Entscheidungsdatum
30.03.2022Index
L92007 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung TirolNorm
MSG Tir 2010 §5Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Mag.a Dr.in Strele über die Beschwerde des AA, geboren am XX.XX.XXXX, wohnhaft in **** Z, Adresse 1, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z vom 29.03.2021, ***, betreffend die Gewährung von Leistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG), nach durchgeführter öffentlicher mündlichen Verhandlung,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als den Beschwerdeführer im Zeitraum vom 01.04.2021 bis 28.02.2022 der volle Richtsatz für Volljährige in Bedarfsgemeinschaften, ohne Abzug von Unterhaltsleistungen, zu gewähren ist.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Angefochtener Bescheid, Beschwerdevorbringen, Beweisaufnahme:
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z (im Folgenden: belangte Behörde) vom 29.03.2021, ***, wurden AA (im Folgenden: Beschwerdeführer) folgende Leistungen aus der Mindestsicherung gemäß § 6 und §§ 5 und 9 TMSG gewährt:
„Gemäß § 6 TMSG vom 01.04.2021 bis 28.02.2022 eine monatliche Unterstützung für Miete in der Höhe von €403,00. Die Leistung wird auf das Konto ***, BB Tirol von CC und DD angewiesen.
Gemäß §§ 5 u. 9 TMSG iVm VO-Anpassungsfaktor, LGBI Nr 6/2011, idgF vom 01.04.2021 bis 28.02.2022 eine monatliche Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Höhe von € 668,14. Die Leistung wird auf das Konto ***, EE- AG Z von AA angewiesen.
Gemäß § 5 Abs 3 TMSG iVm VO-Anpassungsfaktor, LGBI Nr 6/2011, idgF im Monat Juni 2021 eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von € 170,90. Die Leistung wird auf das Konto ***, EE- AG Z von AA angewiesen.
Gemäß § 5 Abs 3 TMSG iVm VO-Anpassungsfaktor, LGBI Nr 6/2011, idgF im Monat September 2021 eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von € 170,90. Die Leistung wird auf das Konto ***, EE- AG Z von AA angewiesen.
Gemäß § 5 Abs 3 TMSG iVm VO-Anpassungsfaktor, LGBI Nr 6/2011, idgF im Monat
Dezember 2021 eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von € 170,90. Die Leistung wird
auf das Konto ***, EE- AG Z von AA angewiesen.
Gemäß § 6 TMSG für den Zeitraum vom 01.03.2021 bis 31.03.2021 eine einmalige Unterstützung für Miete in der Höhe von € 14,00 (Aufzahlung Mietzinsbeihilfe). Die Leistung wird auf das Konto ***, BB Tirol von CC und DD angewiesen.“
In der Begründung dieses angefochtenen Bescheides wurde ausgeführt, dass sich die Höhe der gewährten Mindestsicherung aufgrund folgender Berechnung zum 01.04.2021 ergibt:
Basis
anerkannt
Volljährige im gem. Haushalt, AA, geb. am XX.XX.XXXX
Mindestsatz
Unterhalt/Alimente
534,07
-200,00
534,07
-200,00
334,07
Volljährige im gem. Haushalt, FF, geb. am XX.XX.XXXX
Mindestsatz
Unterhalt/Alimente
534,07
-200,00
534,07
-200,00
334,07
Bedarfsgemeinschaft (Zu- und Abschläge)
Betriebskosten
Miete
Mietzinsbeihilfe
280,00
438,00
-288,00
252,10
438,00
-288,00
403,00
Lebensunterhalt 668,14
Mietzuschuss 403,00
Mindestsicherung 1.071,14
Aus dieser Berechnung ergibt sich, dass beim Mindestsatz für Personen, die mit anderen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft leben (§ 5 Abs 2 lit e Z 1 iVm § 9 TMSG), eine Kürzung von Euro 200,00 wegen bestehenden Unterhaltsansprüchen vorgenommen wurde.
Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer fristgerecht nachfolgende Beschwerde ein, die sich ausschließlich gegen die Höhe der zuerkannten Leistungen richtet:
„Mit Bescheid der BH Z zur Zahl GZ l-S-19373/1/1-189 vom 29.03.2021 wurde meinem Antrag auf Leistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts und Wohnbedarfs dem Grunde nach stattgegeben. Gegen die Höhe der gewährten Leistungen erhebe ich jedoch binnen offener Frist
BESCHWERDE
wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften an das Landesverwaltungsgericht Tirol.
Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde
Der umseitig bezeichnete Bescheid wurde frühestens am 29.03,2021 zugestellt. Die Erhebung der Beschwerde erfolgt daher jedenfalls innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Ich bin afghanischer Staatsangehöriger und in Österreich seit 13.10.2010 asylberechtigt. Ich bewohne gemeinsam mit meiner Frau, ebenfalls afghanische Staatsbürgerin, eine Wohnung in Z. Wir sind beide im Pensionsalter und beziehen Mindestsicherung.
Bis einschließlich April 2020 erhielten wir jeweils den vollen Richtsatz für Volljährige in Bedarfsgemeinschaften, erstmalig mit Bescheid vom 04.03.2020 wurde uns die Auflage erteilt Unterhaltsansprüche gem. §234 ABGB gegenüber unserem Sohn und unserer Tochter geltend zu machen und diese gerichtlich einzuklagen oder entsprechende Einkommensunterlagen zur außergerichtlichen Einigung vorzulegen. Es wurde mit einer 20%igen Kürzung gedroht, die mit Bescheid vom 20.04.2020 vollzogen wurde. Die Auflage zum Unterhalt im Bescheid vom 20.04.2020 entsprach der vom 04.03.2020, es wurde diesmal mit einer 30%igen Kürzung gedroht. Erstmalig wurde die Auflage in diesem Bescheid auch begründet. Es wurde angeführt, dass gem. §17 Abs 1 TMSG vor der Gewährung von Mindestsicherung öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegenüber Dritten zu verfolgen sind und auf §234 ABGB verwiesen, laut dem das Kind unter gewissen Voraussetzungen zum Unterhalt gegenüber den nicht selbsterhaltungsfähigen Eltern und Großeltern verpflichtet werden kann.
Daraufhin haben wir die geforderten Einkommensunterlagen von Sohn und Tochter vorgelegt. Die Mindestsicherungsbehörde hat uns sohin mitgeteilt, dass unsere Tochter auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse von der Unterhaltsverpflichtung befreit sei, unser Sohn uns monatlich aber einen Unterhalt von insgesamt 400,-€ zu leisten habe. Diese Unterhaltsfestsetzung wurde mit Bescheid vom 05.06.2020 herangezogen. Eine Begründung oder Berechnung wurde nicht angeführt.
Gegen den Bescheid der Stadt Z vom 05.06.2020 habe ich Beschwerde eingelegt, diese wurde mit Erkenntnis vom 21.09.2020 abgewiesen. Mit Beschluss vom 25.01.2021 des Verwaltungsgerichtshofs wurde eine Revision aufgrund formaler Mängel abgewiesen.
Aufgrund meines am 29.03.2021 eingebrachten Antrags auf Gewährung von Leistungen der Tiroler Mindestsicherung wurden mir mit Bescheid vom 29.03.2021 für den Zeitraum von 01.04.2021 bis 28.02.2022 Leistungen gewährt. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt €400 von meinem Sohn an meine Frau und mich wurde in Abzug gebracht. Ausschließlich gegen die Höhe der zuerkannten Leistungen erhebe ich gegenständliche Beschwerde.
BEGRÜNDUNG
Gem. §234 ABGB sind Kinder ihren Eltern gemäß §234 ABGB unter einer Reihe einschränkender Voraussetzungen ganz subsidiär, nämlich als letzte von den sonst in Frage kommenden Unterhaltsschuldnern, verpflichtet, ihren nicht selbsterhaltungsfähigen vermögenslosen Vorfahren („Eltern und Großeltern") Unterhalt zu leisten. Das vermittelt in Summe den Befund, dass die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber Vorfahren vom Gesetzgeber im Einklang mit der sozialen Struktur als Ausnahme gesehen wird. Im Hinblick darauf, dass die Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren Eltern nur als Ausnahme in Betracht kommt, führt etwa die gröbliche Vernachlässigung zum gänzlichen Anspruchsverlust.
Im vorliegenden Fall ist aus den folgenden Gründen von der Unterhaltsverpflichtung abzusehen:
„Das Kind schuldet seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat" (§ 234 Abs. 1 ABGB). Ob von einer gröblichen Vernachlässigung auszugehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und insbesondere von der Dauer der Pflichtverletzung, dem bisherigen Verhalten des Unterhaltspflichtigen und den Gründen für die Nichterbringung des Unterhalts abhängig (1 Ob 4/08 g EF-Z 2008/108). 1 (1 Schwimann/Kolrnasch, Unterhaltsrecht Aufl. 8 (2016), Seite 209 ff)
Auf Grund des Umstandes, dass unser Sohn GG in seiner Jugend über längere Zeiträume auf sich selbst gestellt war und es uns in dieser Zeit nicht möglich war ihm Unterhalt zu leisten, wurde unsere Unterhaltspflicht gegenüber unserem Sohn vernachlässigt.
