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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 1991 §14 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Dezember 1995, Zl. 4.347.831/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer - ein indischer Sikh - reiste am 11. Oktober 1995 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 13. Oktober 1995 Asyl. Am 15. November 1995 wurde er vor dem Bundesasylamt einvernommen. Der erste Teil der darüber aufgenommenen Niederschrift enthält unter der Rubrik "weitere Angaben" u.a. eine "Personsbeschreibung". Darin findet sich zum Merkmal "Größe" der Vermerk "Messung nicht möglich, da die Abnahme der Kopfbedeckung verweigert wurde". Es folgen Vermerke über "Statur", "Gesichtsform", "Gesichtsfarbe", "Haare", "Augen", "Nase" und "besondere Kennzeichen" (eine Narbe im Gesicht) sowie die Befragung des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtweg. Der zweite Teil der Niederschrift enthält die Ergebnisse der Befragung zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers und dazu, warum er nicht in einem Drittstaat Schutz gesucht habe.
Mit Bescheid vom 15. November 1995 - dem Tag der Einvernahme - wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer sei einerseits nicht Flüchtling und andererseits schon in Rußland "und vermutlich Slowenien" vor Verfolgung sicher gewesen. Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, die Berufung des Beschwerdeführers werde gemäß § 66 Abs. 4 AVG "in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Z. 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992 abgewiesen". Begründend führte die belangte Behörde - nach der Darstellung des Verfahrensganges und des Inhaltes anzuwendender Rechtsvorschriften - folgendes aus:
"Sie haben sich am 15.11.1995 im Zuge der erkennungsdienstlichen Behandlung geweigert, Ihre Kopfbedeckung abzunehmen, dadurch die Messung Ihrer Körpergröße unmöglich gemacht und somit den Tatbestand des § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 erfüllt. Auf das Vorliegen von Verschulden ist ebenso wie auf sonstige subjektive Umstände nicht Bedacht zu nehmen, da im Gegensatz zu § 19 Abs. 1 Z. 1 und Z. 2 Asylgesetz 1991 eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zulässig ist, sodaß es allein auf das objektiv feststellbare Verwirklichen des Tatbestandes ankommt. Da dieses vorliegt, war spruchgemäß zu entscheiden."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer macht geltend, ihm sei nicht Gelegenheit gegeben worden, zu dem von der Behörde als entscheidungswesentlich angenommenen Umstand, er habe die Abnahme seiner Kopfbedeckung verweigert und dadurch die Messung seiner Körpergröße vereitelt, Stellung zu nehmen. Er bringt dazu vor, er habe die Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht verweigert. Er sei der Ladung nachgekommen, habe sich keineswegs den Anordnungen und Maßnahmen der Behörden verweigert und lediglich die Abnahme seiner Kopfbedeckung "nicht vorgenommen". Dies aus religiösen Gründen, da Angehörige der Religion der Sikhs ihre Kopfbedeckung nur zu Hause abnähmen. Die Messung der Körpergröße wäre auch mit Kopfbedeckung möglich gewesen, außerdem hätte man die Daten seinem Reisepaß entnehmen können. Der Beschwerdeführer habe den Tatbestand des § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 daher nicht erfüllt. Aus der Nichtbeachtung seiner religiösen Gebräuche könne sich kein negativer Asylbescheid ergeben.
Der Behandlung dieser Argumente ist vorauszuschicken, daß die belangte Behörde durch die spruchmäßige Abweisung der Berufung im vorliegenden Fall nicht einen mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden Bescheid erlassen hat (vgl. dazu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 6. Auflage, Rz 543). Durch die Bezugnahme auf § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 wurde der erstinstanzliche Bescheid - in Ausübung der diesbezüglichen Befugnisse der Berufungsbehörde - dahingehend abgeändert, daß an die Stelle der Abweisung des Asylantrages durch das Bundesasylamt seine Zurückweisung durch die belangte Behörde trat. Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1994, Zlen. B 1219/93, 1698/93 und 397/94, dem sich der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt angeschlossen hat (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0402, und vom 19. Dezember 1995, Zl. 95/20/0007), handelt es sich bei dem Wort "abzuweisen" im § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nämlich nur um eine "verfehlte Terminologie des Gesetzes". Das erwähnte Wort ist im Sinne von "zurückzuweisen" zu verstehen, weil die Bestimmung sonst verfassungswidrig wäre. Diese Auslegung, die der Verfassungsgerichtshof mit Zusatzargumenten aus § 19 Abs. 1 Z. 1 und 2 Asylgesetz 1991 untermauert, aber nicht auf diese Fälle des § 19 Abs. 1 dieses Gesetzes eingeschränkt hat, gilt nach seinem Erkenntnis auch für Bescheide, die in ihrer Formulierung der "verfehlten Terminologie des Gesetzes" folgen.
