TE Vfgh Beschluss 2022/3/18 V287/2021

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Veröffentlicht am 18.03.2022
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-MaßnahmenG §2, §3
3. COVID-19-Maßnahmenverordnung BGBl II 441/2021 idF BGBl II 459/2021 §5 Abs2
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung einer Bestimmung der 3. COVID-19-MaßnahmenV betreffend den Zutritt zu Einrichtungen der Nachtgastronomie wegen zu engen Anfechtungsumfanges

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehren die antragstellenden Parteien, der Verfassungsgerichtshof möge §5 Abs2 der 3. COVID-19-Maßnahmenverordnung, BGBl II 441/2021, idF BGBl II 459/2021 als gesetzwidrig aufheben.

II. Rechtslage

§5 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen werden (3. COVID-19-Maßnahmenverordnung – 3. COVID-19-MV), BGBl II 441/2021, idF BGBl II 459/2021 (der angefochtene Abs2 wurde mit der Verordnung BGBl II 456/2021 eingefügt) lautete (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Gastgewerbe
§5.

(1) Der Betreiber von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe darf Kunden zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Gastgewerbes nur einlassen, wenn diese einen 2G-Nachweis vorweisen.

(2) Der Betreiber von Betriebsstätten der Gastgewerbe, in denen mit einer vermehrten Durchmischung und Interaktion der Kunden zu rechnen ist, wie insbesondere Diskotheken, Clubs, Après-Ski-Lokale und Tanzlokale, darf Kunden zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen nur einlassen, wenn diese einen 2G-Nachweis vorweisen.

(3) Der Betreiber hat einen COVID-19-Beauftragten zu bestellen und ein COVID-19-Präventionskonzept auszuarbeiten und umzusetzen.

(4) Selbstbedienung ist zulässig, sofern geeignete Hygienemaßnahmen zur Minimierung des Infektionsrisikos gesetzt werden. Diese Maßnahmen sind im COVID-19-Präventionskonzept gemäß Abs3 abzubilden.

(5) Die Pflicht zum Vorweisen eines Nachweises gemäß Abs1 gilt nicht für:

1.

die Abholung von Speisen und Getränken. Kunden haben in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen;

2.

Imbiss- und Gastronomiestände. Kunden haben in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen;

3.

Betriebsarten der Gastgewerbe, die innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:

a)

Krankenanstalten und Kuranstalten für Patienten;

b)

Alten- und Pflegeheime sowie stationäre Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe für Bewohner;

c)

Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und elementaren Bildungseinrichtungen;

d)

Betriebe, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige oder dort beruflich tätige Personen genützt werden dürfen;

e)

Massenbeförderungsmittel."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die antragstellenden Parteien bringen zu ihrer Antragslegitimation Folgendes vor:

1.1. Die erstantragstellende Gesellschaft sei Betreiberin einer näher bezeichneten Cocktailbar im ersten Wiener Gemeindebezirk. Der Zweitantragsteller sei sowohl gesellschafts- als auch gewerberechtlicher Geschäftsführer und Gesellschafter der erstantragstellenden Gesellschaft. Einen Verantwortlichen gemäß §9 VStG gebe es nicht.

1.2. Die Cocktailbar der antragstellenden Parteien werde mit dem Gewerbeschein "Gastgewerbe in der Betriebsart einer Bar mit allen Berechtigungen nach §142 Abs1 GewO" betrieben. Die Öffnungszeiten seien Montag bis Samstag von 17:00 bis 3:00 Uhr. Livemusik werde nicht gespielt und der Zugang sei für alle Gäste öffentlich.

1.3. Die angefochtene Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) betreffe die antragstellenden Parteien, weil es durchaus denkbar sein könne, dass §5 Abs2 3. COVID-19-MV auf die durch sie betriebene Betriebsstätte des Gastgewerbes anwendbar sei, weil die Begriffe "vermehrte Durchmischung", "Interaktion der Kunden" und allgemein "Club" sehr unbestimmt seien und deren Begriffshof durchaus auch Cocktailbars betreffen könnte.

1.4. Bis zur Klärung dieser Frage hätten die antragstellenden Parteien entweder potentiellen Kunden, die keinen Nachweis iSd 3. COVID-19-MV hätten, den Einlass in das Lokal zu verweigern oder aber sich der Gefahr einer behördlichen Bestrafung auszusetzen. Es wäre jedenfalls unzumutbar, zunächst eine Bestrafung herbeizuführen, um in weiterer Folge die Gesetz- und Verfassungswidrigkeit der Verordnung im Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen.

1.5. Die antragstellenden Parteien seien daher antragslegitimiert, weil sie direkt als (vermeintliche bzw potentielle) Normadressaten durch §5 Abs2 3. COVID-19-MV betroffen seien und einem Teil ihrer Gäste den Zugang zu ihrem Lokal verweigern müssten, wenn diese die Voraussetzungen der bekämpften Bestimmung nicht erfüllten. Die angefochtene Bestimmung stehe zum Zeitpunkt der Antragstellung in Kraft und greife daher auch unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien ein.

2. In der Sache monieren die antragstellenden Parteien eine Verletzung in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Erwerbsfreiheit und auf Unversehrtheit des Eigentums.