2008 bin ich mit meiner Tochter JJ aus unserem Heimatland Afghanistan nach Österreich geflohen. Meine Frau ist dann mit unserem Sohn GG wegen der untragbaren Zustände von Afghanistan nach Pakistan gereist, von wo wir sie so schnell wie möglich im Zuge der Familienzusammenführung nach Österreich nachholen wollten. Auch in Pakistan waren die Lebensverhältnisse unzumutbar, mein Sohn musste bereits in dieser Zeit Geld dazuverdienen. 2009 haben meine Tochter und ich positives Asyl in Österreich erhalten, 2010 sollten meine Frau und mein Sohn nachkommen. Leider wurde meinem Sohn die legale Einreise durch die lokalen pakistanischen Mitarbeiter der österreichischen Botschaft in Pakistan verboten, so dass nur meine Frau nach Österreich nachkommen konnte. Unser damals 14-jähriger Sohn musste allein in Pakistan zurückbleiben. Er war dann zirka 1 Jahr in Pakistan auf sich allein gestellt und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Wir konnten ihn in dieser Zeit finanziell nicht unterstützen, da wir in Österreich von Grundversorgung bzw. Mindestsicherung lebten. Nach ungefähr einem Jahr ist unser Sohn selbständig nach Österreich geflohen. Zirka 6 Monate war er allein auf der Flucht, auch in dieser Zeit konnten wir ihn nicht unterstützen. 2011 kam GG in Österreich an, war dann zunächst im Erstaufnahmezentrum Y, dann im Erstaufnahmezentrum X und schließlich im Asylheim in W untergebracht. Auch in dieser Zeit leisteten wir ihm keinen Unterhalt. Anschließend hat er für einige Monate in einer Mietwohnung mit uns zusammengelebt, in diesem Zeitraum haben wir alle Mindestsicherungsleistungen bezogen. Für GG bestand ein großes Problem darin, dass unsere damalige Wohnung sehr klein war. Er wollte sich aufs Deutsch Lernen und die Schule konzentrieren, hatte aber kein eigenes Zimmer und somit keinen Rückzugsort. Auch bekam er zu dieser Zeit Herzprobleme, die extreme Atembeschwerden bei ihm verursachten. Zu Hause konnte er sich nicht zurückziehen und ausreichend genesen. Daher entschied sich unser Sohn mit zirka 16 Jahren nicht mehr mit uns zusammen zu leben und kam in einer betreuten Wohneinrichtung unter, bis er 18 Jahre alt war. Auch nach seinem Auszug waren wir nicht in der Lage unserem Sohn Unterhalt zu leisten, da wir selbst im Mindestsicherungsbezug waren. Da es uns folglich selbst über 3 Jahren nicht mehr möglich war für den Unterhalt unseres Sohnes zu sorgen, fällt uns die gröbliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht gegenüber dem Nachkommen zur Last, dieser Umstand widerspricht der Verpflichtung zum Unterhalt unseres Sohnes uns gegenüber. Schwimann/Kolmasch halten zur gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht Folgendes fest:
Zweite (negative) Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs ist, dass dem Vorfahren keine gröbliche Vernachlässigung der (seinerzeitigen) UhPflicht gegenüber den Nachkommen zur Last fällt (vgl § 198 Abs 2; vgl dazu auch LGZ Wien 45 R 1178/95 h EF 80.924). Ob von einer gröbl Vernachlässigung auszugehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls u insb von der Dauer der Pflichtverletzung, dem bisherigen Verhalten des UhPflichtigen u den Gründen für die Nichterbringung des Unterhalts abhängig (1 Ob 4/08 g EF-Z 2008/108). Aus der Ähnlichkeit dieses Kriteriums mit dem Tatbestand der „gröblichen Verletzung" der UhPflicht nach § 198 StGB kann nicht abgeleitet werden, dass für die Bejahung einer gröbl Vernachlässigung mindestens bedingter Vorsatz (§ 5 Abs 1 HS 2 StGB) erforderl wäre (so aber H. Pichler § 143 aF Rz 2 [2. Aufl]; aA, näml im hier vertretenen Sinn LGZ Wien 43 R 2115/84 EF 45.712; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 192), dies schon im Hinblick auf die völlig unterschiedl Rechtsfolgen, die die beiden Bestimmungen vorsehen (zu weiteren Argumenten vgl LGZ Wien 43 R 2115/84 EF 45.712). Das von V. Steininger in Ostheim, Schwerpunkte 45 ff aufgezeigte Spannungsverhältnis des UhAusschlusses bei gröbl Vernachlässigung zu § 795 ist nicht dahin zu lösen, dass durch diese nur der Anspruch auf den angemessenen Uh (s Rz 4) verlorenginge, der Anspruch auf den notwendigen Unterhalt iSd § 795 aber gewahrt bliebe (so aber V. Steininger in Ostheim, Schwerpunkte 47; H. Pichler § 143 aF Rz 2 [2. Aufl]; aA LGZ Wien 43 R 2115/84 EF 45.713; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 193); im Hinblick darauf, dass die UhPflicht der Kinder gegenüber ihren Eltern nur als Ausnahme in Betracht kommt (AB 587 BlgNR 14. GP 7), führt die gröbl Vernachlässigung zum gänzl Anspruchsverlust.2 (2 ebd.)
Neben dem Umstand, dass die Unterhaltsverpflichtung von Kindern gegenüber ihren Eltern zudem nur ganz subsidiär ist, muss auch die gewichtige Einschränkung des beneficium competentiae berücksichtigt werden:
Gemäß § 234 Abs 3 Satz 2 ABGB darf die Unterhaltsleistung des Kindes „unter Berücksichtigung seiner sonstigen Sorgepflichten den eigenen angemessenen Unterhalt nicht gefährden". Im Fall einer solchen Gefährdung ist daher die Unterhaltsleistung an die Vorfahren soweit zu kürzen, dass der unterhaltspflichtige Nachkomme seine sonstigen (gesetzlichen!) Unterhaltspflichten wie seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu decken in der Lage ist.3 (3 ebd.)
Des Weiteren obliegt es nicht der Mindestsicherungsbehörde, sondern den ordentlichen Gerichten - die Höhe des Unterhaltsanspruches festzusetzen.
Das Landesverwaltungsgericht hat in einem vergleichbaren Fall einer Beschwerde stattgegeben und die Unterhaltspflicht des erwachsenen Sohnes verneint und festgehalten, dass im Ergebnis davon auszugehen war, dass in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte für eine Unterhaltsverpflichtung des Sohnes seiner Mutter gegenüber kein derartiger Unterhaltsanspruch bestand und sohin die verfügte , im Sinne des § 17 TMSG bedarfsmindernde Anrechnung eines Teiles des Erwerbseinkommens, nicht rechtskonform war (vgl. LVwG-2018/31/2169-2 vom 19.12.2018).
Ebenso ist festzuhalten, dass ich keinen engen Kontakt zu meinem Sohn pflege. Er hat sich hier ein selbstständiges Leben aufgebaut, geht seiner Arbeit nach und lebt ohne Unterstützung durch Sozialleistungen.
Die dargelegten Gründe widerlegen die Verpflichtung unseres Sohnes GG zum Unterhalt uns gegenüber in zweierlei Hinsicht. Es wird somit der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und unseren Sohn von der Unterhaltsverpflichtung zu entbinden.
AA
Begehren
Aus den dargestellten Gründen ergehen die
Anträge,
das Landesverwaltungsgericht Tirol möge
I. eine mündliche Verhandlung anberaumen
II. der Beschwerde stattgeben, den oben bezeichneten Bescheid im angefochtenen Umfang
aufheben und die in Beschwerde gezogene Leistungsdifferenz gewähren; in eventu
III. den oben bezeichneten Bescheid beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines
neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen.
Unterschrift, eh“
Aufgrund dieser Beschwerde wurde der behördliche Akt dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Entscheidung vorgelegt.
Es wurde am 24.02.2022 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. In dieser wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des Beschwerdeführers im Beisein seines Rechtsbeistandes, Frau KK vom LL Flüchtlingsdienst sowie des Zeugen MM, vormals GG. Weiters wurde Einsicht genommen in den behördlichen Akt sowie in den Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol.
II. Nachstehender Sachverhalt steht als erwiesen fest:
Der Beschwerdeführer AA, geboren am XX.XX.XXXX, ist afghanischer Staatsangehöriger und in Österreich seit dem 13.10.2010 asylberechtigt. Er bewohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau FF, geboren am XX.XX.XXXX, ebenfalls afghanische Staatsbürgerin, eine Wohnung in Z. Beide sind im Pensionsalter und beziehen bereits seit einem längeren Zeitraum Leistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz.
Bis einschließlich April 2020 erhielten sie jeweils den vollen Richtsatz für Volljährige in Bedarfsgemeinschaft. Im Zuge des von der belangten Behörde durchgeführten Verfahrens ist sodann hervorgetreten, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau bereits zwei volljährige Kinder haben. Aus diesem Grund hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer und seine Frau mit Bescheid vom 04.03.2020, ***, aufgefordert und ermahnt, Unterhaltsansprüche gemäß § 234 ABGB gegenüber ihren Sohn GG und ihrer Tochter JJ geltend zu machen und diese gerichtlich einzuklagen oder entsprechende Einkommensunterlagen zur außergerichtlichen Einigung vorzulegen. Es wurde mit einer 20 %igen Kürzung gedroht, die mit Bescheid vom 20.04.2020 vollzogen wurde. Die Auflage zum Unterhalt im Bescheid vom 20.04.2020 entsprach der vom 04.03.2020, es wurde diesmal einer 30 %igen Kürzung gedroht. Die erteilte Auflage wurde damit begründet, dass gemäß § 17 Abs 1 TMSG vor der Gewährung von Mindestsicherung öffentlich rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegenüber Dritten zu verfolgen sind und auf § 234 AGBG verwiesen wird, nach dem das Kind unter gewissen Voraussetzungen zum Unterhalt gegenüber den nicht selbsterhaltungsfähigen Eltern und Großeltern verpflichtet werden kann.
Die Einkommensunterlagen von GG und JJ wurden vorgelegt, woraufhin die belangte Behörde JJ aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse von der Unterhaltsverpflichtung befreit hat, GG jedoch zur monatlichen Unterhaltsleistung an seine Eltern von jeweils Euro 200,00, insgesamt sohin Euro 400,00 verpflichtet hat. Diese Unterhaltsfestsetzung wurde mit Bescheid vom 05.06.2020 herangezogen, eine Begründung oder Berechnung wurde nicht angeführt.