Die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum Asylgesetz 1991 (270 BlgNR. 18. GP, Seite 21) nehmen auf § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 nicht gesondert Bezug. Sie erläutern die Bestimmung insgesamt wie folgt:
"Die gesetzliche Möglichkeit vorzusehen, in bestimmten Situationen das Asylverfahren auch vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens zu beenden, ist aus Gründen der Administration zwingend notwendig. Mangels einer diesbezüglichen Norm konnte die Behörde in der Vergangenheit ein Verfahren nicht abschließen, wenn der Asylwerber den Ausgang seines Verfahrens nicht abgewartet hat, weil er entweder während des Verfahrens in die Illegalität ging oder aber Österreich verlassen hat. Dieser Mißstand soll durch diese Bestimmung beseitigt werden.
Abs. 1 zählt die Gründe auf, wonach die Behörde von Amts wegen ein anhängiges Asylverfahren mit einem negativen Bescheid, ohne in die Sache selbst eingehen zu müssen, abschließen kann. Dies erscheint gerechtfertigt, weil der Asylwerber in diesen Fällen zu erkennen gibt, daß er aus welchen Gründen immer an einer Asylgewährung offenbar nicht mehr interessiert ist."
Der erste Absatz dieser Erläuterungen läßt sich mit dem von der belangten Behörde herangezogenen Fall der durch das Asylgesetz 1991 neu eingeführten Bestimmung nicht in Beziehung bringen. Als Begründung verbleibt daher nur der Satz, ein Eingehen in die Sache könne in den Fällen des § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unterbleiben, "weil der Asylwerber in diesen Fällen zu erkennen gibt, daß er aus welchen Gründen immer an einer Asylgewährung offenbar nicht mehr interessiert ist".
Der Verwaltungsgerichtshof hat dies dahingehend gedeutet, daß der Gesetzgeber "im Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 leg. cit." von der widerlegbaren Vermutung ausgehe, dem Asylwerber fehle es in diesen Fällen am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Die Widerlegbarkeit dieser Vermutung werde "insbesondere dadurch deutlich", daß in den Fällen des § 19 Abs. 1 Z. 1 (Nichtbefolgung einer Ladung ohne vorhergehende Entschuldigung) und Z. 2 (nicht rechtzeitige Mitteilung einer Änderung der Abgabestelle) Asylgesetz 1991 eine Wiedereinsetzung möglich sei, während dies im Fall des § 19 Abs. 1 Z. 3 dieses Gesetzes nicht zutreffe. Die "Bestimmungen des § 19 Abs. 1 Z. 1 und 2 Asylgesetz 1991" hätten daher keinen pönalen Charakter, sondern dienten ausschließlich der Verfahrensökonomie. Die Behörde dürfe sich daher - bezogen auf den Fall des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 - "nicht unter Anwendung eines geradezu sinnentarteten Formalismus" auf die (Pflicht zur) Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle berufen, wenn ihr diese auf anderem Wege bereits bekannt geworden sei (Erkenntnis vom 21. September 1994, Zlen. 93/01/0823 bis 0825).
