Entscheidungsdatum
30.01.2022Norm
KFG 1967 §45 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch die Richterin HR Dr. Grassinger über die Beschwerde von Herrn A, vertreten durch Rechtsanwalt B, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 16. Februar 2021, ***, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG 1967), nach (in zwei Teilen) durchgeführter öffentlicher mündlicher Beschwerdeverhandlung wie folgt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 16. Februar 2021, ***, wird aufgehoben.
Das Verwaltungsstrafverfahren hierzu wird eingestellt.
Die ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis an den Verwaltungsgerichtshof ist nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 50 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)
§ 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG)
§ 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) iVm
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
Entscheidungsgründe:
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 16. Februar 2021, ***, wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 45 Abs. 4, zweiter Satz, Kraftfahrgesetz 1967 (KFG 1967) iVm „§ 103 Abs. 1 lit. a“ leg. cit. nach § 134 Abs. 1 KFG 1967 eine Geldstrafe in der Höhe von € 110,-- verhängt und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 22 Stunden angedroht.
Im Spruch dieses Straferkenntnisses wurde dem Beschwerdeführer Folgendes angelastet:
„Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:
Zeit: 19.10.2020, 10:00 Uhr
Ort: Gemeindegebiet *** auf der Autobahn *** nächst Strkm. *** Richtung: ***
Fahrzeug: ***, Lastkraftwagen
Tatbeschreibung:
Sie haben es als gemäß § 9 Abs. 2 VStG verantwortlicher Beauftragter der C mit Sitz in ***, ***, zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Inhaber des Probefahrtkennzeichens folgende Übertretung begangen hat:
Als Inhaber des angeführten Probefahrtkennzeichens haben Sie dieses dem D überlassen, obwohl es sich um keine Probefahrt gehandelt hat. Das genannte Kennzeichen war auf einem Fahrzeug der Marke MAN Fahrgestell Nr *** montiert und das Fahrzeug wurde von der genannten Person am Tatort zum Tatzeitpunkt gelenkt. Es hat sich um keine Probefahrt gehandelt, weil die Bestimmungen der Probefahrtbewilligung nicht eingehalten wurden.“
In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde führte der Beschwerdeführer inhaltlich im Wesentlichen Folgendes aus:
„.…
Zunächst wird auf die Rechtfertigung des Bf vom 23.11.2020 sowie die Stellungnahme des Bf vom 21.12.2020 verwiesen, welche vollinhaltlich aufrechterhalten werden.
Der mit eingangs genanntem Straferkenntnis gegen den Bf erhobene Vorwurf gründet sich, wie aus dem vorhergehenden Verfahrensgang, insbesondere auf der Stellungnahme der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Autobahnpolizeiinspektion ***, vom 04.12.2020, GZ: ***, erhellt, auf der Annahme, dass dem gegenständlichen Sachverhalt eine unzulässige Weitergabe von Probefahrtkennzeichen an eine nicht bei der Bewilligungsinhaberin beschäftigte Person zugrunde liege.
Diese Annahme ist, wie zu zeigen sein wird, jedoch tatsächlich nicht richtig.
Dem besseren Verständnis zuliebe wird vorausgeschickt, dass die Bewilligungsinhaberin des Probefahrtkennzeichens ***, die Firma C, sich in ihrem hauptsächlichen Geschäftszweck mit der Überführung fabrikneuer Nutzfahrzeuge im Auftrag der Nutzfahrzeug- und Aufbauherstellerindustrie im multimodalen bzw. gebrochenen Verkehr beschäftigt. Die Überführung der Nutzfahrzeuge erfolgt sowohl mit Bahn und Schiff, als auch auf der Straße. Im letztgenannten Fall werden die Fahrzeuge auf der eigenen Achse bzw auf eigenen Rädern überführt.
Da es sich in der Regel um fabrikneue Fahrzeuge handelt, die (noch) nicht amtlich zum Straßenverkehr zugelassen sind, erfolgt die Überführung auf der Straße bzw auf der eigenen Achse unter Verwendung von Probefahrtkennzeichen gemäß § 45 KFG.
Entsprechend seiner Begründung baut das Straferkenntnis vom 16.02.2021 im Wesentlichen auf dem Umstand auf, dass der Sachverhalt durch ein im Dienst befindliches Organ der Straßenaufsicht wahrgenommen worden sei. Allein hieraus will die Behörde den Schluss ziehen, dass die Verwaltungsübertretung entgegen der Rechtfertigungsangaben als erwiesen angenommen werden könne.
