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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision des U in W, vertreten durch Mag. Dr. Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 5. Juni 2020, Zlen. 405-1/489/1/24-2020, 405-1/490/1/22-2020, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. des Forstgesetzes 1975 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Zell am See; mitbeteiligte Partei: J S in K), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 5. Juni 2020 wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg - im zweiten Rechtsgang (nach Aufhebung eines Zurückweisungsbeschlusses vom 8. Jänner 2018 durch das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2019, Ro 2018/10/0010) - eine Beschwerde des Revisionswerbers gegen Bescheide der belangten Behörde vom 18. August 2014 und vom 26. August 2016, mit denen jeweils Einzelstammentnahmen (im Ausmaß von ca. 100-120 fm bzw. ca. 230 fm Holzmasse) auf einem einen Schutzwald darstellenden und in der Außenzone des Nationalparks Hohe Tauern befindlichen Grundstück bewilligt worden waren, „mangels Vorliegens eines rechtlichen Interesses zum Einbringungszeitpunkt als unzulässig“ zurück; die Revision gegen diesen Beschluss ließ das Verwaltungsgericht nicht zu.
2 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - soweit für die vorliegende Revisionssache von Interesse - zugrunde, die betroffene Grundfläche im Nationalpark Hohe Tauern (einem Natura 2000-Gebiet) liege in einem „Alpinen Lärchen- und/oder Zirbenwald“ nach dem Anhang I der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie - FFH-RL.
3 Die mit dem erwähnten Bescheid vom 18. August 2014 mit befristeter Gültigkeit erteilte Fällungsbewilligung habe der Mitbeteiligte - aus näher dargestellten Gründen - nicht konsumiert, was er anlässlich eines Ortsaugenscheins mit Organen der belangten Behörde am 21. Juni 2016 auch im Akt der belangten Behörde schriftlich bestätigt habe.
4 Stattdessen habe er mit Eingabe vom 22. August 2016 um die Bewilligung der Fällung anderer, bei jenem Ortsaugenschein markierter Bäume angesucht, welche ihm mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 26. August 2016 erteilt worden sei. Die Fällung dieser Bäume sei zwischen 25. September und 4. Oktober 2017 (und somit vor Erhebung der Beschwerde durch den Revisionswerber) erfolgt; weitere Schlägerungen seien „rechtlich weder möglich noch vom [Mitbeteiligten] intendiert“.
5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, „auf dem Boden“ des erwähnten hg. Erkenntnisses Ro 2018/10/0010 (Hinweis auf dessen Rz 27) sei das „Rechtsmittel des [Revisionswerbers] zu behandeln“.
6 Die Bindungswirkung der genannten höchstgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 63 Abs. 1 VwGG erstrecke sich allerdings lediglich auf Fragen, die der Verwaltungsgerichtshof darin geprüft habe; eine die Beschwerde neuerlich zurückweisende Entscheidung sei daher aus vom Höchstgericht nicht geprüften Gründen nicht nur zulässig, sondern erforderlichenfalls mit Blick auf die Parteienrechte der übrigen Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sogar geboten.
7 Als entscheidend erachtete das Verwaltungsgericht, ob die „Frage der Einhaltung von Unionsumweltrecht als subjektiv-öffentliches Interesse“ des Revisionswerbers im Zuge der gegenständlichen Erteilung von Fällungsbewilligungen „einer inhaltlichen Prüfung zuzuführen“ sei oder ob einer solchen ein rechtliches Hindernis entgegenstehe.
8 Ein solches Hindernis liege vor:
9 Was den ersten vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid, jenen vom 18. August 2014, anlange, so habe der Mitbeteiligte dargetan, dass er an der Fällung der darin bezeichneten Zirben nicht mehr interessiert sei; dabei könne dahin stehen, ob er seinen Antrag insoweit zurückgezogen oder auf die mit jenem Bescheid erteilte Bewilligung verzichtet habe, habe doch die belangte Behörde mit ihrem weiteren, ebenfalls vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid vom 26. August 2016 erkennbar eine Abänderung der zunächst erteilten Fällungsbewilligung zum Ausdruck gebracht.
10 Ein Rechtsschutzinteresse des Revisionswerbers an der Aufhebung des Bescheides vom 18. August 2014 bestehe aufgrund dieser Überlegungen von vornherein nicht.
11 Den Bewilligungsbescheid vom 26. August 2016 habe der Mitbeteiligte mit Ablauf des 4. Oktober 2017 (durch Fällung aller darin genannten Bäume) - und damit vor Einbringung der Beschwerde des Revisionswerbers am 19. Oktober 2017 - zur Gänze konsumiert.
