TE Vwgh Beschluss 2022/3/29 Ra 2021/05/0134

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Veröffentlicht am 29.03.2022
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Wien
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien
L82009 Bauordnung Wien
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §7
BauO Wr §60 Abs1 litd
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, in der Revisionssache des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28. Juni 2021, VGW-111/067/377/2020/E-54, betreffend Erteilung einer Abbruchbewilligung (mitbeteiligte Partei: L GmbH & Co KG, vertreten durch Dr. Martin Löffler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 14; weitere Partei: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Schreiben vom 3. Juli 2014 beantragte die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Abbruchwerberin) beim Revisionswerber die Erteilung der Bewilligung zum Abbruch eines in einer Schutzzone gelegenen Gebäudes auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in Wien u.a. aufgrund technischer Abbruchreife. Mit Bescheid vom 20. April 2015 versagte der Revisionswerber die Bewilligung für den Abbruch des im 19. Jahrhundert errichteten Gebäudes gemäß § 70 Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO). Zum weiteren Sachverhalt und zum bisherigen Verfahrensgang ist auf das in der gegenständlichen Angelegenheit bereits ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2019, Ra 2017/05/0257, zu verweisen. Mit diesem Erkenntnis wurde der damals angefochtene Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, dass das Verwaltungsgericht den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht verletzt habe.

2        Im fortgesetzten Verfahren stützte sich die Abbruchwerberin nicht mehr auf das Abbruchbewilligungskriterium der technischen Unmöglichkeit der Instandsetzung der Bausubstanz, sondern nur noch auf das mangelnde öffentliche Interesse an der Erhaltung des Gebäudes und alternativ auf dessen wirtschaftliche Abbruchreife.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Verwaltungsgericht den Bescheid des Revisionswerbers ab, erteilte der Abbruchwerberin die Bewilligung zum Abbruch des Gebäudes und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

4        Begründend führte es aus, dass gemäß § 60 Abs. 1 lit. d zweiter Satz BO für Gebäude in Schutzzonen der Abbruch unter anderem dann bewilligt werden dürfe, wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse bestehe. Da von dem Gebäude eine negative Wirkung auf das Stadtbild ausgehe, bestehe daran kein öffentliches Interesse und der Abbruch sei zu bewilligen. Das Verwaltungsgericht stützte sich dabei beweiswürdigend auf das von der Abbruchwerberin zur Frage des örtlichen Stadtbildes vorgelegte Privatsachverständigengutachten, während es dem gegenteilig lautenden Amtssachverständigengutachten nicht folgte. In Befolgung einer magistratsinternen Weisung sei das Gutachten der bei der Magistratsabteilung 19 beschäftigten Amtssachverständigen vor Übermittlung an die beauftragende Magistratsabteilung 37 der amtsführenden Stadträtin zur Einsichtnahme übermittelt worden. Es sei demnach geeignet, Zweifel an der Unbefangenheit der Amtssachverständigen entstehen zu lassen. Auch das von der Amtssachverständigen initiativ vorgelegte ergänzende Gutachten sei der Stadträtin zur Einsichtnahme vorgelegt worden (Anmerkung: zur Wahrung der Äußerungsfrist erst nach Übermittlung an das Verwaltungsgericht). Die Sachverständige habe damit einer Vorgabe des Magistrats entsprochen, die nur dann nicht gelte, wenn ein Gutachten von einem Gericht angefordert werde. Diese Vorgangsweise impliziere den Anschein einer Voreingenommenheit gegenüber der Abbruchwerberin; dies auch vor dem Hintergrund, dass Medienberichten zufolge ein Altbau-Abriss der Genehmigung der (ursprünglich) zuständigen Stadträtin bedurft hätte.

