TE Vfgh Beschluss 2022/3/18 V86/2022

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Veröffentlicht am 18.03.2022
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
4. COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 34/2022
VfGG §7 Abs2, §57 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung des Hauptantrages auf Aufhebung der gesamten 4. COVID-19-SchutzmaßnahmenV mangels Darlegung der unmittelbaren Betroffenheit durch sämtliche Bestimmungen; Zurückweisung auch der Eventualanträge mangels Erkennbarkeit, wie sich diese gestellten Begehren zueinander verhalten

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge

"[…] als verfassungswidrig und/oder gesetzeswidrig aufheben:

?  Verordnung betreffend Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen werden (4. COVID-19-Maßnahmenverordnung – 4. COVID-19- MV), kundgemacht durch BGBl II Nr 34/2022 in ihrer Gesamtheit (§§1 bis 24)

in eventu

§1 Abs3 Z1 der genannten Verordnung

in eventu

§5 der genannten Verordnung

in eventu

§5 Abs1 der genannten Verordnung

in eventu

§6 der genannten Verordnung

in eventu

§6 Abs1 der genannten Verordnung

in eventu

§7 der genannten Verordnung

in eventu

§7 Abs2 der genannten Verordnung

in eventu

§9 der genannten Verordnung

in eventu

§9 Abs2 der genannten Verordnung

in eventu

§12 Abs4 der genannten Verordnung

in eventu

§13 der genannten Verordnung

in eventu

§13 Abs1 der genannten Verordnung".

II. Antragsvorbringen

1. Der Antragsteller bringt zu seiner Antragslegitimation vor, er sei weder geimpft noch genesen und verfüge demnach über keinen 2G-Nachweis iSd §2 Abs2 Z2 4. COVID-19-MV. Er sei Geschäftsführer und Gesellschafter einer näher bezeichneten Holding GmbH, welche an diversen anderen Gesellschaften, insbesondere im Bereich der Immobilienentwicklung und –verwaltung, beteiligt sei. Er sei auch als Geschäftsführer und Gesellschafter diverser Tochterunternehmen dieser Holding GmbH tätig. Seit Inkrafttreten der verordneten Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19 sei es dem Antragsteller nicht mehr möglich, persönliche Besprechungen mit potentiellen Geschäftspartnern bzw Besichtigungen und Kontrollen von Bauprojekten durchzuführen. Dadurch sei er erheblich in seiner Berufsausübung eingeschränkt. Dies hätte zu einem nicht unbeträchtlichen Geschäftsrückgang geführt. Der Antragsteller werde aber auch in privater Hinsicht durch die verordneten Maßnahmen der 4. COVID-19-MV erheblich beeinträchtigt und es sei ihm die Teilnahme am sozialen Leben faktisch nicht mehr möglich.

Die bekämpften generellen Normen würden sich unmittelbar auf seine Rechtsposition auswirken, da er als weder geimpfte noch genesene Person faktisch von dem Handel, der Gastronomie, Freizeit und Kultureinrichtungen etc. gänzlich ausgeschlossen werde. Es sei ihm auch das Betreten von Kundenbereichen von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren oder zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt, zumal er – wie in §5 Abs1 4. COVID-19-MV gefordert – über keinen 2G-Nachweis verfüge. Der regelmäßig absolvierte Friseurbesuch sei daher ebenso wenig möglich wie der Erwerb neuer Kleidungsstücke. Darüber hinaus sei es dem Antragsteller nicht möglich, mit seiner Familie oder mit potentiellen Kunden eines seiner Unternehmen eine Betriebsstätte sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe zu betreten. Diesbezüglich sei in §6 Abs1 4. COVID-19-MV normiert, dass ein Betreiber einer Gaststätte nur Personen einlassen dürfe, die einen 2G-Nachweis vorweisen könnten. Gerade zur Anbahnung neuer Geschäfte seien gemeinsame Treffen mit potentiellen Geschäftspartnern in einem Kaffeehaus oder Restaurant besonders wichtig. Da ihm das Betreten solcher Betriebsstätten untersagt sei, hätte der Antragsteller einen nicht unbeträchtlichen Geschäftsrückgang verzeichnet. Dieser sei auch darauf zurückzuführen, dass der Antragsteller ohne 2G-Nachweis nicht an Zusammenkünften iSd §13 4. COVID-19-MV teilnehmen und somit ua keine Vernetzungstreffen besuchen dürfe.