Hierbei verkennt die Behörde jedoch, dass der als erwiesen angenommene
(Lebens-)Sachverhalt durch den Bf nicht in Zweifel gezogen wurde. Bestritten wurde – und wird – jedoch die hieraus als erwiesen angenommene Tat im Sinne der von der Behörde gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen.
Im gegenständlichen Fall wurde ein fabrikneues, noch nicht amtlich zum Straßenverkehr zugelassenes Nutzfahrzeug der Klasse N3 der Marke MAN auf der eigenen Achse bzw auf den eigenen Rädern im Auftrag eines Nutzfahrzeugherstellers überführt. Das Fahrzeug war während der Überführung unbeladen.
Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Lenker des im gegenständlichen Sachverhalt überführten Fahrzeugs nicht bei der Inhaberin des Probefahrtkennzeichens beschäftigt war.
Allerdings ist der Behörde nicht in ihrer Ansicht beizutreten, wenn sie darin eine unzulässige Weitergabe des Probefahrtkennzeichens erkennen möchte.
Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie [vormals: Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie] hat in dem Erlass Probefahrtkennzeichen, Fahrten zur Überführung eines Fahrzeuges im Rahmen des Geschäftsbetriebes; Abwicklung durch Subunternehmer vom 04.05.2012, GZ. BMVIT-179.462/0010-IV/ST4/2012 festgehalten, dass auch dann von einer zulässigen Probefahrt im Sinne des § 45 Abs 1 Z 1 KFG 1967 auszugehen ist, „wenn das vom Inhaber der Probefahrtbewilligung zu überführende fabrikneue Fahrzeug von einem auf Werkvertragsbasis verpflichteten Lenker, von einem Tochterunternehmen oder einem selbständigen Dritten unter auftrags- und fahrzeuggebundener Überlassung des Probefahrtkennzeichens überführt wird […]“.
Sämtliche Bedingungen einer auftrags- und fahrzeuggebundenen Überlassung der Probefahrtkennzeichen wurden bei der hier gegenständlichen Fahrzeugüberführung eingehalten und war dies für die Organe der Straßenaufsicht im Rahmen der Kontrolle am 19.10.2020 anhand der mitgeführten Dokumente (insbesondere Fahrauftrag und Frachtbrief) vollständig überprüfbar.
Vor dem Hintergrund, dass sich die Inhaberin des Probefahrtkennzeichens zur Abwicklung des gegenständlichen Überführungsauftrags in zulässiger Art und Weise eines Subunternehmens auf Werkvertragsbasis bedient hat, ist von einer zulässigen Überführungsfahrt im Sinne einer Probefahrt gemäß § 45 Abs 1 Z 1 KFG 1967 auszugehen.
B. Antrag
Nach alledem wird höflich gestellt der
A N T R A G,
es wolle nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung das angefochtene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk zu Zahl: *** vom 16.02.2021, zugestellt am 19.02.2021, in eventu nach Verfahrensergänzung, ersatzlos aufgehoben werden.“
Das Landesverwaltungsgericht hat hierzu in Entsprechung des § 44 Abs. 1 VwGVG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung in zwei Teilen durchgeführt, in welcher anhand des verfahrensgegenständlichen Behördenaktes, auf dessen Verlesung der anwesende Parteienvertreter verzichtete, weiters anhand sämtlicher vom Beschwerdeführer durch seinen Vertreter ergänzend vorgelegter Unterlagen (Rahmenvertrag über die Überführung von Fahrzeugen auf eigener Achse vom 26.05.2018, abgeschlossen zwischen der C Ges.m.b.H., mit dem Sitz in ***, ***, und der E S.R.L. mit dem Sitz in ***, ***, Romania; Probefahrtaufzeichnungen betreffend das jeweils überstellte Fahrzeug unter Angabe von Marke, Type, Fahrgestellnummer, Fahrtstrecke, Fahrer und Probefahrtkennzeichen; jeweiliger internationaler Frachtbrief; von C Gesellschaft m.b.H. an den Auftragnehmer E S.R.L. ausgestellte Order mit Datum, Abholadresse, Lieferadresse, Name des Fahrers, Probefahrtkennzeichen, Fahrzeugdaten des auf eigener Achse überführten Lastkraffahrzeuges sowie Angabe des Abhol- und Lieferdatums), weiters anhand des Auszuges aus dem Gewerbeinformationssystem Austria sowie aus dem Firmenbuchauszug betreffend die C Gesellschaft m.b.H., FN ***, u.a. GISA-Zahl***, Gewerbewortlaut: „Überstellung von Kraftfahrzeugen aller Art auf eigener Achse“, auf Grund der betreffend die E S.R.L. im Internet beschafften Informationen („Sale of other motor vehicles“), sowie durch Befragen des Beschwerdeführers und durch Einvernahme des Zeugen F Beweis erhoben wurde.
Auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens war von folgendem, als feststehend anzusehenden, entscheidungswesentlichem Sachverhalt auszugehen:
Der Beschwerdeführer wurde von der C Gesellschaft m.b.H. (im Folgenden kurz: C GmbH) mit dem Sitz in ***, ***, am 15.06.2014 zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG, u.a. für den sachlich abgegrenzten Bereich der Einhaltung der Bestimmungen des Kraftfahrgesetzes 1967 im Zusammenhang mit der Verwendung der der C GmbH bewilligten Probefahrtkennzeichen, bestellt und hat dieser Bestellung zugestimmt.
Die C GmbH verfügt seit 17.12.1990 u.a. über eine bis dato aufrechte Gewerbeberechtigung für die Überstellung von Kraftfahrzeugen aller Art auf eigener Achse (GISA-Zahl: ***).
Der C GmbH war zum maßgeblichen Zeitpunkt (am 19.10.2020) durch die Kraftfahrbehörde das Kennzeichen *** als Probefahrtkennzeichen zugeteilt.
D hat am 19.10.2020, um 10:00 Uhr, das unbeladene Fahrzeug der Marke MAN, Fahrgestell-Nr. ***, der Klasse N3, auf welchem das Probefahrtkennzeichen *** angebracht war, im Gemeindegebiet ***, auf der Autobahn ***, nächst Strkm. ***, Fahrtrichtung ***, gelenkt.
Das verfahrensgegenständliche, fabrikneue Fahrzeug hat eine zulässige Gesamtmasse von mehr als 12 000 kg und ist zur Durchführung von Güterbeförderungen vorgesehen.
D war zum Zeitpunkt dieser Fahrt Dienstnehmer der E S.R.L. SRL mit dem Sitz in ***, Rumänien.
Die E S.R.L. mit dem Sitz in *** ist keine Tochtergesellschaft der C GmbH. Es gibt keine Firmenverflechtungen und auch keinen beherrschenden Einfluss der C GmbH gegenüber der E S.R.L.
Die C GmbH hat gemäß dem vorliegenden internationalen Frachtbrief als Frachtführer unter Einsatz eines nachfolgenden Frachtführers die Überstellung des firmenneuen LKW (unter konkreter Bezeichnung dessen Marke, Type, Fahrgestellnummer, der E S.R.L. als nachfolgender Frachtführerin, des Empfängers, des Auslieferungsortes, welcher mit „*** ROMANIA“ im Frachtbrief angegeben ist, des die Frachtführung am Abholort eingesetzten Fahrers sowie des Probefahrtkennzeichens) zur Durchführung übernommen.
Bei der E S.R.L. mit dem Sitz in *** handelt es sich um ein gewerbsmäßig betriebenes Güterbeförderungsunternehmen mit dem die C Gesellschaft m.b.H. bei erteiltem Transportauftrag in Bezug auf die Überführung eines fabrikneuen LKW auf eigener Achse als nachfolgende Frachtführerin den jeweiligen Frachtauftrag ausführt.
Mit der E S.R.L. in *** war am 26.05.2018 zwischen der C Gesellschaft m.b.H., mit dem Sitz in ***, ***, und der E S.R.L. mit dem Sitz in ***, ***, Romania, ein Rahmenvertrag betreffend die Überführung von Fahrzeugen auf eigener Achse abgeschlossen worden.
Der Rahmenvertrag dient nach dessen Inhalt als Grundlage für die zwischen den Vertragsparteien jeweils künftig abzuschließenden, einzelnen Überführungsaufträge (Einzelverträge), welche gemäß § 1 lit. a. und lit. b. dieses Rahmenvertrages einen schriftlichen oder elektronischen Abschluss des jeweiligen Einzelauftrages für die Überführung eines Fahrzeuges vorsehen.