12 In einem solchen Fall fehle einer Partei, „auch einer Formalpartei“, allerdings nach der hg. Rechtsprechung das Rechtsschutzinteresse (Hinweis auf VwGH 31.1.2018, Ra 2018/10/0022). Daran ändere auch - entgegen der Auffassung des Revisionswerbers - nichts, dass dieser ein subjektiv-öffentliches Interesse an der Einhaltung von Unionsumweltrecht habe; selbst im Fall einer Antragsabweisung „nach der begehrten Naturverträglichkeitsprüfung im Beschwerdeweg, wäre der Vorgang nicht mehr rückabwickelbar“, sodass die Klärung der aufgeworfenen Frage, welche Auswirkungen die Zirbenfällung auf das in Rede stehende Schutzgebiet habe, nur mehr theoretische Bedeutung für den Revisionswerber besäße (Hinweis auf VfGH 15.3.2017, E 46/2016 = VfSlg. 20.158).
13 Da dem Revisionswerber das Rechtsschutzinteresse bereits zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde gefehlt habe, sei dessen Rechtsmittel nach der angeführten Judikatur zurückzuweisen.
14 2. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
15 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht, während der Mitbeteiligte keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 1. Zur Zulässigkeit seiner Revision bringt der Revisionswerber (unter anderem) vor, es bestünden im Fall der Wahrnehmung von Rechten nach der Aarhus-Konvention durch eine anerkannte Umweltorganisation - wie hier - wesentliche Unterschiede gegenüber der vom Verwaltungsgericht angeführten Rechtsprechung zum Rechtsschutzinteresse einer Amtspartei; die Wahrnehmung des nach der Aarhus-Konvention gewährleisteten Rechtsschutzes erfasse auch das Interesse an der Einhaltung objektiver Umweltbestimmungen, insbesondere jener des Unionsumweltrechtes, etwa der FFH-Richtlinie.
17 Die unionsrechtliche Sonderstellung von Umweltorganisationen, welche nicht ein Interesse nachweisen müssten, um als Mitglied der betroffenen Öffentlichkeit iSd der Aarhus-Konvention angesehen zu werden, verbiete eine Übertragung der zitierten Rechtsprechung zum Rechtsschutzinteresse von Formalparteien; vielmehr sei bei Kontrolle der Umsetzung von Unionsrecht wie vorliegend der FFH-Richtlinie und der Vogelschutz-Richtlinie eine „objektive Überprüfungsmöglichkeit“ durch derartige Umweltorganisationen zuzulassen, welche in Wahrnehmung ihrer nach Aarhus gewährleisteten Rechte Parteien sui generis seien.
18 Zur Frage des Rechtsschutzinteresses von Umweltorganisationen nach der Aarhus-Konvention fehle es im Übrigen an Rechtsprechung des Gerichtshofes.
19 2. Die Revision ist mit Blick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie erweist sich auch als berechtigt.
20 2.1. Dem angefochtenen Beschluss liegt die Auffassung zugrunde, dem Revisionswerber habe es bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der gegenständlichen Beschwerde am Rechtsschutzinteresse gemangelt, weil der Mitbeteiligte den noch aufrechten Bewilligungsbescheid vom 26. August 2016 vor diesem Zeitpunkt konsumiert habe und dieser Vorgang selbst im Fall einer Antragsabweisung „nach der begehrten Naturverträglichkeitsprüfung im Beschwerdeweg nicht rückabwickelbar“ wäre, sodass der Klärung der aufgeworfenen Frage, welche Auswirkungen die Zirbenfällung auf das in Rede stehende Schutzgebiet (Natura 2000-Gebiet) habe, - ungeachtet eines subjektiv-öffentlichen Interesses des Revisionswerbers an der Einhaltung von Unionsumweltrecht - nur mehr theoretische Bedeutung zukomme.
21 Dem kann allerdings in einem Fall wie dem vorliegenden nicht gefolgt werden.
22 2.2. In Verfahren, welche die Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte zum Gegenstand haben - so auch in derartigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren - stellt das Rechtsschutzinteresse eine Prozessvoraussetzung dar (vgl. etwa VfGH 15.3.2017, E 46/2016 =VfSlg. 20.158; VwGH 30.11.2015, Ra 2015/08/0111 = VwSlg. 19.255 A, mwN).
