TE Vwgh Beschluss 2022/3/30 Ro 2022/01/0004

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Veröffentlicht am 30.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 7. Oktober 2021, Zl. VGW-102/013/4598/2021, betreffend eine Maßnahmenbeschwerde (mitbeteiligte Partei: P A in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt erhobenen Maßnahmenbeschwerde der Mitbeteiligten Folge und erklärte die am 6. März 2021 in der Zeit von 18.15 Uhr bis 19.45 Uhr (in einem näher bezeichneten örtlichen „Bereich“) erfolgte „Einkesselung (Anhaltung bis zur Identitätsfeststellung)“ der Mitbeteiligten für rechtswidrig (I.) Weiters sprach das Verwaltungsgericht der Mitbeteiligten Aufwandersatz zu (II.). Die Revision wurde zugelassen (III.)

2        Begründend stellte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - fest, am Nachmittag des 6. März 2021 habe auf der Jesuitenwiese im Prater eine Kundgebung gegen die Covid-19-Maßnahmen stattgefunden, welche um 17.00 Uhr beendet worden sei. Ein Großteil der Versammlungsteilnehmer sei von der Jesuitenwiese Richtung Praterstern abgeströmt, eine Gruppe von ca. 500 Personen, darunter auch die Mitbeteiligte, habe sich jedoch zu einem neuerlichen Demonstrationszug formiert. Die belangte Behörde habe versucht, ein Abströmen von Demonstrationsteilnehmern in die Innenstadt zu verhindern, weshalb die Brücken am Donaukanal „vom 2. Bezirk in den 1. und 3. Bezirk“ abgesperrt worden seien; es sei die „Order“ ausgegeben worden, dass nur Einzelpersonen oder nicht als Demonstrationszug konstituierte Kleingruppen durchzulassen seien.

3        Die Teilnehmer des erwähnten Demonstrationszuges hätten jederzeit die Möglichkeit gehabt, sich „in Richtung des 2. Bezirkes zu zerstreuen“. Dies hätten die Mitbeteiligte sowie ihr Freund und ihre Mutter auch getan; sie seien in weiterer Folge aber - nachdem die Absperrungen von Demonstrationsteilnehmern mehrfach „umgangen“ bzw. (gewaltsam) durchbrochen worden seien - wieder in den hinteren Bereich des Demonstrationszuges gelangt.

4        Die Mitbeteiligte habe daraufhin den Demonstrationszug in Richtung Schwedenplatz verlassen wollen und habe einen Polizeibeamten ersucht, ihre „Dreiergruppe“ passieren zu lassen. Dies sei ihr jedoch mit dem Hinweis verweigert worden, dass dies erst im Bereich Augartenbrücke möglich sei.

5        Aufgrund zahlreicher Widerstandshandlungen und Angriffe auf Polizeibeamte im Zuge von „Durchbruchsversuchen“ von Demonstrationsteilnehmern sei der Demonstrationszug in weiterer Folge von Polizeibeamten „auch von hinten abgeriegelt“ und seien die Demonstrationsteilnehmer zur Bereithaltung ihrer Ausweise zur Identitätsfeststellung aufgefordert worden.

6        Die anschließenden Identitätsfeststellungen seien „im Verhältnis zur wartenden Menschenmenge“ rasch erfolgt, sodass die Dauer der „Einkesselung“ auf insgesamt eineinhalb Stunden habe beschränkt werden können. Auch die Mitbeteiligte habe nach Feststellung ihrer Identität den Bereich verlassen können.

7        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - mit näheren Erwägungen - aus, die Anhaltung („Einkesselung“) der Teilnehmer der nicht angemeldeten, aber noch nicht aufgelösten Versammlung sei unter dem Blickwinkel des Eingriffs in das Recht auf Versammlungsfreiheit fallbezogen notwendig, zweckmäßig und verhältnismäßig gewesen. Allerdings würde eine länger andauernde Anhaltung unverhältnismäßig in die Rechte jener Personen eingreifen, die nur zufällig in den Demonstrationszug geraten seien oder rechtzeitig versucht hätten, diesen zu verlassen.

8        Die Mitbeteiligte habe den Demonstrationszug frühzeitig verlassen und sei nur deshalb wieder „in diesen Bereich“ geraten, weil sie die Schwedenbrücke habe überqueren wollen. Durch die festgestellte, den Vorgaben widersprechende Verweigerung der „Passage“ bzw. die Auskunft des Polizeibeamten sei sie angehalten gewesen, dem Demonstrationszug weiter bis zum Ort der Einkesselung zu folgen. Sie sei daher durch die nachfolgende Freiheitsbeschränkung in der Dauer von ca. eineinhalb Stunden „in ihren Rechten“ verletzt worden.

9        Die Revisionszulassung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass „soweit ersichtlich, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Einkesselung von Teilnehmern einer noch nicht aufgelösten Demonstration sowie von unfreiwillig in diese hineingeratenen Personen existiert.“

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Die Mitbeteiligte beantragte in der Revisionsbeantwortung die Zuerkennung von Aufwandersatz.

11       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       Zweck der Begründungspflicht nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG ist bei einer ordentlichen Revision die vom Verwaltungsgericht vorzunehmende Fokussierung auf die vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 23.4.2020, Ro 2020/01/0004; 21.10.2021, Ro 2021/01/0017, jeweils mwN).

15       Mit dem bloß allgemeinen Hinweis auf fehlende Rechtsprechung „zur Einkesselung von Teilnehmern einer noch nicht aufgelösten Demonstration sowie von unfreiwillig in diese hineingeratenen Personen“ wird keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt. Es wird nämlich nicht dargelegt, welche konkrete, auf den Revisionsfall bezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu beantworten wäre (vgl. z.B. VwGH 27.4.2020, Ro 2019/17/0004, mwN).

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Sinn etwa wiederholt ausgesprochen, dass mit dem bloßen Hinweis auf fehlende Rechtsprechung zu näher bezeichneten Verwaltungsvorschriften nicht dargelegt wird, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die konkrete Revision zu lösen wäre (vgl. z.B. VwGH 25.3.2020, Ro 2020/10/0005, 0006; 17.2.2021, Ra 2021/02/0026, 0027, mit Hinweis auf VwGH 23.9.2014, Ro 2014/01/0033).

17       Dasselbe gilt für eine Zulässigkeitsbegründung, die sich - wie hier - in dem bloßen Hinweis auf fehlende Rechtsprechung zu näher genannten Begriffen („Einkesselung“) bzw. (abstrakten) Lebenssachverhalten erschöpft.

18       Der Revisionswerber hat auch in der ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B-VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. für viele VwGH 27.9.2021, Ro 2021/01/0019, mwN).

19       Ein solches Zulässigkeitsvorbringen enthält die vorliegende Revision nicht.

20       Der Verwaltungsgerichtshof ist aber weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 4.6.2021, Ra 2021/01/0176; 6.7.2021, Ro 2021/05/0025 bis 0028, jeweils mwN).

21       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

22       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022010004.J00

Im RIS seit

29.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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