Probefahrtaufzeichnungen betreffend das jeweils überstellte Fahrzeug unter Angabe von Marke, Type, Fahrgestellnummer, Fahrtstrecke, Fahrer und Probefahrtkennzeichen wurden geführt.
Die C GmbH hat mit der E S.R.L., mit dem Sitz in ***, Rumänien, basierend auf dem mit diesem Unternehmen abgeschlossenen Rahmenvertrag, einen entsprechenden Einzelauftrag zur Überführung des Lastkraftfahrzeuges mit der elektronisch erstellten und für die Einzelfahrt auch ausgestellten Order, welche Datum, Abholadresse, Lieferadresse, Name des Fahrers, Probefahrtkennzeichen, Fahrzeugdaten des auf eigener Achse überführten Lastkraffahrzeuges sowie Angaben betreffend das Abhol- und Lieferdatum enthält, erteilt.
Im Einzelauftrag, der elektronisch unternehmensintern bei der C GmbH erfasst ist, ist die Anschrift jedes Fahrers, so auch des gegenständlichen Fahrers, vermerkt, sodass je Einzelauftrag elektronisch der Fahrer auch mit seiner Adresse erfasst ist. Eine Order konnte an den Bezug habenden Fahrer nur erteilt werden, wenn seine Daten im elektronischen System erfasst sind.
Der einzelne Fahrer bekommt die Order jeweils vor Fahrtantritt ausgefolgt und führt diese Unterlage bei der Fahrt mit. Bei dieser Order handelt sich um den gemäß dem Rahmenvertrag vorgesehenen Einzelauftrag.
Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen ergaben sich aus dem Firmenbuchauszug betreffend die C GmbH, der Bestellurkunde zum verantwortlichen Beauftragten vom 15.06.2014, dem GISA-Auszug zur GISA-Zahl *** vom 22.03.2021, dem vorgelegten Rahmenvertrag, dem internationalen Frachtbrief und aus der vorgelegten, als Einzelauftrag zu wertenden Order.
Unter Zugrundelegung sämtlicher vorgelegter Unterlagen und Urkunden ergab sich, insbesondere auch auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers, der in der Beschwerdeverhandlung einen glaubwürdigen und informierten Eindruck hinterließ, dass die C GmbH als gewerbsmäßig betriebenes Güterbeförderungsunternehmen als beauftragte Frachtführerin mit der E S.R.L., mit dem Sitz in ***, Rumänien, einem ebenfalls gewerbsmäßig betriebenen Güterbeförderungsunternehmen als Subfrachtführerin, basierend auf dem mit diesem Unternehmen abgeschlossenen Rahmenvertrag sowie auf Grundlage eines jeweils erstellten, entsprechenden Einzelauftrages (Order) zur Überführung des Bezug habenden Lastkraftfahrzeuges auf eigener Achse mittels dieser elektronisch erstellten und für die Einzelfahrt auch ausgestellten Order, den Auftrag durchführte und sich dabei des ihr zugewiesenen Probefahrtkennzeichens bediente.
In rechtlicher Hinsicht wurde darüber erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 2 VStG sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.
§ 45 Abs. 1 KFG 1967 in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl. I Nr. 19/2019 lautet auszugsweise:
"Probefahrten mit nicht zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeugen oder Anhängern oder Fahrgestellen solcher Fahrzeuge dürfen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur mit Bewilligung der Behörde durchgeführt werden, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Ort liegt, von dem aus der Antragsteller hauptsächlich über die Verwendung der Probefahrtkennzeichen verfügt. Probefahrten sind Fahrten zur Feststellung der Gebrauchsfähigkeit oder der Leistungsfähigkeit von Fahrzeugen oder ihrer Teile oder Ausrüstungsgegenstände oder Fahrten, um Fahrzeuge vorzuführen. Als Probefahrten gelten auch
1. Fahrten zur Überführung eines Fahrzeuges an einen anderen Ort im Rahmen des Geschäftsbetriebes sowie Fahrten um unbeladene Fahrzeuge der Klassen M2, M3, N2 oder N3 gewerbsmäßig im Auftrag von Nutzfahrzeugherstellern oder Nutzfahrzeughändlern zu überführen…"
Bis zur Novelle BGBl. I Nr. 40/2016, die am 09.06.2016 in Kraft getreten ist (d.h. bis einschließlich der Fassung BGBl. I Nr. 43/2013), lautete die Z. 1 des § 45 Abs. 1 KFG 1967:
"Fahrten zur Überführung eines Fahrzeuges an einen anderen Ort im Rahmen des Geschäftsbetriebes,"
Mit der Novelle BGBl. I Nr. 40/2016 sollte klargestellt werden, dass auch die Überführungen von unbeladenen und in der Regel fabrikneuen Fahrzeugen der Klassen M2, M3, N2 oder N3 gewerbsmäßig im Auftrag von Nutzfahrzeugherstellern oder Nutzfahrzeughändlern mit Probefahrtkennzeichen durchgeführt werden dürfen.
