Norm
EMRK Art10Text
GZ: 2021-0.187.619 vom 7. April 2021 (Verfahrenszahl: DSB-D124.2575)
[Anmerkung Bearbeiter: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
BESCHEID
SPRUCH
Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde von DI Ahmed A*** (Beschwerdeführer), vertreten durch B*** & Partner Rechtsanwälte, ***straße *4, **** U***, vom 21. August 2020, verbessert am 18. September 2020, gegen 1. N***, Inc., ****, Vereinigte Staaten von Amerika (Erstbeschwerdegegnerin) und 2. N*** Austria GmbH, ***straße *5/**/2*, **** I***, Österreich (Zweitbeschwerdegegnerin) wegen Verletzung im Recht auf Löschung wie folgt:
1. Der Beschwerde gegen die Erstbeschwerdegegnerin wird stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Erstbeschwerdegegner den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Löschung verletzt hat, indem diese dem Antrag auf Löschung des Beschwerdeführers vom 19. März 2020 bis zum Abschluss des Verfahrens vor der Datenschutzbehörde nicht entsprochen hat.
2. Der Erstbeschwerdegegnerin wird aufgetragen, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Frist von zwei Wochen bei sonstiger Exekution, die URL https://sdgliste.justiz.gv.at/edikte/sv/svliste.nsf/1**** und die URL https://edikte.justiz.gv.at/edikte/sv/svliste.nsf/2**** aus dem N*** Suchindex im Zusammenhang mit einer Suche nach den Namen “Ahmed Á***” und „Ahmed A***“ [Anmerkung Bearbeiter: Es handelt sich hier um zwei verschiedene Schreibweisen des Namens des Beschwerdeführers] zu entfernen.
3. Die Beschwerde gegen die Zweitbeschwerdegegnerin wird als unbegründet abgewiesen.
Rechtsgrundlagen: Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 lit. b, Art. 6 Abs. 1 lit. f, Art. 17 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 51 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 lit. f, Art. 58 Abs. 2 lit. g sowie Art. 77 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1; §§ 18 Abs. 1 sowie 24 Abs. 1 und Abs. 5 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF; § 3b Abs. 1 des Sachverständigen- und Dolmetschergesetzes (SDG), BGBl. Nr. 137/1975 idgF.
BEGRÜNDUNG
A. Vorbringen der Parteien und Verfahrensgang
1. Mit Beschwerde vom 21. August 2020, verbessert mit Eingabe vom 18. September 2020, brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, die Zweitbeschwerdegegnerin hätte ihn in seinem Recht auf Löschung verletzt, da sie einer beantragten Löschung nicht entsprochen habe. Der Beschwerdeführer habe in der Vergangenheit auf seinem LinkedIn Profil eine analytische Sachdarstellung [Anmerkung Bearbeiter: Das Thema, betreffend historische Ereignisse in der Balkanregion, ist entfernt worden, um die Pseudonymisierung der Identität des Beschwerdeführers zu verstärken.] gepostet und in der Folge von Unbekannten eine Drohung auf [Anmerkung Bearbeiter: Sprache ist entfernt worden, um die Pseudonymisierung der Identität des Beschwerdeführers zu verstärken.] erhalten. Der Beschwerdeführer fürchte deshalb um seine körperliche Integrität. Bei Eingabe des Namens des Beschwerdeführers in der Suchmaschine von N*** erscheine eine Verlinkung zur Internet-Adresse „edikte.justiz.gv.at“, wo die Wohnadresse des Beschwerdeführers direkt ersichtlich sei. Der Beschwerdeführer habe deshalb am 19. März 2020 die Löschung der Verlinkung begehrt, was mit Schreiben vom 31. März 2020 abgelehnt worden sei. Ausgehend von der zu befürchtenden Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Beschwerdeführers (Morddrohung) sei von einer erheblichen Gefährdung der betroffenen Person auszugehen. Im Sinne einer Interessensabwägung sei dem Schutz der körperlichen Integrität gegenüber sonstigen Interessen (zB des Verantwortlichen) Vorrang einzuräumen. Der Antrag auf Löschung liegt dem Akt bei.
