TE Vwgh Beschluss 2022/3/22 Ra 2022/22/0009

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2022
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
AVG §69 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §27
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Mayr und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der M S, vertreten durch Dr. Thomas Romauch und Dr. Elke Romauch, Rechtsanwälte in 9201 Krumpendorf, Koschatweg 19/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. Dezember 2021, VGW-151/005/1495/2021-12, betreffend Wiederaufnahme von Verfahren und Abweisung von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 9. Dezember 2020 nahm der Landeshauptmann von Wien mehrere aufgrund von Anträgen der Revisionswerberin, einer serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung von Aufenthaltstiteln rechtskräftig (positiv) abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG wieder auf. Diese Verfahren betrafen den Erstantrag der Revisionswerberin vom 25. Juli 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), die diesbezüglichen Verlängerungsanträge vom 25. September 2014 sowie vom 28. September 2015, den Zweckänderungsantrag der Revisionswerberin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 27 Abs. 1 NAG vom 13. Dezember 2017 sowie wegen Namensänderung einen darauf Bezug nehmenden Antrag vom 24. September 2018. Unter einem wurden die genannten Anträge sowie ein (bis dahin noch nicht bescheidmäßig erledigter) „Verlängerungsantrag“ vom 23. November 2020 abgewiesen.

2        Dazu hielt der Landeshauptmann von Wien im Wesentlichen fest, dass es sich bei der von der Revisionswerberin am 13. Juli 2013 mit einem österreichischen Staatsbürger geschlossenen und am 29. November 2017 geschiedenen Ehe um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien, das nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ebenfalls vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausging, mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Das Verwaltungsgericht bestätigte - wie eingangs dargestellt - die Wiederaufnahme mehrerer rechtskräftig abgeschlossener Verfahren sowie die Abweisung der diesen Verfahren zugrundeliegenden Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln und des bislang noch nicht bescheidmäßig erledigten Antrags vom 23. November 2020. Weder hinsichtlich der Wiederaufnahme der in Rede stehenden Verfahren noch betreffend die Abweisung der in Rede stehenden Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gelingt es der Revision, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Zusammenhang mit der Überprüfung der Beweiswürdigung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. beispielsweise VwGH 12.10.2020, Ra 2020/22/0064, Rn. 6, mwN).

10       Eine derartige vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung legt die Revisionswerberin mit dem Hinweis, es sei gegenständlich eine vor mehr als acht Jahren geschlossene Ehe beurteilt worden, nicht dar. Vorliegend befasste sich das Verwaltungsgericht mit den Ermittlungsergebnissen, die es u.a. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der Befragung der Revisionswerberin und ihres geschiedenen österreichischen Ehegatten gewonnen hatte, nachvollziehbar auseinander. Im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht durchgeführte mündliche Verhandlung trifft auch der Vorwurf nicht zu, es sei die in Rede stehende Ehe „praktisch vom Schreibtisch aus“ als Aufenthaltsehe qualifiziert worden. Im Übrigen ist im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens einer Aufenthaltsehe keine „5-Jahres-Beobachtung zugunsten des Ausländers“ anzustellen und geht es im vorliegenden Fall nicht um die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen.

11       In den wiederaufgenommenen Verfahren waren die auf § 47 Abs. 2 NAG gestützten Anträge jedenfalls abzuweisen, weil der Revisionswerberin aufgrund der mittlerweile erfolgten Scheidung ihrer mit einem österreichischen Staatsbürger geschlossenen Ehe die Eigenschaft als Familienangehörige eines österreichischen Staatsbürgers nicht zukam. Somit verfügte sie (nach der Wiederaufnahme der in Rede stehenden Verfahren und der Abweisung ihrer Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 47 Abs. 2 NAG) weder über einen Aufenthaltstitel, der einer Verlängerung oder Zweckänderung zugänglich gewesen wäre, noch über ein - aus einem bisherigen Aufenthaltstitel - abgeleitetes Niederlassungsrecht gemäß § 27 NAG. Bereits aus diesem Grund wirft die Revision auch hinsichtlich der Abweisung ihrer nachfolgenden Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. dazu VwGH 27.4.2017, Ro 2016/22/0014, Rn. 12; 27.9.2021, Ra 2021/22/0140, Rn. 10; zur ex-tunc Wirkung der Wiederaufnahmeverfügung siehe VwGH 9.7.2021, Ra 2021/22/0120, Rn. 17, mwN).

12       Somit stand der Erteilung der von der Revisionswerberin beantragten Aufenthaltstitel das Fehlen besonderer Erteilungsvoraussetzungen entgegen. Bei Nichtvorliegen besonderer Erteilungsvoraussetzungen ist eine Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK, auf die die Revision abzuzielen scheint, nicht vorzunehmen (vgl. VwGH 20.5.2021, Ra 2021/22/0088, Rn. 9).

13       Folglich sind die von der Revision zwecks Darlegung der persönlichen Verankerung der Revisionswerberin im Bundesgebiet angeführten Aspekte (seit acht Jahren bestehende Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt, regelmäßige Abfuhr von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen) im gegenständlichen Zusammenhang irrelevant.

14       Da somit die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen, war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 22. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022220009.L00

Im RIS seit

25.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten