TE Vfgh Beschluss 2022/2/28 V296/2021

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-MaßnahmenG §2, §3
5. COVID-19-SchutzmaßnahmenV BGBl II 465/2021 idF BGBl II 467/2021 §§2, 5, 6, 7, 9, 10, 12, 13
VfGG §7 Abs2, §57 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung des Hauptantrages auf Aufhebung der gesamten 5. COVID-19-SchutzmaßnahmenV wegen unzureichender Darlegung der unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit; Zurückweisung auch der eventualiter gestellten Anträge mangels Erkennbarkeit, wie sich diese gestellten Begehren zum Hauptbegehren und zueinander verhalten

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehrt die Antragstellerin,

"[d]er Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG in Verbindung mit §59 Abs2 VfGG als gesetz- und verfassungswidrig aufheben:

In der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19 getroffen werden (5. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung – 5. COVID-19-SchuMaV), BGBl II Nr 465/2021, kundgemacht am 14.11.2021:

1. die gesamte Verordnung, nämlich §§1 bis 24;

2. in eventu §2;

3. in eventu §2 Abs4;

4. in eventu §5 Abs1;

5. in eventu §6;

6. in eventu §6 Abs1;

7. in eventu §7;

8. in eventu §7 Abs2;

9. in eventu §9;

10. in eventu §9 Abs2;

11. in eventu §10 Abs1;

12. in eventu §10 Abs4;

13. in eventu §12 Abs1;

14. in eventu §13;

15. in eventu §13 Abs1;

16. in eventu §13 Abs3;

[…]."

2. Zu ihrer Antragslegitimation bringt die Antragstellerin im Wesentlichen Folgendes vor:

2.1. Die Antragstellerin sei weder geimpft noch genesen und verfüge daher über keinen 2G-Nachweis. Sie verfüge auch über keine Befreiung im Sinne des §20 Abs10 Z1 5. COVID-19-SchuMaV. Die Antragstellerin sei Architektin, Geschäftsführerin und Gesellschafterin einer näher bezeichneten Ziviltechniker GmbH, allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für die Fachgebiete Nutzwertfeststellung, Parifizierung, Hochbau und Architektur, externe Referentin einer näher bezeichneten Universität, Gastrednerin auf Podien und Vortragende bei diversen Veranstaltungen. Die Antragstellerin sei laut ihrem Terminkalender zu einer Podiumsdiskussion am 9. November 2021, zu einer näher bezeichneten Veranstaltung am 25. November 2021, zur Verleihung eines Holzbaupreises am 11. November 2021 und zu einer Weihnachtsfeier am 9. Dezember 2021 eingeladen. Voraussetzung für die Teilnahme an diesen Veranstaltungen sei ein 2G-Nachweis. Die Antragstellerin sei zudem als Pflegemutter gesetzlich verpflichtet, Kontakttreffen mit den leiblichen Eltern der Pflegekinder an "neutralen Orten" zu organisieren.

2.2. Die Antragstellerin sei von den angefochtenen Bestimmungen unmittelbar betroffen, da sich diese unmittelbar auf die Rechtsposition der Antragstellerin auswirken würden. Für die Antragstellerin als ungeimpfte und nicht genesene Person sei eine strenge Ausgangssperre verordnet worden. Ein Verlassen des privaten Wohnbereichs sei nur unter engen Voraussetzungen zulässig.

2.3. Zudem sei der Antragstellerin das Betreten von Kundenbereichen von Betriebsstätten zum Zwecke des Erwerbs von Waren oder zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt. Der von ihr einmal im Monat wahrgenommene Friseurbesuch sei nicht mehr möglich. Der Einkauf von Weihnachtsgeschenken sei bei Strafandrohung untersagt. Darüber hinaus sei es der Antragstellerin nicht möglich, mit ihrer Familie oder mit Kunden Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe zu betreten. Die Antragstellerin könne überdies nicht mehr gemeinsam mit ihren Kindern Freizeiteinrichtungen besuchen. Die Räumlichkeiten ihres Architekturbüros dürfe sie nur mit einem 3G-Nachweis betreten. Auch ein Betreten einer Krankenanstalt als Besucherin wäre der Antragstellerin nicht möglich, sollte ein Familienmitglied in der Zukunft einen Krankenhausaufenthalt benötigen. Der Antragstellerin sei eine Teilnahme an Zusammenkünften mit mehr als fünfundzwanzig Personen untersagt. Eine Veranstaltung außerhalb von Wien würde am "Zutrittsverbot von Gaststätten" scheitern. Die unmittelbare Betroffenheit sei daher bei sämtlichen angefochtenen Bestimmungen gegeben.