2. Mit Stellungnahme vom 27. Oktober 2020 brachte die Zweitbeschwerdegegnerin zusammengefasst vor, dass diese weder rechtlich bevollmächtigt, noch faktisch in der Lage sei, Löschungsgesuche von Nutzern zu bearbeiten. Das Löschgesuch des Beschwerdeführers sei deshalb an die Erstbeschwerdegegnerin weitergeleitet worden.
3. Mit Stellungnahme vom 18. November 2020 brachte die Erstbeschwerdegegnerin (wenngleich ohne Aufforderung seitens der Datenschutzbehörde) zusammengefasst vor, dass das „Recht auf Vergessenwerden“ gemäß Art. 17 DSGVO unter anderem dann nicht bestehe, wenn eine Verarbeitung der Personendaten für die Ausübung des Rechts auf Information notwendig ist (Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO) oder wenn dies zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung des Verantwortlichen erforderlich ist (Art. 17 Abs. 3 lit. b DSGVO). Der Beschwerdeführer sei im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als [Anmerkung Bearbeiter: Beruf entfernt, um die Pseudonymisierung der Identität des Beschwerdeführers zu verstärken] in einer öffentlich zugänglichen Datenbank, welche zur Hauptseite der österreichischen Justiz gehöre, als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger aufgeführt. Für diese öffentliche Liste sei eine gesetzliche Grundlage vorhanden. Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Veröffentlichung stelle für ihn eine Gefahr für Leib und Leben dar, sei unsubstantiiert und daher die öffentlichen Interessen am Zugang zu gesetzlich legitimierten Informationen einer Behörde im vorliegenden Fall höher zu gewichten als das individuelle Recht auf Vergessenwerden. Da der Beschwerdeführer noch bis Ende 2022 als Sachverständiger zertifiziert sei, sei die Information aus Sicht der Öffentlichkeit zeitgemäß und relevant. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer in diesem Fall die Möglichkeit habe, die Entfernung seines Eintrages direkt bei der für diese Datenbank verantwortlichen Stelle zu bewirken.
4. Die Datenschutzbehörde hat am 4. Dezember 2020 ein Amtshilfeersuchen an die irische Aufsichtsbehörde (DPC) zur Frage gestellt, ob die Erstbeschwerdegegnerin oder N*** Ireland Limited für Anträge auf Löschung von Suchmaschinenergebnissen von N*** zuständig ist. Die irische Aufsichtsbehörde hat ausgeführt, dass die Erstbeschwerdegegnerin zuständig ist. Die Auskunft der irischen Datenschutzbehörde vom 10. Dezember 2020 wurde auch dem Beschwerdeführer übermittelt.
5. Mit Schreiben vom 3. März 2021 brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass sich die Beschwerde jedenfalls auch gegen die Erstbeschwerdegegnerin richte und die Anträge aufrechterhalten werden würden.
B. Beschwerdegegenstand
Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich, dass Beschwerdegegenstand die Frage ist, ob die Beschwerdegegnerinnen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Löschung verletzt haben, indem diese dem Antrag auf Löschung des Beschwerdeführers vom 19. März 2020 bis zum Abschluss des Verfahrens vor der Datenschutzbehörde nicht vollständig entsprochen haben.
C. Sachverhaltsfeststellungen
1. Der Beschwerdeführer ist gerichtlich zertifizierter Sachverständiger und als solcher in der öffentlich einsehbaren Datenbank der Gerichtssachverständigen und Gerichtsdolmetscher des Bundesministers für Justiz zu finden.
Der Eintrag des Beschwerdeführers gestaltet sich konkret wie folgt (Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):
[Anmerkung Bearbeiter: Die an dieser Stelle als grafische Datei wiedergegebene Eintragung des Beschwerdeführers in der Gerichtssachverständigenliste kann mit vertretbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden. Sie enthält den Namen (samt Titeln und akademischen Graden), das Geburtsjahr, den Beruf, das Fachgebiet als Sachverständiger, die Adresse, die E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer des Beschwerdeführers.]
