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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §364 Abs2Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revisionen 1. des Mag. S N, 2. der Mag. (FH) I N und 3. des H S, alle in T, alle vertreten durch Mag. Michael Bodmann, MSc, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4/5B, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 9. Juni 2021, Zl. LVwG-AV-24/001-2021, betreffend eine Rodungsbewilligung nach dem Forstgesetz 1975 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Pölten; mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde Tullnerbach, vertreten durch Dr. Peter Gatternig und Mag. Karl Gatternig, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Renngasse 9), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 25. Februar 2019 wurde der mitbeteiligten Partei die dauernde Rodung auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG T. im Ausmaß von 4.583 m² zum Zweck des Ausbaus der Unterführung W.-Straße und der neuen Einbindung der E.-Straße unter Vorschreibung von Auflagen bewilligt.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (Verwaltungsgericht) vom 9. Juni 2021 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 4. März 2021 - mit der Maßgabe einer Flächeneinschränkung auf 2.920 m² (inklusive bildlicher Darstellung der Rodungsfläche) als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass die belangte Behörde die Revisionswerber aufgrund der Zustellung des Bescheides an diese als Parteien im Sinne des § 19 Abs. 4 Z 4 Forstgesetz 1975 (ForstG) angesehen habe. Aufgrund der im Zuge der mündlichen Verhandlung durch die mitbeteiligte Partei vorgenommenen Einschränkung der beantragten Rodungsfläche grenze diese nicht mehr an die Grundstücke der Revisionswerber an. Die Revisionswerber blieben dennoch Verfahrensparteien, weil eine Rodung innerhalb des in § 14 Abs. 3 erster Halbsatz ForstG normierten 40 m breiten Schutzstreifens Parteistellung im Sinne des § 14 (gemeint wohl: 19) Abs. 4 Z 4 leg. cit. vermittle, es sei denn, zwischen der zu rodenden Fläche und dem benachbarten Wald liege eine mindestens 10 m breite nicht bestockte Fläche.
4 Aufgrund des von der belangten Behörde durchgeführten Verfahrens und insbesondere des (ebenso von der belangten Behörde) eingeholten forstfachlichen Amtssachverständigengutachtens vom 11. Februar 2019 sowie der ergänzenden Stellungnahme des forstfachlichen Sachverständigen vom 11. März 2021 ergebe sich zweifelsfrei, dass die Auswirkungen des Waldflächenverlustes im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Walderhaltung aufgrund der guten Waldausstattung, Waldflächenverteilung und -dynamik tolerierbar seien, eine Gefährdung des Nachbarbestandes nicht zu erwarten sei und das hohe öffentliche Interesse an der Rodung (Siedlungswesen) gegenüber dem Interesse an der Walderhaltung überwiege.
5 Es seien aufgrund der geplanten Rodungsmaßnahmen keine negativen Beeinträchtigungen für die Gehölzflächen der Anrainergrundstücke der Revisionswerber wie etwa durch Wind oder Sonnenbrand zu erwarten. Die verfahrensgegenständliche Rodungsfläche liege nicht in der Hauptwindrichtung vorgelagert zu den Anrainergrundstücken, welche auch nicht direkt an die Rodungsfläche angrenzen würden; deren Abstand betrage zumindest 15 Meter. Es könne als gesichert angesehen werden, dass durch die geplante Rodung der benachbarte Bestand auf den Grundstücken der Revisionswerber keiner „offenbaren“ Windgefährdung ausgesetzt sei. Eine derartige Gefährdung lege auch das durch die Revisionswerber beigebrachte forsttechnische Gutachten vom 23. März 2021 nicht dar. Die Abwägung der belangten Behörde, wonach das öffentliche Interesse „Siedlungswesen“ gegenüber dem Interesse der Walderhaltung überwiege, könne daher nachvollzogen werden.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstatteten sowohl die belangte Behörde als auch die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.
8 Im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung machen die Revisionswerber unter anderem geltend, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abweiche. Das Verwaltungsgericht habe die ergänzende Stellungnahme des forstfachlichen Amtssachverständigen (erst) nach der mündlichen Verhandlung eingeholt und den Revisionswerbern zur Äußerung zugestellt. Daraufhin hätten die Revisionswerber ein weiteres forsttechnisches Gutachten eingebracht, welches der ergänzenden Stellungnahme des Amtssachverständigen widersprochen habe. Es lägen sohin voneinander abweichende Beweisergebnisse und divergierende Tatsachendarstellungen vor, weshalb das Verwaltungsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mündlich hätte verhandeln müssen (Verweis auf VwGH 18.1.2021, Ra 2020/04/0133; 13.9.2016, Ra 2016/03/0085; 30.1.2019, Ra 2019/03/0131 [gemeint wohl: Ra 2018/03/0131]).