Ferner seien dem Antragsteller auch keine Skiausflüge sowie Besuche in diversen Freizeit- und Kultureinrichtungen gestattet, da auch diesbezüglich gemäß §§4 Abs3 Z1 bzw  9 Abs2 4. COVID-19-MV ein 2G-Nachweis erforderlich sei. Abgesehen davon sei dem Antragsteller das Betreten von Krankenanstalten gemäß §12 Abs4 4. COVID-19-MV nicht erlaubt und er könne daher seinen nahen Angehörigen im Krankenhaus keinen Besuch abstatten. Auf Grund dieser Bestimmung bzw des zuvor in Kraft stehenden §13 Abs4 6. COVID-19-SchuMaV sei es dem Antragsteller auch verwehrt gewesen, seinen am 25. Jänner 2022 verstorbenen Schwiegervater im Krankenhaus zu besuchen. Dem Antragsteller sei es auf Grund der geltenden Bestimmungen des §13 4. COVID-19-MV auch nicht gestattet, an der am 4. Februar 2022 stattfindenden Begräbnisfeier seines Schwiegervaters, und dem im Familienkreis stattfindenden Totenmahl teilzunehmen. Auch für eine derartige Zusammenkunft mit mehreren Personen sei ua ein 2G-Nachweis Voraussetzung. Ohne 2G-Nachweis dürfe er aber ohnehin kein Restaurant betreten.

2. In der Sache moniert der Antragsteller zunächst eine Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung. Bei evidenzbasierter Betrachtung seien die angefochtenen Maßnahmen in den §§4 Abs3 Z1, 5 Abs1, 7 Abs2, 9 Abs2, 12 Abs4 und 13 Abs1 4. COVID-19-MV weder notwendig noch erforderlich, zumal die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden. Überdies sei der Antragsteller durch die faktische Verpflichtung, sich neuen gentechnikbasierten Therapien zu unterziehen, um weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Auch stelle die angefochtene Verordnung eine Verletzung in seinem Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit dar, weil er zum einen keine Geschäftsessen und Geschäftstreffen in Lokalen abhalten könne und er zum anderen "sein äußeres Erscheinungsbild im gewohnten Stil" nicht beibehalten könne, weil ihm weder ein Friseurbesuch noch ein Einkauf in Bekleidungsgeschäften gestattet sei. Eine sachliche Rechtfertigung für die "Vorlage eines 2G-Nachweises" gemäß §§5 Abs1 und 6 Abs1 4. COVID-19-MV bestehe jedoch nicht. Die angefochtenen Bestimmungen der 4. COVID-19-MV, insbesondere §§4 Abs3 Z1, 5 Abs1, 7 Abs2, 9 Abs2, 12 Abs4 und 13 Abs1 4. COVID-19-MV, würden den Antragsteller auch in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens bzw in seinem Recht auf körperliche Integrität verletzen. Des Weiteren liege eine Verletzung der Menschenwürde iSd Art3 EMRK vor, weil "der Staat durch die angefochtenen Bestimmungen der 4. COVID-19-MV und der darin konstituierten indirekten Impfpflicht vom Antragsteller forder[e], die Schädigung seiner Gesundheit durch Inanspruchnahme einer Injektion in Kauf zu nehmen, um damit andere Personen zu schützen."

III. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist nicht zulässig.

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

4. Nach §57 Abs1 erster Satz VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Um dieses Erfordernis zu erfüllen, müssen die bekämpften Verordnungen bzw Verordnungsstellen genau und eindeutig bezeichnet sein (siehe zB VfSlg 13.230/1992, 13.451/1993, 13.473/1993, 16.710/2002, 17.403/2004, 17.679/2005, 19.027/2010); der Antrag muss die vom Antragsteller bekämpfte Verordnungsstelle mit Sicherheit erkennen lassen (VfSlg 14.675/1996). Der Verfassungsgerichtshof ist nicht befugt, Verordnungsbestimmungen auf Grund bloßer Vermutungen darüber, welche Normen(teile) der Antragsteller ins Auge gefasst haben könnte, in Prüfung zu ziehen (VfSlg 14.587/1996; vgl auch VfSlg 15.492/1999, 16.533/2002, 19.198/2010, 19.231/2010, 19.250/2010; VfGH 10.3.2021, V95-96/2019).