Ein dem Normzweck entsprechend eingeschränktes Verständnis der Befugnis der Behörde, von einem Eingehen in die Sache abzusehen, hat der Verwaltungsgerichtshof seiner Rechtsprechung auch insofern zugrunde gelegt, als er in bezug auf § 19 Abs. 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 u.a. auf die Notwendigkeit der Ladung (Erkenntnis vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0294) und in bezug auf § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 in einer Mehrzahl von Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal "rechtzeitig" generell darauf abstellte, ob die vom Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Bestimmung angenommene, in den Erläuternden Bemerkungen beschriebene verfahrensrechtliche Situation im jeweils zu entscheidenden Fall tatsächlich gegeben war (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 20. Dezember 1995, Zl. 95/01/0046, vom 20. September 1995, Zl. 94/20/0150, und vom 25. April 1995, Zl. 94/20/0468, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Im Fall des § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 besteht keine Möglichkeit einer Wiedereinsetzung und somit Widerlegung der dem Gesetz zugrunde gelegten Vermutung durch ein fristgerechtes (im Fall des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 mit der Nachholung der Mitteilung verbundenes) Vorbringen darüber, daß die Säumnis auf einem Wiedereinsetzungsgrund und nicht auf schwererem Verschulden als leichter Fahrlässigkeit beruhte. Ein unmittelbarer Verweis auf die Vorschriften über die Wiedereinsetzung käme schon deshalb nicht in Frage, weil das Unterlassen der Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung - soweit dieser Tatbestand nicht in dem der Nichtbefolgung einer Ladung aufgehen soll - im Gegensatz zu den Fällen des § 71 AVG nicht in der "Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung" besteht. Daß § 71 AVG im Fall des § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 auch nicht "sinngemäß" anzuwenden ist (vgl. § 19 Abs. 2 Asylgesetz 1991), hat seinen Grund jedoch erkennbar darin, daß ein leichte Fahrlässigkeit (einen "minderen Grad des Versehens") nicht übersteigendes Verschulden am Unterbleiben der Mitwirkung mit der Verwirklichung des Tatbestandselementes einer "Weigerung" nicht vereinbar wäre. Eine "Weigerung" ist schon dem Wortsinn nach ohne Vorsatz nicht denkbar (insoweit richtig Muzak, Die Aufenthaltsberechtigung im österreichischen Fremdenrecht, Seite 241). Diesen Zusammenhang verkennt die belangte Behörde, wenn sie glaubt, aus dem Fehlen einer Wiedereinsetzungsmöglichkeit darauf schließen zu können, daß es auf ein Verschulden nicht ankomme.
Ohne Hinzutreten besonderer Umstände reicht aber auch die vorsätzliche Weigerung, an der Messung der Körpergröße als einem Teil der erkennungsdienstlichen Behandlung des Asylwerbers durch die Abnahme der Kopfbedeckung mitzuwirken, nicht aus, um den Tatbestand des § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 zu verwirklichen:
Erkennungsdienstliche Behandlungen sind im allgemeinen an einengende Voraussetzungen geknüpft und streng zweckgebunden. Nach § 65 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) sind Personen erkennungsdienstlich zu behandeln, "die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben". Hievon kann "so lange abgesehen werden, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen". Nach § 65 Abs. 2 SPG sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, im Zusammenhang mit der Klärung der Umstände eines bestimmten gefährlichen Angriffes auch nicht im Verdacht der Begehung dieses Angriffes stehende Personen erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn sie Gelegenheit hatten, Spuren zu hinterlassen, "soweit dies zur Auswertung vorhandener Spuren notwendig ist". Nach § 65 Abs. 3 SPG sind die Sicherheitsbehörden schließlich auch ermächtigt, Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, "deren Identität gemäß § 35 Abs. 1 Z. 3 festgestellt werden muß und die über ihre Identität keine ausreichenden Aussagen machen wollen oder können, sofern eine Anknüpfung an andere Umstände nicht möglich ist oder unverhältnismäßig wäre". § 35 Abs. 1 Z. 3 SPG bezieht sich auf Personen, die sich "anscheinend im Zustand der Hilflosigkeit" befinden und bei denen die Feststellung der Identität für die Hilfeleistung erforderlich erscheint. Fremde sind erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn ein gegen sie erlassenes Aufenthaltsverbot durch Abschiebung durchgesetzt werden soll oder der Verdacht besteht, es sei gegen sie unter anderen Namen ein noch geltendes Aufenthaltsverbot erlassen worden, oder wenn ihnen ein Fremdenpaß oder ein Lichtbildausweis für Fremde ausgestellt werden soll "und ihre Identität nicht feststeht" (§ 72 Abs. 1 Fremdengesetz; im zuletzt genannten Fall unterbleibt die Ausstellung des Dokuments nach § 60 Abs. 2 bzw. § 64 Abs. 4 Fremdengesetz, wenn der Fremde zur erkennungsdienstlichen Behandlung trotz Ankündigung dieser Folge in der Ladung nicht erscheint oder an der Behandlung "nicht mitwirkt").
Im Gegensatz zu den meisten dieser Vorschriften sieht § 14 Abs. 1 Asylgesetz 1991 vor, daß "jeder Asylwerber" unverzüglich zu vernehmen ist und "im Zuge dieser Vernehmung ... erkennungsdienstliche Behandlungen zur Sicherung der Identität durchzuführen" sind. Auf Schwierigkeiten in der "Anknüpfung an andere Umstände" oder deren mangelnde Verläßlichkeit und überhaupt auf die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung zur Feststellung der Identität im Einzelfall kommt es dabei nicht an, womit der Asylwerber (wie ein Fremder, der aufgrund eines Aufenthaltsverbotes abgeschoben werden soll) in diesem Bereich einer Person gleichzustehen scheint, die einen gefährlichen Angriff begangen hat und von der zu befürchten ist, sie werde weitere gefährliche Angriffe begehen. In den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum Asylgesetz 1991 (deren Seite 19) wird der Zweck dieser Regelung - nach einer Wiedergabe des Inhalts der Begriffsbestimmungen in § 64 Abs. 2 ("erkennungsdienstliche Maßnahmen") und 3 ("erkennungsdienstliche Behandlung") SPG - wie folgt erläutert:
"Beim Asylwerber soll durch die erkennungsdienstliche Behandlung registriert werden, daß eine Person mit diesen unverwechselbaren Merkmalen (Fingerabdrücke, Lichtbild), einen Antrag auf Asylgewährung gestellt hat. Sollte ein Asylantrag in der Folge gemäß § 3 abgewiesen werden müssen, so ist gleichzeitig sichergestellt, daß dieselbe Person auch dann wiedererkannt wird, wenn sie unter anderem Namen neuerlich einen Antrag gemäß § 12 Abs. 3 stellt.
Abs. 2 verpflichtet den Asylwerber zur Mitwirkung bei der erkennungsdienstlichen Behandlung. Die Sanktion für die Einhaltung dieser Verpflichtung findet sich in § 19 Abs. 1 Z. 3."
Der Zweck der Maßnahme ist auch im Gesetz selbst festgeschrieben ("zur Sicherung der Identität").
Unter der Überschrift "Sicherung der Identität" hat sich auch der deutsche Gesetzgeber entschlossen, bei allen Asylwerbern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und nicht eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung besitzen, die Identitätssicherung "durch erkennungsdienstliche Maßnahmen" vorzusehen. Er hat dies mit der Anordnung verbunden, daß zu diesem Zweck "nur Lichtbilder und Abdrucke aller zehn Finger aufgenommen werden" dürfen (§ 16 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz). Eine Einschränkung der zuletzt genannten Art ist dem Asylgesetz 1991 - das den Zweck der Maßnahme wörtlich gleich regelt - fremd. In den Erläuterungen wird das Ziel der erkennungsdienstlichen Behandlung aber auch hier mit der Registrierung von "unverwechselbaren Merkmalen (Fingerabdrücke, Lichtbild)" umschrieben.
