TE OGH 2022/3/31 12Os21/22p

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Veröffentlicht am 31.03.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kostersitz als Schriftführer in der Strafsache gegen R* D* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 erster und zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 8. September 2021, GZ 20 Hv 112/20b-92, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion unter § 107b Abs 4 erster Fall StGB und in der zum Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde R* D* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 erster und zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er in G* und an anderen Orten ab einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2015 bis zum 23. März 2019 (mit Ausnahme des 28. August 2018) gegen seine am 18. Jänner 2005 geborene unmündige Tochter A* D* eine längere Zeit hindurch, nämlich länger als ein Jahr, fortgesetzt Gewalt (§ 107b Abs 2 StGB) ausgeübt, wobei die Tat eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) in Form einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung zur Folge hatte, und zwar durch fortdauernde

A) Misshandlungen und Körperverletzungen, indem er sie vorsätzlich am Körper verletzte oder misshandelte und dadurch teils fahrlässig verletzte, indem er ihr

1. in regelmäßigen Abständen, nämlich zumindest vierzehntägig, Ohrfeigen sowie Schläge mit dem Handrücken versetzte, wobei die Taten teils Hämatome oder leichte Schwellungen zur Folge hatten,

2. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen März und Ende Juni 2018 einen Schlag auf den Oberschenkel versetzte, wobei die Tat ein Hämatom zur Folge hatte,

B) gefährliche Drohungen, indem er sie zumindest einmal monatlich durch die Ankündigung: „Gut erzogene Kinder wissen, wo die Rute steht!“ und/oder „willst du die Gerade oder die Verkehrte“, zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teilweise im Recht.

[4]       Soweit sich die Subsumtionsrüge sowohl gegen die Annahme des Grundtatbestands nach § 107b Abs 1 StGB als auch der Qualifikation nach § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB wendet und vorbringt, der Angeklagte hätte das Opfer lediglich in drei Fällen geschlagen, dem angefochtenen Urteil ließen sich keine Feststellungen entnehmen, wonach die Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt wurde, nimmt sie prozessordnungswidrig nicht Maß an der angefochtenen Entscheidung (vgl RIS-Justiz RS0099810). Deren Begründung enthält nämlich die Feststellungen, wonach der Angeklagte dem Opfer ab dem Jahr 2015 bis zum 23. März 2019 zumindest vierzehntägig Ohrfeigen versetzte (US 3 bis 5).

[5]       In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[6]       Im Recht ist hingegen die Subsumtionsrüge (Z 10), soweit sie sich auf die Annahme der Qualifikation nach § 107b Abs 4 erster Fall StGB bezieht.

[7]       Die Verwirklichung dieser Erfolgsqualifikation setzt voraus, dass eine Tat nach Abs 3 oder Abs 3a Z 1 eine Verletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) zur Folge hat.

[8]       „Für immer“ bedeutet auf Lebenszeit des Verletzten. Die von § 85 StGB alternativ geforderte „lange Zeit“ hebt sich nicht nur deutlich von der 24-Tage-Grenze des § 84 Abs 1 StGB ab, sondern kann überhaupt nur durch einen Zeitraum als erfüllt angesehen werden, der von der durchschnittlich zu erwartenden weiteren Lebensdauer des Opfers einen wesentlichen Teil einnimmt. Als Dauerfolgen kommen daher nur solche lang andauernden Leiden in Betracht, die eine gewichtige, einer immerwährenden Folge nahekommende Beeinträchtigung des Daseinswerts des Verletzten bedeuten (vgl Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 85 Rz 18 mwN; RIS-Justiz RS0092616).

[9]            Fallaktuell sind die Tatrichter zu Recht davon ausgegangen, dass eine posttraumatische Belastungsstörung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen iSd § 85 Abs 1 Z 3 StGB sein kann. Ein schweres Leiden kann nämlich auch im psychischen Bereich liegen (Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 85 Rz 14).

[10]           Das Erstgericht stellte fest, dass das 2005 geborene Opfer spätestens seit dem Jahr 2017 an einer progredient verlaufenden chronischen posttraumatischen Belastungsstörung, die sich im weiteren Verlauf, spätestens ab dem Sommer/Herbst 2018 in einer komplexen Traumafolgestörung mit beginnender Störung der Persönlichkeitsentwicklung manifestierte, leidet (US 5), deren Ursache in den fortdauernden Gewaltanwendungen und Drohungen des Angeklagten liegt. Eine Prognose zur mit großer Wahrscheinlichkeit zu befürchtenden Dauer der posttraumatischen Belastungsstörung des Opfers enthält das Urteil jedoch nicht (vgl 14 Os 73/16s; 13 Os 28/17t; Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 85 Rz 19).

[11]     In Relation zu der dem Opfer (durchschnittlich) verbleibenden Lebensspanne vermögen diese vorliegenden Feststellungen die Qualifikation nach § 107b Abs 4 erster Fall StGB nicht zu tragen.

[12]     Aufgrund dieses Subsumtionsfehlers war die angefochtene Entscheidung in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde in dem im Spruch ersichtlichen Umfang schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO).

[13]     Diese teilweise Aufhebung des Schuldspruchs hatte die Kassation des Strafausspruchs zur Folge, worauf der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen zu verweisen waren.

[14]     Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E134541

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00021.22P.0331.000

Im RIS seit

28.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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