Nach §57 Abs1 letzter Satz VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, darlegen, inwieweit die angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 10.353/1985, 14.277/1995, 15.306/1998, 16.890/2003, 18.357/2008, 19.919/2014, 19.971/2015).

Ferner hat der Antrag gemäß §57 Abs1 zweiter Satz VfGG, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, die gegen die Gesetzmäßigkeit bzw Verfassungsmäßigkeit sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Rechtswidrigkeit – in überprüfbarer Art – präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Gesetzesbestimmung die bekämpfte Verordnungsstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl im Allgemeinen zB 14.802/1997, 17.651/2005, 17.752/2006; spezifisch zum Individualantrag zB VfGH 2.7.2016, G53/2016, V13/2016). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und so — gleichsam stellvertretend — das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (VfGH 25.9.2017, G8/2017 ua, V6/2017 ua).

Anträge, die diesen Erfordernissen des §57 Abs1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von §18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl etwa VfSlg 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012).

5. In seinem Hauptantrag wendet sich der Antragsteller gegen die 4. COVID-19-MV zur Gänze und begehrt deren Aufhebung als verfassungs- und gesetzwidrig. Der Antragsteller hat in seinem Antrag weder dargetan, dass er von sämtlichen Bestimmungen der angefochtenen Verordnung unmittelbar betroffen ist noch ist dies für den Verfassungsgerichtshof erkennbar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwiefern der Antragsteller durch §15 4. COVID-19-MV, der Zusammenkünfte im Spitzensport regelt, oder §18 leg. cit., der die Verpflichtung von Betreibern (ua) diverser Betriebsstätten, Sportstätten, Freizeit- oder Kultureinrichtungen zur Erhebung von Kontaktdaten normiert, unmittelbar betroffen sein sollte. Eine unmittelbare Betroffenheit ist beispielsweise auch nicht im Hinblick auf §22 4. COVID-19-MV erkennbar, der bestimmte Grundsätze bei der Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach §10 COVID-19-MG und §28 EpiG vorsieht. Darüber hinaus hat der Antragsteller gegen die genannten Bestimmungen keine eigenständigen Bedenken vorgebracht. Das Fehlen einer geeigneten Darlegung iSd §57 Abs1 VfGG ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis. Der somit an einem inhaltlichen, keiner Verbesserung zugänglichen Mangel leidende Hauptantrag erweist sich daher schon aus diesem Grund als unzulässig.

6. Der Antragsteller beantragt des Weiteren die Aufhebung der §4 Abs3 Z1, §5, §5 Abs1, §6, §6 Abs1, §7, §7 Abs2, §9, §9 Abs2, §12 Abs4, §13 sowie §13 Abs1 4. COVID-19-MV, wobei diesen Begehren jeweils die Wortfolge "in eventu" vorangestellt wird. Die gewählte Formulierung legt zwar nahe, dass es sich jeweils um Eventualanträge handeln soll; jedoch begehrt der Antragsteller größtenteils jeweils in eventu die Aufhebung der gesamten Bestimmung und darunter jeweils in eventu die Aufhebung eines bestimmten Absatzes der zuvor genannten Norm. Wie diese Begehren konkret zu deuten sind, ist dem Aufhebungsbegehren nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Auch aus dem Antragsvorbringen ergeben sich keine weiteren Anhaltspunkte, wie sich die als Eventualanträge formulierten Begehren zueinander verhalten. Da für den Verfassungsgerichtshof weder aus dem konkreten Aufhebungsbegehren noch aus dem Antragsvorbringen mit hinreichender Deutlichkeit hervorgeht, in welchem Verhältnis diese eventualiter gestellten Anträge stehen (vgl VfGH 28.2.2022, V296/2021), sind diese bereits aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

7. Sowohl der Hauptantrag als auch die eventualiter gestellten Anträge erweisen sich als unzulässig. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die sonstigen Prozessvoraussetzungen.

IV. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Bedenken, COVID (Corona), VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V86.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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