TE Vwgh Erkenntnis 1996/6/3 95/10/0123

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Veröffentlicht am 03.06.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

EGVG Art9 Abs1 Z1;
EGVG Art9 Abs3;
RAO 1868 §57 Abs2;
RAO 1868 §8 Abs1;
RAO 1868 §8 Abs2;
RAO 1868 §8 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 1. Juni 1995, Zl. UVS-03/21/04339/94, betreffend Verwaltungsübertretungen nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 1. Juni 1995 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 21. Bezirk vom 2. Oktober 1994, betreffend Verwaltungsübertretungen gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG keine Folge gegeben und das Straferkenntnis bestätigt. Hiezu wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe in insgesamt zehn Fällen namentlich genannte Personen in näher dargelegten Verfahren vor bestimmten Behörden "gewerbsmäßig (gegen Entgelt)" vertreten, indem er in einem Fall nach dem Stand eines offenen Verfahrens gefragt, in drei Fällen eine Vollmacht zur Vertretung vor der Magistratsabteilung 62 und in sechs Fällen eine Zustell-, Abhol- und Postvollmacht vorgelegt habe, in der er gleichzeitig "die Ermächtigung" erhalten habe, über "den Stand der Angelegenheiten" bei bestimmten Behörden und Gerichten Erkundigungen einzuholen, Akteneinsicht zu nehmen, diverse Anträge abzugeben sowie die abholfertigen Sachen entgegenzunehmen, obwohl er weder ein Rechtsanwalt noch ein Notar sei und somit nicht die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung besitze. Für die genannten Personen sei der Beschwerdeführer nicht im Rahmen des P.-Vereines, dessen Obmann der Beschwerdeführer sei, tätig geworden. Im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit (Schreibbüro) sei der Beschwerdeführer zur "Durchführung der büromäßigen Tätigkeit eingeschränkt auf die Erledigung von Korrespodenz- und Botendienste sowie die Entgegennahme und Weitergabe telefonischer Nachrichten" berechtigt. Erkundigungen einzuholen bzw. in allfällige Gerichts- und Behördenakten Einsicht zu nehmen, könne jedoch keinesfalls unter diese Tätigkeit subsumiert werden und gehe insbesondere über die "Botendienste" weit hinaus. Im übrigen habe der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zugestanden, Schriftsätze verfaßt zu haben, indem er die von der MA 62 aufgelegten Formulare ausgefüllt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG begeht, wer in Angelegenheiten, in denen er nicht zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt ist, gewerbsmäßig für den Gebrauch vor inländischen oder ausländischen Behörden (Gerichten oder Verwaltungsbehörden) schriftliche Anbringen oder Urkunden verfaßt, einschlägige Auskünfte erteilt, vor inländischen Behörden Parteien vertritt oder sich zu einer dieser Tätigkeiten in schriftlichen oder mündlichen Kundgebungen anbietet (Winkelschreiberei), eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 3.000,-- zu bestrafen.

Gemäß Art. IX Abs. 3 EGVG ist Abs. 1 Z. 1 nicht anzuwenden, soweit besondere Vorschriften gegen die unbefugte Parteienvertretung bestehen.

Gemäß § 57 Abs. 2 RAO, RGBl. Nr. 96/1868 i.d.F. BGBl. Nr. 556/1985, begeht eine Verwaltungsübertretung, wer unbefugt eine durch dieses Bundesgesetz den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit gewerbsmäßig ausübt. Diese Tat darf nicht auch nach anderen Bestimmungen über die Strafbarkeit der Winkelschreiberei geahndet werden.

Gemäß § 8 Abs. 1 RAO erstreckt sich das Vertretungsrecht des Rechtsanwaltes auf alle Gerichte und Behörde der Republik Österreich und umfaßt die Befugnis zu berufsmäßiger Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelgenheiten.

Gemäß § 8 Abs. 2 RAO ist die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung i.S.d. Abs. 1 den Rechtsanwälten vorbehalten. Die Berufsbefugnisse der Notare, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Ziviltechniker werden hiedurch nicht berührt.

Gemäß § 8 Abs. 3 RAO bleiben jedenfalls unberührt auch Parteienvertretungen auf Grund sonstiger gesetzlicher Bestimmungen, der Wirkungsbereich von gesetzlichen Interessenvertretungen und von freiwilligen kollektivvertragsfähgien Berufsvereinigungen der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer, die Auskunftserteilung oder Beistandsleistung durch Personen oder Vereinigungen, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar dem Ziel wirtschaftlicher Vorteile dieser Personen oder Vereinigungen dienen, sowie Befugnisse, die in den Berechtigungsumfang von gebundenen oder konzessionierten Gewerben oder von Handwerken fallen.

Davon ausgehend erfüllt allerdings der gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, im einzelnen genannte Personen vor bestimmten Behörden gewerbsmäßig verteten zu haben, ohne die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung zu besitzen, als gewerbsmäßige Ausübung einer den Rechtsanwälten vorbehaltenen Tätigkeit, den Tatbestand des § 57 Abs. 2 RAO (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 1989, Zl. 89/10/0045). Es war der belangten Behörde daher im Grunde des Art. IX Abs. 3 EGVG verwehrt, das von ihr spruchgemäß als erwiesen angenommene und von der "besonderen Vorschrift" des § 57 Abs. 2 RAO erfaßte Verhalten des Beschwerdeführers dem Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z 1 EGVG zu unterstellen. Die belangte Behörde hat daher, indem sie dies verkannte, den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war somit schon aus diesem Grunde - ohne auf das Beschwerdevorbringen weiter einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995100123.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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