9 Diesbezüglich erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die maßgeblichen Bestimmungen des Forstgesetzes 1975, BGBl. Nr. 440/1975 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 56/2016, lauten auszugsweise:
„Begriffsbestimmungen
§ 1a. (1) Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes sind mit Holzgewächsen der im Anhang angeführten Arten (forstlicher Bewuchs) bestockte Grundflächen, soweit die Bestockung mindestens eine Fläche von 1 000 m2 und eine durchschnittliche Breite von 10 m erreicht.
[...]
Waldbehandlung entlang der Eigentumsgrenzen
§ 14. (1) [...]
(2) Jeder Waldeigentümer hat Fällungen entlang seiner Eigentumsgrenzen in einer Entfernung von weniger als 40 Metern zu unterlassen, wenn durch die Fällung nachbarlicher Wald einer offenbaren Windgefährdung ausgesetzt würde (Deckungsschutz).
(3) Der Deckungsschutz ist jedem Eigentümer des angrenzenden Waldes sowie den Eigentümern etwaiger an diesen angrenzender Wälder zu gewähren, sofern die jeweilige Entfernung von der Eigentumsgrenze des zum Deckungsschutz Verpflichteten weniger als 40 Meter beträgt; allfällige zwischen den Waldflächen liegende, unter § 1a Abs. 1 nicht fallende Grundflächen von weniger als 10 Meter Breite sind hiebei nicht einzurechnen.
[...]
Rodungsverfahren
§ 19. (1) [...]
(4) Parteien im Sinne des § 8 AVG sind:
1. die Antragsberechtigten im Sinn des Abs. 1 im Umfang ihres Antragsrechtes,
2. der an der zur Rodung beantragten Waldfläche dinglich Berechtigte,
3. der Bergbauberechtigte, soweit er auf der zur Rodung beantragten Waldfläche nach den bergrechtlichen Vorschriften zum Aufsuchen oder Gewinnen bergfreier oder bundeseigener mineralischer Rohstoffe befugt ist,
4. der Eigentümer und der dinglich Berechtigte der an die zur Rodung beantragten Waldfläche angrenzenden Waldflächen, wobei § 14 Abs. 3 zweiter Halbsatz zu berücksichtigen ist, und
5. das zuständige Militärkommando, wenn sich das Verfahren auf Waldflächen bezieht, die der Sicherung der Verteidigungswirkung von Anlagen der Landesverteidigung dienen. [...]“
11 § 24 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 138/2017, lautet:
„Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;
3. wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.“
12 Eingangs ist auszuführen, dass das Vorbringen der mitbeteiligten Partei in der Revisionsbeantwortung, wonach die Revisionswerber nicht als Parteien gemäß § 19 Abs. 4 ForstG herangezogen hätten werden dürfen, weil diese lediglich durch Zusammenrechnung ihrer jeweiligen Waldanteile die in § 1a Abs. 1 ForstG als „Wald“ definierte Mindestfläche von 1.000 m² erreicht hätten, die gesetzlichen Bestimmungen jedoch kein Zusammenzählen von Flächen mehrerer Parteien vorsähen und somit für keine der Liegenschaften der Revisionswerber eine Waldfläche anzunehmen sei, nicht zutrifft.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat - im Zusammenhang mit der Feststellung der Waldeigenschaft - bereits ausgesprochen, dass es bei einer Feststellungsfläche, die im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit Wald steht, der an die Feststellungsfläche angrenzt, gerade nicht darauf ankommt, ob die Feststellungsfläche selbst das erforderliche Mindestmaß iSd § 1a Abs. 1 ForstG aufweist oder nicht; vielmehr ist die unmittelbar räumlich zusammenhängende Bestockung auf angrenzenden Grundstücken in die Beurteilung miteinzubeziehen (vgl. etwa VwGH 21.12.2016, Ro 2014/10/0047; 19.12.1994, 91/10/0166). Diese Judikatur ist auch für die Frage relevant, ob eine Person als Eigentümer einer angrenzenden Waldfläche im Sinn des § 19 Abs. 4 Z 4 ForstG anzusehen ist. Somit kommt es für die Annahme der Parteistellung nicht darauf an, ob die gegenständlichen Waldanteile auf den Grundstücken der Revisionswerber für sich genommen die in § 1a Abs. 1 ForstG vorgesehene Mindestfläche von 1.000 m² erreichen. Die - aufgrund der Feststellungen zutreffende - Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die übrigen Voraussetzungen für die Parteistellung der Revisionswerber gemäß § 19 Abs. 4 Z 4 ForstG gegeben seien, wird von den Parteien nicht bestritten.
14 Zum Vorbringen der Revisionswerber, das Verwaltungsgericht hätte aufgrund abweichender Beweisergebnisse und divergierender Tatsachendarstellungen die mündliche Verhandlung fortsetzen müssen, wird Folgendes ausgeführt:
15 Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen.