Bei Eingabe des Namens des Beschwerdeführers über die N***-Suchmaschine erscheint die Verlinkung zum oben genannten Eintrag des Beschwerdeführers auf der ersten Seite der N***-Suchergebnisse.
Konkret wird folgendes N***-Suchergebnis angezeigt (Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):
[Anmerkung Bearbeiter: Das an dieser Stelle als grafische Datei wiedergegebene Ergebnis einer Suche mit Hilfe der N***-Suchmaschine kann mit vertretbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden. Sichtbar sind die zwei ersten gefundenen Links, wobei der erste zu einem sozialen Netzwerk, der zweite direkt zur obigen Eintragung des Beschwerdeführers in der Gerichtssachverständigenliste führt.]
Die N***-Suchmaschine wird von der Erstbeschwerdegegnerin betrieben.
Beweiswürdigung: Die Feststellungen gründen auf den insoweit übereinstimmenden Stellungnahmen des Beschwerdeführers vom 21. August 2020 und der Stellungnahme der Erstbeschwerdegegnerin vom 18. November 2020. Darüber hinaus führte die Datenschutzbehörde eine amtswegige Recherche in Form einer N***-Suchabfrage (Eingabe des Namens des Beschwerdeführers in die N***-Suchmaschine) und in Form einer Datenbankabfrage der Liste für Gerichtssachverständige und Gerichtsdolmetscher durch (jeweils abgefragt am 7. April 2021). Die Feststellung, dass die N***-Suchmaschine von der Erstbeschwerdegegnerin betrieben wird, ergibt sich aus der Stellungnahme der Erstbeschwerdegegnerin vom 18. November 2020.
2. Der Beschwerdeführer veröffentlichte auf der Plattform Z*** ein Posting. Darin befasste er sich mit [Anmerkung Bearbeiter: Das Thema, betreffend historische Ereignisse in der Balkanregion, ist entfernt worden, um die Pseudonymisierung der Identität des Beschwerdeführers zu verstärken]. Daraufhin erhielt der Beschwerdeführer eine Drohung von Unbekannten.
Beweiswürdigung: Diese Feststellung ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Stellungnahme vom 21. August 2020. Die Beschwerdegegnerinnen haben dieses Vorbringen nicht ausdrücklich bestritten. Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte vor, dieses Vorbringen in Zweifel zu ziehen.
3. Der Beschwerdeführer stellte am 19. März 2020 folgenden Antrag an die Erstbeschwerdegegnerin unter Verwendung eines elektronischen Muster-Antragsformulars der Erstbeschwerdegegnerin (Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):
[Anmerkung Bearbeiter: Der an dieser Stelle als grafische Datei wiedergegebene Löschungsantrag des Beschwerdeführers kann mit vertretbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden. Er enthält die nähere Bezeichnung von zwei URLs, die nicht mehr angezeigt werden sollen, den Namen, die E-Mail-Adresse des Beschwerdeführers, die Angabe, die Löschung im eigenen Namen zu verlangen, sowie die Begründung, von Unbekannten wegen eines inzwischen gelöschten Internet-Postings telefonisch bedroht worden zu sein.]
Die Erstbeschwerdegegnerin reagierte auf den oben genannten Antrag des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 31. März 2020 wie folgt (Auszug, Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):
[Anmerkung Bearbeiter: Das an dieser Stelle als grafische Datei wiedergegebene Antwortschreiben kann mit vertretbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden. Es enthält unter einer Referenznummer die Mitteilung, dass die betreffenden Suchergebnisse nicht blockiert werden, u.a., da die entsprechenden Inhalte der Öffentlichkeit von einer Behörde zur Verfügung gestellt werden, die Empfehlung, sich direkt an die für die entsprechenden Websites Verantwortlichen zu wenden, sowie den Hinweis, dass eine Beschwerde bei der „Datenschutzbehörde ihres Landes“ möglich ist.]