Am 09.06.2020 erkundigte sich GG fernmündlich über die Unterhaltsanrechnung. Diesbezüglich ist im Aktenvermerk der belangten Behörde vom 09.06.2020 im Wesentlichen Folgendes festgehalten:
Dem sehr gut Deutsch sprechenden GG wird die Rechtslage erläutert und die Möglichkeit aufgezeigt, dass die Eltern den Unterhalt auch beim Gericht festsetzen lassen können. GG versteht die Vorgangsweise, die seitens der belangten Behörde als Unterhalt für die Eltern angerechnet wurden. GG erklärt, dass er sich das nochmals überlegen werde. Seitens der belangten Behörde wurde ihm noch mitgeteilt, dass der Unterhalt neu bemessen werden kann, sofern sich sein Einkommen signifikant ändert.
Gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z vom 05.06.2020 hat der Beschwerdeführer AA Beschwerde erhoben. Diese wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 21.09.2020 abgewiesen. Mit Beschluss vom 25.01.2021, Zl Ra ***, hat der Verwaltungsgerichtshof die Revision (aufgrund formaler Mängel) abgewiesen.
Aufgrund des Antrags des Beschwerdeführers vom 15.03.2021 (bei der belangten Behörde am 29.03.2021 eingelangt) auf Gewährung von Leistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz wurden ihm mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid für den Zeitraum vom 01.04.2021 bis 28.02.2022 Mindestsicherungsleistungen gewährt, allerdings Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt Euro 400,00 - von seinem Sohn, an seine Ehefrau und ihn – in Abzug gebracht.
Die gegenständliche Beschwerde richtet sich lediglich gegen die Höhe der zuerkannten Leistungen.
Der Beschwerdeführer ist im Jahre 2008 mit seiner Tochter, JJ, aus ihrem Heimatland Afghanistan nach Österreich geflohen. Seine Ehefrau ist mit dem gemeinsamen Sohn, GG, wegen der untragbaren Zustände von Afghanistan nach Pakistan gereist, von wo sie der Beschwerdeführer und die Tochter JJ so schnell wie möglich, im Zuge der Familienzusammenführung, nach Österreich nachholen wollten. Auch in Pakistan waren die Lebensverhältnisse schlecht und musste der Sohn, GG, bereits in dieser Zeit Geld dazu verdienen. Im Jahre 2009 haben der Beschwerdeführer und die Tochter, JJ, positives Asyl in Österreich erhalten und sollten seine Ehegattin und sein Sohn GG, im Jahre 2010 nachkommen. GG wurde jedoch die legale Einreise durch die lokalen pakistanischen Mitarbeiter der Österreichischen Botschaft in Pakistan verboten, sodass nur seine Ehefrau nach Österreich nachkommen konnte. Der damals 14jährige Sohn, GG, musste alleine in Pakistan zurückbleiben, war dann ca ein Jahr in Pakistan auf sich alleine gestellt und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Der Beschwerdeführer uns seine Ehefrau konnten ihn in dieser Zeit finanziell nicht unterstützen, weil sie selbst in Österreich von Grundversorgung bzw Mindestsicherung lebten. Ungefähr nach einem Jahr ist GG selbständig nach Österreich geflohen. Er war ca sechs Monate alleine auf der Flucht. Im Jahre 2011 kam GG in Österreich an, war dann zunächst im Erstaufnahmezentrum Y, dann im Erstaufnahmezentrum X und schließlich im Asylheim in W untergebracht. Auch in dieser Zeit konnten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau ihm keinen Unterhalt leisten. Anschließend wohnte GG, in der Zeit vom 17.05.2011 bis 13.10.2011, für einige Monate gemeinsam in einer Mietwohnung in **** Z, Adresse 2. In diesem Zeitraum haben alle Mindestsicherungsleistungen bezogen. Die damalige Wohnung war für vier Personen sehr klein. GG wollte sich auf „Deutsch lernen“ und die Schule konzentrieren, hatte aber kein eigenes Zimmer und somit keinen Rückzugsort. Er bekam zu dieser Zeit auch Herzprobleme, die extreme Atembeschwerden bei ihm verursacht haben. Zuhause konnte er sich nicht zurückziehen und ausreichend genesen. Er hat sich daher mit ca 16 Jahren entschieden, nicht mehr mit seiner Familie zusammenzuleben und kam in einer Betreuten Wohneinrichtung unter, bis er 18 Jahre alt war. Auch nach seinem Auszug waren der Beschwerdeführer und seine Ehegattin nicht in der Lage ihm Unterhalt zu leisten, weil sie selbst in Mindestsicherungsbezug waren.