In diesem Zusammenhang gab es bis zu dieser Novelle Unsicherheiten, ob solche Fahrzeuge auf eigener Achse überführt werden dürfen. Eine Überstellung von Fahrzeugen dieser Klassen mittels Anhänger oder Fahrzeugtransporter war wegen der Höhe nämlich in der Regel nicht möglich (ErläutRV 1054 25 GP 4).
Zur Fahrzeugklasse N3 gehören gemäß § 3 Abs. 1 Z 2.2.3 KFG 1967 Fahrzeuge zur Güterbeförderung mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 12 000 kg.
§ 45 Abs. 4 KFG 1967, in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl. I Nr. 19/2019:
"Bei der Erteilung der im Abs. 1 angeführten Bewilligung ist auch auszusprechen, welche Kennzeichen bei den Probefahrten zu führen sind. Diese Kennzeichen sind Probefahrtkennzeichen (§ 48 Abs. 3) und dürfen nur bei Probefahrten geführt werden. Über die Erteilung der im Abs. 1 angeführten Bewilligung ist dem Antragsteller eine Bescheinigung, der Probefahrtschein, auszustellen."
Gemäß § 1 Abs. 1 der GewO 1994 wird eine Tätigkeit gewerbsmäßig ausgeübt, wenn sie selbständig, regelmäßig und in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, gleichgültig für welche Zwecke dieser bestimmt ist; hiebei macht es keinen Unterschied, ob der durch die Tätigkeit beabsichtigte Ertrag oder sonstige wirtschaftliche Vorteil im Zusammenhang mit einer in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes fallenden Tätigkeit oder im Zusammenhang mit einer nicht diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeit erzielt werden soll.
Gemäß § 1 Abs. 2 der GewO 1994 liegt Selbständigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes vor, wenn die Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt wird.
Gemäß § 1151 ABGB entsteht ein Werkvertrag, wenn jemand die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernimmt.
Für den Werkvertrag ist das Fehlen der persönlichen Arbeitspflicht, das Arbeiten nach eigenem Plan und mit eigenen Mitteln, die Möglichkeit der Verwendung von Gehilfen und Substituten und das Fehlen jeder Einordnung in den fremden Unternehmensorganismus charakteristisch. Für den Werkvertrag ist kennzeichnend, dass der Werkunternehmer nicht nur eine bestimmte Bemühung, sondern den bedungenen Erfolg schuldet (Mayr, Arbeitsrecht § 1151 ABGB (Stand 1.12.2020, rdb.at) E158 f).
Der Beschwerdeführer wurde rechtswirksam mit seiner Zustimmung von einem nach außen vertretungsbefugten Organ der C GmbH zum verantwortlichen Beauftragten nach § 9 Abs. 2 VStG für einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich des Unternehmens, nämlich für die Einhaltung des Kraftfahrgesetzes 1967, somit für Rechtssachen im Zusammenhang mit der Verwendung der der C GmbH bewilligten Probefahrtkennzeichen, rechtsgültig vor dem angelasteten Tatzeitpunkt bestellt.
Der Beschwerdeführer ist daher für die Einhaltung der verfahrensgegenständlichen Bestimmungen durch die C GmbH verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich.