23 Dieses besteht im Fall einer Bescheidbeschwerde im objektiven Interesse des Beschwerdeführers an einer Beseitigung des angefochtenen, ihn beschwerenden Verwaltungsaktes; dieses Interesse wird daher immer dann zu verneinen sein, wenn es für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers keinen Unterschied mehr macht, ob der angefochtene Bescheid aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für den Beschwerdeführer keinen objektiven Nutzen hat, die in der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen soweit nur (mehr) theoretische Bedeutung besitzen (vgl. etwa den bereits vom Verwaltungsgericht angeführten hg. Beschluss Ra 2018/10/0022 sowie VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0607, jeweils mwN).
24 2.3. Wie der Gerichtshof in seinem den früheren die Beschwerde des Revisionswerbers zurückweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichtes aufhebenden Erkenntnis Ro 2018/10/0010 bereits ausgesprochen hat, stützt sich die Beschwerdelegitimation des Revisionswerbers (als einer anerkannten Umweltorganisation) vorliegend - dem Urteil des EuGH vom 20. Dezember 2017, Rs C-664/15, Protect, folgend - in Anwendung des Art. 9 Aarhus-Konvention auf dessen Rolle bei der Überprüfung der Einhaltung von unionsrechtlichem Umweltrecht; der Revisionswerber hat insofern die sich aus unionsrechtlich bedingten Umweltschutzvorschriften ergebenden Interessen zu vertreten (vgl. etwa VwGH 27.8.2021, Ra 2021/10/0139, mwN).
25 Der EuGH hat in seiner - in den Gründen der vorliegenden Revision referierten - Rechtsprechung zur Umweltverträglichkeitsprüfung ausgesprochen, dass es dem nationalen Gesetzgeber zwar freistehe, Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs geltend machen könne, auf subjektive Rechte zu beschränken, doch könne eine solche Beschränkung nicht als solche auf Umweltverbände angewandt werden, weil dadurch die Ziele des Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (betreffend den Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht für „Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit“) missachtet würden. Deshalb müssten die Umweltverbände zwingend die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union geltend machen können (vgl. VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0117 = VwSlg. 19.515 A, unter Hinweis auf EuGH 15.10.2015, Rs C-137/14, sowie EuGH 12.5.2011, Rs C-115/09; vgl. in diesem Zusammenhang auch VwGH 18.5.2016, Ro 2015/04/0026 = VwSlg. 19.373 A, unter Bezugnahme auf EuGH 16.4.2015, Rs C-570/13, Gruber).
26 Wie der Verwaltungsgerichthof in der Entscheidung Ra 2016/04/0117 (Rz 15) bereits ausgeführt hat, beziehen sich diese Aussagen des EuGH „allgemein auf die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt“.
27 2.4. Auch im vorliegenden Fall, in dem der Revisionswerber gestützt auf seine Beschwerdelegitimation als „Mitglied der betroffenen Öffentlichkeit“ iSd Art. 9 Aarhus-Konvention in seinem gegen die Bescheide der belangten Behörde erhobenen Rechtsmittel die Verletzung von Unionsumweltrecht, namentlich der FFH-RL, geltend macht, verbietet es sich daher, die Beschwerdelegitimation des Revisionswerbers aus Gründen eines aus dessen subjektiven Rechten abgeleiteten Rechtsschutzinteresses einzuschränken; vielmehr ist eine Umweltorganisation in einem derartigen Verfahren unabhängig von der Frage einer Verletzung in subjektiven Rechten befugt, Verstöße gegen das Unionsumweltrecht zu beanstanden.
28 Insofern unterscheidet sich die Rechtsstellung einer zur Überprüfung der Einhaltung des Unionsumweltrechtes berufenen Umweltorganisation von jener sonstiger Formalparteien, deren Beschwerdelegitimation nicht an subjektive Rechte geknüpft ist und bei denen nach der hg. Rechtsprechung dennoch ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses in Betracht kommt (vgl. etwa wiederum VwGH Ra 2018/10/0022, oder 20.12.2017, Ra 2017/10/0139, jeweils mwN).
29 Der Gerichtshof sieht sich nach dem Gesagten zu dem vom Revisionswerber angeregten Vorabentscheidungsersuchen „hinsichtlich des Umfangs des Rechtsschutzinteresses von Umweltorganisationen gemäß der Aarhus-Konvention“ nicht veranlasst.
30 Aus diesen Gründen erweist sich die mit dem angefochtenen Beschluss wegen eines mangelnden Rechtsschutzinteresses ausgesprochene Zurückweisung der Beschwerde des Revisionswerbers als inhaltlich rechtswidrig.
31 3. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
32 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. März 2022
Gerichtsentscheidung
EuGH 62009CJ0115 Bund Umwelt / Naturschutz Deutschland VORABSchlagworte
Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen RechtspersönlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020100101.L00Im RIS seit
28.04.2022Zuletzt aktualisiert am
02.05.2022