Das Verhältnis zwischen den Beschwerdeführer und seinem Sohn, GG, der mittlerweile seinen Namen auf MM geändert hat, ist nicht so gut, weil seine Lebensführung nicht so ganz den Vorstellungen seiner Eltern entspricht. MM lebt zurzeit mit seiner Freundin in Z, in der Adresse 3. Er ist seinen Eltern bei Behördenwegen behilflich, bei Krankenhausbesuchen und jeglicher Bürokratie. Sie finden sich nämlich selbst dabei nicht zurecht und sind auch der deutschen Sprache nicht so gut mächtig. So hat sich der Beschwerdeführer auch betreffend den gegenständlichen angefochtenen Bescheid an ihn gewandt. Aufgrund seinem Betreiben wurde die gegenständliche Beschwerde eingebracht. Wechselseitig leisten sich weder der Beschwerdeführer noch sein Sohn finanzielle Unterstützung.
Nachdem MM, vormals GG, im Februar 2011 nach Österreich gekommen war lernte er zunächst die deutsche Sprache. Sein Ziel war, im Herbst die Höhere technische Lehranstalt (HTL) zu besuchen. Er hat sich deswegen bemüht, in so kurzer Zeit Deutsch zu lernen und hat letztendlich die Aufnahmeprüfung in der HTL geschafft. Nachdem er die HTL zwei Jahre hindurch besucht hatte, entschloss er sich für die Lehre als IT-Techniker. Diese Lehre hat er abgeschlossen. Seit dem Jahre 2015 arbeitet er als IT-Techniker bei der NN GmbH in V und bezieht dort ein monatliches Einkommen von ca Euro 2.000,00. Somit hat sich MM in Österreich ein eigenes Leben aufgebaut und es gefällt ihm in Österreich ganz gut.
III. Beweiswürdigung:
Dieser Sachverhalt ergibt sich in unzweifelhafter Weise aus der dem Landesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage. Der Werdegang des Sohnes des Beschwerdeführers, GG nunmehr MM, in Österreich stützt sich auf seine eigenen glaubhaften Angaben anlässlich der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung. Seine angegebenen Wohnsitze decken sich mit den Auszügen aus dem Zentralmelderegiestern betreffend den Beschwerdeführer und ihn. Die Feststellungen betreffend seines Arbeitsverhältnisses stimmen mit dem im behördlichen Akt befindlichen Abrechnungsbelegen überein. Von seinen ausgezeichneten Deutschkenntnissen konnte sich das Landesverwaltungsgericht anlässlich der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung selbst überzeugen. Die Ausführungen zur Flucht aus Afghanistan über Pakistan bis dann nach Österreich konnten der Beschwerdeführer als auch sein Sohn, MM vormals GG, übereinstimmend schildern.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Die verfahrensgegenständlich relevanten Bestimmungen des Tiroler Mindestsicherungsgesetzes (TMSG), LGBl Nr 99/2010 idF LGBl Nr 138/19, lauten wie folgt:
„§ 1
Ziel, Grundsätze
(1) Ziel der Mindestsicherung ist die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Sie bezweckt, den Mindestsicherungsbeziehern das Führen eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen und ihre dauerhafte Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern.
(2) Mindestsicherung ist Personen zu gewähren,
a) die sich in einer Notlage befinden,
b) denen eine Notlage droht, wenn der Eintritt der Notlage dadurch abgewendet werden kann,
c) die eine Notlage überwunden haben, wenn dies erforderlich ist, um die Wirksamkeit der bereits gewährten Leistungen der Mindestsicherung bestmöglich zu sichern.
(3) Mindestsicherung ist auf Antrag oder, wenn den zuständigen Organen (§ 27) Umstände bekannt werden, die eine Hilfeleistung erfordern, auch von Amts wegen zu gewähren.
(4) Leistungen der Mindestsicherung sind so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Dabei sind auch Hilfeleistungen, die nach anderen landesrechtlichen oder nach bundesrechtlichen oder ausländischen Vorschriften in Anspruch genommen werden können, zu berücksichtigen.
[…]
§ 2
Begriffsbestimmungen
[…]
(8) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasst den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körper- und Gesundheitspflege, Benützung von Verkehrsmitteln, Reinigung, Hausrat und Energie mit Ausnahme der Heizenergie sowie für andere persönliche Bedürfnisse, die eine angemessene soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen.
(9) Die Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes umfasst den für die Gewährleistung einer bedarfsgerechten Wohnsituation tatsächlich regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, Betriebskosten, Heizkosten und Abgaben.
[…]
§ 5
Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes
(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes besteht in der Gewährung pauschalierter, monatlicher Geldleistungen (Mindestsätze).