5        Zudem seien Gutachten und Ergänzungsgutachten der im verwaltungsbehördlichen Verfahren bestellten Amtssachverständigen unabhängig von einer Befangenheit im Gegensatz zum Gutachten des Privatsachverständigen nicht schlüssig und nachvollziehbar. Nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den zur Frage des örtlichen Stadtbildes vorliegenden Gutachten schloss sich das Verwaltungsgericht dem Privatgutachten an, wonach das Gebäude durch Umgestaltung und schlechte Restaurierung als negativ im Straßenraum und auch gegenüber den umliegenden historischen Gebäuden zu erachten sei.

6        Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass eine Abbruchbewilligung dann erteilt werden dürfe, wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse bestehe (§ 60 Abs. 1 lit. d zweiter Satz BO). Da sich das konkrete Gebäude negativ auf das Stadtbild auswirke, bestehe kein öffentliches Interesse an seiner Erhaltung. Die Voraussetzungen für die Abbruchbewilligung würden vorliegen.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

8        Die Abbruchwerberin erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Revisionswerber vor, es fehle an Rechtsprechung zur Frage der Vorlage von (gemeint: Amtssachverständigen-) Gutachten im Rahmen baubehördlicher Verfahren im Videndenweg an amtsführende Stadträte oder Stadträtinnen im Sinne der Geschäftsordnung für den Magistrat der Stadt Wien. Andererseits habe das Verwaltungsgericht entgegen der Maßgaben der ständigen Rechtsprechung „ohne sachverständige Grundlage“ die fehlende stadtgestalterische Erhaltungswürdigkeit des Gebäudes festgestellt. Schließlich habe es in diesem Zusammenhang „einen entscheidungswesentlichen Aspekt seiner Erwägungen“ entgegen dem Überraschungsverbot nicht in der mündlichen Verhandlung zur Parteienerörterung dargelegt.

13       Die vorliegende Revision erweist sich schon deshalb als unzulässig, weil das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis auf eine tragfähige Alternativbegründung gestützt hat, zu welcher sich die vom Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgeworfenen Fragen nicht stellen:

14       Das Verwaltungsgericht setzte sich im Rahmen seiner Alternativbegründung ausführlich mit dem Gutachten der Amtssachverständigen und des Privatsachverständigen auseinander und bezog auch die von der erkennenden Richterin selbst vor Ort wahrgenommenen Sichtbeziehungen ein. Es stellte in seiner Beweiswürdigung ausführlich dar, warum es dem Privatgutachten und nicht dem Gutachten der Amtssachverständigen folgte. Es zog das Amtssachverständigengutachten in der Alternativbegründung als vollwertiges Gutachten heran und setzte sich mit ihm auseinander, genauso, wie wenn es nicht von einer Anscheinsbefangenheit ausgegangen wäre. Damit ist das Verwaltungsgericht seiner Begründungspflicht nachgekommen. Im Vorliegen eines Privatgutachtens und der Auseinandersetzung mit diesem liegt auch der Unterschied zum Vorerkenntnis vom 11. Dezember 2019, Ra 2017/05/0257, wonach eigenständige Schlossfolgerungen nur zulässig wären, wenn die erkennende Richterin selbst über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen verfügte und sie auch offengelegt hätte. Die nun erkennende Richterin zog im fortgesetzten Verfahren jedoch nicht eigene Kenntnisse für die Sachverhaltsermittlung und Beurteilung des Amtssachverständigengutachtens heran, sondern wog die beiden Gutachten ausführlich gegeneinander ab.

15       Im Übrigen vermag der Verwaltungsgerichtshof auch keine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung zu erkennen, insoweit das Verwaltungsgericht im konkreten Fall unter Hinweis auf die politische Dimension des Abrisses von Altbauten in Wien in der verpflichtenden Vidierung vor Gutachtensübermittlung einen Grund dafür sieht, die volle Unbefangenheit der Amtssachverständigen in Zweifel zu ziehen und zum Schluss kommt, dass jedenfalls der Anschein einer Befangenheit entstehen könnte.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

17       Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021050134.L00

Im RIS seit

29.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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