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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des S, zuletzt wohnhaft in L, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1995, Zl. 4.345.726/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 4. Jänner 1995 in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am darauffolgenden Tag vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab er zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen an, er sei persischer Abstammung, mohammedanischen Glaubens und von Beruf Arzt. Er habe in einem Krankenhaus sowie in einer eigenen Praxis als Arzt gearbeitet. In Afghanistan seien Bürgerkriegsparteien im wesentlichen in drei Gruppierungen zu unterteilen, die einander bekämpften, nämlich die Jamyat Islami Afghanistan unter Präsident Rabani, die Hisbollah Islami Afghanistan unter Hekmatyar und die Jumbush Milli Islami unter General Dostum, wobei sich die letztgenannte Partei erst etwa vor einem Jahr aus der Partei des Präsidenten Rabani gespalten habe und nunmehr mit Hekmatyar gegen diesen kämpfe. Sein Haus sei in dem von General Dostum kontrollierten Gebiet, das Krankenhaus, in dem er gearbeitet habe, im Gebiet des Rabani gelegen gewesen. Während der Kämpfe dieser Bürgerkriegsparteien sei er von den Kämpfern des Präsident Rabani mehrfach aufgefordert worden, seinen Dienst im öffentlichen Krankenhaus fortzusetzen, insbesondere da die meisten Ärzte bereits geflüchtet gewesen seien. Man habe ihn zweimal dazu aufgefordert, bei der dritten Aufforderung habe man gedroht, ihn zu töten, falls er dieser Aufforderung nicht nachkomme. Er sei dieser Aufforderung jedoch nicht nachgekommen, weil es ihm auf Grund der Bürgerkriegswirrnisse nicht möglich gewesen sei, in das von Rabani kontrollierte Gebiet zu gelangen. Er habe daher bis Ende Juni 1994 in dem von Dostum kontrollierten Gebiet Verwundete behandelt. Ende Juni 1994 sei jedoch dieses Gebiet von den Truppen des Präsidenten Rabani besetzt worden, weshalb er gemeinsam mit seiner Familie in ein anderes Gebiet im Einzugsbereich des Hekmatyar geflüchtet sei. Ende Juli 1994 seien Abgesandte des Hekmatyar gekommen und hätten ihn aufgefordert, an die Front zurückzukehren, um dort Verwundete zu versorgen. Dieser Aufforderung sei er insgesamt dreimal jeweils in der Dauer von einem Monat, 20 Tagen und 25 Tagen mit Zwischenräumen von jeweils 15 Tagen, nachgekommen. Beim dritten Mal habe man ihm einen schwerverwundeten Kämpfer gebracht, der einen Oberschenkeldurchschuß gehabt habe. Er habe zwar einen Druckverband angelegt, die Kämpfer jedoch aufgefordert, diesen Mann in ein Krankenhaus zu bringen. Dennoch habe man von ihm verlangt, ihn zu behandeln. Daraufhin sei dieser Mann natürlich verstorben, weil die Hauptschlagader getroffen gewesen sei. Dies habe zur Folge gehabt, daß man ihn mit einer Maschinenpistole niedergeschlagen habe und der Bruder des Verstorbenen die Absicht geäußert habe, ihn (den Beschwerdeführer) zu töten, woran dieser jedoch durch andere Kämpfer gehindert worden sei. Er selbst sei nach diesem Vorfall nach Hause zurückgekehrt und habe seine Flucht vorbereitet. Dies habe sich alles Ende November 1994 ereignet. Bereits im September 1994 sei ein ihm bekannter Journalist der BBC, der für Rabani und Dostum habe positiv berichten sollen und dies verweigert habe, getötet worden. Vor Ausbruch des Bürgerkrieges habe er keinerlei Probleme gehabt. Diese hätten erst begonnen, als er zwischen die Bürgerkriegparteien geraten sei. Er sei auch ansonsten keinen Mißhandlungen ausgesetzt gewesen. Allerdings seien seine Eltern im Juli 1994 durch Kämpfer des Rabani getötet worden, als letztere das Gebiet, in welchem sein Wohnhaus gestanden sei, besetzt und erfolglos nach ihm (dem Beschwerdeführer) gefragt hätten. Das Haus sei dabei geplündert worden. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde er entweder von den Milizen des Rabani oder vom Bruder des Gefallenen getötet werden. Überdies habe er in Afghanistan alles verloren und somit keine Lebensgrundlage mehr.
Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 5. Jänner 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl abgewiesen.
Dabei verneinte die Behörde unter Zugrundelegung seiner Angaben anläßlich seiner Erstvernahme seine Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 und nahm überdies Verfolgungssicherheit im Sinn des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. in den Staaten seiner Durchreise (Pakistan, Türkei und Ungarn) an.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung machte der Beschwerdeführer im wesentlichen Verfahrensverletzungen im Sinne einer Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht nach § 16 Abs. 1 AsylG 1991 geltend, wiederholte im wesentlichen seine bereits in erster Instanz getätigten Angaben, ergänzte diese jedoch unter Vorlage von - von der belangten Behörde im übrigen nicht übersetzten - Urkunden dahingehend, am Tage nach dem Tod des verwundeten Mudjaheddin seien Mudjaheddin mit einem Haftbefehl gegen ihn gekommen, um ihn wegen fahrlässiger Tötung an diesem Kämpfer vor ein Kriegsgericht zu stellen. Würde er sich bis Anfang Dezember 1994 nicht freiwillig gestellt haben, würde er zum "Abschuß freigegeben" werden. Im übrigen bestritt der Beschwerdeführer im einzelnen die von der Behörde erster Instanz angenommene Verfolgungssicherheit.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Begründend führt die belangte Behörde aus, daß, da keiner der im § 20 Abs. 2 AsylG 1991 in der Fassung BGBl. Nr. 610/1994 angeführten Fälle vorliege, auf Grund derer eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gewesen wäre, auf Grundlage des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens erster Instanz sich nicht ergeben habe, daß er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Sie übernahm die Sachverhaltsdarstellung und auch die rechtliche Beurteilung der Behörde erster Instanz und ergänzte lediglich, selbst wenn man nicht auf den § 20 AsylG 1991 abstelle, könnte das gesteigerte und überschießende Berufungsvorbringen, demzufolge am Tag nach dem Vorfall mit dem gefallenen Mudjaheddin ein Haftbefehl wegen fahrlässiger Tötung gegen den Beschwerdeführer erlassen worden sei, nicht zu einer anderslautenden Entscheidung führen, weil diesen Angaben die Glaubwürdigkeit fehle. Mit dem in Kopie vorgelegten Haftbefehl habe der Beschwerdeführer offenbar lediglich versucht, Umstände zu bescheinigen, die er im Verfahren erster Instanz mit keinem Wort auch nur behauptet habe. Würden diese den Tatsachen entsprechen, hätte er sie wohl bereits damals (gemeint: anläßlich der Ersteinvernahme) releviert. Im übrigen gehe aus seinen eigenen Angaben nicht hervor, daß der angeführte Haftbefehl "wegen fahrlässiger Tötung" aus einem der in der Konvention genannten Gründen ausgestellt worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Verpflichtung der belangten Behörde zur amtswegigen Ermittlung und Erforschung der materiellen Wahrheit sowie Unterlassung des Parteiengehörs "im weiteren Verfahren" und bringt inhaltlich vor, in Afghanistan tobe ein Bürgerkrieg. Es existiere zwar eine sogenannte staatliche Macht, die jedoch die Menschenrechte mit Füßen trete, willkürliche Verhaftungen vornehme und Personen, die Gruppierungen angehörten, die nicht der Regierung genehm seien, ohne Haftbefehl einsperre bzw. Haftbefehle erlasse, denen fiktive Sachverhalte zugrunde lägen. Dies sei auch dem Beschwerdeführer passiert. In Afghanistan herrsche kein funktionsfähiges Rechtssystem, ein Haftbefehl gleiche einem Todesurteil, "insbesondere" wenn jemand wegen fahrlässiger Tötung angeschuldigt werde, die er gar nicht begangen habe. Der Staat räume so unliebsame Mitbürger aus dem Weg. Zumeist läge solchen Haftbefehlen eine nationalistische und rassistische Verfolgung zugrunde, "da es sich beim Rechtsmittelwerber um eine Person handelt, die einem anderen Volksstamm angehört, als demjenigen, der zur Zeit in Afghanistan an der Macht ist". Im übrigen sieht der Beschwerdeführer in der "kommentarlosen" Übernahme der Sachverhaltsdarstellung und rechtlichen Beurteilung der Behörde erster Instanz einen erheblichen Verfahrensmangel der belangten Behörde.