Nach § 51 Abs. 1 SPG ist unabhängig von den schon wiedergegebenen, zweckbezogenen Einschränkungen des § 65 Abs. 1 bis 3 SPG bei jedem Ermitteln personenbezogener Daten und somit auch bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 64 Abs. 3 SPG ("das Ermitteln personenbezogener Daten durch erkennungsdienstliche Maßnahmen") die Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 29 SPG zu beachten. Nach § 29 Abs. 1 und 2 SPG bedeutet dies u.a., daß der Eingriff in die Rechte des Betroffenen nur zulässig ist, "soweit es die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt", daß insbesondere "von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen" ist, "die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt", daß darauf Bedacht zu nehmen ist, ob sich die Maßnahme gegen einen Unbeteiligten oder gegen denjenigen richtet, von dem die Gefahr ausgeht oder dem sie zuzurechnen ist, daß bei der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die "Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen" ist, und daß die Ausübung dieser Gewalt zu beenden ist, sobald (u.a.) der angestrebte Erfolg erreicht ist.
Die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt kommt insoweit, als sich die erkennungsdienstliche Behandlung auf § 14 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 gründet, gegenüber dem Asylwerber nicht in Frage (vgl. die schon zitierten Erläuternden Bemerkungen dazu und auch die zum ähnlich gelagerten Fall des § 60 Abs. 2 Fremdengesetz, 692 BlgNR. 18. GP, Seite 56; Rohrböck, Das Asylgesetz 1991, Seite 145). Was in anderen Fällen für die Anwendung der Befehls- und Zwangsgewalt gilt, kann bei der Bestimmung der Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge des § 19 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 aber nicht unberücksichtigt bleiben.
Setzt man den im Gesetz genannten und in den Erläuternden Bemerkungen näher umschriebenen Zweck der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 14 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 in Beziehung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er den zuletzt erörterten Bestimmungen und in zum Teil vergleichbarer Weise auch den einschränkenden Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 bis 3 SPG entnehmbar ist, so ergibt sich, daß die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers im Sinne der genannten Vorschrift des Asylgesetzes 1991 nicht weiter reicht als die erkennungsdienstlichen Maßnahmen zur Erzielung unverwechselbarer Merkmale, im besonderen durch Aufnahme von Fingerabdrücken und Lichtbildern, im Einzelfall notwendig sind. Stehen die zuletzt genannten Hilfsmittel zur Verfügung, so werden Messungen am Körper des Asylwerbers in der Regel nicht nötig sein, um den im Gesetz umschriebenen Zweck der erkennungsdienstlichen Behandlung zu erreichen. Dabei ist, was die Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Methoden anlangt, auch zu beachten, daß das Ziel die Wiedererkennbarkeit im Zuge einer neuerlichen erkennungsdienstlichen Behandlung und nicht etwa (wie im Fall des § 65 Abs. 1 SPG) auch anhand späterer Tatortspuren oder Zeugenaussagen ist. Je eher auf eine bestimmte Maßnahme unter diesem Gesichtspunkt verzichtet werden kann, desto stärker sind aber auch die Interessen des Asylwerbers zu berücksichtigen, die der Durchführung dieser Maßnahme entgegenstehen. Vom Asylwerber als entehrend empfundene oder seinen religiösen Gebräuchen widersprechende Handlungen oder Duldungen sind von ihm im Bereich der zur Erzielung einwandfreier Identifizierungsmerkmale nicht unerläßlichen Maßnahmen daher nicht zu verlangen. Die Abnahme der Kopfbedeckung wird erforderlich sein, wenn die Herstellung verwertbarer Lichtbilder sonst nicht möglich ist. Geht es nur um die Erhöhung der Meßgenauigkeit oder die Erleichterung des Meßvorganges bei der Feststellung der Körpergröße und fehlt es nicht an der Möglichkeit zur Erzielung einwandfreier Identifizierungsmerkmale durch die Aufnahme von Fingerabdrücken und Lichtbildern, so wird der religiös motivierte Wunsch, die Kopfbedeckung nicht abnehmen zu müssen, hingegen zu respektieren sein.
Im vorliegenden Fall ist dies sowohl bei der erkennungsdienstlichen Behandlung selbst - die nicht abgebrochen wurde - als auch von der Behörde erster Instanz richtig eingeschätzt worden. Demgegenüber hat die belangte Behörde durch die Annahme, allein die Nichtabnahme einer Kopfbedeckung durch den Asylwerber erfülle schon die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Asylantrages, ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996200041.X00Im RIS seit
20.11.2000