(2) Der Mindestsatz beträgt den jeweils folgenden Hundertsatz des Ausgangsbetrages nach § 9:
a) für volljährige Alleinstehende und Alleinerzieher 75 v.H.;
b) für mündige Minderjährige, die Alleinstehende oder Alleinerzieher sind,
1. bis zum Bezug der Familienbeihilfe 75 v.H.,
2. ab dem Bezug der Familienbeihilfe 56,25 v.H.;
c) für Personen, die in Wohngemeinschaften von Opferschutz-, Krisenbetreuungs- oder betreuten Wohnungsloseneinrichtungen oder in Wohngemeinschaften von Einrichtungen der Rehabilitation leben und Leistungen nach dem Tiroler Rehabilitationsgesetz beziehen, sofern ihr Lebensunterhalt nicht zumindest überwiegend im Rahmen der Wohngemeinschaft gedeckt wird 75 v.H.;
d) für Personen, die mit anderen Personen in einer Wohngemeinschaft, die nicht unter die lit. c fällt, leben 56,25 v.H.;
e) für Personen, die mit anderen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft leben,
1. für jede volljährige Person, die nicht unter die Z 2 fällt, 56,25 v.H.,
2. ab der dritten volljährigen Person, sofern diese einer leistungsbeziehenden Person in der Bedarfsgemeinschaft gegenüber unterhaltsberechtigt ist 37,50 v.H.
[…]
§ 9
Ausgangsbetrag
(1) Der Ausgangsbetrag für die Bemessung der Mindestsätze nach § 5 beträgt für das Kalenderjahr 2010 744,01 Euro.
(2) Die Landesregierung hat für jedes folgende Kalenderjahr unter Bedachtnahme auf die Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 ASVG durch Verordnung einen Anpassungsfaktor festzusetzen (Anpassungsverordnung). Der Ausgangsbetrag für die Bemessung der Mindestsätze nach § 5 für dieses Kalenderjahr ergibt sich jeweils durch Multiplikation des Ausgangsbetrages für das vorangegangene Kalenderjahr mit dem Anpassungsfaktor. Die sich aus dem Ausgangsbetrag ergebenden Mindestsätze sind als Anlage zur Verordnung kundzumachen.
(3) Verordnungen nach Abs. 2 können rückwirkend, in einem solchen Fall jedoch frühestens mit dem 1. Jänner jenes Kalenderjahres, für das die Anpassung erfolgt, in Kraft gesetzt werden.
§ 17
Verfolgung von Ansprüchen gegenüber Dritten
(1) Vor der Gewährung von Mindestsicherung hat der Hilfesuchende öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist.
(2) Mindestsicherung ist unbeschadet der Verpflichtung nach Abs. 1 als Vorausleistung zu gewähren, wenn der Hilfesuchende bis zur tatsächlichen Durchsetzung seiner Ansprüche anspruchsberechtigt im Sinn dieses Gesetzes ist. Die unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung ist jedenfalls zu gewährleisten.
§ 19
Kürzung von Leistungen
(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 kann gekürzt werden, wenn der Mindestsicherungsbezieher
a) seine Notlage vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat,
b) mit den eigenen oder den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln trotz Belehrung und Ermahnung nicht sparsam umgeht,
c) seine Ansprüche gegenüber Dritten nicht in zumutbarer Weise verfolgt,
d) trotz schriftlicher Ermahnung keine Bereitschaft zum Einsatz seiner Arbeitskraft zeigt oder sich nicht um eine ihm zumutbare Beschäftigung bemüht,
e) an einer Begutachtung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit nicht mitwirkt,
f) an einer ihm vom Arbeitsmarktservice oder von einer Behörde vorgeschriebenen Fortbildungs-, Ausbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahme nicht oder nicht im vorgeschriebenen Ausmaß teilnimmt oder, sofern ein Erfolgsnachweis vorgesehen ist, diesen nicht erbringt,
g) an einer ihm vom Arbeitsmarktservice oder von einer Behörde vorgeschriebenen Integrationsmaßnahme, wie einem Deutsch-, Orientierungs- oder Wertekurs, nicht oder nicht im vorgeschriebenen Ausmaß teilnimmt oder, sofern ein Erfolgsnachweis vorgesehen ist, diesen nicht erbringt oder
h) die Erfüllung einer zur besseren Integration vorgeschriebenen Maßnahme nicht oder nicht fristgerecht nachweist.
Die Kürzung ist der Höhe nach mit 66 v. H. des jeweiligen Mindestsatzes nach § 5 begrenzt; sie darf nur stufenweise vorgenommen werden. Eine Kürzung aufgrund der Nichterbringung eines Erfolgsnachweises nach lit. f oder g darf nicht erfolgen, wenn dem Mindestsicherungsbezieher die Erbringung dieses Nachweises insbesondere aufgrund seines Alters, seines physischen oder psychischen Gesundheitszustandes oder seines Bildungsstandes nicht möglich oder zumutbar ist.
(2) Durch die Kürzung darf die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes der mit dem Mindestsicherungsbezieher in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht beeinträchtigt werden.
§ 23
Kostenersatz durch Dritte
(1) Dritte sind zum Ersatz der für den Mindestsicherungsbezieher aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn dieser ihnen gegenüber im Bezugszeitraum Ansprüche auf Leistungen nach § 17 Abs. 1 hatte.
(2) Ist der Dritte gegenüber dem Mindestsicherungsbezieher gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet, so bemisst sich der Kostenersatz nach den Unterhaltsverpflichtungen der §§ 94 und 231 ABGB bzw. des § 12 EPG.