2.4. Ein Verwaltungsstrafverfahren, das Gelegenheit zur Anregung eines Antrages auf Normprüfung bzw zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes biete, könne der Antragstellerin nicht zugemutet werden.

3. In der Sache rügt die Antragstellerin die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen wegen Verletzung des COVID-19-MG. Überdies erachtet sie sich in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Leben, auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

4. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat eine Äußerung erstattet, in der er die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung beantragt.

5. Zur Zulässigkeit führt der BMSGPK ua Folgendes aus:

5.1. Das Verhältnis zwischen Haupt- und Eventualanträgen sei unklar. Anhand der Nummerierung der Anträge könne nur davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Priorisierung einzelner Bestimmungen handle. Aus dem Umstand, dass in den Eventualanträgen zum Teil einzelne Absätze von in anderen Ziffern genannten Bestimmungen angefochten würden, sei aber jedenfalls zu schließen, dass die Ziffern 2 bis 16 keinen einheitlichen Eventualantrag zur Ziffer 1, sondern jeweils einzelne Eventualanträge zur Ziffer 1 darstellen würden. Die Reihung der einzelnen Eventualanträge ohne kumulative Anfechtung erscheine insgesamt nicht geeignet, die behauptete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, weshalb bereits an dieser Stelle von der Unzulässigkeit der Eventualanträge auszugehen sei.

5.2. Der Hauptantrag auf Aufhebung der gesamten Verordnung sei zu weit gefasst. Der BMSGPK übersehe dabei nicht das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, V363/2020, mwN, wonach ein zu weiter Antrag diesen nicht zwangsläufig unzulässig macht. Gegen den Großteil der angefochtenen Bestimmungen im Hauptantrag würden aber weder konkrete Bedenken dargelegt, noch Auswirkungen auf die Antragstellerin vorgebracht. Durch die Aufhebung der gesamten Verordnung würde auch mehr aus dem Rechtsbestand ausscheiden, als für die Wahrnehmung der behaupteten Gesetz- bzw Verfassungswidrigkeit erforderlich sei. Die Antragstellerin bringe insbesondere keine Bedenken gegen die Regelungen zu Sportstätten (§8 5. COVID-19-SchuMaV), Alten- und Pflegeheimen (§11 5. COVID-19-SchuMaV), Zusammenkünften im Spitzensport (§15 5. COVID-19-SchuMaV), Fach- und Publikumsmessen (§16 5. COVID-19-SchuMaV) sowie Gelegenheitsmärkten (§17 5. COVID-19-SchuMaV) vor. Die Antragstellerin habe es unterlassen, die unmittelbare Betroffenheit von allen Bestimmungen hinreichend darzulegen. Für die nicht in Eventualanträgen angefochtenen Bestimmungen würden jegliche Ausführungen fehlen. Dies betreffe die §§1, 3, 4, 8, 11 sowie 14 bis 24 5. COVID-19-SchuMaV. Der Hinweis, dass Rechtsnachteile evident seien, genüge nicht. Eine Aufhebung der gesamten Verordnung sei überschießend. Überdies wäre dies nicht mit den epidemiologischen Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und dem Erfordernis der Pandemiebekämpfung vereinbar.

6. Auch in der Sache tritt der BMSGPK dem Antragsvorbringen der Antragstellerin entgegen.

II. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig:

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

4. Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalte nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Um das Erfordernis des §57 Abs1 erster Satz zu erfüllen, müssen die bekämpften Verordnungen bzw Verordnungsstellen genau und eindeutig bezeichnet sein (siehe zB VfSlg 13.230/1992, 13.451/1993, 13.473/1993, 16.710/2002, 17.403/2004, 17.679/2005, 19.027/2010); der Antrag muss die vom Antragsteller bekämpfte Verordnungsstelle mit Sicherheit erkennen lassen (VfSlg 14.675/1996). Der Verfassungsgerichtshof ist nicht befugt, Verordnungsbestimmungen auf Grund bloßer Vermutungen darüber, welche Normen(teile) der Antragsteller ins Auge gefasst haben könnte, in Prüfung zu ziehen (VfSlg 14.587/1996; vgl auch VfSlg 15.492/1999, 16.533/2002, 19.198/2010, 19.231/2010, 19.250/2010; VfGH 10.3.2021, V95-96/2019).

