TE Vwgh Beschluss 2022/3/29 Ra 2021/22/0069

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Veröffentlicht am 29.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §56 Abs1
AsylG 2005 §56 Abs1 Z1
AsylG 2005 §56 Abs1 Z2
AsylG 2005 §56 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs6
AVG §13 Abs3
B-VG Art133 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §23 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A K, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. März 2021, W163 1413318-3/12E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 23. September 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers, eines indischen Staatsangehörigen, auf Verlängerung seiner „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei und legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. März 2021 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

3        Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - auf das Wesentlichste zusammengefasst - folgenden Sachverhalt zugrunde:

Der Revisionswerber sei unrechtmäßig nach Österreich eingereist und habe am 6. Mai 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22. November 2010 (verbunden mit einer Ausweisung) rechtskräftig abgewiesen worden sei. Nachdem bei der Botschaft der Republik Indien wiederholt (erfolglos) um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates angesucht worden sei, sei dem Revisionswerber am 14. Mai 2014 eine Karte für Geduldete ausgestellt worden, weil seine Abschiebung aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. In der Folge habe der Revisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erhalten. Nach Verlängerung dieser Aufenthaltsberechtigung habe der Revisionswerber am 10. Juli 2018 den hier zugrundeliegenden Verlängerungsantrag gestellt. Dabei habe er auch eine Kopie eines gültigen indischen Reisepasses vorgelegt. Einem Vermerk in dem (2015 ausgestellten) Reisepass sei zu entnehmen, dass der (alte) 2004 ausgestellte Reisepass entwertet und dem Revisionswerber retourniert worden sei. Dem Revisionswerber sei somit ein gültiger indischer Reisepass zugänglich gewesen; er habe dies aber weder im Rahmen der Bemühungen um Erlangung eines Heimreisezertifikates noch in den Verfahren auf Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen (vor dem nunmehr gegenständlichen Verfahren) bekannt gegeben bzw. dies sogar in Abrede gestellt.

Der Revisionswerber halte sich seit zehn Jahren und zehn Monaten im Bundesgebiet auf. Er sei zunächst seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und der weitere Aufenthalt habe sich auf den Umstand gestützt, dass er seinen gültigen Reisepass vor den Behörden verborgen und dessen Existenz in Abrede gestellt habe. Der Revisionswerber verfüge nur über rudimentäre Deutschkenntnisse. Er arbeite als Speisenzusteller und verdiene durchschnittlich € 1.000,- pro Monat; zusätzlich lukriere er monatlich € 400,- bis € 450,- aus der Verteilung von Reklame. Er verfüge über keine ausgeprägten sozialen Kontakte, habe keine Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch genommen und sei auch nicht Mitglied in einem Verein.

4        In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht - soweit für die vorliegende Revisionssache von Relevanz - Folgendes aus:

Die Voraussetzungen für die Verlängerung des Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 lägen nicht vor, weil der Revisionswerber im Besitz eines gültigen Reisepasses sei. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass der Verlängerungsantrag des Revisionswerbers abgewiesen worden sei.

Bei der (im Zusammenhang mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommenen) Interessenabwägung hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, es liege kein Eingriff in das Recht auf Familienleben vor, weil der Revisionswerber im Bundesgebiet keine Familienangehörigen habe. Bei der Prüfung eines Eingriffs in das Recht auf Privatleben komme der Aufenthaltsdauer von mehr als zehn Jahren grundsätzlich zwar ein erhebliches Gewicht zu. Dieses Gewicht werde vorliegend aber dadurch stark relativiert, dass die lange Aufenthaltsdauer nur möglich gewesen sei, weil der Revisionswerber seinen gültigen Reisepass vor den Aufenthaltsbehörden verborgen gehalten bzw. wahrheitswidrig den Verlust seines Reisepasses behauptet habe. Entgegen seinen Angaben wäre es dem Revisionswerber möglich gewesen, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Zu Gunsten des Revisionswerbers wertete das Verwaltungsgericht seine Erwerbstätigkeit. Zu seinen Ungunsten wertete es den Umstand, dass sich der Revisionswerber trotz des langen Aufenthaltes nur rudimentäre Deutschkenntnisse angeeignet habe, er kaum Integrationsschritte gesetzt habe und über keine nennenswerten sozialen Kontakte verfüge. Die Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden daher gegenüber dem öffentlichen Interesse in den Hintergrund treten.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Der Revisionswerber verweist lediglich auf die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005 und bringt vor, er erfülle all diese Voraussetzungen, sei aber von der zuständigen Behörde nicht darauf hingewiesen worden, einen Antrag nach § 56 AsylG 2005 zu stellen.