3. Der BMSGPK hat eine Äußerung erstattet, in der er die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung begehrt.

3.1. Der BMSGPK verneint die Zulässigkeit zunächst mit der Begründung, dass der Anfechtungsumfang zu eng gewählt worden sei. Die antragstellenden Parteien hätten es unterlassen, den mit §5 Abs2 3. COVID-19-MV in untrennbarem Zusammenhang stehenden §9 Abs1a leg cit mitanzufechten. Überdies hätten sie es verabsäumt, auch §5 Abs1 3. COVID-19-MV mitanzufechten, wonach der Betreiber von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe Kunden zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Gastgewerbes nur einlassen dürfe, wenn diese einen 2G-Nachweis vorweisen könnten. Im Falle einer Aufhebung des §5 Abs2 3. COVID-19-MV gelte die 2G-Nachweispflicht des §5 Abs1 leg cit nunmehr für alle Betriebsstätten der Gastgewerbe gleichermaßen. Mit einer Aufhebung lediglich der in §5 Abs2 3. COVID-19-MV normierten Schutzmaßnahme könne die behauptete Gesetz- bzw Verfassungswidrigkeit nicht beseitigt werden.

Des Weiteren zieht der BMSGPK die unmittelbare Betroffenheit der antragstellenden Parteien in Zweifel. Die unmittelbare Betroffenheit könne zwar grundsätzlich im Hinblick auf die erstantragstellende Gesellschaft als Rechtsträgerin des Unternehmens vorliegen, jedoch nicht im Hinblick auf den Zweitantragsteller als Geschäftsführer. Die Einlassregeln des §5 Abs2 3. COVID-19-MV richteten sich explizit an den Betreiber der Betriebsstätte des Gastgewerbes. Der Zweitantragsteller sei damit nicht Normadressat der angefochtenen Bestimmung.

Darüber hinaus sei eine abschließende Beurteilung, ob es sich bei der von der erstantragstellenden Gesellschaft betriebenen Cocktailbar um eine von §5 Abs2 3. COVID-19-MV erfasste Betriebsstätte der Gastgewerbe handle, bereits auf Grund der spärlichen Angaben der antragstellenden Parteien nicht möglich. Es hätte daher konkreterer Darlegungen bedurft, welche Kriterien iSd §5 Abs2 3. COVID-19-MV in der näher bezeichneten Cocktailbar vorlägen, um die unmittelbare Betroffenheit beurteilen zu können. Die von den antragstellenden Parteien angegebenen Öffnungszeiten seien jedenfalls kein Indikator für eine solche Einordnung. So sei zur Vermeidung irriger Auslegungen dahingehend, dass die Qualifikation als Betriebsstätte gemäß §5 Abs2 3. COVID-19-MV von der Tageszeit abhängen könnte, bereits mit der Stammfassung der 3. COVID-19-MV die Bezeichnung "Einrichtungen der Nachtgastronomie" gestrichen und klargestellt worden, dass §5 Abs2 leg cit auch Après-Ski-Lokale erfasse. Gleiches gelte für die von den antragstellenden Parteien ins Treffen geführte Gewerbeberechtigung gemäß §142 Abs1 GewO 1994, weil die in §5 Abs2 3. COVID-19-MV verwendeten Begriffe seuchenrechtlich autonom zu interpretieren seien und die Bestimmungen der GewO 1994 somit keinen tauglichen Auslegungsbehelf darstellen würden. Wenn die antragstellenden Parteien weiters darlegen würden, im Lokal seien sowohl Sitz- als auch Stehplätze vorhanden und es komme nicht zu Liveauftritten durch Musiker, so stellten diese Ausführungen alleine noch keine hinreichende Basis für eine eindeutige Abgrenzung dar.

3.2. Auch in der Sache tritt der BMSGPK dem Antragsvorbringen entgegen.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B?VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

4. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.972/2015).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (vgl VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).

5. Der auf Art139 Abs1 Z3 B-VG gestützte Antrag auf Aufhebung von §5 Abs2 3. COVID-19-MV ist zu eng gefasst:

§5 Abs2 3. COVID-19-MV normiert, dass ein Zutritt zu Betriebsstätten der Gastgewerbe, in denen mit einer vermehrten Durchmischung und Interaktion der Kunden zu rechnen ist, wie insbesondere Diskotheken, Clubs, Après-Ski-Lokale, nur zulässig ist, wenn potentielle Kunden einen 2G-Nachweis vorweisen können. Im Falle der Aufhebung dieser Bestimmung würde die allgemeine für alle Betriebsstätten der Gastgewerbe geltende 2G-Regel nach §5 Abs1 3. COVID-19-MV zur Anwendung gelangen. Da mit dem Antrag, §5 Abs2 3. COVID-19-MV aufzuheben, die behauptete Gesetz- und Verfassungswidrigkeit nicht beseitigt würde, erweist sich der Anfechtungsumfang als zu eng gewählt. Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen, ohne dass das Vorliegen der übrigen Prozessvoraussetzungen näher zu prüfen ist.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, COVID (Corona)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V287.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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