Zulässig ist nach den zitierten aktuellen gesetzlichen Bestimmungen auch eine auftrags- und fahrzeuggebundene Überlassung von Probefahrtkennzeichen an Lenker, die zwar nicht Dienstnehmer des Inhabers der Bewilligung sind, jedoch auf Basis eines Werkvertrages ein bestimmtes Fahrzeug im Auftrag und im Namen des Inhabers einer Probefahrtbewilligung überführen. Ebenso kann sich der Inhaber der Probefahrtbewilligung für die Durchführung einer bestimmten Überführung eines Fahrzeuges einer Tochterunternehmung oder eines selbstständigen Dritten als Subunternehmer bedienen. Die Überführung muss aber immer dem Inhaber der Probefahrtbewilligung zurechenbar bleiben.
Bezogen auf die Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 40/2016, war unter dem Begriff „Überführung im Rahmen des Geschäftsbetriebes" nur die Überführung durch den Geschäftsinhaber selbst oder einen seiner Dienstnehmer zu verstehen (vgl. VwGH 02.12.1968, 939/67; VwGH 18.01.1961, 1323/60).
Mit der Novelle BGBl. I Nr. 40/2016 wurden als Probefahrten auch Fahrten, um unbeladene Fahrzeuge der Klassen M2, M3, N2 oder N3 gewerbsmäßig im Auftrag von Nutzfahrzeugherstellern oder Nutzfahrzeughändlern zu überführen, anerkannt.
Verfahrensgegenständlich wurde ein nicht amtlich zum Straßenverkehr zugelassenes, nicht beladenes fabrikneues Nutzfahrzeug der Klasse N3 der Marke MAN auf der eigenen Achse bzw. auf den eigenen Rädern gewerbsmäßig im Auftrag des Nutzfahrzeughändlers C GmbH unter Verwendung des zugewiesenen Probefahrtkennzeichens gemäß § 45 KFG 1967 überführt.
Der Verwendung des Probefahrtkennzeichens der C GmbH bei der Beförderung des unbeladenen Kraftfahrzeuges der Klasse N3 durch die E S.R.L. lag der unbedenkliche, weil ausreichend spezifizierte und konkrete Rahmenwerkvertrag vom 26.05.2018 zu Grunde, welcher vertragsgemäß durch den zwischen der C GmbH, die über die gemäß § 45 Abs. 3 KFG 1967 erforderliche Gewerbeberechtigung verfügt, und der nachfolgenden Frachtführerin E S.R.L. abgeschlossenen Einzelauftrag (die ausreichend spezifizierte Order) individualisiert wurde.
Auf Grund des erzielten Beweisergebnisses entsprechend den obigen Darlegungen war verfahrensgegenständlich von einer auftrags- und fahrzeuggebundenen Überlassung des Probefahrtkennzeichens an den gegenständlichen Lenker, der zwar nicht Dienstnehmer des Inhabers der Probefahrtbewilligung war, aber auf Basis eines Werkvertrages einschließlich eines auf dieser Grundlage ausreichend spezifizierten Einzelauftrages (abgeschlossen mit dem den Fahrer beschäftigenden Unternehmen, welches ebenfalls gewerbsmäßig Kraftfahrzeuge überführt) ein bestimmtes Fahrzeug der Klasse N3 von einem konkret bezeichneten Ort an einen konkret bezeichneten Ort im Auftrag und im Namen der C GmbH als Inhaberin der Probefahrtbewilligung überführte, auszugehen.
Die Überführung des Fahrzeuges erfolgte somit durch einen selbständigen Dritten als Subauftragnehmer, basierend auf einem echten Werkvertrag samt konkretem Einzelauftrag. Die Überführung des Fahrzeuges blieb der C GmbH als beauftragter Frachtführerin dabei jedoch zurechenbar.
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Sach- und Rechtslage war somit verfahrensgegenständlich davon auszugehen, dass eine missbräuchliche Verwendung des Probefahrtkennzeichens nicht erfolgte, vielmehr von einer zulässigen Probefahrt im Sinn des § 45 Abs. 1 Z 1 KFG 1967 auszugehen war.
Es war daher das in Beschwerde gezogene Straferkenntnis spruchgemäß aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren hierzu nach § 45 Abs. 1 Z 1 VStG mangels Erfüllung eines verwaltungsstrafrechtlichen Tatbestandes einzustellen.
Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine
Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche
Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der
Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche
Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen
Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Schlagworte
Verkehrsrecht; Kraftfahrrecht; Verwaltungsstrafe; Probefahrtkennzeichen; Überführung; Werkvertrag;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.S.557.001.2021Zuletzt aktualisiert am
28.04.2022