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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §116 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des H in W, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 13. Oktober 2020, Zl. RV/7105908/2018, betreffend Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Das Finanzamt zog den Revisionswerber mit Bescheid vom 20. Jänner 2017 als ehemaligen Geschäftsführer der M GmbH für deren aushaftende Abgabenschuldigkeiten gemäß § 9 iVm § 80 BAO zur Haftung heran.
5 Der Revisionswerber erhob fristgerecht Beschwerde, die das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung abwies. Nach Stellung eines Vorlageantrages führte das Bundesfinanzgericht eine mündliche Verhandlung durch. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab; es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
7 Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst geltend gemacht, die angefochtene Entscheidung weiche von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Für die Beurteilung der Verschuldensfrage komme es darauf an, welcher der Geschäftsführer mit der Besorgung der steuerlichen Angelegenheiten befasst gewesen sei. Eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Entrichtung der Steuern der Gesellschaft betrauten (oder hiefür verantwortlichen) Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer komme nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliege, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln (Hinweis auf VwGH 18.10.1995, 91/13/0037). Der Revisionswerber werde entgegen dieser Rechtsprechung zur persönlichen Haftung herangezogen, obwohl er nicht für alle Perioden mit der Entrichtung der Steuern dieses Unternehmens betraut gewesen sei.
8 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass der Revisionswerber nach den in der Revision nicht bestrittenen Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts im hier zu beurteilenden Zeitraum alleiniger Geschäftsführer der Primärschuldnerin (der M GmbH) war. Fragen betreffend eine Aufteilung der Besorgung von Angelegenheiten bei einer Mehrheit von Geschäftsführern (vgl. hiezu auch VwGH 31.12.2020, Ra 2020/13/0084; 1.2.2021, Ra 2020/13/0087) konnten sich demnach im vorliegenden Verfahren nicht stellen. Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass sich ein Geschäftsführer bei Übernahme seiner Funktion darüber zu unterrichten hat, ob und in welchem Ausmaß die von ihm nunmehr vertretene Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, weil die Pflicht der Gesellschaft zur Abgabenentrichtung erst mit deren Abstattung endet. Die Gesellschaft bleibt verpflichtet, diese Abgabenschuldigkeiten zu erfüllen; zur Erfüllung dieser Verpflichtung ist der Geschäftsführer der Gesellschaft verhalten (vgl. VwGH 20.11.2014, Ro 2014/16/0019; 22.4.2015, 2013/16/0208, je mwN).
9 Der Revisionswerber macht weiters geltend, das Bundesfinanzgericht habe sich nicht mit den im Zuge der Beschwerde vorgebrachten Argumenten in der Sache selbst nach § 248 BAO auseinandergesetzt und die dazu angebotenen Beweise nicht aufgenommen. Zur Frage, ob die Bekämpfung der Grundlagenbescheide in Verbindung mit der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid auch als Beschwerde gegen den Grundlagenbescheid zu werten sei, wenn allenfalls formelle Voraussetzungen wie Anträge fehlten, gebe es nur veraltete und nicht eindeutige höchstgerichtliche Judikatur.
10 Nach § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen.
11 Geht einem Haftungsbescheid (nach § 9 BAO) ein Abgabenbescheid - oder betreffend Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer ein Haftungsbescheid - voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid zu halten (vgl. z. B. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/13/0104, mwN).
12 Bringt der Haftungspflichtige gemäß § 248 BAO sowohl gegen den Haftungsbescheid als auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Beschwerde ein, so ist zunächst über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid zu entscheiden, weil von dieser Erledigung die Rechtsmittelbefugnis gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch abhängt (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2019/13/0029 bis 0031, mwN). Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung sind in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen (vgl. VwGH 27.1.2010, 2009/16/0309; 9.11.2011, 2009/16/0260, mwN).
13 Geht der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung aber kein Abgabenbescheid voran, so ist die Frage, ob und in welcher Höhe ein Abgabenanspruch objektiv gegeben ist, als Vorfrage im Haftungsverfahren zu beantworten (vgl. neuerlich VwGH 27.1.2010, 2009/16/0309; 9.11.2011, 2009/16/0260; 22.12.2011, 2009/16/0109, mwN).
14 Im vorliegenden Fall lagen der Haftungsinanspruchnahme ganz überwiegend Abgabenbescheide (bzw. Haftungsbescheide betreffend Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer) zu Grunde. Lediglich betreffend Umsatzsteuervorauszahlungen April 2010 bis Juli 2010 wurden keine Abgabenbescheide erlassen. Das Bundesfinanzgericht verwies darauf, dass insoweit die Umsatzsteuervoranmeldungen durch den Revisionswerber selbst erfolgten. Dass diese Voranmeldungen unrichtig gewesen seien und somit die hier als Vorfrage zu beurteilende Abgabenpflicht unrichtig beurteilt worden sei, wird in der Revision nicht behauptet.
15 Die Richtigkeit der Bescheide über die Abgabenansprüche war hingegen im Haftungsverfahren nicht zu beantworten. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (nur) über den Haftungsbescheid, nicht über die der Haftung zugrunde liegenden Bescheide entschieden. Ob im Rahmen der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid wirksam auch Beschwerde gegen die zugrunde liegenden Bescheide über die Abgabenansprüche erhoben wurde, war im vorliegenden Verfahren nicht zu beantworten und ist für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht von Bedeutung.
16 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 22. März 2022
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130100.L00Im RIS seit
25.04.2022Zuletzt aktualisiert am
05.05.2022