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen ergeben sich aus der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 18. September 2020 und den darin vorgelegten Beilagen. Die hier ersichtlichen Screenshots finden sich in Beilage ./A. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer das Antragsformular zur Entfernung personenbezogener Daten von N*** verwendet hat, ergibt sich aus der Überlegung, dass N*** für Anträge auf Löschung von Suchmaschinenergebnissen ein elektronisches Formular zur Verfügung stellt und der Inhalt des Antrags des Beschwerdeführers mit dem Inhalt des elektronischen Formulars grundsätzlich übereinstimmt. Das Web-Formular von N*** ist aufrufbar unter: https://www.n***.com/*** (abgerufen am 7. April 2021).
4. Im oben genannten Muster-Antragsformular zur Entfernung personenbezogener Daten von N*** ist u.a. Folgendes angeführt (Auszug, Formatierung nicht 1:1 wiedergegeben):
[Anmerkung Bearbeiter: Der an dieser Stelle als grafische Datei wiedergegebene Text von der Website der Erstbeschwerdegegnerin, der mit vertretbarem Aufwand nicht pseudonymisiert werden kann, enthält den Hinweis, dass die Erstbeschwerdegegnerin „verantwortlich für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die bei der Ermittlung von Suchergebnissen in der N*** Suche durchgeführt wird“, ist.]
Beweiswürdigung: Diese Feststellungen ergeben sich aus einer amtswegigen Recherche der Datenschutzbehörde der Website https://www.n***.com/*** (abgerufen am 7. April 2021).
D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
2. Zu Spruchpunkt 1 (Erstbeschwerdegegnerin)
a) Zur datenschutzrechtlichen Rollenverteilung
Die Erstbeschwerdegegnerin verarbeitet personenbezogene Daten des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 4 Z 2 DSGVO, indem sie diese erfasst und sodann Suchergebnisse in Form von URLs bereitstellt, in welchen die eingegebenen Daten des Beschwerdeführers enthalten sind. Indem die Beschwerdeführerin das Internet automatisch, kontinuierlich und systematisch auf die dort veröffentlichten Informationen durchforstet, erhebt diese mithin personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Z 1 DSGVO, die sie dann ausliest, speichert organisiert auf ihren Servern aufbewahrt und aufgrund einer Suchanfrage bereitstellt. Da die Erstbeschwerdegegnerin somit über die Zwecke und Mittel der über die Verarbeitung der personenbezogenen Daten entscheidet, ist sie Verantwortliche im Sinne des Art. 4 Z 7 DSGVO (vgl. zur insofern vergleichbaren Rechtslage das Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014 - C-131/12).
Ein Amtshilfeersuchen der Datenschutzbehörde und die darauffolgende Auskunft der irischen Datenschutzbehörde vom 10. Dezember 2020 haben bestätigt, dass die Erstbeschwerdegegnerin (und nicht die Zweitbeschwerdegegnerin oder N*** Ireland Limited) Verantwortliche ist.
Schließlich hat die Erstbeschwerdegegnerin im laufenden Verfahren ihre Verantwortlichkeit für die hier relevante Datenverarbeitung auch nie bestritten.
b) Zum Recht auf Löschung:
i) Rechtliche Grundlagen
Nach Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO hat eine betroffene Person u.a. dann das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, wenn die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet werden.
Nach Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO besteht das in Abs. 1 leg. cit. normierte Recht jedoch dann nicht, wenn die Datenverarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist.
Es hat daher in weiterer Folge iSd Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO eine Bewertung der berechtigten Interessen der Erstbeschwerdegegnerin (als Betreiberin der Suchmaschine) und Dritter (der Allgemeinheit, die die Suchmaschine nutzt) zu erfolgen und sind diese mit den Interessen sowie möglichen Folgen für den Beschwerdeführer, die sich durch die gegenständliche Verarbeitung ergeben, abzuwägen.
ii) Interessenabwägung
Die Interessen der Erstbeschwerdegegnerin liegen darin, eine Internet-Suchmaschine zu betreiben und diese (bzw. deren Suchergebnisse) der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen (vgl. den Bescheid vom 15. Jänner 2019, GZ: DSB-D123.527/0004-DSB/2018, wonach das in Art. 11 EU-GRC verankerte Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit bzw. das in Art. 10 EMRK verankerte Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung - neben der Äußerung von Meinungen - auch ausdrücklich den Empfang und die Weitergabe von Nachrichten oder Ideen schützt).
