samt Erlassung einer Ausweisung - abgewiesen worden sei. Ein Folgeantrag vom 3. Oktober 2017 sei mit Bescheid des BFA vom 11. Oktober 2018 ebenfalls vollumfänglich abgewiesen worden; unter einem sei im Hinblick auf mehrere strafgerichtliche Verurteilungen des Revisionswerbers ein - auf § 67 Abs. 1 und 2 FPG gestütztes - Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen worden. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde sei mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2019 abgewiesen worden.

6        Der Revisionswerber sei zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Frankreich ausgereist, ohne sich von seinem seit 2017 bestehenden österreichischen Hauptwohnsitz abzumelden. Bei der Einreise auf dem Luftweg von Paris kommend sei er am 26. Oktober 2020 am Flughafen Wien-Schwechat aufgegriffen und in der Folge in Schubhaft genommen worden.

7        Die Ehefrau des Revisionswerbers, eine ungarische Staatsangehörige, halte sich in Österreich auf. Sonst weise er in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmarkmale auf.

8        Weiters stellte das Bundesverwaltungsgericht insgesamt sechs strafgerichtliche Verurteilungen des Revisionswerbers fest.

9        Das BFA sei zu Recht vom Vorliegen von Fluchtgefahr ausgegangen, wobei der Bejahung der Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Z 1 und 2 FPG in der Beschwerde nicht substantiell entgegen getreten worden sei. Soweit der Revisionswerber meine, dass ihm die Möglichkeit zur selbständigen Ausreise zu gewähren gewesen wäre, sei er darauf zu verweisen, dass das SDÜ (bzw. nunmehr die Rückführungsrichtlinie) eine Abschiebung in den Herkunftsstaat oder einen anderen Staat vorsehe.

10       Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfs seien das gesamte Verhalten des Revisionswerbers vor Anordnung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Die Beschwerde führe kein Argument an, das den Sicherungsbedarf relativieren könnte. In einer Gesamtbetrachtung sei das BFA somit auch zu Recht vom Sicherungsbedarf ausgegangen. Die Schubhaft sei im Hinblick auf die Straffälligkeit des Revisionswerbers auch verhältnismäßig. Was Kontakte mit seiner Frau betreffe, seien diese auf Grund des aufrechten Aufenthaltsverbots schon zuvor im Inland nicht zulässig gewesen.

11       Aus den gleichen Gründen bejahte das Bundesverwaltungsgericht auch die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft. Die Anwendung eines gelinderen Mittels sei nicht ausreichend.

12       Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhalts der Beschwerde geklärt sei.

13       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

14       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

16       Der Revisionswerber bringt unter diesem Gesichtspunkt vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es die Frage der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft falsch beurteilt habe. Auf Grund der mehrfach getätigten Äußerung des Revisionswerbers, sich freiwillig nach Frankreich begeben zu wollen, hätte ein gelinderes Mittel den Sicherungszweck erfüllt. Der Revisionswerber habe in Österreich nur seine Familie sehen wollen, aber „natürlich nicht um den Preis der Schubhaft“. Der nächstmögliche Heimflug bei zwischenzeitiger Wohnungsnahme bei seiner Ehefrau wäre jedenfalls ein gelinderes Mittel gewesen. Außerdem führt der Revisionswerber § 52 Abs. 6 FPG ins Treffen, wonach ein nicht rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaats zunächst zu verpflichten sei, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Auch Art. 23 Abs. 1 SDÜ folge dieser Systematik. Nur wenn dieser Verpflichtung nicht entsprochen werde, habe es zu einer Rückkehrentscheidung zu kommen. Im konkreten Fall sei die „Rückkehrentscheidung“, auf die sich die Abschiebung stütze, noch vor dem Erwerb des Aufenthaltsrechts in Frankreich ergangen. Angesichts des nun bestehenden Aufenthaltstitels hätte die Behörde den Revisionswerber zur freiwilligen Rückkehr nach Frankreich auffordern müssen. Das BFA habe dem Revisionswerber im Schubhaftbescheid auch niemals vorgeworfen, eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darzustellen, wodurch die Nicht-Aufforderung zur freiwilligen Rückkehr allenfalls gerechtfertigt gewesen wäre.

17       Bei dieser Argumentation übersieht der Revisionswerber, dass sein (beabsichtigter) Aufenthalt in Österreich nicht nur unrechtmäßig war, sondern dass gegen ihn ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot aufrecht war, sodass weder für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung noch für die Anwendung des grundsätzlich nur für ein solches Verfahren geltenden § 52 Abs. 6 FPG Anlass bestand. Aber auch aus der in der Revision angesprochenen sinngemäßen Anwendung dieser Bestimmung ist für den Revisionswerber nichts zu gewinnen. Ihm musste nämlich angesichts des aufrechten Aufenthaltsverbotes, aus dem sich das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 67 Abs. 1 FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft) und damit das Gebotensein einer sofortigen Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung ableiten lässt, nicht die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gewährt werden, was sich auch aus § 46 Abs. 1 Z 4 FPG ergibt. Danach sind Fremde nämlich abzuschieben, wenn sie - wie der Revisionswerber - einem Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind. An dieser Beurteilung ändert - entgegen dem Standpunkt in der Revision - nichts, dass der französische Aufenthaltstitel erst nach der Erlassung des Aufenthaltsverbotes erteilt wurde, zumal das Aufenthaltsverbot den Revisionswerber nicht zum Verlassen der Europäischen Union, sondern nur zum Verlassen Österreichs verpflichtete. Soweit sich die Beschwerde und auch die Revision auf Art. 23 Abs. 1 SDÜ beziehen, ist im Übrigen zur Vollständigkeit noch darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung gemäß Art. 21 der Rückführungs-RL (Richtlinie 2008/115/EG) durch die genannte Richtlinie ersetzt wurde.

18       Im Hinblick auf die Wiedereinreise entgegen einem Aufenthaltsverbot in Verbindung mit dem Vorverhalten des Revisionswerbers - vor allem der ohne Abmeldung in Österreich vorgenommenen Ausreise nach Frankreich - ist das Bundesverwaltungsgericht auch in jedenfalls nicht unvertretbarer Weise davon ausgegangen, dass mit einem gelinderen Mittel nicht das Auslangen gefunden werden konnte, um der auf Grund der Verwirklichung des (insbesondere) § 76 Abs. 3 Z 2 FPG gegebenen Fluchtgefahr zu begegnen. Dabei war auch auf die Erhöhung des öffentlichen Interesses an der Außerlandesbringung durch die Straffälligkeit des Revisionswerbers Bedacht zu nehmen (vgl. § 76 Abs. 2a FPG).

19       Für diese Beurteilung bedurfte es - entgegen dem weiteren Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision - auch nicht der Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, inwieweit der Sachverhalt nicht im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt war. Das Vorbringen, freiwillig nach Frankreich zurückkehren zu wollen, wurde vom Bundesverwaltungsgericht ohnedies zur Kenntnis genommen. Diese Absicht konnte aber nichts daran ändern, dass unter Einbeziehung des Vorverhaltens des Revisionswerbers - wie erwähnt - im Sinn des § 46 Abs. 1 Z 4 FPG eine Abschiebung indiziert war. Dass sich der Revisionswerber für eine solche bereit gehalten hätte, hat er aber selbst nicht behauptet.

20       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

21       Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 24. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020210527.L00

Im RIS seit

29.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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