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt. Zunächst ist dem Beschwerdeführer allerdings zuzugeben, daß die Behörde in Verkennung der Bestimmung des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 ohne weitere Klärung über Zeit und Art der Kenntnisnahme des gegen ihn erlassenen Haftbefehls bzw. der Verfügbarkeit der Urkunde davon ausging, einer der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 - insbesondere auch nicht der zweite Fall leg. cit. - liege nicht vor. Es wäre vielmehr abzuklären gewesen, ob es dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Ersteinvernahme bereits bekannt gewesen ist, daß ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden sei und wann ihm die nunmehr in der Berufung vorgelegten Urkunden tatsächlich zugekommen sind. Ohne nähere diesbezügliche Ermittlungsergebnisse hätte die belangte Behörde nicht davon ausgehen dürfen, die sich in der Berufung neu ergebenden Umstände hätten vom Beschwerdeführer bereits zu diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden können. Dennoch kann dieser der belangten Behörde unterlaufene Verfahrensfehler eine andere Sachentscheidung nicht bewirken. Auf Grund des - im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 wohl zu beachtenden - Berufungsvorbringens samt dessen Ergänzung, damit auch unter Berücksichtigung des gegen den Beschwerdeführer angeblich wegen fahrlässiger Tötung eines Mudjaheddinkämpfers erlassenen Haftbefehles, kann aus diesem Umstande allein nicht auf eine Verfolgung aus einem der - im übrigen auch zutreffend in der Beschwerde zitierten - Gründe der Genfer Konvention geschlossen werden. Die Ausschreibung zur Verhaftung in einem nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien geführten Verfahren könnte im Sinne der Genfer Konvention bzw. des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nur dann als Verfolgung gewertet werden, wenn sie ihren Grund und ihre Motivation darin gehabt hätte, daß das Opfer einer bestimmten Rasse, Religion, Nationalität oder bestimmten sozialen Gruppe zugehört oder eine bestimmte politische Gesinnung hat. Keine dieser Voraussetzungen ist den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren zu entnehmen. Die von ihm geschilderte Bedrohung resultiert nach seinen Angaben aus dem Umstand, daß er sich geweigert hat, als Arzt für eine der Bürgerkriegsparteien - aus tatsächlichen, jedoch nicht politischen Gründen - tätig zu werden bzw. wegen der letztlich mißlungenen ärztlichen Versorgung des verwundeten Mudjaheddin. Fehlen aber die in der Genfer Konvention bzw. dem Asylgesetz genannten Anknüpfungspunkte für eine asylrechtlich relevante Verfolgung, ist eine Asylgewährung ausgeschlossen. Den eine derartige Relevanz aufzeigenden, erstmals in der Beschwerde enthaltenen Behauptungen des Beschwerdeführers steht aber das Neuerungsverbot des § 41 VwGG entgegen.
Daher erweist sich der oben aufgezeigte, der belangten Behörde unterlaufene Verfahrensfehler als für die Entscheidung nicht wesentlich, sodaß die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG im Ergebnis als unbegründet abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200385.X00Im RIS seit
20.11.2000