16 Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ iSd Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC stehen dem Absehen von einer Verhandlung (§ 24 Abs. 4 VwGVG) nur dann nicht entgegen, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten können, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist. Des Weiteren hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte (vgl. zu dem Ganzen etwa VwGH 28.7.2021, Ra 2020/10/0145, mwN, zur unterlassenen Fortsetzung einer Verhandlung).
17 Ein Verwaltungsgericht hat (selbst bei anwaltlich vertretenen Personen) auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes selbst steht. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substantiiert bekämpft und/oder ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird. Bei einer widersprüchlichen Beweislage hat das Verwaltungsgericht derart grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, zumal bei dieser die widersprüchlichen Beweisergebnisse unmittelbar geklärt werden können. Das Verwaltungsgericht hat auch rechtliches Gehör grundsätzlich im Rahmen einer Verhandlung einzuräumen (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/03/0131, mwN).
18 Bei konkretem sachverhaltsbezogenen Vorbringen ist jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. etwa VwGH 16.11.2021, Ra 2021/07/0061, sowie erneut VwGH 28.7.2021, Ra 2020/10/0145).
19 Wenn das Verwaltungsgericht eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens als geboten ansah und deshalb die Einholung einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme dahingehend veranlasste, ob die - auf das Gutachten des Amtssachverständigen gestützten - Ausführungen im Bescheid der belangten Behörde hinsichtlich einer möglichen Gefährdung der westlich angrenzenden Waldbestände durch Wind und Sonnenbrand auch auf die Grundstücke der Revisionswerber zutreffen, so zeigt diese Vorgangsweise, dass der entscheidungserhebliche Sacherhalt in dieser Hinsicht eben (noch) nicht geklärt war. Zudem erstatteten die Revisionswerber zu dieser gutachterlichen Stellungnahme im Rahmen des vorgelegten forsttechnischen Privatgutachtens konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen. Schon in Hinblick darauf durfte das Verwaltungsgericht nicht von der Fortsetzung der Verhandlung absehen und davon ausgehen, dass die mündliche Erörterung der nach der Aktenlage strittigen Fragen zu allfälligen negativen Beeinträchtigungen der Grundstücke der Revisionswerber aufgrund der geplanten Rodung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse.
20 Durch die zu Unrecht unterlassene Fortsetzung der Verhandlung hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
21 Der EGMR hat das Vorliegen eines zivilrechtlichen Anspruchs in einer Reihe von Fällen bejaht, in denen die Entscheidung Auswirkungen auf Zivilrechtspositionen hatte (vgl. die Nachweise bei Grabenwarter/Frank, B-VG [2020], Art 6 Rz 4: zur grundverkehrsbehördlichen Genehmigung des Erwerbs einer Liegenschaft, EGMR 22.10.1984, Sramek/Österreich, 8790/79; zur Erteilung einer Baubewilligung bzw. Behandlung der Einwendungen von Nachbarn, EGMR 25.10.1989, Allan Jacobsson/Schweden, 10842/84; zur Widmung eines Grundstücks als Naturschutzgebiet, EGMR 27.11.1991, Oerlemans/Niederlande, 12565/86).
22 Der OGH behandelt in seiner Rechtsprechung die Beseitigung des Deckungsschutzes durch Rodung als Immission iSd § 364 Abs. 2 ABGB (vgl. OGH 19.4.1989, 8 Ob 36/88; 14.11.1984, 3 Ob 553/84). Spezifisches Schutzobjekt des Immissionsrechtes sind unmittelbar weder die Substanz des Grundstückes noch dessen Wert, noch auch die Person des Liegenschaftsnachbars, sondern vielmehr die aus dessen Eigentumsrecht fließenden Nutzungen oder Nutzungsmöglichkeiten (vgl. etwa OGH 21.8.2003, 3 Ob 193/03h; und neuerlich OGH 19.4.1989, 8 Ob 636/88).
23 Davon ausgehend muss angenommen werden, dass die verfahrensgegenständliche Erteilung der Rodungsbewilligung aufgrund ihrer potentiellen Auswirkungen auf das Eigentum der Revisionswerber deren zivilrechtliche Ansprüche betrifft. Eine Relevanzprüfung ist bei Missachtung der Verhandlungspflicht im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK nicht vorzunehmen (vgl. nochmals VwGH 28.7.2021, Ra 2020/10/0145), weshalb es vorliegend nicht schadet, dass die Revision dazu keine Ausführungen enthält.
24 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, sodass sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen erübrigte.
25 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
26 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 24. März 2022
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung Parteiengehör Parteiengehör Unmittelbarkeit Teilnahme an Beweisaufnahmen Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021100172.L00Im RIS seit
28.04.2022Zuletzt aktualisiert am
02.05.2022