Demgegenüber beruft sich der Beschwerdeführer darauf, dass er durch die erleichterte Auffindbarkeit seiner Wohnadresse über eine Suche mit der Suchmaschine der Erstbeschwerdegegnerin einem erhöhten Risiko für seine körperliche Unversehrtheit sowie vergleichbaren Tatbeständen ausgesetzt ist. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer in jüngerer Vergangenheit eine Morddrohung erhalten hat.
Der Europäische Datenschutzausschuss hat in seinen Leitlinien 5/2019 zu den Kriterien des Rechts auf Vergessenwerden in Fällen in Bezug auf Suchmaschineneinträgen in Rz 13 festgehalten, dass bei der Interessenabwägung die „besondere Situation“ einer Person berücksichtigt werden muss. Als Beispiel führt der Ausschuss „Benachteiligung im Privatleben“ an.
Noch deutlicher war die ehemalige Art-29-Datenschutzgruppe, die in ihren „Guidelines on the implementation of the Court of Justice of the European Union Judgement on ,Google Spain and Inc v. Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) and Mario Costeja González‘ C-131/121“ auf Seite 13 als wichtiges Kriterium im Rahmen der Interessenabwägung auf das mit dem Suchmaschinenergebnis verbundene „Risiko für betroffene Personen“ abstellt.
Im gegenständlichen Fall führt die Datenverarbeitung dazu, dass der Beschwerdeführer einem erhöhten Risiko in Bezug auf seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt ist.
Dem Argument der Erstbeschwerdegegnerin, dass die Datenbank der Gerichtssachverständigen und Gerichtsdolmetscher öffentlich einsehbar sei, kann nicht gefolgt werden:
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Art. 8 EU-GRC und die DSGVO – anders als § 1 Abs. 1 DSG –keinen Ausschluss der Schutzwürdigkeit von personenbezogenen Daten aufgrund ihrer (zulässigen) allgemeinen Verfügbarkeit kennen.
Der Zweck der vom Bundesminister für Justiz einzurichtenden Datenbank liegt gemäß § 3b Abs. 1 SDG darin, eine allgemein verfügbare Abfragemöglichkeit für die Bestellung von Gerichtssachverständigen und Gerichtsdolmetschern zu ermöglichen.
Dieser Zweck kann jedoch auch ohne weiteres erfüllt werden, wenn der hier relevante Antrag auf Löschung des Beschwerdeführers erfüllt wird:
So ist anzunehmen, dass Richterinnen und Richter zur sorgfältigen Recherche von Gerichtssachverständigen und Gerichtsdolmetschern nicht auf die von der Erstbeschwerdegegnerin betriebene Suchmaschine, sondern direkt auf die Datenbank des Bundesministers für Justiz zurückgreifen. Darüber hinaus wird eine solche Recherche gerade deshalb durchgeführt, um einen namentlich noch unbekannten Sachverständigen – etwa einen Bauingenieur wie es der Beschwerdeführer ist – innerhalb eines gewissen Sprengels zu finden.
Ebenso kann dem Argument der Erstbeschwerdegegnerin, der Beschwerdeführer könne seine Austragung aus der Datenbank veranlassen, nicht gefolgt werden, da er diesfalls im Rahmen der oben genannten Datenbank-Recherche von Richterinnen und Richtern nicht mehr als Sachverständiger berücksichtigt werden würde, was wiederum eine erhebliche Einschränkung seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 15 EU-GRC bzw. der unternehmerischen Freiheit gemäß Art. 16 EU-GRC zur Folge hätte.
Dieses Argument verfängt aber auch deshalb nicht, weil der EuGH eine Löschungsverpflichtung der Erstbeschwerdegegnerin unabhängig von jener des Betreibers der Urspungswebsite bejaht hat. Mit anderen Worten: Nur weil keine Löschung auf der Ursprungswebsite beantragt wurde bzw. erfolgte, hat dies nicht die Unzulässigkeit der Löschung in der Ergebnisliste der von der Erstbeschwerdegegnerin betriebenen Suchmaschine zur Folge (Urteil des EuGH vom 24. September 2019, C-136/17, Rz 62 bis 64).
Durch seine Sachverständigentätigkeit ist der Beschwerdeführer auch nicht öffentlich bekannt oder gar eine Person des öffentlichen Lebens.
Zwar ist richtig, dass unbekannte Dritte die Wohnadresse des Beschwerdeführers zwar grundsätzlich auch ohne N*** recherchieren könnten; dies setzt jedoch das Zusatzwissen voraus, dass der Beschwerdeführer in der oben genannten Datenbank des Bundesministers für Justiz eingetragen ist, weshalb die Recherche seiner Wohnadresse ohne diesem Zusatzwissen erheblich erschwert oder gar unmöglich ist.
Vor dem Hintergrund all dieser Überlegungen überwiegen die Interessen des Beschwerdeführers, weshalb der Tatbestand von Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO nicht erfüllt ist.
Dieses Ergebnis entspricht auch der allgemein getroffenen Wertung des EuGH, wonach das durch Art. 8 EU-GRC geschützte Recht der betroffenen Person grundsätzlich gegenüber dem Interesse der Internetnutzer auf Zugang von Informationen aus Suchmaschinenergebnissen überwiegt (vgl. nochmals das Urteil des EuGH vom 24. September 2019, Rz 66 mwN).
Es liegen keine Anhaltspunkte vor, im gegenständlichen Fall von dieser allgemein getroffenen Wertung des EuGH abzuweichen.
iii) Ergebnis
Die Erstbeschwerdegegnerin hat dem Antrag des Beschwerdeführers vom 19. März 2020 im Ergebnis zu Unrecht nicht entsprochen.
2. Zu Spruchpunkt 2 (Leistungsauftrag)
Die Erstbeschwerdegegnerin war daher gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. g DSGVO iVm § 24 Abs. 5 DSG die Löschung (bzw. die Auslistung) aufzutragen.
Eine Frist von zwei Wochen scheint angemessen, um zwei URLS als Suchmaschinenergebnis in Verbindung mit dem Namen “Ahmed A***” bzw. „Ahmed Á***“ zu löschen.
3. Zu Spruchpunkt 3 (Zweitbeschwerdegegnerin)
Wie aus dem Sachverhallt erhellt, hat der Beschwerdeführer den Antrag auf Löschung gemäß Art. 17 DSGVO (nur) gegen die Erstbeschwerdegegnerin, nicht jedoch auch gegen die Zweitbeschwerdegegnerin gerichtet.
Im elektronischen Musterformular von N*** war für den Beschwerdeführer auch klar erkennbar, dass der Antrag (nur) der Erstbeschwerdegegnerin übermittelt wird.
Die Zweitbeschwerdegegnerin musste den beschwerdegegenständlichen Antrag auf Löschung des Beschwerdeführers vom 19. März 2020 daher nicht behandeln und war auch nicht iSd Art. 12 Abs. 4 DSGVO reaktionspflichtig.
Die Beschwerde gegen die Zweitbeschwerdegegnerin erweist sich daher allein aus diesem Grunde als unbegründet, weitere Ermittlungsschritte im Hinblick auf die Verantwortlichkeit der Zweitbeschwerdegegnerin konnten daher unterbleiben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Löschung, Recht auf Vergessenwerden, Rechtmäßigkeit der Verarbeitung, Datenverarbeitung im WWW, Suchmaschine, Suchergebnisse, Verantwortlicher in Drittstaat, Drohung, Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Interessenabwägung, LeistungsauftragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:DSB:2021:2021.0.187.619Zuletzt aktualisiert am
26.04.2022