5. Ein Antrag, der sich gegen den ganzen Inhalt einer Verordnung richtet, muss die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit aller Bestimmungen der Verordnung "im Einzelnen" darlegen und insbesondere auch dartun, inwieweit alle angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 10.353/1985, 14.277/1995, 15.306/1998, 16.890/2003, 18.357/2008, 19.919/2014, 19.971/2015). Anträge, die dem Erfordernis des §57 Abs1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von §18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl etwa VfSlg 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012).

6. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes sein kann, aus den Ausführungen der Antragstellerin zur behaupteten Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verordnung weitere, für sie günstige Gesichtspunkte zu suchen und zusammenzutragen, die ihre aktuelle Betroffenheit stützen könnten, jedoch in ihren Ausführungen zu ihrer aktuellen und unmittelbaren Betroffenheit in ihrer Rechtssphäre nicht enthalten sind (vgl VfGH 1.10.2020, V405/2020; 23.2.2021, V533/2020).

7. Der Hauptantrag der Antragstellerin auf Aufhebung der 5. COVID-19-SchuMaV zur Gänze erweist sich mangels hinreichender Darlegung der unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit als unzulässig:

7.1. Die angefochtene Verordnung beinhaltet mehrere unterschiedliche, voneinander trennbare Verbotstatbestände. Die Antragstellerin hat in ihrem Antrag nicht dargelegt, inwiefern sie von sämtlichen Tatbeständen der angefochtenen Verordnung unmittelbar und aktuell betroffen ist. So fehlen etwa Ausführungen, inwiefern die Antragstellerin von den Regelungen zu Alten- und Pflegeheimen sowie stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe in §11 5. COVID-19-SchuMaV, von den Regelungen zu Sportstätten in §18 5. COVID-19-SchuMaV oder von den Regelungen zu Zusammenkünften im Spitzensport in §15 5. COVID-19-SchuMaV im Antragszeitpunkt konkret betroffen war (vgl etwa VfSlg 13.239/1992, 15.144/1998, 15.224/1998; VfGH 5.3.2014, V8/2014; 23.9.2020, V377/2020; 14.6.2021, V536/2020). Das Erfordernis solcher Darlegungen durch die Antragstellerin besteht auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die sonst geschilderte Situation naheliegen mögen (vgl VfSlg 14.309/1995, 14.817/1997, 19.613/2011). Der Hauptantrag auf Aufhebung der 5. COVID-19-SchuMaV zur Gänze ist daher bereits aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen. Damit kann auch dahingestellt bleiben, ob die Verordnung in der im Antrag angeführten Stammfassung der 5. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 465/2021, oder in der im Anschluss wiedergegebenen Fassung der Verordnung BGBl II 467/2021 zur Aufhebung begehrt wird.

8. Die Antragstellerin begehrt im Übrigen "2. in eventu §2; 3. in eventu §2 Abs4; 4. in eventu §5 Abs1; 5. in eventu §6; 6. in eventu §6 Abs1; 7. in eventu §7; 8. in eventu §7 Abs2; 9. in eventu §9; 10. in eventu §9 Abs2; 11. in eventu §10 Abs1; 12. in eventu §10 Abs4; 13. in eventu §12 Abs1; 14. in eventu §13; 15. in eventu §13 Abs1; 16. in eventu §13 Abs3" der 5. COVID-19-SchuMaV als gesetz- bzw verfassungswidrig aufzuheben. Wie auch schon vom BMSGPK vorgebracht, bleibt unklar, was durch diese Formulierung bezweckt werden sollte. Die Nummerierung der Anträge und die jeweilige Voranstellung der Wortfolge "in eventu" legen zwar nahe, dass es sich bei den unter Ziffer 2 bis 16 gestellten Begehren um Eventualanträge handeln soll. Dadurch, dass in einzelnen Ziffern jedoch einzelne Absätze von in anderen Ziffern genannten Bestimmungen angefochten werden, ist dem Verfassungsgerichtshof nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar, wie sich diese eventualiter gestellten Begehren zum Hauptbegehren und zueinander verhalten.

9. Sowohl der Hauptantrag als auch die eventualiter gestellten Anträge erweisen sich aus diesen Gründen als unzulässig. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die sonstigen Prozessvoraussetzungen.

III. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Bedenken, VfGH / Legitimation, COVID (Corona)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V296.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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