Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 28. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Hausmann und Mag. Vas als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin FI Mock in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 27. Jänner 2020, GZ D 18/04-51, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Kammeranwalts Mag. Philipp und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Rechtsanwalt * wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen, er habe am 22. Dezember 2017 im Rahmen einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Burgenland, GZ *, gegen die namentlich genannten Ausschussmitglieder der Rechtsanwaltskammer Burgenland die Vorwürfe erhoben, „… Sämtliche der angeführten Mitglieder des Ausschusses sind Mitglieder der Burgenländischen Rechtsanwaltskammer und agieren daher im selben Einzugsgebiet wie RA *, ...
Alle der oben angeführten Ausschussmitglieder treten regelmäßig als Gegenvertreter in gerichtlichen Verfahren auf, in denen auch die D* GmbH als Vertreter fungiert und die dadurch auch auf RA * treffen bzw in der Vergangenheit auf Mag. * L* trafen.
Daraus folgt, dass sich RA * und die oa Ausschussmitglieder in einem Konkurrenzverhältnis befinden und allfällige wirtschaftliche Nachteile der D* GmbH bzw von RA * für die oa Personen einen wirtschaftlichen Vorteil bedeutet.
4.4. Gemäß § 7 Abs 2 Z 4 AVG haben sich Verwaltungsorgane der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.
Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände hätte der Anlass bestanden an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der beteiligten Organwalter zu zweifeln, weshalb richtigerweise sich die belangte Behörde die Ausübung ihres Amtes enthalten hätte und ihre Vertretung veranlassen hätte müssen.
Aufgrund der oben dargelegten Umstände wird die volle Unbefangenheit der belangten Behörde ausdrücklich in Zweifel gezogen. ...“, welche den Tatbestand des Amtsmissbrauchs verwirklichen würden und dadurch Berufspflichten verletzt sowie Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt.
Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) durch Verletzung des „§ 9 Abs 1 Satz 2 RAO“ schuldig erkannt und hiefür zu einer Zusatzstrafe (§ 16 Abs 5 zweiter Satz DSt iVm §§ 31, 40 StGB) in Form einer Geldbuße in der Höhe von 8.000 Euro verurteilt.
[2] Danach hat er am 22. Dezember 2017 im Rahmen einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Burgenland, GZ *, gegen die in dieser Beschwerde namentlich genannten Ausschussmitglieder der Rechtsanwaltskammer Burgenland Vorwürfe erhoben, welche den Tatbestand des Amtsmissbrauchs implizieren, indem die aus dem Spruch ersichtlichen Ausführungen getätigt wurden, ohne konkrete Gründe für eine Befangenheit des Ausschusses oder seiner Mitglieder darzulegen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen den Ausspruch über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen [hier § 281 Abs 1 Z 9 lit a, 9 lit b, 10 und 11 StPO] in deren Rahmen vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.
[4] Der Berufung kommt aus dem Grunde des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO Berechtigung zu:
[5] Zum – in freier Beweiswürdigung als Tatfrage zu lösenden (RIS-Justiz RS0092437) – Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung stellte der Disziplinarrat fest, der Beschuldigte habe dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer bzw seinen Mitgliedern Befangenheit bei der Bestellung des Kammerkommissärs vorgeworfen, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Ausschussmitglieder gezweifelt und daraus gefolgert, „dass sich aus der Beschlussfassung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Burgenland unweigerlich ergäbe, dass allfällige wirtschaftliche Nachteile der D* GmbH bzw des Disziplinarbeschuldigten für die Ausschussmitglieder einen wirtschaftlichen Vorteil bedeutet“ (ES 6). Disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (ES 8 f) konstatierte er weiters, der Disziplinarbeschuldigte habe den Ausschussmitgliedern damit unterstellt, „einen Bescheid erlassen zu haben, um sich zum Nachteil der D* GmbH bzw des DB einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen“ sowie „Selbst wenn der Disziplinarbeschuldigte nicht expressis verbis anführt, dass der Ausschuss wissentlich missbräuchlich den Bescheid vom 27. November 2017 gefasst habe, um der D* GmbH bzw dem DB zu schaden, so ergibt sich aus der verwendeten Formulierung implizit dieser Vorwurf“.