Dazu ist Folgendes festzuhalten:

8        Unstrittig ist, dass der Revisionswerber vorliegend einen Antrag auf Verlängerung seiner „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestellt hat. Der Revisionswerber bestreitet nicht, dass er die Voraussetzungen für die Duldung seines Aufenthalts nach § 46a Abs. 1 Z 3 FPG und für die Verlängerung seiner „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht (mehr) erfüllt.

9        Nach § 58 Abs. 6 AsylG 2005 ist im Antrag der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß den §§ 55 bis 57 AsylG 2005 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmung des § 23 Abs. 1 NAG (vgl. dazu VwGH 14.4.2016, Ra 2016/21/0077, Rn. 20) bereits ausgesprochen, dass in Fällen, in denen ein Antragsteller für seinen Aufenthaltszweck einen anderen als den beantragten Aufenthaltstitel benötigt, jedenfalls vor einer allfälligen Antragsabweisung auch das in § 23 Abs. 1 NAG vorgesehene Verfahren einzuhalten ist (vgl. VwGH 3.4.2009, 2008/22/0880; 14.5.2009, 2008/22/0922). Diese Rechtsprechung ist auf Verfahren betreffend die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach den §§ 55 bis 57 AsylG 2005, in denen § 58 Abs. 6 AsylG 2005 maßgeblich ist, übertragbar.

11       Da der Revisionswerber mit seiner Rüge der unterbliebenen Belehrung somit einen Verfahrensfehler geltend macht, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Zulässigkeit der Revision bei einem behaupteten Verfahrensmangel (ua.) voraussetzt, dass die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang konkret dargetan wird (vgl. VwGH 4.6.2021, Ra 2020/22/0287, Rn. 6, mwN). Diesem Erfordernis genügt die vorliegende Revision aus folgenden Gründen nicht:

12       Gemäß dem vom Revisionswerber insoweit ins Treffen geführten § 56 Abs. 1 AsylG 2005 kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist (Z 1), davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist (Z 2) und das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 3).

13       Zwar ergibt sich aus den (oben verkürzt wiedergegebenen) Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis, dass der Revisionswerber die Voraussetzungen der Z 1 bis 3 des § 56 Abs. 1 AsylG 2005 erfüllt. Allerdings setzt die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 56 Abs. 1 AsylG 2005 neben der Erfüllung der Voraussetzungen der Z 1 bis 3 leg. cit. auch voraus, dass ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall vorliegt. Dies erfordert wiederum eine aufgrund der Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Ermessensübung, die - wenn sie nicht unvertretbar erfolgt ist und alle Umstände frei von Verfahrensmängeln berücksichtigt wurden - als Einzelfallbeurteilung nicht revisibel ist (vgl. dazu VwGH 19.10.2021, Ra 2021/22/0170, Rn. 11 f, mwN; weiters VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0308, Rn. 13 und 15). Zu allfälligen für das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles sprechenden Umständen enthält die Revision aber kein Vorbringen, weshalb eine Relevanz der unterbliebenen Belehrung nicht konkret dargetan wird. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob im konkreten Fall eine Belehrungspflicht nach § 58 Abs. 6 zweiter Satz AsylG 2005 bestanden hätte.

14       In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes, wonach der Revisionswerber das Vorhandensein eines gültigen Reisepasses wahrheitswidrig in Abrede gestellt habe und dies für die Duldung bzw. die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ursächlich gewesen sei, in der Revision nicht entgegengetreten wird. Vor diesem Hintergrund ist auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im hg. Erkenntnis VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0032, Rn. 23, zu verweisen, wonach der Umstand, dass die für eine Titelerteilung nach § 56 AsylG 2005 notwendige Dauer der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht (etwa) durch ein asylrechtliches Aufenthaltsrecht während eines längeren Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz erreicht wird, sondern durch bewusst wahrheitswidrige Identitätsangaben mit dem zugestandenen Ziel, eine Abschiebung zu verhindern, bei der Ermessensübung zu berücksichtigen ist. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der hier gegebenen (vom Revisionswerber nicht bestrittenen) Konstellation ist somit auch nicht ersichtlich, dass auf Basis der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis jedenfalls von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall auszugehen gewesen wäre.

15       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 29. März 2022

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Ermessen VwRallg8

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220069.L00

Im RIS seit

28.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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