(3) Nicht zum Kostenersatz verpflichtet sind:
a) die Kinder, Enkelkinder und Großeltern des (früheren) Mindestsicherungsbeziehers und
b) die Eltern des (früheren) Mindestsicherungsbeziehers hinsichtlich jener Leistungen, die dieser nach dem Erreichen seiner Volljährigkeit bezogen hat.“
Gemäß § 234 AGBG sind Kindern ihren Eltern unter einer Reihe einschränkender Voraussetzungen subsidiär, nämlich als Letze von den sonst in Frage kommenden Unterhaltsschuldnern, verpflichtet, ihren nicht selbsterhaltungsfähigen vermögenslosen Vorfahren (Eltern und Großeltern) Unterhalt zu leisten.
Dieser in § 234 AGBG geregelte Unterhaltsanspruch, wonach eben ein Kind seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt schuldet, stellt lediglich einen Ausnahmefall dar, nämlich soweit der Unterhaltsberechtigte nicht im Stande ist, sich selbst zu erhalten und sofern er seine Unterhaltsplicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 23.10.2012, 2011/10/0201, ausdrücklich ausgeführt, dass es sich beim Unterhaltsanspruch von Eltern gegen Kinder gemäß § 143 ABGB (nunmehr: § 234 ABGB) um einen privatrechtlichen Anspruch auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen im Sinn von § 17 Abs 1 Tir MSG 2010 handelt und ein Hilfesuchender einen solchen Anspruch daher zu verfolgen hat, soweit das nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist. § 23 Abs 3 lit a Tir MSG 2010, wonach ua Kinder nicht zum Kostenersatz verpflichtet sind, steht der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen eines Kindes bei der Bemessung der Mindestsicherungsleistung eines Elternteils nicht entgegen (VwGH 23.10.2012, 2011/10/0201).
Nach § 234 Abs 1 ABGB entfällt der Unterhaltsanspruch aber zur Gänze, wenn der Aszendent (Vorfahre) in der Vergangenheit seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jeweiligen Kind oder Enkel gröblich vernachlässigt hat.
Unter welchen Voraussetzungen von einer gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht iSd § 143 Abs 1 ABGB auszugehen ist, ist eine Frage des Einzelfalles. Insbesondere sind die Dauer der Pflichtverletzung, das bisherige Verhalten des zum Unterhalt Verpflichteten und die Gründe für die Nichterbringung abzuwägen (RIS-Justiz RS0123336, 1 Ob 4/08g).
Im Gegenstandsfall ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer und seine Frau FF nicht selbsterhaltungsfähig sind. Nach § 234 Abs 1 ABGB entfällt zudem der Unterhaltsanspruch zur Gänze, wenn der Aszendent (Vorfahre) in der Vergangenheit seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jeweiligen Kind oder Enkel gröblich vernachlässigt hat.
Unter welchen Voraussetzungen von einer gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltsplicht im Sinn des § 143 Abs 1 AGBG auszugehen ist, ist – wie bereits ausgeführt - eine Frage des Einzelfalles. Insbesondere sind die Dauer der Pflichtverletzung, das bisherige Verhalten des zum Unterhaltverpflichtenden und die Gründe für die Nichterbringung abzuwägen (RIS Justiz Rs 0123336, 1 Ob 4/08g).
Im Gegenstandsfall konnte der Beschwerdeführer aufgrund seiner Flucht mit seiner Tochter aus Afghanistan nach Österreich im Jahre 2008 seinem Sohn MM, vormals GG, der mit seiner Mutter von Afghanistan nach Pakistan gereist ist und von dort im Zuge der Familienzusammenführung nach Österreich nachkommen wollte, keine Unterhaltszahlungen leisten. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau sind im Pensionsalter und haben beide keine Einkünfte und keinen Anspruch auf Pensionsleistungen nach dem ASVG, sie sind mithin nicht im Stande sich selbst zu erhalten und leben von Leistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz während seine Mutter (Ehefrau des Beschwerdeführers) nach Österreich nachkommen konnte wurde MM die legale Einreise verboten. Er, war sohin in seiner Jugend gezwungenermaßen über längere Zeiträume auf sich selbst gestellt, bis ihm selbst im Jahre 2011 die Flucht gelang. Unter diesen Umständen kann von einer gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihrem Sohn nicht gesprochen werden.
Insofern war daher im Gegenstandsfall die Unterhaltsverpflichtung des erwachsenen Sohnes gegenüber seinen Eltern zu verneinen, und waren daher im gegenständlichen Leistungszeitraum Unterhaltsleistungen in Höhe von Euro 400,00 vom Sohn des Beschwerdeführers an ihn und seine Ehefrau nicht in Abzug zu bringen sowie von vollem Richtsatz für Volljährige in Bedarfsgemeinschaften auszugehen.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag.a Dr.in Strele
(Richterin)
Schlagworte
UnterhaltspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2021.13.1305.3Zuletzt aktualisiert am
26.04.2022