[6] In rechtlicher Hinsicht erachtet der Disziplinarrat die Geltendmachung dieser Befangenheit ohne „konkrete Anhaltspunkte bzw Gründe“ in Ansehung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Burgenland oder einzelner Ausschussmitglieder als Verstoß gegen § 9 Abs 1 zweiter Satz RAO, wonach der Rechtsanwalt befugt ist, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Nach ständiger Rechtsprechung werden die Grenzen des § 9 Abs 1 RAO bzw Art 10 EMRK überschritten, wenn sich der Rechtsanwalt unsachlicher und/oder erkennbar beleidigender Äußerungen bedient (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 16 mwN).
[7] Der Disziplinarrat lässt dabei jedoch das Wesen einer – hier vorliegenden – „Anscheinsbefangenheit“ außer Acht:
[8] Schon grundsätzlich stellen Bestimmungen über die Ausschließung und die Befangenheit nicht auf die tatsächliche (oder vermeintliche) Unfähigkeit zu unvoreingenommener sowie unparteilicher Entscheidungs-findung, sondern auf äußere Umstände ab (vgl Lässig, WK-StPO Vor §§ 43–47 Rz 5).
[9] Die jüngere Rechtsprechung des VwGH sieht es – soweit hier von Relevanz (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 23 RAO Rz 4) – auch ohne Bezugnahme auf Art 6 MRK als ausreichend für eine Befangenheit gemäß des Auffangtatbestands des § 7 Abs 1 Z 3 AVG („sonstige wichtige Gründe“) an, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte bzw konkrete Umstände „zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist“ (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 7 Rz 14 mwN). Beispielsweise können über die Interessen des jeweiligen Rechtsträgers (vgl hiezu VwGH 23. 9. 1981, 2493/79; 3. 7. 2000, 2000/09/0006) hinausgehende Privatinteressen des Organwalters (Hengstschläger/Leeb, AVG § 7 Rz 15) oder – je nach Marktsituation – auch ein geschäftliches Konkurrenz-verhältnis zwischen Laienrichter und Angeklagtem (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 11) diese begründen.
[10] Zur Geltendmachung einer solchen Befangenheit reicht es somit hin, im Verhältnis zwischen Organwalter und Partei liegende Gründe anzuführen, die objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit wecken könnten, eine tatsächliche (subjektive) Voreingenommenheit – wie sie der Disziplinarrat offenbar vermisst – ist hingegen gerade nicht zu behaupten. Naturgemäß aber beinhaltet jeder Vorhalt entsprechender äußerer Umstände per se die Unterstellung, das betroffene Organ könne sich von diesen bei seiner Entscheidung leiten lassen.
[11] Dass der Gesetzgeber das vom Beschuldigten relevierte Moment als Ausfluss der Selbstverwaltung der Rechtsanwälte als notwendig in Kauf genommen hat (ES 9), macht sein Vorbringen einer daraus resultierenden Befangenheit des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Burgenland zwar durchwegs erfolglos (vgl zur bloß subjektiven Besorgnis auch RIS-Justiz RS0056962), im Licht des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) aber nicht disziplinär (vgl RIS-Justiz RS0056168). Kritik muss einem Standesangehörigen auch gegenüber der Kammer, der er angehört, offenstehen (RIS-Justiz RS0101400 [T1]), insbesondere, wenn sie der persönlichen Überzeugung des Rechtsanwalts entspricht und somit bona fide vorgebracht wird (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 17).
[12] In Stattgebung der Berufung des Disziplinarbeschuldigten war das angefochtene Erkenntnis daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur aufzuheben und wie aus dem Spruch ersichtlich mit Freispruch vorzugehen.
[13] Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Textnummer
E134546European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0290DS00001.20Y.0328.000Im RIS seit
28.04.2022Zuletzt aktualisiert am
28.04.2022